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XV.

Susanne war unzufrieden mit sich, denn sie sagte sich, daß sie inkonsequent und sinnlos handle. Wenn sie nicht vergessen, wenn sie nicht darüber hinwegkommen konnte, worüber doch – das ahnte sie jetzt wohl – alle oder doch die meisten Frauen hinwegkommen müssen, dann blieb ihr nichts als zu gehen, denn sie lebte nicht mehr mit ihrem Manne, sondern nur neben ihm, und das war keine Ehe. Wenn sie aber zu schwach war, sich von ihm zu lösen, dann hatte sie auch nicht das Recht, ihm länger wie einem Fremden zu begegnen und ihm Tag für Tag ihre Mißachtung zu bezeigen. Aber verachtete sie ihn denn überhaupt? War es gerecht gewesen, ihn auf eine Stufe mit Assessor von Wernitz zu stellen? Nein, das erkannte sie jetzt bei ruhigerer Überlegung wohl, daß Eugen nicht in Vergleich zu bringen war mit diesem Don Juan, der weder für seinen Beruf noch für sonst eine ernste Beschäftigung oder irgendeine ernste Idee Interesse besaß, der für nichts Sinn hatte als für das Weib, und dessen Lebensinhalt die Liebe war oder das, was er dafür hielt. Nein, dieser innerlich leere Mensch, der gedankenlos von einer zur anderen ging, blind seinen brutalen Instinkten folgend, stand tief, tief unter Eugen Kamberg, dem sie die Sünden früherer Generationen angerechnet hatte. Weichere, versöhnlichere Stimmungen machten sich wieder geltend und Liebe und Sehnsucht fing wieder an, ihr Herz lebhafter pochen zu machen. Und sie wartete auf ein freundliches, ermunterndes Wort, auf einen zärtlichen, verführerischen Blick mit dem Bewußtsein, daß sie nicht mehr die Kraft haben würde, ihm zu widerstreben, ihn kalt, unempfindlich abzuwehren. Aber nun war es zu spät, nun verhielt er sich gegen sie mit unerschütterlicher Zurückhaltung, mit kalter Gemessenheit, und sie erkannte wohl, daß sie sein Selbstgefühl zu tief verwundet hatte und daß seine Selbstachtung und sein Zartgefühl ihm verbot, sie zu überrumpeln und sich zu erzwingen, was sie ihm nicht aus freiem Herzen, aus eignem Antrieb gewähren wollte. Ein paarmal war sie nahe daran, den ersten Schritt zu tun, ihm, wenn er vom Amt nach Hause kam, mit strahlendem Antlitz entgegenzueilen und ihm ihre Lippen zu bieten, wie sie es so oft getan. Aber immer im letzten Moment malte ihr ihre Phantasie ein Bild, das ihren Willen lähmte, das sie zu Eis erstarren ließ und jede weichere, zärtlichere Regung in ihr erstickte. An diese Brust hatte eine andere ihren Kopf hingebend geschmiegt, dieser Arm hatte eine andere liebend umfangen, und diese Lippen hatten die dreisten, schamlos herausfordernden Augen und die breit aufgeworfenen sinnlichen Lippen jener koketten Brünetten geküßt, die ihr als eine Entartete, als eine tief unter ihr Stehende erschien, mit der sie sich nicht auf eine Stufe stellen durfte.

Und wenn es ihr Leben gekostet, sie hätte es nicht fertig gebracht, ihn auch nur mit einem freundlichen Lächeln zu begrüßen.

