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23

Sein ganzes Leben hindurch hatte der Töni nicht in einem so schönen Hause gewohnt, wie das war, in dem er die letzte Reise tat. Die Clari-Marie hatte es ganz allein gezimmert, es weiß ausgeschlagen und ein weißes Kissen hineingelegt. Sie verstand das Handwerk; ohne Gesellen wurde sie fertig, und dieselben Hände, die das Haus genau gefügt, daß Brett an Brett sich scharf und glatt legte, faßten den Toten sicher mit knappem Griff und betteten ihn ein. Es fielen keine Tränen in den Sarg, kein rührsames Jammern war an des Alten Leiche, aber das aufrechte Weib, das ihm die letzten Wohltaten tat, hatte in all seinem kurzen, entschlossenen Wesen eine Art Feierlichkeit, so daß dem Töni Ehre geschah, wie kaum je einem im Isengrund geschehen war. Zur Stunde, da der fertige Sarg aus der Werkstatt in die Stube hinüber genommen wurde, schloß die Clari-Marie die Werkstattüre ab und verwahrte den Schlüssel in ihrer Schlafstube. Einen Buben, der wenige Tage nach des Tönis Begräbnis ihr Arbeit brachte, wies sie an den Zurfluh-Felix, den jungen Schreiner, der seit einem Jahre im Dorfe saß. »Ich lasse es gelten jetzt, mit der Schreinerei.«

Nachher ging es wie ein Lauffeuer durchs Dorf: »Die Clari-Marie gibt die Werkstatt auf.«

Der Russi, ein achtzigjähriger Bauer, den sie am gleichen Tage an der Straße traf, hielt sie an und meinte: »Nicht mehr schreinern willst, scheint's, du, Clari-Marie?«

»Ja,« gab sie zurück, »es wird mir zu viel allein, und mit einem neuen Gesellen will ich mich nicht plagen.«

»Hm, hm,« brummte der andre, »das ist mir jetzt nicht recht, das ist es mir! Die Frau und die Kinder hast mir in die Särge getan, jetzt – jetzt – für mich hättest ihn wohl auch noch machen können!«

Da ging durch das Gesicht der Clari-Marie wieder der Schein, der für ein Lächeln gelten konnte: »Für dich mache ich ihn dann, den Sarg, schon weil du mir ein so guter Kunde hast sein müssen.«

Aber der Russi war zäh und noch lange nicht am Tode. So blieb die Werkstatt geschlossen, und die vom Isengrund gewöhnten sich daran, zum Zurfluh zu laufen, wenn sie eines Schreiners bedurften.

Der Winter war schwer auf dem Land. Er begrub das Dorf unterm Schnee, daß alles gleich war, Felsen und Matten und Steintrümmer, Häge, Bäche und Hütten, alles weiß, und daß alles still war, das Wasserrauschen und das Hin und Her der Dörfler, das Gerede von den zwei Erschlagenen und das Jammern und Schimpfen des Löwenwirts, der noch den ganzen Herbst hindurch Hoffnung auf Gäste gehabt hatte. Wie die Maulwürfe auf den Feldern gruben sich die vom Isengrund wieder aus dem Schnee ans Tageslicht, stampften die Wege zurecht und lebten den kargen Winter nach alter Gewohnheit.

Im Zieglerhaus saßen die Clari-Marie und die Severina. Die Clari-Marie hatte hier und da einen Gang zu tun; manchmal war eine oder einer krank, zweimal ging Blust auf, der an keine Jahreszeit gebunden ist, Menschenblust, und mußte die Clari-Marie einem Weibe helfen, einen Menschen schmerzhaft zum schmerzhaften Leben zu bringen. Aber der Präses, der habliche Bauer, dem die Tochter krank wurde, holte den Jaun, den Doktor, zu ihr und nicht die Clari-Marie. Es war das erstemal, daß ein Einheimischer ihr untreu wurde. Sie setzte die Lippen eng aufeinander, als sie es hörte, aber sie sagte kein Wort.

