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7

Aus einer Dachkammer des Zieglerhauses schauten zwei Kinderköpfe, der braune des Furrerhansi und der feine, blonde seiner Schwester. »Jesses, wie schön!« schrie der Hansi ins Leere hinaus und hockte auf dem Fenstersims, hielt sich mit dem einen Arm am Laden und strahlte mit den bachklaren Augen übermütig den Tag an, der nicht so viel Sonne hatte, als der Bub im Blick trug. Die Kammer war seit heute den Kindern eigen; und von heute an hatten sie nicht mehr nur Mittagbrot, sie hatten auch Wohnstatt bei der Clari-Marie.

»Sie sind der Schule näher so, wenn's in den Winter geht,« sagte diese zu denen vom Rottal; zur Cille meinte sie: »Es ist doch keine rechte Luft für das Kindervolk bei den zwei Sparsamen.«

»Lasse sie da,« sagte die herbe Cille, »es wird eher etwas aus ihnen.«

In der Dachkammer, wo ehemals der Jaun geschlafen hatte, lagen die Habseligkeiten der zwei Kinder, soweit sie sie täglich brauchten; der Furrer, der Bauer, hatte selber im Vorbeigehen die Kiste auf der Rückengabel ins Haus getragen, als er heute morgen zu Markt gefahren war, um Ziegen zu holen.

»Jesses, wie schön!« schrie der schmalwangige Hansi in die Gottesluft hinaus, und das Zieglerhaus stand doch in einem Schattenloch und nah an dem Gedränge der Dorfhütten, und oben im Rottalhaus hatten sie unter der blitzenden Sonne gewohnt. Nachher fuhren die zwei vom Fenster zurück, fuhren kreischend und lachend über die engtrittige Treppe hinab und kamen wild wie ein Windzug in die Stube hineingefahren, so daß der Chrisostomus auf dem Ofen zusammenfuhr und fast die Pfeife aus den zitternden Händen verlor und die Anni, sein Weib, ein »Jere-ja« ums andre stöhnte.

»Wo ist die Base Clari-Marie?« fragte der Hansi, stand breitschultrig da, die Brust herausgedreht, daß er kräftig aussah, und hatte die Augen voll Narrheit und Uebermut. Da kam die Clari-Marie herein, schickte den Hansi in die Werkstatt hinüber, daß er Hobelspäne fasse, nahm die Severina mit sich nach der Küche und brauchte nur ihnen nahe zu sein, so war ihre Wildheit zahm und waren sie von einer stillen, fast scheuen Folgsamkeit. Zu der Kammer aber, wo die Kinder untergebracht werden sollten, stieg die Cille hinauf, Ordnung zu schaffen, fing an, die paar Gewandstücke in einen kleinen Wandschaft zu legen, hielt mitten in der Arbeit inne und zog einen Brief aus der Tasche. Der trug als Aufschrift das kurze »Frau Clari-Marie im Isengrund«, und die Clari-Marie hatte ihn eben geöffnet, gelesen und der Schwester eingehändigt mit den Worten: »Da lies! Vom Jaun!«

Die Cille trat an das kleine Fenster vor, hatte unsichere Hände, als sie den Brief aus dem Umschlag zog und schien, lang wie sie war, leicht müde zu werden; denn sie ließ sich auf einen der Stühle nieder und seufzte dabei verstohlen, als verschluckte sie ein heimlich ächzendes: »Mein Gott!« Dann las sie und las:

»Schön ist es hier in St. Felix, Base! Und gern bin ich hier! Sie sind alle recht mit mir, mehr als recht, der alte Herr, dem jungen Herrn der Vater nun gar! Das ist etwas mächtig Schönes, so eine Apotheke, und ich muß auch helfen im Laboratorium, das ist dort, wo man Salben macht und Pillen und andres. Und in die Schule gehe ich wieder, aber ganz anders als im Isengrund, viel ernster, und vielleicht muß ich wieder ganz in die Schule gehen und nicht mehr in der Apotheke helfen, weil ich Freude habe, noch in die Schule zu gehen. Ein Apotheker möchte ich werden; die verdienen mächtig viel Geld, aber noch lieber ein Doktor, einer, der die Menschen gesund machen kann wie Ihr, Base Clari-Marie, aber von Euch lerne ich es nicht, aber hier kann man es lernen, und es kommt einer hier in die Apotheke, ein Doktor, der ist am Spital, und der Vater – dem jungen Herrn sein Vater – sagt, daß er ein Gescheiter ist. Und – und so einer möchte ich sein, Base Clari-Marie!«

