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17

Der Gemeinderat vom Isengrund hatte einen schlimmen Tag. Im »Löwen« in der Wirtsstube saßen der Verhörrichter und andre Untersuchungsbeamte. Als die vom Rat, vorgefordert, Rede gestanden, warum über die Art, wie der Scharfegghüttler gestorben, nicht weitere Untersuchungen gepflogen worden, fuhren die Beamten an ihren Tischen zornig und mit harter Rede auf. »Ins Loch gehörtet ihr alle, ins Loch gehört ihr: einen Menschen zu verscharren, von dem nicht erwiesen, ob er nicht durch ein Verbrechen ums Leben gekommen ist!«

Einer der erschrockensten unter den Dorfvätern ließ den Namen der Clari-Marie laut werden.

Was die sei, und was er mit der wolle? fragte einer vom Gericht.

Nun, untersucht habe sie den Toten und die Hebamme sei sie, eine gute dann erst noch, beim Eid, eine gute. Die Ueberzeugung, daß sie mit dem Lob eher zu wenig als zu viel sagten, gab denen vom Rat die verlorene Fassung wieder; auf ihren schweren Schuhen, die rauhen zertragenen Filzhüte wider die Brust gedrückt, standen sie da.

Ueberhaupt, die Clari-Marie wisse wohl, was sie rede, murrte der Präses, der stämmige mit dem kropfigen Hals und der bedächtigen Art. Er sprach laut und zornig; es paßte ihm schlecht, daß die vom Tal heraus in seine Gemeinde hineinregieren kamen.

»Hol einer das Wundertier, die Clari-Marie,« sagte der Beamte von vorhin wieder, der ein junger und eifriger war, kurz erst mit seinem Studium zu Ende und in die Stellung eingerückt. Der Waibel sah den Präses an, als der nickte, ging er hin und holte die Clari-Marie.« Inzwischen flüsterten die Beamten zusammen, der Protokollführer ging hinaus und sprach mit dem Löwenwirt. Der ordnete nachher ein paar seiner Taglöhner nach dem Kirchhof ab; die streitige Leiche sollten sie ausgraben. Drinnen in der Stube standen auch die Isengrunder Bauern beisammen, in eine Ecke gedrängt. Einer sah dem andern über die Achseln nach den miteinander verhandelnden Beamten hin; selber sprachen sie wenig. Der eine und der andre hob den Kopf wieder höher; in ein paar Augenblicken mußte eine da sein, die sich vor denen da nicht fürchtete.

Die Clari-Marie kam. »Geh voraus, du, so weiß ich, wo ich hin muß,« hörten sie ihre Stimme im Flur schallen. Da trat der junge Waibel vor ihr herein. Sie selber ging, wie sie immer ging. Ihr Gewand war schwarz und ihr Gesicht gelbweiß, ein großes Tuch hatte sie lose um die Schultern genommen, ein Kopftuch über die Haare gelegt; das schob sie in den Nacken, als sie vor den Untersuchungsbeamten stand, mit der Hand strich sie das ergrauende Haar langsam und fest am Kopf glatt.

»Nun, Frau,« fuhr der junge Beamte sie polternd an, »es scheint, Ihr wißt nicht genau, wo das angeht, was Euer Amt ist und wo es aufhört.«

Sie sah ihn fest an, fast erstaunt. »Nein, das weiß ich nicht,« gab sie ruhig zurück, »da oben hat einer dem Namen nach ein Amt und muß zehn andre verstehen. Wir sind unser nicht so viele wie bei euch in der Stadt, Herren!«

Hier mischte sich ein grauhaariger Herr ins Gespräch, einer, der schon lange unten im Hauptort, in Altstadt, sein Amt versah und die Verhältnisse des Landes kannte. Er kannte auch die Clari-Marie. »Gut' Tag, Frau,« grüßte er. Sein Wesen war freundlich. »Sagt frei heraus, was Ihr von dem Scharfegghüttler und wie er umgekommen ist, wißt,« munterte er sie auf.

Die Clari-Marie wendete sich ihm zu. »Was soll ich mehr wissen,« sagte sie, »die« – sie wies auf die vom Rat – »werden es wohl gesagt haben, erfallen ist er, der Wipfli.«

»Eben nicht erfallen ist er,« fiel der junge Verhörrichter wieder ein; aber seine Stimme klang zahmer; sie war kein gewöhnliches Weib, diese Clari-Marie.

