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V.

So langte sie eines Abends in ihrem neuen Heim an, in einer hochgemuten Stimmung, die ihrer Seele Schwingen lieh, so daß ihr Fuß unberührt vom Kleinlichen, Niedrigen, Alltäglichen dahinschritt, in der das Leben wie ein Märchenland vor ihr lag voll Bäumen mit goldenen Früchten, voll silbernen Quellen, voll segenspendenden Feen und Genien, voll Glanz und Herrlichkeit. Eine alte Frau, die dem Herrn Bürgermeister in seiner Junggesellenzeit den Haushalt geführt, und die Köchin empfingen sie mit ehrerbietigen Glückwünschen. Sie reichte jeder freundlich dankend die Hand und durchschritt an der Seite des Gatten die erleuchteten, festlich mit Blumen und Girlanden geschmückten Räume. Alles schien ihr schön und reich und komfortabel, und über allen Dingen lag ein heller Schein. Als sie endlich allein waren, umschlang er sie zärtlich.

»Nun, kleine Frau, bist du zufrieden? Wirst du dich auch glücklich fühlen in deinem neuen Reich?«

Da sah sie ihn mit überströmenden Augen an und im Überschwang ihres Dankbarkeitsgefühls beugte sie sich herab und küßte die Hand, die ihrem Streben immer neue Impulse gab und ihrem Leben neue Glücksmöglichkeiten erschloß.

Und dann setzte die Prosa des Lebens ein. Schon am anderen Tage verließ die Wirtschafterin das Haus, und sie hatte nur noch die Köchin zu ihrer Hilfe, um mit dem Haushalte und allen seinen kleinen Erfordernissen fertig zu werden. Viel Sorge und eigne Arbeit gab es ja freilich vorläufig nicht. Die Hauptsache war, den Speisezettel täglich mit der Köchin zu beraten, die nicht nur die Kocherei besorgte, sondern auch die wenigen Zimmer, die in täglichem Gebrauch waren, in Ordnung brachte. Sie selbst behielt sich nur vor, das Arbeitszimmer ihres Gatten aufzuräumen. Sie lächelte manchmal, wenn sie sich vorstellte, was ihre Schwester, was Anna Möller und ihre früheren Studiengenossinnen wohl sagen würden, könnten sie sie bei dieser profanen Beschäftigung sehen. Aber dieser Gedanke hatte durchaus nichts Niederziehendes oder Beschämendes für sie, im Gegenteil es gewährte ihr immer eine besondere Freude und Genugtuung, für den geliebten Mann die Finger zu regen, den Staub von seinem Arbeitstisch zu wischen und für seine Bequemlichkeit und Behaglichkeit tätig zu sein.

Des Morgens, wenn er nach dem Rathause ging, lag sie immer im Fenster und begleitete ihn mit ihren Blicken und winkte ihm lächelnd, bis er ihren Augen entschwunden war. Dann plauderte sie mit der Köchin, um über die Zeit hinwegzukommen, sah ihr beim Kochen zu, half dabei, soviel sie konnte oder erledigte irgend etwas anderes in der Wirtschaft. Dabei prickelte ihr eine beständige Unruhe in den Nerven, und zu einer anhaltenden geistigen Tätigkeit hatte sie nicht die mindeste Lust. Wohl ein Dutzendmal sah sie während des Tages nach der Uhr, und wenn die dritte Nachmittagsstunde gekommen war, schlug ihr das Herz höher und färbten sich ihre Wangen dunkler, und voll Unruhe ging sie zwischen Tür und Fenster hin und her, bis sie endlich die wohlbekannten Schritte die Treppe hinaufsteigen hörte und sie ihm auf den Flur entgegeneilen konnte, um ihm die Lippen zu bieten und ihn mit einer Freude zu begrüßen, als sei er ihr nach langer Trennung wiedergeschenkt.