So schrieb der Jaun, der Bergbub! Die Cille sah auf und in der Kammer sich um und hatte Herzklopfen. Jesses, was dem Bub durch den Kopf ging! Es war schon, als gehöre er seit einer Ewigkeit in die Stadt hinunter und gehöre nicht mehr in den Berg. Du hättest ihn nicht gehen lassen sollen, fuhr es ihr durch den Sinn, und im gleichen Augenblick kam ihr ein andrer und mißgünstiger Gedanke: ›Jetzt räumst du den Schwesterkindern die Kammer ein, und der Jaun ist fort. Warum ist der nicht hier statt des Hansi und der Severina!‹

Sie rutschte auf dem Stuhl, beugte sich jetzt nieder, richtete sich wieder auf und drehte die steife Gestalt, als winde sie sich unter etwas. Dann stand sie auf, ging einmal gegen die Tür, dann wieder zurück und wieder zur Tür. Das Leben ist nicht leicht, Cille Ziegler! Aber das weißt doch schon lange!

Hin und her ging sie, hin und her, und im Hin- und Hergehen würgte sie das Heimweh nach dem herunter, der in ihrem Leben das Höchste war! Endlich ging sie wieder an die Arbeit, aber als sie den Brief in den Umschlag zurückstecken wollte, merkte sie, daß da noch ein Zettel steckte. Sie nahm auch den heraus. Er trug eine kritzelige, schwer leserliche Schrift. Kirchhofer, der Apotheker, hatte ihn geschrieben. »Wir sind zufrieden mit Eurem Buben, dem Jaun, sehr zufrieden,« stand da. »Der ist einer, aus dem etwas werden kann; und vielleicht ist es sein Glück, daß er hierher gekommen ist. Er hat einen Lerneifer wie wenige, mein Vater hat seine helle Freude an ihm, und er will etwas für ihn tun, wenn er sich so hält. Er will ihn weiter lernen lassen, wenn er Freude hat. Deshalb soll er wieder ganz in die Schule gebracht werden und keine Gehilfendienste mehr tun. Ihr werdet wohl einverstanden sein, daß er etwas lernt. Wissen ist heutzutage mehr als Geld.«

Die Cille stand und ließ den Brief sinken. Wieder schlug ihr das Herz, halb vor Freude, halb vor Unruhe. Jesses, was ist das für einer, der Bub! Lernen, immer nur lernen! Aber er hatte recht, der Kirchhofer, nicht dawider sein durfte man ihm, Sünde wäre es! So mochte er fortbleiben – so mochte er! Was tat es, wenn sie Heimweh hatte, wenn der Bub lernte, wenn – wenn er ein Herr wurde da draußen, ein städtischer, wenn – am Ende gar – ein Doktor – aus ihm wurde!

Der Cille Gesicht zuckte, sie verbiß das aufquellende Flennen. Jaun! Jaun! – Langsam und mit schwimmenden Augen packte sie das Gewandzeug ganz hinweg. Dann richtete sie den hageren Rücken auf, schluckte noch einmal; nun waren ihr die Augen trocken. Dann stieg sie hinab.

In der Küche traf sie die Clari-Marie mit dem Kind noch. Sie gab ihr den Brief zurück und machte sich am Herd zu schaffen. Eine Weile schwieg sie; dann litt es sie nicht länger. »Es geht ihm gut, dem Jaun,« sagte sie.

