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22

Der Werner Jacki lag seit Wochen begraben. Unten im Tal saßen der Furrer und sein Weib und neben ihnen der Kehle-Gisler noch in Untersuchungshaft. Die Nachforschungen nahmen indessen ihren Fortgang. Gerichtspersonen kamen, nahmen Augenschein von der Mordstelle, auch von der ehemaligen wieder, wo sie den Scharfegghüttler gefunden hatten; und der Jakob Jacki, der Führer, ging zwischen dem Isengrund und Altstadt hin und her mit schweren, entschlossenen Schritten, wahr machen, was er geschworen, als er von einer Bergfahrt heimkommend den Bub tot gefunden hatte: »Heraus muß es, wer das getan hat, beim Eid muß es heraus!«

Die vom Gericht und die vom Isengrund, der Jacki selber, der aufrechte alte Mensch mit dem strengen Willen, fanden aber alle zusammen nicht alles, was sie suchten. Die vom Isengrund mußten in Altstadt zeugen wie ehemals. Sie zogen nicht in geschlossenen Haufen aus wie das erstemal. Wie Freundschaft und Verwandtschaft sie zusammenband, reisten sie, in Gruppen geteilt, und mißtrauisch schauten die einen auf die andern. Es war just kein Unfriede unter ihnen, aber auf allen lastete eine dumpfe Schwere. Jeder sann bei sich: Was wird der aussagen und der, zu wem wird der und jener stehen? Der Nachbar traute der Meinung des Nachbars nicht mehr. Seit der Jacki unter ihnen umhergegangen war, mit seinen blauen Augen aus eckigen Lidern sie angeblitzt und geherrscht hatte: »Hätten wir das erstemal den Mut gehabt zu sagen, daß wir es ihnen zutrauten, denen vom Rottal, die Mordtat, so lebte er jetzt noch, mein Bub!«

Eine ging allein ins Tal, sah keinen an, der sie überholte, während sie schwerfällig des Weges stieg, trug das schwarze Tuch überm Arm und den weißgrau gewordenen Scheitel dem Wind offen. Als sie vom Zeugenzimmer nach dem Gerichtssaal gerufen wurde, tuschelten ein paar Isengrunder zusammen: »Die hilft ihnen heraus, denen vom Rottal, auch diesmal, die Clari-Marie!«

Allein, wie sie gegangen war, kam die Clari-Marie zurück. Jetzt hatte sie ihr Tuch umgenommen; denn es war Abend und kühl. Sie hielt es mit der Hand vor der Brust zusammen; zuweilen, während sie die Isengrunder Straße hinaufstieg, hielt sie inne und verschnaufte; das Steigen wurde ihr nicht mehr leicht. Darum kam sie auch den übrigen Dörflern nicht aus, deren Stimmen laut und in wirrem Durcheinander in ihrem Rücken allmählich näher klangen. Auf dem Heimweg hatten sich alle zusammengefunden, die vorher eine bange Erwartung nicht hatte zueinander reden lassen. Es war jetzt keiner und keine, die ihre Stimmen nicht in das Durcheinander des Gesprächs warfen. Was zu besprechen war, war zu wichtig, zu erwartet und doch zu überraschend.

»Habe ich's nicht gesagt: Nie kommt es aus, nie,« tönte eine schrille Weiberstimme aus dem Haufen. »Auf der Brust liegend haben sie die Leiche gefunden.«

Da stand der Jacki still, der inmitten eines Haufens von Männern ging. »Welche redet wieder so daher?« sagte er. Die Stimme klang ihm rauh und voll tief aus dem Innersten heraufgeholten Grolls. Mit den schweren Armen schaffte er sich unwillkürlich Raum, sein ganzes knochiges Gesicht war rot vor Entrüstung. »Und wenn sie sie jetzt auch wieder freigesprochen haben,« sagte er, »sie sind es doch gewesen, die vom Rottal.«

»Sicher! Und sicher!« murrten ihm die Nächststehenden nach. Langsam hoben sie an, weiterzugehen. Ueber ihnen erblickten sie jetzt die Clari-Marie.