Die Severina besorgte das Haus, wie es ehemals die Cille getan hatte. Aber die Cille hatte die Einsamkeit lieb gehabt und war sie gewohnt; der Severina aber war es zu still im Haus. Sie saß eines Abends, als draußen wieder die schweren Flocken fielen, dicht und langsam, Schnee auf Schnee an den Fensterrahmen wachsend, als sollte ein Vorhang über die kleinen Scheiben gesponnen werden, am Ofen und hatte die Hände müßig im Schoß liegen. Sie war nie träge gewesen, obwohl sie nicht stark war mit ihrer engen Brust, den Gliedern, die wie aus feinem und fremdem Holz geschnitzt waren, und dem schmalen Gesichtlein, aber heute war ihr die Arbeit leid, weil das Herz ihr weh tat. Zu still war es im Hause, zum Erschrecken still. Die Clari-Marie war fort, im Dorf bei einem Kinde, das krank war; seit kurzer Zeit waren viele Kinder krank im Isengrund! Wenn die Clari-Marie fehlte, war es wie tot im Haus. Und selbst wenn sie hier war – zu still war es doch! Der Hansi war fort und kam nie mehr! Der lebte jetzt oben beim Kehle-Gisler, beim Lätz, in der gleichen baufälligen Hütte mit dem Alten; von seinem Taglohn lebte er, der Hansi, mit seiner Frau zusammen, der Claudi. In Bauen drüben hatten sie geheiratet. Das ganze Dorf war in Aufruhr gewesen, als sie auf einmal im Amtsblatt gestanden hatten! Jetzt hausten sie schon ein paar Wochen zusammen. Aber heim kam der Hansi nicht mehr, wegen der Base nicht. Die vergab ihm nicht, daß er das halbwilde Mädchen, dem Ungläubigen, dem Gisler seines genommen hatte! Hatte er so unrecht, der Hansi? Die Severina faltete die Hände am Knie und staunte vor sich hin. So unrecht hatte der Hansi nicht! Sie konnte sich die Claudi vorstellen, das braune zierliche Ding mit dem Kopf tief zwischen den Schultern und den klugen und warmen Augen. Sie war immer schon in der Schule eine zum Gernhaben gewesen. So war es nichts Verwunderliches, wenn der Hansi und die Claudi nun beisammen da oben in der Hütte saßen und einander gern hatten. Schön war es gar; überall, wo viel Liebe war, war es schön! – Darum war auch drüben, wo der Jaun und die Cille hausten, gut sein. Die Base Cille wußte nicht, was alles sie anfangen sollte, dem Jaun die Stube traulich und das Leben recht zu machen. Dafür sah er sie mit dem zerfahrenen Blick manchmal andächtig an und sagte: »Ihr seid doch eine Gute, Mutter.« Der Jaun war ein Spaßiger! Manchmal stieß er auf allen Seiten mit den Ellbogen an, so ungelenk war er, und wenn er sprach, tat er es in abgehackten Sätzen, als müßte er immer wieder irgendwohin tief hinuntersteigen, um ein Wort heraufzuholen. Rot wurde er auch immer beim Reden. Bah, und manchmal nahm er einen bei der Hand und tätschelte einen, ganz in Gedanken, und hielt in Gedanken die Hand fest, weiß Gott wie lang! Aber viel mußte der Jaun im Kopfe haben! Er lernte auch noch immer. Aber – aber – er verdiente nicht viel, jetzt im Winter. »Mußt denn hausen, Mutter,« hatte er jüngst einmal zur Base Cille gesagt und hatte ganz ängstlich dabei ausgesehen. Und dennoch war es heimelig drüben bei den beiden, und froh war sie, die Severina, daß sie jetzt und jetzt hinübergehen konnte! – Weil – weil es so still war im Haus, und die Base Clari-Marie so weit von einem weg war, selbst wenn sie in der Stube bei einem saß! Gut war die Base Clari-Marie, eine wundersame Frau, fast zu hoch für andre – fast zum Fürchten, und doch wieder gut und doch wieder fremd! Es war nicht zum Heimischwerden bei ihr. Und sie, die Severina, war allein noch da, bei ihr! – – Wie lange war das nur schon, daß sie da war. Unzählige Jahre fast! Sie erinnerte sich kaum, daß sie einmal oben im Rottal gewohnt hatte! Bei den – bei Vater und Mutter! – – Ja, die waren auch immer fort, Vater und Mutter! – Nicht heim durften sie! Sie wohnten noch immer im Schwyzerbiet! Der Jacki ließ sie nicht heimkommen, der alte, und andre nicht! »Sie sollen sich gewahren und fortbleiben,« sagten die vom Isengrund je und je. – Sie kamen wohl nicht mehr, der Vater und die Mutter!

