Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI.

Susanne ging in den nächsten Tagen wie in halber Betäubung umher; es war ihr, als wanke alles um sie herum, als schwanke der Boden unter ihren Füßen. So ungefähr mußte dem Gläubigen zumute sein, in dessen fromme Seele ein unaustilgbarer Zweifel gefallen war, und der nun nicht mehr wußte, woran er sich halten sollte.

Wie hoch hatte sie den Mann ihrer Liebe nicht gestellt! Lauter und untadelig war er ihr erschienen, als ein Ideal edler, charakterfester Männlichkeit. Und nun hatte er sich ihr als falsch und unwahrhaftig gezeigt aus kleinlichen, feigen Rücksichten. Nun war für immer der Glaube in ihr zerstört, daß er der Höherstehende, sittlich Überlegene war und daß er nie anders als gut und edel handeln konnte, denn hatte er nicht einen häßlichen, unsittlichen Zwang auf sie ausgeübt, den sie nie – nie vergessen konnte? Oder täuschte sie sich, war sie im Irrtum, urteilte sie zu engherzig, zu weltfremd? War es ihre Pflicht, sich auch hierin seiner besseren Einsicht und Erfahrung zu fügen? Nein! Nimmermehr würde sie das können, wenn sie nicht ihr Selbst aufgab und sich ihrer Selbstachtung entäußerte ...

Die beiden Eheleute vermieden es wie in stillschweigender Verabredung, auf die Ursache ihrer ersten ernsteren Uneinigkeit zurückzukommen, denn jeder hatte die Empfindung, daß sie zu einer Verständigung nicht gelangen und nur noch den Konflikt verschärfen würden. Die ungelöste Disharmonie aber, die seit dem Ball zwischen ihnen bestand, gab ihrem Zusammenleben ein ganz neues, von beiden gleich peinlich empfundenes Gepräge. An äußerlicher Freundlichkeit fehlte es auf keiner Seite, und besonders war Susanne mit viel größerer Sorgfalt, ja mit förmlicher Ängstlichkeit beflissen, ihre Hausfrauenpflichten in vollem Umfange zu erfüllen. Sein Arbeitszimmer war immer aufs sorgsamste aufgeräumt, wenn er nach Hause kam, und nie hatte die junge Frau mit so gewissenhafter, ja pedantischer Pünktlichkeit das Mittag- und Abendessen zur angesetzten Stunde und Minute auftragen lassen. Und auf dem Schreibtisch des Hausherrn wäre auch bei der minutuösesten Untersuchung nicht die leiseste Unordnung und nicht das winzigste Staubkörnchen zu entdecken gewesen. Auch der Ehemann ließ es nicht an den Aufmerksamkeiten fehlen, an die er seine junge Frau gewöhnt hatte. Noch immer begrüßte er sie beim Gehen und Kommen mit dem üblichen Kuß und überreichte ihr ab und zu ein duftendes Blumensträußchen. Nach wie vor berichtete er ihr bei Tisch oder nachher, wenn sie zusammen im Wohnzimmer saßen, von seinen amtlichen Erlebnissen oder von anderen ihn geistig beschäftigenden Dingen. Auch in seiner Gewohnheit, ihr des Abends aus einem mitgebrachten wissenschaftlichen Buch vorzulesen, ließ er keine Änderung eintreten. Nur daß er sich nicht mehr unterbrach, um sich plötzlich zu ihr hinüberzubeugen und durch ein minutenlanges Kosen und Scherzen eine angenehme Abwechslung in den Abend zu bringen. Davon hielt ihn schon ihre ernste Miene, ihr stilles, gleichmütiges, ausschließlich dem Gegenstand der Lektüre zugewandtes Wesen ab. Auch ihre rein fachlichen Fragen, mit denen sie zuweilen das Vorlesen unterbrach oder mit denen sie einfiel, so oft er sich eine Erholungspause gestattete, ließen ein spielerisches, verliebtes Intermezzo nicht zu. Überhaupt ihrem gegenseitigen Verkehr war die frühere Wärme und Innigkeit, die lebhafte Freudigkeit, das unbefangene Einanderhingeben abhanden gekommen. Es lag etwas Verhaltenes auf allen ihren Worten und Lebensäußerungen, so oft sie beieinander waren, eine ihnen bis dahin ganz fremde Zurückhaltung, ein geistiges und seelisches Aneinandervorbeigehen, das so weit ging, daß sich sogar ihre Blicke, die früher so oft und so lange selig ineinandergetaucht waren, zu vermeiden anfingen.

Eines Tages teilte Eugen Kamberg seiner Frau mit, daß der Oberbürgermeister ihn persönlich zu einer großen musikalisch-deklamatorischen Soiree eingeladen hatte.

»Es wird sicherlich sehr interessant werden,« äußerte er, »die besten Kräfte unserer städtischen Oper und unseres Theaters werden mitwirken, alle offiziellen Persönlichkeiten der Stadt sind eingeladen. Ich habe natürlich sofort zugesagt.«

»Auch für mich?«

»Selbstverständlich doch.«

»Das hättest du nicht tun sollen.«

Er zog seine Stirn kraus, in seinen Augen flimmerte es unruhig.

»Soll das etwa heißen –?«

»Daß ich nicht mitgehen werde – ja!«

Er sah sie im ersten Moment betroffen, fast verständnislos, ungläubig an.

»Das ist doch nicht dein Ernst, Susanne?«

»Sehe ich aus, als ob ich scherze?«

Er machte eine lebhafte Bewegung; der Ärger stieg ihm sichtlich zu Kopfe.