Die schönsten Stunden aber brachte der Abend, wenn sie in trautem, ungestörtem Beisammensein im Wohnzimmer saßen und er ihr über sein amtliches Tagewerk berichtete oder ihr aus einer Zeitung vorlas.

Die Besuche, die nicht länger aufgeschoben werden konnten, brachten für Susanne eine nicht gerade angenehm empfundene Abwechslung und Störung in den süßen Frieden und den beglückenden Einklang ihrer jungen Ehe, und die ersten Wölkchen zogen an ihrem Ehehimmel herauf.

Die erste Respektsvisite galt der Familie des Oberbürgermeisters Weinhold. Der Herr Oberbürgermeister war ein ernster, etwas wortkarger Herr, der bei aller äußerlichen Höflichkeit und Freundlichkeit doch nie das Bewußtsein seiner Würde als städtisches Oberhaupt vergessen zu können schien. Seine Gattin legte etwas Herablassendes, Patronisierendes gegen die junge Frau an den Tag, das auf diese befremdend und einschüchternd wirkte. Von den beiden erwachsenen Töchtern hatte Frau Susanne den Eindruck, daß sie ihr mit Voreingenommenheit, wenn nicht mit Feindseligkeit begegneten. Besonders schlug ihr die süß-saure Miene und die spitze Stimme der älteren, einem schon etwas ältlichen verblühten Mädchen von etwa 28 Jahren auf die Nerven.

»Sie haben also wirklich studiert?« bemerkte Eugenie Weinhold unter anderem und betrachtete die ihr Gegenübersitzende mit neugierigen, zweifelnden und mißtrauischen Blicken. »War es denn nicht furchtbar peinlich, mit den Studenten zusammenzusitzen?«

»Nicht im geringsten.« Susanne lächelte. »Warum denn? Wir sind sehr gut miteinander ausgekommen.«

Die beiden Schwestern zuckten mit ihren Schultern und ein fast unwilliges Staunen prägte sich in ihren Mienen aus. »Ich hätte jedenfalls nicht den Mut gehabt«, äußerte die ältere. Und Adelheid, die jüngere. sekundierte: »Die Studenten sind ja doch so frei und ungebunden. Da mußten Sie ja doch in beständiger Angst schweben vor irgendeinem Affront.«

Susanne schüttelte erstaunt mit dem Kopf.

»Aber nicht im mindesten. Warum denn? Man kommt ja doch mit den Studenten auch in Gesellschaften und auf Bällen zusammen.«

»Das ist ja doch etwas ganz anderes«, wehrte Eugenie Wemhold entrüstet ab. »Im Ballsaal wird man doch immer als Dame respektiert.«

»Jawohl,« meinte auch die jüngere, »während man im Hörsaal sich doch gewissermaßen auf gleichen Fuß mit den Studenten stellt und sich des Rechts auf Rücksichtnahme begibt, die man als Dame zu fordern berechtigt ist.«

»Wenn Sie darunter das Recht auf Galanterie verstehen,« parierte Frau Susanne, in der sich der Ärger zu regen begann, »davon ist im Hörsaal freilich keine Rede. Das gleiche geistige Streben stellt allerdings eine gewisse Gleichheit her, die man im Ballsaal wohl nicht kennt, aber diese Gleichheit hat durchaus nichts Verletzendes.«

»Immerhin,« nahm Eugenie Weinhold wieder das Wort, während sie ihre Schultern emporzog und sich bemühte, eine Miene sittlicher Überlegenheit anzunehmen, »immerhin hat für mein Empfinden dieses Zusammensitzen von erwachsenen jungen Damen mit Studenten ohne den Schutz der Eltern etwas Unweibliches ... Sie sind ja jetzt nicht mehr Studentin«, fügte sie entschuldigend, aber mit einem malitiösen Lächeln hinzu.