Und so blieb es dabei, daß sie einander zwar ruhig, aber kühl, teilnahmlos begegneten und daß das Verhältnis zwischen ihnen sich immer unleidlicher, unhaltbarer gestaltete. Und wenn sie auch manche Nacht bitterlich in ihre Kissen hineinweinte, sie war nicht imstande, eine Änderung herbeizuführen. Unendlich litt sie unter seiner Unempfindlichkeit und seiner gleichmütigen Haltung, hinter der er seinen dumpfen Groll, seine zunehmende Erbitterung verbarg, und unter ihrer eigenen Unentschlossenheit. Um sich zu betäuben und ihren Phantasiebildern und Grübeleien zu entgehen, begrub sie sich in ein emsiges Studium, und die trockensten, abstraktesten Themata suchte sie sich aus, um in schwerer, harter Gedankenarbeit vergessen zu suchen. Nicht einen einzigen Besuch machte sie in dieser Zeit, und selbst von dem Ehepaar Reichelt zog sie sich zurück, denn sie fürchtete, daß man ihr die Spuren ihrer demütigenden Erlebnisse vom Gesicht ablesen könnte. Aber gerade Frau Paula hätte sie um keinen Preis einen Einblick in die Kämpfe ihrer letzten Wochen gestatten mögen.

Da erhielt sie eines Tages ein herzliches Schreiben von Frau Reichelt. Warum sie denn so lange nichts von sich hören lasse? Ob sie erkrankt sei? Doch in diesem Fall würde sie gewiß eine Zeile geschrieben und ihre Freunde nicht so ganz in Unkenntnis gelassen haben? Ob sie ihr oder ihrem Gatten irgend etwas übelgenommen, oder welche Gründe sie sonst habe, sich in ein so undurchdringliches Schweigen zu hüllen.

»Jedenfalls will ich nicht unterlassen,« hieß es in dem Brief weiter, »Sie, liebe Freundin, darauf aufmerksam zu machen, daß wir am künftigen Mittwochabend das Vergnügen haben werden, eine der bekanntesten Führerinnen der Frauenbewegung aus Berlin in unserm Arbeiterinnenbildungsverein als Gastin zu sehen. Die Dame wird über die Selbstbestimmung des Weibes einen Vortrag halten, an den sich eine Diskussion schließen wird. Die Versammlung ist diesmal öffentlich, und der Zutritt steht jedermann frei. Wir hoffen, daß sowohl die Persönlichkeit der Rednerin, wie auch das zeitgemäße Thema die Frauen und Mädchen aus allen Kreisen der Stadt in großer Schar herbeiführen wird. Jedenfalls verspricht der Abend sehr interessant zu werden. Ich habe dafür gesorgt, daß einige Stühle in der ersten Reihe für uns reserviert werden. Es würde meinen Mann und mich sehr freuen, wenn Sie sich uns anschließen würden ...«

Bei Susanne stand es sogleich fest, daß sie die Versammlung besuchen würde. Kein Thema hätte sie mehr interessieren können als das angekündigte. Überhaupt lechzte sie in ihrem jetzigen Gemütszustand nach einer Zerstreuung. Sie empfand, daß sie so nicht weiterleben konnte. Das Brüten über ihr persönliches Geschick, die abstumpfende Eintönigkeit und Unerfreulichkeit ihres engen häuslichen Kreises mußte sie bei längerer Dauer zum Wahnsinn treiben. Schon zu lange hatte sie sich von allem abgeschlossen, was anregend, belebend, tröstend auf sie wirken konnte.

Und so schrieb sie sogleich ein paar freundliche Zeilen zurück, in denen sie für die Mitteilung herzlich dankte und ihre feste Zusage, an der Versammlung teilzunehmen und ihre Freunde abzuholen, ausdrückte.

Freilich, hinterher kam ihr ein Bedenken. Hatte sie ihrem Gatten nicht versprochen, die Zusammenkünfte des Arbeiterinnenbildungsvereins nicht mehr zu besuchen? Aber sie half sich mit der Erwägung, daß es sich ja diesmal nicht um eine Veranstaltung im engen Vereinszirkel, sondern um eine öffentliche Versammlung handelte, über diese Skrupel hinweg. Und hatte Paula Reichelt nicht die Erwartung ausgesprochen, daß das allgemein interessierende Thema Frauen aus allen Kreisen der Bevölkerung anlocken würde?

