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XVI.

Als am anderen Nachmittag ihr Mann aus seinem Bureau nach Hause kam, sah Susanne sofort, daß er alles erfahren hatte. Die Zeitung hatte er am Morgen nur flüchtig durchflogen und dem Versammlungsbericht überhaupt keine Beachtung geschenkt. Jetzt schien er aber von irgendeiner anderen Seite informiert, das erkannte sie an seinem kurzen Gruß, an seinen finsteren, verschlossenen Mienen, in denen es wie ein Wetterleuchten von verhaltener Erregung zuckte. Das Essen wurde schweigend verzehrt, dann bat er sie in sein Zimmer. Er deutete ihr an sich zu setzen: er selbst stellte sich mit dem Rücken gegen seinen Schreibtisch, denn die Unruhe und Aufregung, die in ihm tobte, litt ihn wohl nicht in einer bequemeren Haltung.

»Du hast gestern abend in einer Frauenversammlung gesprochen?« fragte er, sie mit drohenden Blicken betrachtend.

»Ja.«

»Warum hast du es mir nicht gesagt?«

»Ich hielt mich nicht dazu verpflichtet. Warum sollte ich dir etwas mitteilen, von dem ich wußte, daß es dir nicht angenehm sein würde.«

Ein herbes Lächeln flog um seine Lippen.

»Also das wußtest du und dennoch tatest du es?«

Sie zuckte ruhig mit den Achseln.

»Du tust wohl auch manches und hast manches getan, was mir nicht angenehm war.«

Er machte eine heftige Bewegung und riß das Papiermesser, das auf seinem Schreibtisch lag, an sich, bog es, daß es beinahe zersprang, und warf es dann wieder auf seinen Platz zurück.

»Du hattest mir versprochen, dich nicht in Versammlungen zu betätigen«, fuhr er fort, ohne auf ihren Einwurf einzugehen.

Sie bewegte abermals ihre Schultern.

»Allerdings, das habe ich. Es war auch nicht meine Absicht zu sprechen. Der Augenblick riß mich hin. Ich konnte einfach nicht anders. Ich hätte kein menschliches Wesen von Fleisch und Blut sein müssen, wenn ich hätte schweigen sollen.«

Sie sah ihn mit ihren großen blauen Augen, aus denen eine starke innere Erregung und ein fester Wille blitzte, unerschrocken an. Er schüttelte mit dem Kopf, als begriffe er sie nicht.

»Aber hast du dir denn nicht gesagt, daß, du mich durch dein Auftreten kompromittiertest?«

»Nein! Das habe ich mir nicht gesagt. Du mußt schon entschuldigen, aber ich habe überhaupt in dem Moment, als ich mich zum Worte meldete, und als ich darauf sprach, nicht an dich gedacht.«

Ihre bittere Ironie trieb ihm die Zornesröte ins Gesicht.

»Am so schlimmer! Dann hast du eben gegen deine Pflicht gehandelt.«

»Ich war im Gegenteil ganz von dem Gefühl durchdrungen, daß es meine Pflicht als Frau war zu sprechen, so zu sprechen, wie ich sprach.«

Er trommelte erregt mit den Knebeln auf die Schreibtischplatte; seine Stimme klang lauter, herrischer als vorher.

»Ich bedaure, dich darauf aufmerksam machen zu müssen, daß es deine Pflicht als Frau, als meine Frau war, in einer Arbeiterinnenversammlung erstens überhaupt nicht aufzutreten und zweitens nicht so – so gänzlich maßlose Ansichten öffentlich zu äußern. Der Herr Oberbürgermeister hat mir lebhafte Vorhaltungen deshalb gemacht. Du kannst dir denken, wie peinlich das für mich war.«

»Ich bedaure,« erwiderte sie und auch ihre Stimme nahm einen lebhafteren Klang an – »ich kann den Herrn Oberbürgermeister nicht als Autorität über die Frage anerkennen, ob das, was ich geäußert habe, zutreffend oder unzutreffend war, und ich kann auch dem Herrn Oberbürgermeister nicht das Recht einräumen, meine Ansichten und meine Handlungen zu kontrollieren.«

»Aber er zieht mich als mein Vorgesetzter zur Verantwortung für alles das, was meine Frau öffentlich spricht und tut.«

Sie schlug mit einer Geste voll Stolz und Selbstgefühl ihre Arme übereinander.

»Ich bemerke dir, daß ich majorenn bin. Ich enthebe dich hiermit feierlichst jeder Verantwortung für mich.«

»Aber die andern – meine Vorgesetzten bis hinauf zum Minister, sprechen mich nicht von dieser Verantwortung frei. Deshalb bin ich gezwungen, dir zu erklären, daß ich künftig nicht dulden werde, daß du irgend etwas tust, was mich zu kompromittieren geeignet ist.«

Sie zog ihre Augenbrauen zusammen und erhob sich mit plötzlichem Ruck.

»Soll das etwa heißen –?«

»Daß ich dir zunächst verbiete, künftig irgendeine öffentliche Versammlung zu besuchen – ja!«

In ihren Augen flammte es auf, doch sie beherrschte sich und erklärte ruhig und bestimmt: »Du erwartest wohl nicht, daß ich mich einem solchen Verbote fügen werde.«

Sie kehrte ihm den Rücken zu.

»Susanne!« rief er drohend und tat der Davongehenden ein paar Schritte nach.

Sie blieb stehen und wandte ihm ihr entschlossen blickendes Gesicht wieder zu.

»Wenn du dich weigerst,« rief er zitternd vor Erregung, »wenn du mir so offen und entschieden den Gehorsam aufkündigst, dann – das mache dir klar: dann brichst du die Ehe.«

Sie zuckte zusammen; in ihr vibrierendes Gesicht ergoß sich eine brennende Röte, die aber gleich wieder einer um so fahleren Blässe wich.

»Und dann,« fuhr er ganz von seinem Recht als Ehemann und dem Gefühl des ihm widerfahrenen schnöden Unrechtes durchdrungen, fort, indem er wiederholt mit dem ausgestreckten Mittelfinger seiner Rechten gebieterisch auf die Schreibtischplatte klopfte, »dann zwingst du mich schließlich Gewaltmaßregeln anzuwenden.«

Sie wurde noch um einen Schatten bleicher; ihre schwache schlanke Gestalt streckte sich; ihre Brust keuchte und rang nach einer Erwiderung, aber sie brachte keinen artikulierten Laut hervor. Nur noch einen Blick, in dem sich ihre ganze sittliche Empörung ausdrückte, warf sie ihm zu, dann wandte sie sich, um das Zimmer zu verlassen.


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