»Ich kann nichts Unweibliches darin sehen,« erwiderte die junge Frau, während ihr der Zorn die Wangen färbte, »sich in Gesellschaft gebildeter junger Männer mit ernster Wissenschaft zu beschäftigen. Jedenfalls erscheint mir das würdiger und weniger bedenklich, als im Tanz aus einem Arm in den andern zu fliegen und sich gewagte Schmeicheleien ins Ohr wispern zu lassen, was ja im Ballsaal zuweilen vorkommen soll.«

Eugenie und Adelheid Weinhold sahen einander überrascht und entrüstet an. Auch die Frau Oberbürgermeister schien durch die in erhöhtem, scharfem Ton gegebene Erwiderung verletzt, denn ihr Gesicht nahm einen mißbilligenden, verweisenden Ausdruck an. Aber sie hatte noch nicht für ihr Empfinden den Ausdruck gefunden, als sich der Oberbürgermeister ins Mittel legte, um der peinlich werdenden Situation die Spitze abzubrechen.

»Sie haben jedenfalls das bessere Teil erwählt, gnädige Frau«, bemerkte er verbindlich lächelnd, und seinen jungen Kollegen mit einem bezeichnenden Blick streifend.

»Ja, Sie werden wohl froh sein,« griff auch die Frau Oberbürgermeister mit einem etwas sauren Lächeln ein, »daß Sie nun nicht mehr nötig haben zu studieren, was doch immerhin für eine junge Dame in mehr als einer Hinsicht sein Bedenkliches hat.«

»Ich habe nichts Bedenkliches darin gefunden«, versetzte Frau Susanne schlagfertig, sich stolz reckend und den hoheitsvollen Blicken der älteren Dame furchtlos, ja, mit einem gewissen Trotz begegnend. »Und wenn ich etwas bedauert habe, als ich mich verheiratete, so war es das, daß ich nun mein Studium nicht zum Abschluß, bringen konnte, was ich sonst sicher mit Eifer und freudigem Stolz getan hätte.«

Dr. Kamberg räusperte sich warnend und warf seiner Frau, als sie ihn instinktiv ansah, einen beschwichtigenden Blick zu. Gleich darauf hielt er es für angezeigt, die Visite zu beenden.

»Ich hätte gar nicht gedacht, daß du eine so scharfe Zunge hast«, sagte er, während sie die Treppen hinabstiegen, halb belustigt, halb tadelnd.

In der ehemaligen Studentin glühte noch die Erregung und die Empörung.

»Sollte ich mir von den dummen Puten ungestraft Impertinenzen sagen lassen?«

Der Bürgermeister sah sich erschrocken um.

»Aber, liebe Susanne, ich bitte dich! Warum denn gleich so starke Ausdrücke?« sagte er verweisend. »Du solltest etwas mehr Rücksicht nehmen auf die andern Anschauungen, in denen die Damen aufgewachsen sind. In ihren Augen haftet der studierenden Frau nun einmal etwas Anrüchiges an, denn sie können sich gar nicht denken, daß es aus wirklichem, sachlichem Interesse geschieht, wenn ein Mädchen sich zum Studium entschließt. Sie wittern wohl allerlei sehr profane und echt weibliche Motive dahinter.«

»Was für Motive denn. Eugen?« fragte die junge Frau, etwas eingeschüchtert und kleinlaut, denn es war das erstemal in ihrer jungen Ehe, daß sie sich die Unzufriedenheit und den Tadel ihres Gatten zugezogen hatte.

»Nun, Eitelkeit, Sensationslust und die Begierde, sich hervorzutun.«

»Aber solch eine Voraussetzung würde doch einen sehr niedrigen Standpunkt verraten und du selbst –«

Doch er unterbrach sie etwas ungeduldig.

»Lassen wir das! Die Frage ist ja für uns erledigt. Was die Damen des Oberbürgermeisters aber betrifft, so hätte ich freilich gewünscht, daß du dich mit ihnen auf einen möglichst freundschaftlichen Fuß stelltest.«

Die junge Frau erhob ihr Gesicht, in dem sich Mißbehagen und Mutlosigkeit zeigte.