Dennoch sagte sie ihm nichts von ihrem Vorhaben, denn sie wollte sich der Möglichkeit eines Verbotes nicht aussetzen. Sie wußte ja, daß sie sich seinem etwaigen Befehl, die Versammlung nicht zu besuchen, nicht fügen würde. Und dann – ? Sie mochte die Möglichkeiten nicht ausdenken, die dann folgen konnten. Nein, lieber einem Konflikt aus dem Wege gehen. Was sie tat, konnte sie im schlimmsten Fall verantworten. War sie denn ein kleines Kind, das erst um Erlaubnis zu bitten hatte, wenn sie einmal einer selbständigen Willensregung folgen wollte?

Als sie am Mittwoch um halb acht Uhr fertig zum Ausgehen in das Wohnzimmer trat, blickte ihr Mann, offenbar befremdet, unangenehm überrascht auf.

»Du gehst aus?«

»Ja, du mußt schon entschuldigen, wenn ich dich heute dein Abendbrot allein verzehren lasse, ich habe eine Einladung.«

»Und davon weiß ich nichts?«

Sie biß sich bei diesem indirekten Vorwurf auf die Lippen und reckte sich mit einer unwillkürlichen Bewegung straffer zusammen.

»Ich habe nicht für nötig gehalten, es dir mitzuteilen,« versetzte sie herb, »denn ich glaubte nicht, daß es dich interessieren würde. Es ist eine Einladung von Frau Reichelt.«

»Ach so!« Er sah sie prüfend an und seine stille Verwunderung wuchs; es lag etwas so merkwürdig Hastiges, Nervöses in ihrem Wesen, als wenn sie keine Minute mehr zu verlieren hätte. Aber er erhob nicht den geringsten Einspruch. »Also schön!« sagte er nicht unfreundlich. »Viel Vergnügen!«

Sie nickte dankend und zugleich zum Abschied und entfernte sich eilig, als befürchte sie, er könnte doch noch eine Einwendung machen.

Paula Reichelts Erwartung erwies sich als nicht unberechtigt. Der ziemlich große Saal füllte sich fast bis zum letzten Platz. Auch eine Anzahl von Männern hatte sich eingestellt, wenn auch die Frauen bedeutend überwogen. Die meisten Besucher gehörten offenbar dem Arbeiterstande an, aber man sah auch hier und da eine elegantere Frauentoilette.

Susanne befand sich in einer angeregten Stimmung, wie seit langem nicht. Alles: das Hereinströmen der Menschen, die erwartungsvollen Mienen, das aufgeregte Sprechen der einzelnen sich begrüßenden Menschen stimulierte ihre abgespannten Nerven und versetzte sie von vornherein in einen rauschähnlichen Zustand, in dem alle unangenehmen Gedanken und Erinnerungen untergingen und sie sich nicht mehr als Einzelpersönlichkeit, sondern als Glied einer zusammengehörigen großen Gemeinschaft fühlte, die demselben Ziele zustrebte.

Sie saß neben dem Gatten ihrer Freundin, während Frau Paula am Vorstandstisch oben auf der Estrade hinter dem Rednerpult Platz nahm.

Als endlich eine Viertelstunde nach der angesetzten Zeit die Versammlung eröffnet wurde, horchte wohl niemand mit angespannteren Sinnen, mit lebhafterem Interesse zur Rednertribüne hinauf als Susanne.

Die Rednerin des Abends enttäuschte ein wenig durch ihre Erscheinung. Es war eine Frau, Anfang der Fünfzig, korpulent, robust, mit groben, fast männlichen Zügen, denen auch die goldberänderte Brille, die sie vor den scharf funkelnden Augen trug, nichts Anziehendes, Sympathisches gab. Ihre Stimme war stark und tief und drang deutlich bis zu den hintersten Reihen des Auditoriums. Ihre Sprechweise war derb wie ihre Erscheinung und ihre Ausführungen an vielen Stellen mit blutigen Sarkasmus gewürzt, der wiederholt schallende Heiterkeit bei dem verständnisvollen Publikum auslöste.