Die Severina saß lange an dem einen Fleck. Es war so über sie gekommen, daß sie mit offenen Augen träumte. Immer, wenn ein Gedanke sie verließ, kam ein andrer, und ein Bild schob immer das andre hinweg. Es dämmerte in der Stube und wurde dunkel. Sie hatte dessen kaum acht. Endlich wurden ihr in der Dunkelheit die Augen schwer, die Bilder verschwammen, der Kopf kam ins Nicken. Nun schlief sie schon fast. Da kam die Clari-Marie heim. Die Haustür knarrte laut genug, und der Flurboden schrie unter ihren Tritten.

Die Severina fuhr auf. Es war ihr ganz wirr zumut. Sie schüttelte mühsam die Schwere ab, die ihr in den Gliedern lag, tappte nach den Zündhölzchen und stand an der Lampe, als die Clari-Marie eintrat.

»Hast nicht einmal Licht?« fragte diese im Hereinkommen.

»Ich zünde just an,« sagte die Severina entschuldigend. Der Clari-Marie schien nicht aufzufallen, daß sie müßig gewesen war. Sie nahm ihr Tuch ab und ging aus und ein hernach. Dabei sprach sie wenig. Nach dem Abendbrot saßen die zwei Frauen beisammen; aber die Clari-Marie war noch immer wortkarg. Einmal sprach sie davon, daß es den Anschein habe, als wolle an die Kinder im Isengrund eine erbliche Krankheit kommen. Sechs schon seien krank, und bei allen fänden sich dieselben Erscheinungen. Die Severina war hierauf voller Neugier und wollte das wissen und jenes. Aber die Clari-Marie schien mit den Gedanken plötzlich weit weg zu sein; sie antwortete kaum, langte dann das Heft hervor, in dem sie die Unkosten ihres kleinen Haushalts aufschrieb, setzte sich davor wie so oft und staunte hinein. Ein paarmal versuchte die Severina noch von dem und jenem zu sprechen, aber die Truttmannin hörte nicht. Dann fiel das Schweigen wieder zwischen beide, das oft und oft über ihren Abenden lag. Die Severina hatte eine Arbeit zur Hand; anfangs stichelte sie tapfer, aber dann bedrängte sie die Stille wieder, das Heimweh packte sie nach denen, die fort waren. Die Tränen traten ihr in die Augen; immer mehr füllten sich diese. Nun hingen große Tropfen an ihren Wimpern. Die Clari-Marie sah es ganz zufällig, als sie einmal hinüberblickte.

»Was hast?« fragte sie und klappte das Heft zu.

»Nichts,« gab die Severina zurück; aber sie schluchzte leise auf, während sie die Tränen abwischte. Die Clari-Marie legte die festen Arme auf den Tisch und sah das Mädchen an. »Sag's doch,« sagte sie ganz ruhig, »es ist dir langweilig bei mir.«

Die Severina schwieg. Die Clari-Marie strich mit der Hand sinnend über die Tischplatte. Jetzt sprach das Mädchen. »So still ist es – seit – seit sie alle fort sind!«

»Ja, ja, es ist still,« sprach die Clari-Marie ihr nach. »Geh halt auch zur Cille hinüber!« sagte sie dann. Das letzte klang noch immer ganz ruhig. Aber die Severina mußte die Clari-Marie ansehen, als sie es gesagt hatte; es hatte geklungen, als gebe sie ihr ein Geschenk: Nimm das noch, weiter kann ich dir nichts mehr geben! Da nahm sie sich zusammen. »Nein, nein,« sagte sie fast heiter. »Fortgehen will ich doch nicht, was denkt Ihr auch?«