Diese sah auf. »So,« sagte sie, während ihre Nüstern sich in leisem Zorn blähten, »hat der Jaun, der Doktor, euch die Weisheit berichtet?«

Der Richter bekam einen roten Kopf. Er wollte barsch antworten; aber er mäßigte sich. »Wie kommt Ihr dazu, die Möglichkeit, daß der Wipfli erschossen worden sei, zu allem vorneherein abzuleugnen?« fragte er.

»Weil keine Möglichkeit ist.«

»Warum nicht?«

»Wir sind fromme Leute da oben im Isengrund. Glaubt Ihr, daß beten und morden in einem Atemzug geht?«

»Kann nicht ein Fremder ins Tal gekommen sein?« warf einer der Beamten ein.

»Es ist keiner ins Tal gekommen; man weiß hier, wann einer kommt,« gab die Clari-Marie zurück. Der Protokollführer schrieb. Dann fragten die Herren weiter, bald die Truttmannin, bald die vom Rat. Die Clari-Marie hatte nur ein klares Wort: »Gebt euch keine Mühe, Herren! Da oben geschieht so etwas nicht – nicht so lang uns die Fremden nicht ins Tal kommen, für die vom Isengrund will ich gut stehen. Und erfallen ist er, der Wipsli.«

Nach einer Weile gaben die Beamten es auf, andres herauszubringen. Sie entließen die Zeugen. Sie selber gingen nach dem Beinhaus, die ausgegrabene Leiche zu besichtigen. Der Jaun, der Doktor, begleitete sie.

Als sie eine Stunde später das Dorf verließen, blieb ein Gerede zurück: »Es wird doch ein Straffall werden, das mit dem Scharfegghüttler!«

»Zuerst müssen sie einen haben zum Strafen,« meinten andre. In allerlei Wispern lief das Geklatsch aus. Das Wispern wollte nicht stumm werden, als der Tag ging und der nächste kam und der andernächste. Die Clari-Marie, die da und dort im Dorf zu tun hatte, hörte, daß in ihrem Rücken etwas rumorte, hörte aber nicht was. Plötzlich fing sie einen Namen auf. »Der vom Rottal, der Furrer!«

Sie wußte, was sie meinten. Wäre sie nicht das starke Weib gewesen, sie würde aufgeschrien haben, denn das Herz schlug ihr wild wie in ihrem Leben noch nie. Aber sie biß nur die Zähne zusammen, hatte starre Züge und schwieg. Daheim, wo sie in einer Kammer eine ungestörte Stunde hatte, sann sie nach, legte sich alles zurecht, was ihr vorher blitzähnlich durch den Sinn gefahren. Konnte er es tun, der Furrer? Geizig war er, geldgierig, aber zeitlebens hatte er sich die härteste Mühe nicht reuen lassen, zu Gelde zu kommen! Warum sollte er da plötzlich – da fiel ihr das Schaf ein, das Tier, das er vor ihren Augen mit rohem Stoß zum Tode gebracht hatte! Es rann ihr kalt über den Rücken. Ob es möglich wäre, Herrgott, ob es menschenmöglich wäre! An demselben Abend – ohne ein Wort zu den andern, wohin sie ging – stieg sie nach dem Rottal, schwerschrittig, entschlossen. Es dunkelte schon, als sie das Dorf verließ. Als sie nach der Rottalhütte kam, war es Nacht. Mit roten, trüben Fenstern schaute der Holzbau auf sie nieder. Nun trat sie in den Schatten des Gadens, jetzt auf die Stelle, wo der Tote gelegen hatte, der Wipfli. Sie war keine, die sich fürchtete; sinnend blieb sie einen Augenblick stehen, legte sich noch einmal zurecht, wie sie den Scharfegghüttler gefunden hatten. »Freilich muß er erfallen sein,« murmelte sie und untersuchte mit der Hand die scharfe Steinecke am Gadenunterbau. Als ob da nicht einer sich ein sauberes Loch in die Schläfe schlagen könnte! Nun stieg sie nach der Hütte hinüber. Deren Tür stand weit offen; die hatten, wie es schien, da oben keine Scheu vor Besuch. Die Sorglosigkeit, die in dem kleinen Umstand lag, besänftigte ihre Erregung. Sie trat über die Schwelle und tastete sich durch den schwarzen Flur. Weil sie langsam ging, übertönten ihre Schritte das laute Murmeln einer Stimme nicht, die aus der Stube kam. Sie stand unwillkürlich still; drinnen sprach der Bauer, der Furrer. Sie wollte nicht lauschen, aber der Klang seiner heiseren Stimme hielt sie doch fest. Er betete, nein, er las vor, aus der Bibel las er, und es war ganz feierlich, wie er las, ruhig, friedlich wie einer, der es mit frohem Herzen darf nach hartem Tagwerk. Sie atmete auf, es war ein zitternder Atemzug; langsam wälzte sich ihr eine Last vom Herzen. Wer so fromm war, der hatte keine Todsünde auf dem Gewissen! Jetzt legte sie die Hand auf die Klinke und trat in die Stube. Die Lampe brannte rauchig und elend an der schwarzen Decke. Der Furrer saß am Tischende, eine Brille auf der Nase, das Buch in den beiden breit vor auf den Tisch gestützten Händen; die Furrerin hatte an der Fensterseite des Tisches Platz und nähte. Sie sahen beide ganz gelassen auf, als die Tür ging, als wäre heller Tag, Zeit, da Besuch nichts Ungewöhnliches war.