»Wenn die Männer nur wüßten,« sagte sie, »wie komisch es auf uns Frauen wirkt, wenn sie, die sich noch immer als die Herren der Schöpfung fühlen, uns selbstherrlich diktieren wollen: so habt ihr Frauen zu sein, so und nicht anders! Ja, sie maßen sich noch immer an, uns die Gesetze unsrer Entwicklung vorschreiben, ausschließlich bestimmen zu wollen, was der Stellung der Frau angemessen sei und was nicht. Als ob wir Frauen selber das nicht viel besser wissen müßten! Wir können die Oberhoheit des Mannes nicht länger anerkennen, denn wir wissen, daß uns der Mann in keiner Weise überlegen ist. Höchstens ist er es in der plumpen Körperkraft, dagegen aber haben wir unsre sittliche Überlegenheit in die Wagschale zu legen. Nur einem sittlich und geistig Übergeordneten, einem Gott, kann sich der denkende, empfindende Mensch freiwillig und freudig unterordnen. Will man uns etwa zumuten, daß wir in dem Mann unsern Gott erblicken sollen, wie es die Frauen von gestern getan haben? Sie lachen. Ja, es ist lächerlich, von uns zu verlangen, daß wir mit unsern wachen Augen den alten Traum weiterträumen sollen. Das moderne Leben hat uns aufgerüttelt, wir sind sehend geworden, wir lassen uns nicht länger gängeln und bevormunden, wir sind reif, geistig und sittlich reife Menschen und empfinden als solche die Arroganz des Mannes, unserm Denken und Empfinden eigenmächtig Schranken setzen zu wollen, als Schmach, als brennende, entwürdigende Schmach. Freiheit und Selbstbestimmungsrecht sind auch für uns Frauen kein leerer Wahn, keine tönende Phase, sondern das Leben selbst ...«

In Susanne fand jedes der mit voller Lungenkraft von der Rednerin in die Versammlung geschleuderten Worte ein volles Echo. Alles das, was von der Rednertribüne in den Saal, hinunterdrang, war ja ihr eigenes Empfinden, ihr eigenes Denken, ihr eigenes Erleben. Alles das hatte sich ja im Laufe des letzten Jahres in ihr unter schmerzlichen Kämpfen emporgerungen und durchdrang und erfüllte sie jetzt in ihrem innersten Wesen. Auch ihr hatte sich ja das Dogma von der Überlegenheit des Mannes als ein trügerisches Märchen enthüllt, als ein überlebter, sinnlos gewordener Glaubenssatz, der vor dem grellen Licht des Tages nicht mehr standhielt. Auch sie hatte ja innerlich gelitten, als ihr die grausame Wirklichkeit den schönen Kinderglauben geraubt hatte, in dessen Bann es sich so ruhig und glücklich leben ließ. Ach ja, das war dahin, für immer dahin, und nun hieß es, die Konsequenzen ziehen, selbständig denken lernen, selbständig Entschlüsse fassen, sich von keiner anderen als der eigenen Einsicht und von keinem anderen als dem eignen Empfinden leiten lassen ...

In der Diskussion, die nach dem nahezu einstündigen Vortrag eröffnet wurde, meldete sich zuerst ein Mann zum Wort. Mit scharfem Spott und beißendem Witz suchte er die Ausführungen der Frauenrechtlerin zu widerlegen.