»Wenn sie nicht hätte wollen – die Clari-Marie –« murmelte einer vom Rat.

»Ihr Zeugnis hat es diesmal nicht getan,« widersprach der Präses, und erklärte: »Aus Mangel an Beweisen sind sie freigesprochen, der Furrer und die Trini. Beweisen hat man ihnen nichts können! Gewesen sein können sie es doch! Darum haben sie auch keine Entschädigung zugesprochen erhalten!«

»Aber den ›Lätz‹ entschädigen sie,« warf einer ein, dem die Mißgunst aus den Augen sah.

»Und recht ist es,« fuhr der Jacki aus einem schweren Schweigen auf. »Den hätten sie nicht einstecken sollen, den Halbnarr! Das hätte ich ihnen gleich sagen können, daß es der nicht ist!«

Darauf begann sich eine Gruppe darum zu streiten, ob der »Lätz« verdächtig gewesen sei oder nicht. Zwei waren darunter, die ehemals geschrien hatten: »Natürlich kann er's sein, der Halbheide!« Jetzt gaben sie klein bei; über kurzem waren sie mit den andern einig: »Die vom Rottal mußten die Schuld haben, keiner sonst!«

So hatte während der Verhandlungen der Wind sich gedreht. Keiner war mehr, der widersprach: Die vom Rottal mußten es gewesen sein! An der Meinungsänderung mochte der Jacki schuld sein mit seinem: »Hätten sie sie das erstemal im Zuchthaus behalten, so lebte er noch, mein Bub!«

Den Jacki sahen sie jetzt plötzlich große Schritte machen. Er schritt aus den Reihen der übrigen heraus und stampfte mit einer Art Hast fürbaß, bis er die Clari-Marie erreichte, die noch eine Straßenwindung vor dem nachstolpernden Volk voraushatte. Sie sah sich um, als er herankam. Er trat ohne einen Gruß neben sie und hielt mit ihr Schritt; nicht wie ehemals rückte er den Hut. »Dir kann ich nicht danken, Clari-Marie,« sagte er mit immer demselben Groll in der Stimme, nur daß jetzt, wo er leiser sprach, es fast ächzend klang.

»Warum?« fragte sie und sah ihn ruhig an; ihr Gesicht war gelb, und ihre Augen hatten Ringe. Dem Jacki zuckte es in den Zügen. Er schluckte mächtig. Der Gedanke an seinen einzigen Buben, der tot war, mochte ihn just schmerzhaft stechen. »Weißt,« preßte er heraus, »Du bist auch mit schuld, daß er tot ist, der Bub.«

»So?« fragte sie, beugte den Kopf und ging weiter; sie war wie eine, die geschlagen worden ist und Schlag um Schlag ruhig hinnimmt, den Schmerz verbeißend.

»Hättest ihnen nicht geholfen, denen vom Rottal, das erstemal,« brach der Jacki heraus, »so lebte er jetzt noch, der Werner.«

Sie waren langsamer gegangen. Jetzt kamen die andern über sie; die hatten die letzten Worte, noch aufgefangen. Auf einmal war es, daß die Clari-Marie und der Jacki wie unter der Bewachung der andern schritten. Vorn, zuseiten und hinten gingen die vom Isengrund. Im Weiterschreiten fuhr da und dort eine kurze Bemerkung auf, plötzlich, wie Flammenzungen aus schwarzem Meiler zucken.

»Sie sind es doch gewesen, die vom Rottal, Clari-Marie.«

»Schon lang hätte man sich darauf besinnen können. Ein roher Mensch ist er immer gewesen, der Furrer!«

»Wie er nur manchmal mit dem Vieh umgegangen ist.«

»Und der Geiz! Verhungert fast sind sie vor Geiz.«

Immer wieder kam ein Wort, immer wieder. Die Clari-Marie schwieg jetzt fast ganz.