»Guten Abend,« wünschte die Clari-Marie.

»Woher kommst du noch?« fragte der Furrer. Sein Weib legte die Arbeit hin und die Arme auf den Tisch und sah die Schwester gespannt an. Die rückte einen Stuhl vom Tisch und setzte sich zu ihnen.

»Etwas zu reden hätte ich mit euch,« begann sie.

Der Furrer klappte sein Buch zu. Der trübe Lampenschein reichte just hin, ihm und seinem Weibe in die fahlen Züge zu zünden. Die Umrisse seiner eignen hageren Gestalt und der schmächtigen seines Weibes flossen fast mit dem Dunkel der Stube zusammen. So traten nur die Gesichter scharf hervor. Die hatten nie viel Farbe getragen, und vor allem die Furrerin ging seit mehr denn einem Jahre herum wie das leibhaftige Elend. Die Clari-Marie konnte nichts Fremdes in ihren Zügen entdecken, nur ihre Augen leuchteten sonderbar aus den tiefen Höhlen, halb als blendete sie etwas und müßte der Blick zur Seite weichen, halb als spräche eine Gier aus ihnen. Aber so schauten sie manchmal. Die Cille, wenn sie hart von ihnen sprach, sagte: »Er leuchtet ihnen aus den Augen, der Geiz.«

»Was ist?« fragte der Furrer gemächlich.

»Was ist denn?« wiederholte die Trini, sein Weib. In der ihrer Stimme zitterte Ungeduld.

Die Clari-Marie legte wie sie die Hände auf den Tisch und legte sie ineinander. »Schwager, weißt, was sie jetzt im Dorf sagen?« fragte sie unvermittelt. Dabei begegnete sie dem Blick des Bauern, der blinzelte ein wenig. Aber er rührte sich nicht.

»Was schwatzen sie wieder?« fragte er.

»Weißt etwas vom Wipfli, Schwager, davon wie er gestorben ist?« fragte die Clari-Marie laut.

»Gerade so viel wie die andern,« sagte er fast gleichgültig. »Einzig, daß ich ihn zuerst gefunden habe.«

»Bah ja,« warf sein Weib ein.

Die Clari-Marie dämpfte ihre Stimme. »Jetzt sagen sie – das Gericht ist dahinter – es will eine Verhandlung geben, scheint's – und du – dich wollen sie holen, Schwager.«

Der Furrer sah sich um, sein Weib sah er mit einem langen, scharfen Blick an. »Gott verdamme sie,« fluchte er. Die Verwünschung kam aus dem hageren, steilen Manne heraus wie etwas, das aus seinem Herzinnern sich heraufarbeitete und mit wildem Ruck über die Lippen fuhr. Er zitterte fast, so grimmig war der Fluch. Die Trini überlief ein Schauder; aber das mochte ein Zucken sein, das ihren elenden Leib manchmal ankam.

»Da hast es wieder,« sagte sie mit scharfer, sicherer Stimme zu dem Bauern, »ich habe dir gesagt, du sollst ihn liegen lassen, den Toten, und dich nicht darum kümmern. Sie sind uns immer aufsässig gewesen, die vom Dorf, alleweil.«

»Jeden Brotbissen vergönnen sie einem, die Halunken,« fluchte der Furrer.

Die Clari-Marie verwandte kein Auge von seinem Gesicht. »Meinst, wirst schwören können, Schwager?« fragte sie so laut, daß die Gesichter der beiden gleichzeitig sich ihr zuwandten. »Meinst, kannst schwören, daß du es nicht gewesen bist?«

Da stand er auf, lachte laut und roh. »Du kommst mir recht in meinem eignen Haus, du,« sagte er.