Die Frau, wie sie die Rednerin gezeichnet habe, sei keine Frau, sondern gehöre einem dritten Geschlecht an, das es bisher noch nicht gegeben habe und wahrscheinlich auch nie geben werde. Das Unvereinbare lasse sich eben nicht vereinen. Eine freie, ganz unabhängige selbständige Persönlichkeit und zugleich eine liebende Frau sein, sei etwas Unmögliches. Man könne nur das eine oder das andere, aber nicht beides zugleich sein. Die Frau, die richtige normale Frau, nicht das Zwitterwesen, von dem die Vorrednerin gesprochen, lasse sich gern die Arroganz des Mannes gefallen, ja, sie finde ihr innigstes Glück darin, sich dem Mann ganz zu eigen zu geben, sich seinem Schutze und seiner Führung anzuvertrauen. »Und wann ist Lieb' am reichsten, das ist sie, wenn sie gibt. Und sprich, wie redet Liebe, sie redet nicht, sie liebt« – habe ein bekannter Dichter gesungen, und das seien Ewigkeitsgefühle, die sich nie und nimmer aus der Brust der Frau reißen ließen, der normalen Frau, wie die Natur sie gewollt. Daran würden auch die Mannweiber nichts ändern, die jetzt das große Wort führten und die, weil sie wahrscheinlich aus irgendeinem Grunde von der Liebe ausgeschlossen seien, aus der Not eine Tugend machten. Wenn die Rednerin behaupte, die Frauen von heute wollten vor allem die Selbständigkeit, und sie wollten ebenso wie die Männer an allen Berufen teilnehmen, so mache er den Vorschlag, doch einmal eine Umfrage unter den werktätigen Frauen zu veranstalten. Da werde sich dann wohl ergeben, ob die Lehrerin, die Schneiderin, die sich vom frühen Morgen bis zum späten Abend in dumpfen Arbeitsstuben quälen, ob die Buchhalterin, die Verkäuferin, die Tag für Tag im Laden stehe und sich mit den Käufern und noch mehr mit den Käuferinnen herumärgere, ob die Modistin, die Maschinenschreiberin, die Fabrikarbeiterin ihre Berufe und ihre Selbständigkeit so glühend liebten, daß sie um keinen Preis davon lassen möchten.

»Hundert gegen eins will ich mit Ihnen wetten, daß von tausend solchen Mädchen und Frauen mindestens 999 Ihnen schleunigst ihre Berufe vor die Füße werfen werden, sobald ein einigermaßen annehmbarer Mann auf der Bildfläche erscheint. Nicht nur einiges, sondern alles werden sie dem geliebten Mann opfern und hingeben und sich den Teufel um Persönlichkeit und Selbständigkeit scheren. Ohne Besinnen, mit Eifer und Wonne werden sie sich in die sich ihnen entgegenbreitenden Arme des Mannes stürzen. Ich stelle den Antrag, wir machen gleich einmal die Probe und stimmen unter den anwesenden Damen ab. Wer von Ihnen die Liebe und Ehe noch immer als die wichtigste ausschließliche Angelegenheit der Frau betrachtet, erhebe den rechten Arm –!«

Ein stürmisches Gelächter unterbrach den Sprechenden. Die anwesenden Männer und einige Damen klatschten Beifall, lachten und riefen »,Bravo!«, während der andere Teil der anwesenden Frauen zischte, murrte und lauten, entrüsteten Widerspruch erhob. Paula Reichelt aber schnellte zornrot von ihrem Sitz auf, schwang energisch die Klingel und rief den Redner zur Ordnung. Wenn der Herr nicht in angemessener, ernster Weise diskutieren könne, dann müsse sie ihm das Wort entziehen.