»Ja – ja – redet jetzt – so,« sagte sie nur einmal, die harten Lippen teilten sich kaum zu dem herben Hohnwort. Und dennoch fühlte sie die Worte der andern gleich Marterzangen. Es würgte sie etwas, das sie sagen wollte: »Sie sind es nicht gewesen, fromm sind sie gewesen, ihrer Lebtag, der Schwager und die Schwester.« Aber sie brachte das Wort nicht heraus. Zum erstenmal war ihr, als sei es keine Verteidigung. Und je weiter die andern sprachen und der Jacki mit seiner dumpfen Stimme Vorwurf auf Vorwurf häufte, war ihr, als rissen sie vor ihren Augen etwas nieder und rissen sie etwas von ihr weg! Die vom Rottal, die frommen zwei, an die sie geglaubt hatte und – und an die sie – nicht – nicht mehr glaubte, obwohl das Gericht sie freigesprochen hatte, die gingen ihr verloren!

Langsam kamen sie höher hinauf, immer hörte die Clari-Marie noch die Reden der Bauern und ihrer Weiber, kurz, schwerfällig und hart wie ihre Schritte, bald hier, bald dort, bald hinten, bald vorn. Im Dorfe erst zerteilte sich die Schar; Haus um Haus bröckelten einer, zwei und mehr hinweg.

Die Clari-Marie war als eine der ersten aus der Schar getreten und ohne zu grüßen gegen ihr Haus hinaufgestiegen. Die meisten gingen so hinweg, ohne zu grüßen; sie hatten alle die Gedanken noch an dem hängen, was vor Gericht geschehen war.

Das hing von da an wie eine Wolke über dem Isengrund, daß die zwei Morde ungesühnt blieben. »Aus den Gesichtern haben sie gelegen, die Toten,« flüsterten die Abergläubischen, »alleweil haben wir es gesagt, daß es nicht auskommen wird.« Dann ging wieder stürmisch wie ein durch die Dorfgasse fegender Windstoß das Gerede: »Die vom Rottal sind es gewesen, sicher kein andrer!« Und dann kam furchtsam und doch wieder bedeutsam von einem und dem andern Mund ein: »Man weiß es nicht!«

Die Furrerschen wagten nicht, nach dem Isengrund zurückzukommen. Bei Verwandten im Schwyzerbiet drüben wohnten sie, hieß es. Freilich ein paar, wie der alte Jacki, waren im Isengrund, die vielleicht in der Gasse gestanden haben würden, wenn die vom Rottal zurückgekommen wären, und die vielleicht, finster blickend, ein schweres Wort gesagt haben würden: »Selber strafen wir, wenn die vom Gericht keine Gerechtigkeit wissen!«

Der Lätz kam heim, der freilich. Er lachte nicht, als er ins Dorf trat. Keine Laune zu singen oder närrisch zu tun kam ihn an, als er zwischen den Häusern hindurchschritt und in den Rothornweg einbog. Seine Lippen saßen fest aufeinander, und er sah mit ernsten Augen um sich; fast schien es, als wäre sein Blick feucht; er hatte etwas Ehrwürdiges an sich, der alte, zerlumpte Mann, und daneben, wenn da und dort einer ihm begegnete, stand es wie eine Frage in seinem Gesicht: »Was wird das nächste sein, ihr da im Dorf, das ihr mir antut?«

Die Clari-Marie sah aus der Tür ihrer Werkstatt, als er vorbeiging. Ihre Blicke trafen sich flüchtig; dann wandte die Truttmannin das Gesicht. Sie wußte, daß der fast einen Sieg davongetragen hatte, der Kehle-Gisler. Entschädigt hatten sie den noch! Aber – und ihr Mund wurde schmal in einem Ausdruck der Mißachtung – das blieb er doch, was er war, ein Halbheide, einer, der – der –. Und so wohl konnte er der Tat fähig sein, wie die zwei andern, der Schwager und die Schwester, auf die sie jetzt alle Schuld warfen!

Die Clari-Marie, während der Kehle-Gisler vorüberstieg, hatte keinen Gedanken, daß sie ihm unrecht getan haben könnte!