»Du kannst dir doch denken,« fuhr er eifrig fort, »daß mir daran liegen muß, mit meinem unmittelbaren Vorgesetzten und seiner Familie in guten Beziehungen zu leben.«

»Frei – freilich!« stotterte sie und schluckte und würgte, als wenn ihr etwas in der Kehle steckte.

Ein paar Tage später, als sie allein einen Besuch bei ihrer Cousine Frau Adele Portig abstattete, wurde ihr eine unerwartete Aufklärung über die Gründe der Animosität, mit der ihr die Damen Weinhold ganz offenbar begegnet waren.

»Darüber kannst du dich doch nicht wundern,« rief die schöne Frau lachend, nachdem ihr Susanne von ihrer Visite berichtet hatte, »die beiden alten Jungfern – man kann sie wohl schon getrost als solche bezeichnen, denn es wird sich ja wohl kein Freier mehr finden, um so weniger als ja der Oberbürgermeister kein Vermögen besitzt – die beiden alten Jungfern hassen dich natürlich wie die Sünde.«

»Aber warum denn?«

»Spaß!« Hast du ihnen nicht den Mann weggeschnappt, auf den sie gewissermaßen einen legitimen Anspruch zu haben glaubten?«

»Ach! Du meinst, daß sie sich eingebildet haben, daß Eugen –«

»Eine von ihnen heimführen würde –- freilich haben sie das gedacht. Jedenfalls haben sie sich alle Mühe gegeben, und es war immer sehr ergötzlich mit anzusehen, wie eifersüchtig sie sich einander überwachten. Jetzt kehrte sich ihre gemeinsame Wut natürlich gegen dich, das Mädchen aus der Fremde, das spielend in vier Wochen fertig brachte, was ihnen in zwei Jahren mit heißem Bemühen nicht gelingen wollte.«

In Susanne erhob sich ein schmeichelndes Gefühl inniger Genugtuung, und sie freute sich um so mehr, daß sie die beiden hämischen, neidischen alten Jungfern so energisch abgetrumpft hatte.

Freilich auch bei den meisten der anderen Besuche, die sie noch mit ihrem Gatten erledigte, mußte sie dieselbe Erfahrung machen, daß man ihr mit einem gewissen Mißtrauen und sichtlicher Voreingenommenheit begegnete. Sie sah, daß die Tatsache, daß sie Studentin gewesen, sie in den Augen dieser korrekten, die traditionelle Sitte als etwas heiliges betrachtenden Leute mit dem Makel der Extravaganz behaftete, und man schien sich in diesen Kreisen unter einer Studentin ein burschikoses, ungebundenes und sittlich nicht ganz einwandfreies Geschöpf vorzustellen.

Kein Wunder, daß sich ihrer bald eine große Unlust bemächtigte, und als eines Tages wieder eine dieser Besuchsrunden angetreten werden sollte, sagte sie: »Ja, muß denn das sein, Eugen? Muß ich denn alle diese Menschen kennen lernen, die mir so gleichgültig sind und denen ich doch mit meinem Besuch gewiß ebenfalls keine Freude bereite?«

Er sah sie erstaunt an.

»Ja, Kind, das läßt sich nun mal nicht umgehen. Wenn du mit ihnen verkehren willst, mußt du doch deine Antrittsvisite machen.«

»Aber ich will ja gar nicht mit ihnen verkehren. Wir können doch auch ohne diese Leute leben, wir brauchen sie doch nicht zu unserm Glück.«

»Freilich nicht. Aber ich in meiner offiziellen Stellung bin auf gesellschaftliche Beziehungen zu den Honorationen der Stadt angewiesen.«

»Schön! Aber ich bin es doch nicht. Kannst du mich nicht zu Hause lassen und allein gehen?«

Er lächelte.