Die Clari-Marie stand jetzt auf. Sie ging hinaus und kam wieder. Die Severina wurde indessen ihres Trübsinns Herr. »Ihr, – Base,« sagte sie jetzt und lachte: »Was das für ein Spaßiger ist, der Jaun! Ansehen tut er mich manchmal, als ob er Hunger nach mir hätte.«

Die Clari-Marie wendete sich scharf um. »So?« sagte sie, und dann: »Du wirst es wissen, Severina, beide kannst du nicht haben, – entweder den Jaun oder mich. Das mußt schon im Sinn behalten!«

Die Severina erschrak. Die Clari-Marie hatte ein ganz krankes Gesicht, als sie das sagte, und ging jetzt aus der Stube und kam lange nicht wieder. Aber dem Mädchen wurde ein Rätsel klar. Entweder den Jaun oder mich! hatte die Base gesagt. Den Jaun haben! Zum Mann haben, hieß das! Mein Gott, an so etwas hatte sie nie gedacht. Und – und – sie mußte beinahe lachen. Den Jaun! Gern hatte sie ihn, aber zum Manne?

Sie lächelte wirklich vor sich hin; und das Herz war ihr ganz leicht. So wenig hatte es sie bisher gekümmert und kümmerte es sie jetzt, das mit dem Jaun! Der war wie ein Bruder! – Doch – halt, – nein – das, wie er sie manchmal anschaute!

Hat – hat er dich gern, der Jaun? sann die Severina.

*

Das kam nun wirklich, was die Clari-Marie gefürchtet hatte, das Kindersterben. »Was ist es denn, was sie haben?« fragte eine Frau, die keine Kinder hatte, die Nachbarin: »Was weiß ich,« gab diese zurück; »die Clari-Marie selber weiß nicht, was für einen Namen die Krankheit hat.«

»Und der Jaun?«

»Der? Ein Wort weiß der schon dafür, aber eines lateinisch oder griechisch oder weiß Gott wie, aussprechen kann es kein Mensch.«

Die Clari-Marie ruhte nicht Tag und Nacht. Seit vier Tagen hatte sie keine Stunde Schlaf gehabt. Wenn sie durch die Gassen ging, sahen sie aus allen Häusern ihr nach. »Wo geht sie jetzt hin?« Und die, die ein Kleines oder gar mehrere krank liegen hatten, reckten die Hälse und hatten sehnsüchtige Blicke. Wird sie jetzt zu dir kommen? »Eine wie ein Engel ist die,« tönte es wieder im Rücken der Clari-Marie wie früher schon. Die sagten es, die noch ihre Hoffnung aus sie setzten, und die andern sagten es, denen die Hoffnung schon zu Scheiter gegangen, deren Kindern die Clari-Marie hatte sterben helfen.

»So, – so, – so,« tröstete die Clari-Marie, wenn die kranken Kinder schrien. Das sagten andre Weiber auch. Aber diese da! Sie sang nicht, ihre Stimme war nicht einmal weich und zärtlich, sie klang fast stark, aber – lag es im Wort – im Ton – – weiß Gott worin, wie starker, kühler Friede wehte es einen an. »So – und jetzt beten wir,« sagte sie dann; und sie ließ die Kranken die Hände falten und betete mit ihnen, die eignen festen Hände um die schwachen andern gelegt. Es war, als fließe Kraft aus ihrem Leibe in den der Kinder über, und Glaube aus ihrem Glauben ergieße sich in der Kinder Seele. Die Augen der Kleinen begannen zu leuchten, ein Rot der Freude huschte auf ihre Wangen, wie ein Sonnenfunken auf eine weiße Blume fliegt. Und mitten im Beten, mitten in einer plötzlich erwachten Freude sank manches zurück und war tot und hatte um den Mund noch ein Lächeln! So leicht hatte die Clari-Marie ihm das Sterben gemacht!

Selbst die ganz Kleinen, die noch nichts wußten und doch schon unbewußt sich gegen den Tod wehrten, wußte sie zum Schweigen zu bringen und einzuwiegen, daß sie Schlaf fanden, während sie sonst bei der Mutter bis zur Erschöpfung schrien.