*

Wie eine Wolke hing es über dem Isengrund. Zwei Morde waren geschehen, und den Täter kannte keiner, keiner mit Sicherheit. Es war, wie wenn es im Dorfe immer gewitterig wäre, schwül, keine freie Luft mehr.

»Herrgott, Herrgott,« seufzte der Huber, der Löwenwirt, und schwitzte. Tag um Tag verminderte sich die Zahl seiner Gäste, und die leer gewordenen Stuben wollten sich nicht mehr füllen. Zu dem verdrehten Volk da oben will keiner mehr hinauf, hieß es im Tal. Es schien so. So plötzlich, wie sie das neu entdeckte Bergtal bevölkert hatten, blieben die Fremden weg. Mitten im Sommer stand der große Gasthof plötzlich leer.

»Wißt ihr? Jetzt ist keiner mehr da, im Löwen,« raunte es durchs Dorf. Der Huber reiste ins Tal, um neue Gäste zu werben, seine Geschäftsempfehlung stand in allen Zeitungen. Es nützte nicht viel. Ein paar Menschen kamen wohl. Nach ein paar Tagen gingen sie wieder. Zum Sterben still sei es da oben. Da blieben sie nicht! So kam kein Leben mehr in die Sache.

»Ein Jahr muß man vorbeigehen lassen,« sagte Huber, als er sah, daß es mit seinem Geschäft nichts mehr werden wollte. Er machte ein trübes Gesicht dazu. Zu Jaun, dem Doktor, mit dem er gut stand, ließ er sich vernehmen: »Wenn's nicht will, das nächste Jahr, zu lange mühe ich mich da oben nicht ab, und alles will ich nicht aufs Spiel setzen.«

»Ein Jahr muß man vorbeigehen lassen,« sprachen die vom Isengrund ihm nach. Aber zufrieden waren auch sie nicht. Nur die Clari-Marie hörten ein paar Weiber äußern: »Laßt sie wieder fort, den Huber und seine Fremden! Wäre es immer still gewesen im Dorf und wir eigner Meister wie sonst, es wäre nie so unfriedlich geworden, wie es jetzt ist!«

»Ja, ja,« stimmten jene Weiber bei. Aber eine Anzahl derer, die vom Löwen Verdienst hatten, fuhren auf. »Was? Schweigen soll sie, die Clari-Marie! Mitgeholfen hat sie, dem Löwenwirt Steine in den Weg zu legen. Mitgeholfen hat sie, wenn wieder die Armut Trumpf ist im Isengrund!«

Allmählich kam der Winter, der die große Stille brachte, die nicht ungewohnt war, und gegen die sich keiner auflehnte.

Als der erste schwere Schneefall über das Tal gegangen war, stand der zitterige Töni, der Schreiner, eines frühen Morgens in der Wohnstube der Clari-Marie, hielt sich an einem Stuhle fest und war fahl im zusammengeschnurrten Gesicht. »Beim Eid, Frau,« sagte er mit unsicherer Stimme zur Clari-Marie, die mit ihm beim Morgenbrot gesessen hatte, »heute kann ich nicht hinüber in die Werkstatt, in den Knien habe ich es so und im Kopf, ganz wirr ist mir.« Dabei schob er den uralten Filz vom Kopf, als ob ihm heiß sei.

»Es wird der Uebergang sein,« sagte die Clari-Marie, »weil es Winter wird jetzt. Setz dich an den Ofen oder geh wieder ins Bett. Es wird schon besser werden bis morgen.« Aber als ihr Blick bei den Worten zufällig den Alten streifte, wunderte sie sich schier. Sie hatte noch nie beobachtet, daß dem Töni sein Haar schon so weiß war wie der Schnee, der jetzt in die Fenster leuchtete.