»Schön!« fuhr der Redner fort. »Ich ziehe also meinen Antrag zurück, der übrigens nicht spaßhaft, sondern durchaus ernst gemeint war. Und ich schließe mit den Worten: Wenn die Frau immer mehr in den rücksichtslosen Wettbewerb auf allen Produktionsgebieten und in allen Berufen mit dem Manne eintritt, was soll dann schließlich werden? Entweder der Mann besinnt sich auf seine größere Kraft und legt ein energisches Veto ein, oder aber er läßt sich die Konkurrenz der Frau gefallen. Das Familienleben, die Pflege der Häuslichkeit hört auf, und das Heim wird nur noch Eß- und Schlaflokal. Weiter ergibt sich, daß die Gehälter und Löhne immer mehr gedrückt werden und die Arbeitslosigkeit noch größeren Umfang unter den Männern annimmt. Die natürliche Folge ist, daß die Männer noch weniger heiraten können, als schon bisher, daß schließlich die Ehe aufhört und das Menschengeschlecht ausstirbt, um so mehr, als ja die harten Strapazen des Berufslebens den Frauen schließlich alle weiblichen Reize rauben und sie unfähig machen werden, Liebe zu erwecken. Freilich, noch eine andere Folge ist denkbar. Vielleicht entschließen sich die Männer, wenn die Frauen erst alle Berufe für sich in Anspruch genommen und nicht nur Arzte und Rechtsanwälte, sondern auch Richter, Polizisten, Regierungsbeamte, Minister und Abgeordnete geworden sein werden, vielleicht entschließen sich dann die Männer, sich nun ihrerseits der verlassenen Häuslichkeit anzunehmen, die Küche zu besorgen und die Kinderpflege zu übernehmen, denn einer muß sich doch schließlich den hilflosen, kleinen Geschöpfen widmen, solange noch keine Kinderpflegeautomaten erfunden sind. Nur eine Frage macht mir noch Kopfschmerzen: wer wird künftig, wenn die Frauen ganz vom Berufsleben und der Politik absorbiert sein werden, die Kinder zur Welt bring –«

Die schrille Glocke der Vorsitzenden schnitt dem Redner das Wort ab, und unter stürmischem Gelächter, unter Zischen und ironischen Bravorufen setzte er sich, vergnügt lächelnd, offenbar sehr zufrieden mit der Wirkung, die seine humoristisch-drastischen Glossen hervorgebracht hatten.

In Susanne wogte eine stürmische, zornige Erregung. Jedes höhnende, ironische Wort des Spötters hatte sie wie ein Schlag ins Gesicht, wie eine ihr persönlich zugefügte Beleidigung getroffen. Der Gegenstand, der auf der Tagesordnung der Versammlung stand, dünkte ihr als der ernsteste, der höchste, heiligste in der Welt. Keine Frage der Gegenwart schien ihr so wichtig, so bedeutungsvoll für die ganze Zukunft der Kulturmenschheit wie die Frauenfrage, und nun kam einer dieser lästernden, sich überhebenden, frivolen Männer, denen nichts heilig war, und suchte mit leichtfertigen, faden Späßen das, was alle ehrliebenden, denkenden Mädchen und Frauen als ihre tiefsten Empfindungen und ihre sehnsüchtigsten Wünsche unter Wonnen und Schmerzen hegten und pflegten, zu besudeln und in den Staub zu ziehen. Alles in ihr fieberte und glühte vor Empörung und instinktiv, ohne daß es eines besonderen Entschlusses bedurft hätte, sprang sie auf und meldete sich zum Wort.

Mit ihr zugleich hatten sich noch drei oder vier andere Frauen erhoben, aber da sie in der ersten Reihe stand und wohl auch aus persönlichen Gründen, winkte ihr Frau Paula und forderte sie auf, das Podium zu besteigen.

Und als sie dem Gebot gefolgt und die kleine Treppe, die zur Estrade emporführte, hinaufgeeilt war, faßte die Vorsitzende sie voll strahlender Genugtuung an der Hand und führte sie zum Rednerpult. Mit lauter, vernehmlicher Stimme rief sie in das Auditorium hinab: »Frau Susanne Kamberg hat das Wort!«