»Du bist ein rechtes Kind. Als verheirateter Mann kann ich doch nicht ohne meine Frau Gesellschaften besuchen. Das würde ja so aussehen, als wenn ich mich deiner schämte.«

»Ich würde es nicht so ansehen und dir ganz gewiß nicht böse sein.«

»Aber die anderen würden es so auffassen.«

Sie warf geringschätzig die Lippen auf.

»Bah! Was ich mir daraus machte!«

Er schüttelte mit dem Kopf und zeigte eine ernste Miene.

»Du vergissest, daß du als verheiratete Frau nicht für dich allein leben kannst. Als meine Frau kannst du dich nicht von den Gesellschaften ausschließen, an denen ich in Rücksicht auf meine Stellung teilnehmen muß. Und ebensowenig kann ich als verheirateter Mann wie ein Junggeselle leben und ohne meine Frau gesellschaftlichen Verkehr pflegen.«

Sie war zwar noch nicht überzeugt und hätte gern noch erwidert, daß sie die Ehe nicht als ein Zwangsinstitut auffasse, in dem die Eheleute sich gegenseitig in ihren Neigungen und Wünschen behindern und tyrannisieren, aber er schnitt ihr jede weitere Widerrede ab, indem er seinen Hut holte und sich zum Ausgehen fertig machte.

Acht Tage später traf die erste Einladung ein. Die Frau Oberbürgermeister gab sich die Ehre, die Frau Bürgermeister zum Kaffee einzuladen. Frau Susanne schnitt eine Grimasse, als die Einladung eintraf, und ihr erster Impuls war, einfach abzusagen. Niemand in der ganzen Stadt war ihr unsympathischer als gerade die Familie Weinhold. Aber wieder wehrte ihr Mann entschieden ab.

»Das geht auf keinen Fall. Man würde die Absage geradezu als Demonstration auffassen. Bedenke, daß der Gatte der Frau Oberbürgermeister mein nächster Vorgesetzter ist!«

Also sie mußte sich wieder als Frau ihres Mannes, als Frau Bürgermeister, fügen, obgleich ihr die Notwendigkeit, eine Familie zu besuchen und mit ihr schön tun zu müssen, die ihr in tiefster Seele antipathisch war und von der sie wußte, daß sie sie haßte, als unwürdige Heuchelei und verhaßter Zwang erschien. Sie hatte bisher so wenig die gesellschaftliche Komödie mitgemacht und niemals Verkehr mit Leuten gepflogen, die ihr nicht zusagten, daß sie das, was andere als selbstverständliche, unumgängliche Pflicht betrachteten, als abgeschmackt und unsinnig empfand. Und so saß sie still, in sich gekehrt inmitten dieser eifrig durcheinander schwatzenden Damen – es waren außer ihr noch eine ganze Anzahl Stadtrats- und Gerichtsrats-Gattinnen mit Töchtern anwesend – und kam sich so verlassen und am unrechten Platze vor, daß sie sich wirklich Gewalt antun mußte, um nicht schon nach einer halben Stunde wieder aufzubrechen. Große Kannen voll Kaffee und ganze Berge von Kuchen wurden verzehrt und dazu plätscherte die Unterhaltung, an der sie sich nicht zu beteiligen wußte, munter dahin.

»Ach, was für einen entzückenden Schnitt Ihr Kleid hat, Frau Landgerichtsrätin, darf man fragen, ob Sie die Robe fertig gekauft haben?« ...

 

»Ihr Zitronen-Creme schmeckt ganz ausgezeichnet, Frau Oberbürgermeister. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir gütigst das Rezept mitteilen würden ...«

 

»Wie schlägt denn Ihre neue Köchin ein, Frau Landgerichtsdirektor?«...