Die Clari-Marie stand über einen Waschkübel geneigt, heißer Dunst stieg daraus auf. Schweißperlen schimmerten ihr auf der Stirn, aus ihrem schlichten, dünnen Scheitel lösten sich einzelne Haare und standen wirr nach allen Seiten. Sie trug eine graue Flanelljacke, deren Aermel bis zum Ellbogen aufgekrempelt waren, an den festen Armen haftete der Seifenschaum. »Es scheint, daß es ihm gut geht,« sagte sie trocken.

Die Cille war scheu und gedrückt. »Lernen tut er einmal, der Bub,« murmelte sie nach einer Weile, fast als spräche sie mit sich selber.

»Wird er ein Pfarrer, der Jaun?« fragte Severina, die an der Clari-Marie ihrem Kübel stand und mit der schmalen Hand im Seifenschaum rührte. »Die Mutter sagt, er ist einer wie ein Pfarrer,« fügte sie bei.

Die Cille lachte ein wenig. »Ein Doktor wird er am Ende!« sagte sie. »Jesses, du, Clari-Marie,« wandte sie sich an diese, »wenn er jetzt gar ein Doktor –«

Die Rede blieb ihr im Halse stecken. Die Clari-Marie sah auf. Sie nahm beide Hände aus dem Wasser und stemmte sie auf den Kübelrand. »Das wird nicht dein Ernst sein, du,« sagte sie zur Schwester. Dabei wurde ihr Gesicht hart, der Kopf stand steif im Nacken, sie hatte etwas von dem Klotz, der in eine Straße rollt und sie sperrt: Geh einer vorbei, wenn er kann! »Ein Doktor, der Bub!« stieß sie kurz hervor, so als fehle ihr der Atem. »Was weiß so ein Doktor! Was ist so einer? Im Wald stehen die Kräuter und auf den Matten, da kann einer das ewige Leben auflesen, wenn es der Herrgott einen finden lassen will! Alles andre ist Lug und Trug! Und der Bub soll ein Doktor werden!«

»Du hast auch bei ihnen gelernt, bei den Aerzten,« sagte die Cille still, störrisch.

»Gelernt?« sagte Clari-Marie. »In der Stadt bin ich gewesen und bei ihnen, den Doktoren, ja, weil die Regierung es so eingesetzt hat, daß aus jedem Dorf eine geht! Aber gesehen habe ich genug und mein Teil gedacht! Seit ich hier bin, ist kein Doktor mehr in den Isengrund gekommen!«

Die Cille schwieg, wahr war es, was sie sagte, die Clari-Marie, es kam kein Doktor nach dem Isengrund!

Da nahm jene ihre Arbeit wieder auf, langsam packte sie ein Wäschestück und schlug es aufs Brett. »Ein Doktor wird er nicht, der Jaun, oder – oder ins Haus kommt er mir nicht mehr!« sagte sie. Es war halb in den heißen Dunst hinabgemurmelt, aus der Art, wie sie dastand, breit, wuchtig, störrisch, konnte die Cille lesen, was sie nicht verstand. Sie verschluckte einen Seufzer und ging; sie wich immer, wenn die Schwester zürnte; das mußte so sein, war immer so gewesen, das letzte Wort und das gültige lag bei der Clari-Marie.

*

Am Nachmittag liefen der Hansi und die Severina zur Schule, die sie am Morgen, ihres Umzugs halber, geschwänzt hatten. Der Hansi schritt voraus, stampfte mit schwerem Schuhwerk den Boden der Dorfgasse, der vom ersten Frost hart und spröde war, und hielt die Daumen in die Riemen seines Schultornisters gehängt. Der Nordwind kam hinter ihm her gefahren, faßte ihn ruckweise und stieß ihn vorwärts, dann machte der Bub den Nacken steif, stemmte sich und murrte zwischen verbissenen Zähnen hervor: »Jetzt stoß, wenn du kannst!« Der Nordwind pfiff an den Wänden des Rothorns, hoch am Himmel fegte er hin, und der Himmel wurde fahl, grau; der Wind zog die Schneetücher darüber. Die Tannen über dem Dorfe rauschten, ss-ss, es tönte wie fliegende Atemzüge eines Riesen. Der Wind wirbelte auch die kleine Severina durch die Dorfgasse einher wie ein Läublein; der braune ärmliche Rock flog um die Beine, deckte die dicken grauen Schafwollstrümpfe bis an die Knie auf und riß an der Schultasche, die dem Kinde am Arm hing. Das Haar flog ihm um die Wangen, wirr, lang, und das Tuch verschob sich, das ihm die Clari-Marie um den Kopf gebunden hatte.