Susanne war so ganz benommen und erfüllt von dem, was in ihr gärte und zum Ausdruck drängte, daß sie nicht darauf achtete und auch nicht wahrnahm, wie im Saal plötzlich eine lebhafte Bewegung entstand, wie viele von den Anwesenden die Hälse reckten, sich überrascht fragend ansahen und einander Bemerkungen zuraunten, und wie dann alle mit starkem Interesse, in gespannter Erwartung zu ihr hinaufblickten. Sie hatte noch nie öffentlich gesprochen, aber ihre innerliche Bewegung war so groß, daß Scheu und Befangenheit ihr gar nicht zum Bewußtsein kamen. Aus dem Innersten ihres blutenden Herzens flossen ihr die Sätze, aus der Tiefe ihrer zerrissenen, fiebernden Seele. Sie sprach von der blinden Vertrauensseligkeit und Unwissenheit, in der die jungen Mädchen erzogen, von den trügerischen Vorstellungen und Anschauungen, die in ihnen großgezogen und genährt wurden, wie von der großen Enttäuschung, der keine Frau sich entziehen konnte, sobald sie aus der engen Häuslichkeit, aus dem schützenden Elternhause in das Leben trat. Gewiß, die Frau sei gern bereit zur Liebe und Ehe, aber die Männer stellten Anforderungen, denen die moderne Frau sich nicht mehr unterwerfen könnte. Nicht die Frauen, sondern die Männer zerstörten die Möglichkeit, in der Ehe Glück und Befriedigung zu finden. Die Entwicklung der Frau lasse sich nicht mehr zurückhalten oder gar zurückschrauben. Das Alte und Überlebte lasse sich nicht mehr lebendig machen. Nicht mehr in absoluter Unterordnung könnte die moderne Frau ihr Glück finden und nicht zur Unterdrückung auf der einen und zu Neid und Haß auf der anderen Seite, sondern zur Freude aneinander seien Mann und Frau bestimmt. Nicht die Frauen seien schuld, wenn sie die Lust an der Ehe immer mehr verlören, sondern die Männer. Andere, bessere Beziehungen zwischen Mann und Frau müßten geschaffen werden, bei denen auch die Frauen sich wohl, sich als freie Menschen fühlen könnten und bei denen sich die Menschheit nicht nur fort-, sondern auch zu einer höheren Stufe der Entwicklung hinaufzupflanzen vermöchte ...

Sie führte alles das, was die Berliner Frauenrechtlerin gesagt hatte, noch weiter aus und mit mehr Glut und Leidenschaft und wuchtigem, fortreißendem Temperament. Und es war wohl niemand im Saale, der sich dem Eindruck entziehen konnte, daß es sich bei ihr nicht um kühle, am Studiertisch oder im Gespräch mit Geschlechtsgenossinnen, die aus der Frauenbewegung einen Beruf und einen Erwerb machten, ausgeklügelte Theorien handelte, sondern alle empfanden es instinktiv, daß sich eine zuckende Seele preisgab, daß sich hier schmerzlichste eigene Erfahrungen offenbarten, daß in den mit blitzenden Augen und flammenden Wangen hervorgesprudelten Sätzen nicht grüblerische, blasse Reflexionen zu Worte kamen, sondern das warme, blutende Leben pulsierte.

Als Susanne geendet hatte, erscholl von allen Seiten begeisterter Beifall, und nicht der leiseste Ausdruck eines Widerspruchs oder einer Mißbilligungskundgebung wagte sich hervor. Die Damen vom Vorstandstisch erhoben sich spontan und umringten und beglückwünschten die Rednerin mit enthusiastischen Lobsprüchen und kräftigen Händedrücken. Ja, Frau Paula, die sonst so Ruhige, Überlegende, war so entzückt, daß sie die wie betäubt Dastehende umarmte und ihr auf beide Wangen schallende Küsse versetzte, eine Kundgebung, die auf Seiten des Publikums neue Beifallsrufe und abermaliges stürmisches Händeklatschen auslöste.

Susanne war wie im Taumel. Fast bewußtlos ließ sie sich von der Freundin zu einem der Stühle am Vorstandstisch ziehen, und in einem Zustand halber Bewußtlosigkeit rauschten die Reden an ihrem Ohr vorbei, in denen zwei Frauen aus der Versammlung und zuletzt die Vorsitzende in einem Schlußwort ihr und der Berliner Rednerin ihre uneingeschränkte Zustimmung bekundeten.


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