»So – so – so!« Wenn die Clari-Marie in eine Stube trat, in der der kranke Säugling schrie, sprach sie das schon unter der Tür. Es war, als kennte sie jedes. Das Weinen wurde schwächer; es ging in Wimmern über, wenn sie das Kind aufnahm und es an sich hielt. Dann begann sie auf und ab zu schreiten. Manchmal hockten Bauer und Bäuerin und ein Haufen größerer Kinder am Tisch und in den Stubenecken und rührten sich nicht, sahen nur der Clari-Marie zu, wie sie mit dem Kleinsten auf und ab schritt, die breite, plumpe Gestalt, nichts Großes in der Erscheinung, nichts an sich, was anders war als an andern Weibern! Das schwarze schlichte Gewand, das bleiche, starke Gesicht dagegen schimmernd, die schwarzen Brauen und das silberige Haar und gerade ausfliegend, ruhig und scharf der Blick der grauen Augen! Stark war sie, die Clari-Marie, wie ein Turm war sie, wenn in der Stube das Elend saß. An ihr emporblickend bekam der Bauer wieder den steifen Nacken, der zum Lasttragen not tut, und die Bäuerin richtete sich an ihr auf! Wenn sie das schlafende Kind endlich ins Korbbett zurücklegte, fragten sie alle zaghaft: »Gehst schon?« Und wenn sie wirklich ging: »Was meinst, wird es leben?« und »Gelt, du kommst bald wieder?«

Ob sie leben würden, vermochte die Clari-Marie von den Kleinen nicht zu sagen. Ihre Kunst versagte, und sie wußte es. Aber von allen im Isengrund ahnte keines, daß mit jedemmal, da wieder ein Totes in einem Hause lag, die Clari-Marie wie ein Messer im Herzen trug: »Wieder hast nicht helfen können! Wieder nicht! Ja, kannst du denn nichts mehr?«

Da ging auf einmal ein Gerede durchs Dorf. Von des Präses Haus ging es aus. Dem war ein zehnjähriger Bub krank geworden, und er hatte wieder den Jaun, den Doktor, geholt. Jetzt, vier Tage später, lag der Bub, den vorher die Fieber geschüttelt hatten, in ruhigem Schlaf. »Er wird gesund,« hatte der Jaun gesagt, »gutstehen will ich Euch, daß er gesund wird!«

Darauf der Präses: »Ja, und getraust du dich, jedes gesund zu machen von den Kindern, die jetzt an der Krankheit liegen?«

»Wenn ich rechtzeitig gerufen werde, ja!«

»Der Jaun, der Doktor, kann es. Helfen kann er!« Vom Dorfende kam das Wort und fuhr wie ein Sturm durchs Dorf. Jetzt liefen alle zum Jaun, zum Doktor, nicht offen, nicht auffällig. Hinten herum schlichen sie. »Könntest auch zu mir kommen, Jaun!« sagten sie, »das Kind ist krank; aber könntest schon kommen, wenn es dunkel ist, daß die Clari-Marie nicht davon hört. Sie hat es nicht gern, die Clari-Marie, und wir sind ihr Dank schuldig – wir –«

»Schon recht,« sagte der Jaun, und kam im Dunkeln. Es starben noch zwei Kinder im Dorf nachher, zu denen er zu spät gekommen war.

Aber die Clari-Marie hörte es doch und erfuhr es doch. Sie stand am Fenster ihrer Kammer, wo sie allein war, und riß das Fenster auf, daß der eiskalte Winterwind hereinfuhr und mit rauhem Schlag ihr Stirn und Wangen traf. Sie stand aufrecht und sah sich um. Die Häuser standen fest und die Berglehnen und die Felsen! Es war nichts mit dem Wanken, das sie empfand! Und sie nahm sich zusammen und sagte sich's vor, fest, tapfer: ›Das Wanken! Das ist nur in deinem Leben – das Beben! Und jetzt – diesmal – jetzt mußt wissen: Mit deiner Kunst ist es nichts! Du kannst nichts, Clari-Marie. Es ist jetzt einer im Isengrund, der mehr kann als du!‹


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