»Aber Susanne! Betrachtest du es denn als deine Aufgabe, mir Verdrießlichkeiten und Schwierigkeiten zu bereiten?«

»Im Gegenteil! Ich will dich, uns beide, vor Unangenehmem bewahren. Übrigens, ich sehe nicht ein, warum mein Fernbleiben dir schaden könnte. Du brauchst doch nur einfach zu sagen, daß ich nicht wohl sei.«

»Und wenn man an die Entschuldigung nicht glaubt?«

Sie zuckte mit den Achseln, um anzudeuten, daß sie das nicht berühren und beirren könnte, entgegnete aber gleich darauf: »Wer würde sich denn über mein Nichtkommen den Kopf zerbrechen? Ich halte mich nicht für eine so wichtige Persönlichkeit.«

»Aber du bist es – in diesem Kreise bist du es als Frau des Bürgermeisters.«

»Als Frau des Bürgermeisters!« Sie lächelte bitter, und während sich eine Blutwelle in ihr Gesicht ergoß, fügte sie hastig, erregt hinzu: »Du erlaubst wohl, daß ich mich daneben auch ein bißchen als Susanne Neudeck fühle ... Ich bedaure, ich kann mich wirklich diesmal deinem Wunsche nicht fügen. «

»Susanne!« Seine Rechte ballte sich in hervorbrechendem Zorn zur Faust und seine Augen funkelten sie ingrimmig an. »Aus Trotz, aus kindischem Trotz weigerst du dich?«

Es war ein schmerzliches Zucken, das um ihre Mundwinkel flog.

»Kennst du mich so schlecht, Eugen? Hältst du mich wirklich für so kleinlich und so erbärmlich? Nein, nicht in der Aufwallung des Augenblicks, aus wohlerwogenen Gründen, nach reiflicher Überlegung – ich habe ja doch den Fall voraussehen können – lehne ich ab, an der Soiree teilzunehmen. Ich ziehe nur einfach die Konsequenz aus meinen Erlebnissen auf der Gesellschaft des Präsidenten.«

»Aus deinen Erlebnissen? Willst du dich nicht deutlicher erklären?«

»Ich will allen unliebsamen Eventualitäten vorbeugen und jedem Konflikt mit dir nach Möglichkeit aus dem Wege gehen. Ich könnte dir nicht versprechen, daß ich ein zweites Mal mich deinem Gebot gegen meine Überzeugung und gegen mein eignes Empfinden ebenso blindlings unterwerfen würde, wie neulich.«

Er antwortete nicht gleich, sondern schaute sinnend, überlegend, an seiner Unterlippe nagend vor sich hin. Hatte er inzwischen eingesehen, daß er zu weit gegangen war und daß ihr sittlicher Standpunkt in dieser Angelegenheit dem seinen überlegen war? Und wirkte die Erkenntnis, wie tief ihr Selbstgefühl, ihr weibliches Empfinden verwundet war, lähmend auf seine Energie? Er erhob sein Gesicht und warf einen ungewissen, forschenden Blick auf sie. Ihre Lippen waren fest aufeinandergepreßt; ein Zug herber Entschlossenheit trat in ihren Mienen hervor und zugleich sah er in ihnen die Spuren schwerer seelischer Kämpfe, schlafloser Nächte, die ihr feines Gesichtchen schmaler gemacht hatten und ihm einen leidenden Ausdruck gaben.

Ein heißes Mitleiden erfaßte ihn plötzlich.

»Susanne!« Seine Stimme klang weich, bittend. »Glaubst du, es hat mir Vergnügen bereitet? Es ging eben einfach nicht anders. Später, wenn du nicht mehr so impulsiv handeln wirst, sondern mehr nach Überlegung wie wir Männer, wirst du das begreifen. Und nun –« er faßte nach ihrer Hand – »komm', sei gut! Wir wollen uns doch nicht als Feinde gegenüberstehen. Wir wollen ja doch in Einigkeit und Frieden leben, wie bisher. Wir haben uns ja doch lieb, Susanne! Und zwischen zwei Menschen, die sich lieben, wird und muß sich immer ein Weg des Verständnisses finden.«

Aber ihre Hand lag schwer, regungslos, ohne Gegendruck, in der seinen und in ihren Augen glomm noch sichtbar das Mißtrauen und das Widerstreben.

»Also schön!« fuhr er warm, in freierem, lauterem, aufrüttelndem Ton fort. »Bleibe, wenn du nicht magst, wenn du dich nicht in der Stimmung fühlst! Ich will ja doch keinen Zwang auf dich ausüben, wenn es sich irgend vermeiden läßt. Und schließlich hast du recht: es genügt, wenn ich gehe und die Weltgeschichte wird nicht gleich stillstehen, wenn du dich einmal von einer Gesellschaft ausschließest.«

Jetzt schmiegten sich ihre Finger an die seinen – jetzt wehrte sie ihm nicht, als er sie näher an sich heranzog. And als er nun seinen Arm um ihren Hals schlang und ihr aus nächster Nähe in die Augen sah und sie mit vibrierender Stimme, in der die Innigkeit seines Gemüts bebte, fragte: »Liebst du mich denn noch, Susanne?« da konnte sie sich nicht länger zurückhalten, da kam die Reaktion zum Durchbruch, da siegte die weibliche Weichheit, das natürliche Gefühl der Hingabe über alle anderen Empfindungen in ihr. Mit einem krampfhaften Aufschluchzen preßte sie ihr Gesicht an seine Brust.

»Liebst du mich noch, Susanne?« wiederholte er.

Sie erwiderte auch diesmal nichts, aber ihre Arme legten sich fester um ihn und mit der ganzen Glut und Innigkeit ihrer Empfindung, die nach der Zurückhaltung der letzten Tage um so rückhaltloser hervorbrach, drückte sie sich an ihn.


 << zurück weiter >>