 

So ging es weiter in lieblichem Durcheinander und mit einer Zungenfertigkeit und einem Eifer, als handelte es sich um die wichtigsten Probleme des Menschenlebens. Immer diese drei Themata: Küche, Garderobe und Dienstboten.

Anfangs fühlte sich Susanne von einem so heftigen Widerwillen erfaßt, daß sie wie auf Kohlen saß und ein paarmal nahe daran war, sich unter irgendeinem Vorwand zu empfehlen. Schließlich geriet sie in einen Zustand gelinden Stumpfsinns, in dem sie die sie umgebenden geröteten Gesichter und glänzenden Augen nur wie im Nebel sah und die Worte an ihrem Ohr vorbeirauschten, ohne bis zu ihrem Verständnis zu dringen.

In der letzten halben Stunde, nachdem die Damen durch ein Glas Portwein ihrem Geist einige Anregung gegeben, kam etwas Abwechslung in die Unterhaltung.

»Haben Sie schon gehört,« sagte eine der älteren Damen, »daß es bei Regierungsrat Winters nicht mehr so recht stimmen soll?«

»Was Sie nicht sagen! Eine so junge Ehe!«

»Ja, die Frau Regierungsrat soll sogar schon zu ihren Eltern abgereist sein.«

»Ach nein! Wirklich? Das ist ja furchtbar interessant! Darf man dann fragen, was vorgefallen ist?«

Allgemeines Stuhlrücken. Die Erzählende warf einen sprechenden Blick nach den jungen Mädchen hin. Sogleich griff die Frau Oberbürgermeister ein.

»Adelheid, du wolltest doch den jungen Damen dein neues Stilleben zeigen! Adelheid malt wirklich ganz nett ... Also, Frau Stadtrat?«

»Sie können sich ja wohl denken, meine Damen: die alte Geschichte, eine Eheirrung.«

»Ach! Was Sie sagen! Ist denn das erhört? Weiß man denn mit wem?«

Für Susanne war die Sache so wenig interessant, daß sie es unterließ, ihren Kopf mit den anderen zusammenzustecken und daß ihr der geflüsterte Namen entging. Als sie nach Hause kam, war sie so angeödet und ermüdet und innerlich so erbittert und empört von dem Zwange, den sie sich hatte auferlegen müssen, daß sie ganz blaß und hinfällig aussah.

Mitleidig schloß sie ihr Gatte, der sie schon mit Sehnsucht erwartet hatte, in seine Arme.

»Armes Kind! War es denn wirklich so schlimm?«

»Furchtbar, Eugen!« erwiderte sie schaudernd, und die Tränen schossen ihr in die Augen vor Arger und Übelkeit. »Wenn du mich lieb hast, wirst du mir nicht mehr zumuten, jemals wieder so etwas mitzumachen.«

»Na, na!« begütigte er halb lächelnd, halb voll Rührung. »Solch ein Damenkaffee soll ja allerdings keine sehr fesselnde Sache sein, aber mit der Zeit wirst du dich schon daran gewöhnen, denn ganz ausschließen wirst du dich ja nicht können.«

Wieder lief ein Schauder durch ihre zarte schlanke Gestalt und sie machte unwillkürlich eine sich straffende, protestierende Bewegung. Aber er streichelte ihr beruhigend die Wangen und führte sie sanft in das Wohnzimmer. Hier zog er sie auf seine Knie und bettete ihr Haupt an seiner Brust. Sie lehnte sich wohlig an ihn und unter seinen inniger und heißer werdenden Küssen schwand ihr Unbehagen, die quälende Spannung, die zornige Aufregung. Wieder fühlte sie dieses köstliche, milde einlullende Gefühl der Geborgenheit, dieses Auflösen jedes Selbstbewußtseins, diese willenlose Versunkenheit, wie immer in seinen Armen. Vergessen und verflogen war jede Regung der Auflehnung, waren alle rebellischen Gedanken, die noch eben in ihrem erregten Hirn gehämmert hatten.


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