Der Alte saß nachher den ganzen Tag fröstelnd am Ofen. Am Abend – er war immer ein Frommer gewesen – meinte er zur Clari-Marie: »Mit dem Pfarrer möchte ich reden einmal; es ist mir doch nicht so recht.«

Die Clari-Marie horchte auf, sah ihn scharf an und erschrak. Der Töni war manchmal ein Brummiger gewesen, hatte auch ein paarmal, früher besonders, vom Fortgehen gesprochen, aber er gehörte doch fest zum Haus; und nun war es, als sei er auf der Abreise, auf einer langen, die keinen Rückweg hatte. Die Clari-Marie sah scharf, Zeichen standen in des Tönis Gesicht!

»Geh, hol den Pfarrer,« befahl sie der Severina draußen im Hausflur. Der Pfarrer betrat ihr Haus sonst nicht mehr, weil er wußte, daß er nicht willkommen war. Mochte er heute kommen!

Als er nach einer Stunde kam, ließ sich die Clari-Marie nicht sehen. »Für den Töni kommt er, nicht zu mir,« sagte sie zur Severina, als diese zu rufen kam. Der Töni war inzwischen vom Ofenstuhl weg und ins Bett gekrochen. Sein klein gewordener Kopf sah wie ein Puppenschädel aus den buntbezogenen Kissen. »Ihr hättet das heilige Oel mitbringen sollen, Pfarrherr,« stammelte er, als der Hochwürdige zu ihm trat.

So kam der Pfarrherr nach einer Stunde noch einmal zurück, im Ornat diesmal und mit dem Sigristen zusammen, der ihm das Rauchfaß trug. Wieder war die Clari-Marie nicht da, obwohl sie bis kurz vorher an des Tönis Bett gesessen hatte. Die schlanke Severina stand dem Pfarrherrn Rede.

Der Töni war schläfrig, so schläfrig, daß er unsäglich mühsam die Augendeckel aufriß, als der Pfarrherr eintrat, wie im Traum nachstammelte, was der ihm vorbetete, und über dem Stammeln selber einschlief.

»Nur Schlaf hat er,« sagte der Pfarrherr nachher im Weggehen zur Severina, »am Sterben ist er noch lange nicht, wenn ich recht sehe.«

Die Clari-Marie wußte es anders. Die stand in der Werkstatt und wählte schöne weiße Bretter aus und maß und kerbte ein und legte sich Werkzeug zurecht. Als der Pfarrherr fort war, ging sie zum Töni zurück. Der lag und schlief und atmete so leis wie ein Neugeborenes.

Als Schlafensstunde war, hieß die Clari-Marie die Severina sich legen. Sie selber ging mit langsamer Geschäftigkeit im Hause herum; jeder Gang endete in des Tönis Kammer. Bis über Mitternacht hinaus war darin, wenn einer scharf lauschte, der Kinderatem des alten Menschen zu hören. Als der neue Tag begonnen hatte, war das kleine Auf und Ab des Atems still.

Die Clari-Marie kam wieder durch die Türe herein, gerade hin zum Bett. Sie lauschte nicht, sie sah nur das weiße, spitze Alteleutgesicht an und fuhr zweimal über des Tönis Augen. Dann ging sie hinüber nach der Werkstatt. Was sie da tat, schien ihr wie das erste Pflichtgebot, schien ihr der fürnehmste Liebesdienst, den sie dem alten Knecht schuldete. Sie begann den Sarg zu zimmern.

Und da, während die Säge pfeifend ins Holz schnitt, schnitt ihr selber etwas ins Herz: »Der auch ist weniger, Clari-Marie, der auch noch!« Und plötzlich mußte sie die Arbeit lassen und ins Haus hinüber gehen und in die Kammer der Severina hinein. Dort stand die hartsinnige Frau an der Tür, durch die sie leise eingetreten war, und sah die schlafende Severina an und zwang sich, still zu sein und stehen zu bleiben, obwohl, eine Gier sie hinriß ans Bett, daß sie sich darüberwerfe und der dort, dem Kind, dem letzten im Hause, sage: »Du, lieb bist mir! Alle sind mir lieb gewesen, nur sagen kann ich's nicht. Es ist nicht in mir, daß ich es sage! Aber lieb bist mir du – du – und bei mir mußt bleiben, du – weil – weil – es ist ja sonst keiner mehr da!«


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