»Kannst schwören?« fragte die Clari-Marie unbeirrt. Sie erhob sich auch, und hatte in dem Augenblick mehr von zwingender Würde an sich als die ganzen Verhörrichter zusammen, die des Falles halber nach dem Isengrund gekommen waren.

»Beim Eid kann ich,« brüllte der Furrer und hob an, mit Schritten die Stube zu messen, vor denen die Wände zitterten.

»Natürlich kann er,« keifte die Trini schrill dazwischen.

Die Angst war noch nicht völlig aus der Clari-Marie Gesicht gewichen; vielleicht sah es der Bauer. In einer Art Wutanfall sprang er an den Tisch.

»Glaubst etwa nicht?« schrie er die Truttmannin an. Dann ergriff er das Buch, in dem er gelesen hatte. »Da, sieh,« sagte er, war leichenfahl und hob das Buch mit beiden Händen. »Bei dem, was ich da in Händen halte, bei meiner Seele Seligkeit, von dem Scharfegghüttler weiß ich nichts!«

»Bei Gott und der heiligen Jungfrau und allen sieben Schmerzen, weiß er nichts,« eiferte die Furrerin.

Die Clari-Marie nickte. »Ja, ja,« sagte sie, und es war, als zerschmelze in ihrem Gesicht etwas Eisiges. »Ich – es ist ja nicht möglich, daß einer so etwas hat tun können, einer von hier herum.«

Der Furrer warf sich ächzend wieder auf seinen Stuhl. »Da – da – das –« stieß er hervor, kopfschüttelnd, als erkenne er erst die Schwere dessen, des man ihn bezichtigte. »Das ist nicht zum glauben, was einen ankommen kann im Leben.« Wie zufällig faßte er wieder nach der Bibel. »Da muß ich schon noch ein Gesätzlein lesen – nur damit – daß – daß man sich vor Wut nicht versündigt,« sagte er keuchend. Und er schlug das Buch auf, sah von ungefähr hinein und las murmelnd.

»Lies laut,« sagte sein Weib. Da las er laut, und sie wußte so wohl Bescheid, daß sie ihm die Bibelstelle geläufig nachsprechen konnte. Sie falteten die Hände unter dem Stammeln, rückten einander näher, als verlangte eins nach dem andern. Ihre Art war wie Inbrunst und dann wieder wie Gier.

Die Clari-Marie fühlte, daß die Zweifel von ihr glitten. Es war nicht möglich, daß einer sich so verstellte. Die konnten von nichts Bösem wissen, der Schwager und die Schwester. Die taten ihre Christenpflicht, taten sie mehr als gut. Die strenggläubige Frau schalt sich selbst, daß sie an ihnen, den Frommen, gezweifelt hatte. ›Zu denen stehst, du, Clari-Marie,‹ gelobte sie sich. Auf einmal hallte auch ihre tiefe Stimme in das Murmeln der andern. Sie sagte ein Vaterunser. Als sie endete, setzten auch die zwei andern unwillkürlich aus. »Ich gehe jetzt,« sagte die Clari-Marie und reichte ihnen die Hand. »Schon zu euch halten will ich,« sagte sie, und dann: »So, ade.«

Sie ging.

»So, ade,« wiederholten in ihrem Rücken die Furrerschen.

Als sie durch den Hausflur sich entfernte, konnte sie noch hören, wie der Bauer weiter las.

Am nächsten Tag stiegen dennoch die Landjäger nach der Rottalhütte. Eine Weile später war die Hütte geschlossen. Der Bauer und sein Weib schritten zwischen den Polizisten durchs Dorf und talab.

»Jesses, jesses, habt ihr gesehen?« gellte es durch das Dorf nachher. »Sie haben sie geholt, die vom Rottal.«

In der Straße stand das Volk in Haufen. Die Clari-Marie trat unter sie, ruhig, und doch ein seltenes Zornrot auf den Wangen. »Sie werden schon sehen, was das kostet, die da unten im Tal,« sagte sie, »zwei am heiterhellen Tag mit den Landjägern fortzuführen, die kein Stäublein schuld haben.«

»Sie werden schon sehen,« drohten die vom Isengrund ihr nach.