»Jesses, was für ein Wind,« jammerte die Severina weinerlich, und der Hansi, dem das Blut in den Wangen stand und dem die Augen blitzten, als stehe ihm ein sichtbarer Feind gegenüber, drehte sich, schritt, die Zähne noch immer fest zusammengesetzt, zurück zu der kleinen Schwester und sagte:

»Komm, ich halt dich, dem Kaib will ich schon zeigen.« Das Kind an der Hand, ging er seines Weges fürbaß, bei jedem Windstoß schlossen sich seine Finger fest um die Hand der Severina und stemmte er sich zornig lachend gegen die schiebende Gewalt.

Das Schulhaus stand am Dorfende und war eigentlich nur eine Schulstube; denn oben wohnte der Pfarrherr mit seiner Magd, und nur unten in dem einen, den gemauerten Unterbau fast ganz füllenden niederen Raum lehrte der Dresch, der Schulmeister, die Kinder vom Isengrund. Dem Pfarrherrn hatten sie den Wohnboden warm verschindelt, braune Laden hingen an den Fenstern, unten war alles kahl und grau, die Kinder hockten eng zusammengepfercht und froren nicht.

Als der Hansi und die Severina dem Schulhaus näher kamen, sah es davor aus, wie es zu Stadt und Land vor den Schulhäusern aussieht, kleines Volk stob durcheinander, stieß sich und schrie, lachte und flennte, nur daß der Wind jetzt unter sie fuhr, hier eine Kappe vom struppigen Kopfe riß und dort einen Fetzen aus einem Schulbuch stahl und sie fortwirbelte, dorfaus, den Fetzen hangan, die Kappe dem Bach zu. Ein kleiner dicker, rotwangiger Kerl ließ sich vom Winde stoßen und sang dazu, und die kleinen Augen lachten ihm, weil er selber wie ein Ball davonkugelte und der Wind, ihm noch voraufspringend, langgezogen – ah – ah – die Töne seiner Stimme trug. Die Mädchen waren die empfindlichen, drückten sich frierend an der Hausmauer hin oder stiegen über die zertretene Steintreppe nach der Schulstube.

Ueber die hinter den Dorfhütten ansteigende Lehne, geradeswegs über das weglose Mattenland, zwischen der alten Kapelle und den letzten Häusern herab kam der Kehle-Gisler, der Lätz, mit der Claudi, seinem buckligen Mädchen, gegangen. Er trug einen mächtigen Korb auf dem Rücken und hatte zerlumptes Gewand an, Hosen, von denen die Fetzen hingen, einen langen Rock voller Flicken und Risse, an den Aermeln hing ihm das Futter über die dürren, steingrauen Hände, auf dem Kopf trug er einen formlosen Filz ohne Band und ohne Rand, dessen Farben alle Schattierungen zwischen Schwarz und Gelb zeigten. Nur die Schuhe waren fest und schwer beschlagen. Der Kehle-Gisler stieg in die Dorfgasse, hielt die bucklige Claudi an der Hand und sah, den Kopf seltsam, ruckweise drehend, mit kleinen, lustigen Augen in das und jenes Kindergesicht, zwinkerte und lachte und schnitt Grimassen. Die Claudi hatte ein leises Unbehagen im Blick, hielt an und versperrte dem Vater den Weg:

»So, geht jetzt,« sagte sie und versuchte ihn nach der Richtung zu drängen, nach der die Straße dorfaus lief. Der Gisler aber hatte den Blick an den Gesichtern zweier Buben hängen, die ihn anlachten.