Im Abenddunkel kam die Severina dem Jaun, dem Doktor, der vom Löwen hinweg und auf der völlig menschenleeren Straße dorfauswärts sich erging, nachgeschlichen. »Ich habe dich da hinausgehen sehen,« keuchte sie. Sie war so plötzlich neben ihn geglitten, daß er zusammenschrak. Nun lag ihre hagere Hand auf seinem Arm und hielt ihn fest, er sah ganz nahe ihr schmales weißes Gesicht, und aus dem Dunkel leuchteten die Augen, standen groß darin und glänzten fieberig. »Jesus Maria, Jaun,« stammelte sie, »sie haben den Vater und die Mutter geholt, die Landjäger.«

»Ja,« sagte der Jaun; in seinem Leben war er nie unbeholfener gewesen.

Die Severina faßte seinen Arm jetzt mit beiden Händen, sie hing sich fest an ihn und zitterte vor Angst und Erregung. »Jetzt – jetzt,« fuhr sie hastig weiter, »weißt, die andern kann ich nicht fragen. Die Base Cille redet nicht und die Base Clari-Marie ist zornig, und ich darf ihr nicht sagen, daß ich einen Zweifel habe, und dann der Hansi, der hat Streit mit Vater und Mutter seit dem letzten Holzschlag, weil der Vater ihm den Taglohn nicht geben will, und – und niemand kann ich fragen – und – mein Gott und Vater – Jaun –« Ihre wirren Worte überstürzten sich. Sie schluchzte plötzlich. Da löste Jaun seinen Arm aus ihrem Griff und legte ihn um ihre Hüfte; er fürchtete sich fast, sie anzufassen, und hielt sie, als wäre ihre schmächtige Gestalt aus dünnstem Glas. Das Herz klopfte ihm, sein Kopf war glühend rot; er wollte reden, aber kein einziges Wort fiel ihm ein.

Da faßte sich die Severina wieder. »Sag doch, du – meinst – kann es sein? – Nein, nicht – gelt? Sie sind schon eigne, der Vater und die Mutter, aber so etwas – nein, gelt, so etwas, was sie sagen, das kann ja nicht sein?«

In Jaun schrie eine Stimme: Sie sind's, die vom Rottal, sie sind's! Aber vor der Severina hätte er die eigne Ueberzeugung verleugnet und wenn es um seine Seligkeit gegangen wäre; denn ihre Angst machte ihn willenlos. Er wußte kaum, was er tat und sagte. »Was denkst, was redest! Wirst sehen, in ein paar Tagen sind sie wieder da,« flüsterte er ihr zu. »Im Ernst glaubt es niemand von ihnen, von deinem Vater und deiner Mutter.« Er strich dabei dem Mädchen unbeholfen über Haar und Wange, über Achsel und Arm, und sah mit seinem heißen Gesicht auf sie nieder.

Sie hing den seinen Kopf. »Jetzt sind wir verschrien im Dorf, der Vater und die Mutter und wir Kinder,« sagte sie.

»Was denkst,« tröstete er. »Wenn sie frei sind, nachreden darf ihnen keiner etwas.«

»Ja, ja,« gab sie zu. »So will ich jetzt wieder,« ermannte sie sich dann und trat von ihm hinweg. Er ließ mit linkischer Bewegung den Arm sinken, als er fühlte, daß sie fort wolle.

»Severina!« kam da ein Ruf durch die Nacht. Die Cille rief drüben am Zieglerhaus.

»Sie rufen schon,« sagte die Severina, sah sich nicht um und stob davon.

Der Jaun stand da und sah die Stelle an, wo das Dunkel die schlanke Severina aufgenommen hatte. Und auf einmal packte es den eckigen, langsamen Menschen: In all der Zeit, in der er vom Bergland fort gewesen, in seinem ganzen Leben hatte er noch nie ein so schmerzliches Empfinden gehabt, ein solches Verlangen, einen solchen Hunger wie jetzt danach, daß die Severina noch da neben ihm wäre, die Severina, die er doch kaum hatte anrühren dürfen.

Lange stand er, der zähe, der gearbeitet hatte wie kein andrer und aus dem Geißbub ein Doktor geworden war. Alle Arbeit und alles Wissen und das Pflichtgefühl, das ihn den Mord hatte aufdecken lassen und die Pflichten, die sein neues Amt ihm auflegte, alles war ihm wie Wind in dem Augenblick, und alles das kümmerte ihn nicht; denn das Herz tat ihm weh, und das Herz schrie: Wenn sie doch noch da wäre, die Severina!


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