»Tag, du,« rief der eine.

»Tag, Lätz,« lachte der andre; und es war, als hätte der Wind das Wort gefaßt und wirbelte es herum.

»Der Lätz,« schrie es von allen Seiten, und die Kinder umsprangen den Gisler. Der aber ließ plötzlich die Hand der Claudi fahren, stieß einen Jauchzer aus und hob in der Straße zu tanzen an. Den Korb am Rücken, sprang er herum, jauchzte und sang, schlenkerte mit Armen und Beinen, schoß jetzt auf eine Gruppe von Kindern zu, daß sie kreischend auseinanderstoben, und rannte gleich darauf ein Stück weit auf der Straße davon, daß die Buben mit Spotten und Schreien hinter ihm her jagten. Es war ein Lärm, daß die Fenster der Häuser auf und ein halbes Dutzend Köpfe herausfuhren, daß die Viktorine, die Pfarrmagd, herabkreischte:

»Lasset ihn gehen, Kinder!« und der Pfarrherr selber in die Tür trat und sagte:

»Gehet, Gisler, macht Euch nicht zum Gespött!«

Der Gisler, der just nahe war, mochte die Worte gehört haben, denn er hielt plötzlich inne, taumelte einmal hin und einmal her, weil ihn schwindeln mochte, und zog dann den Filz von dem wirren, langen, sonderbar weiß und schwarz gesträhnten Haar. »Tag, Pfarrherr,« grüßte er. Der Mund stand ihm offen, denn sein Atem ging stoßweise. Der Mund war sonderbar spitz, wie ein Ziegenmaul, große Schneidezähne ragten daraus hervor, der lange Schnurrbart hing auf beiden Seiten herab und rann mit dem langen Bart zusammen, der von Wangen und Kinn auf die Brust fiel, und Schnurrbart und Bart waren just so weiß und schwarz gesträhnt, wie das Kopfhaar. Der Gisler hatte ein Gesicht wie eine Ziege.

Die Dorfbuben hatten sich vor dem Pfarrherrn verzogen; der letzte verschwand in der Schulstubentür. Pfarrherr und Strahler glotzten einander sekundenlang an, dann trat jener kopfschüttelnd ins Haus zurück. Der Gisler lüftete noch einmal den Filz, strich mit der einen Hand über die feucht gewordenen Haare und sah sich nach der Claudi um. Das Kind kam von der Schultreppe, an deren Fuß es gezögert hatte, herüber, hatte in den übergroßen Augen ein nasses Glitzern und in den Wangen ein heißes Rot, streckte dem Vater die Hand hin und sagte:

»Ade! Geht jetzt!«

Der Gisler schnaufte noch einmal tief auf, dann schloß er den Mund, die Zähne glitten unter dem Schnurrbart zurück, die Lippen setzten sich zusammen, und das Gesicht des Strahlers war plötzlich wie ein andres, männlich, von ebenmäßigen Zügen, fast ehrwürdig. Nur das lustige Funkeln war in seinen Augen geblieben. Er murmelte etwas in den Bart, das klang wie: »So geh, lern jetzt brav,« und seine Hand wühlte derweilen in dem braunen Haarwust der Claudi. Die sah sich scheu um, blinzte nach den Fenstern, dahin, dorthin, in denen noch ein paar müßige Weiber lagen, und sagte dann hastig und leise:

»Ihr müsset nicht mehr so tanzen, Vater!«

»Warum nicht?« lachte der Gisler leise in sich hinein, »haben sie nicht Freude gehabt, die Kinder!« Und er nahm das bucklige Menschlein, die Claudi, schob sie zur Schultreppe hin, fuhr ihr noch einmal mit rauhem Griff über den Kopf halb wie zur Strafe, halb zur Liebkosung, dann drehte er sich ab und tappte auf seinen Klapperschuhen dorfaus.

Die Claudi trat still in die Schulstube. Gleich hinter ihr kam der Dresch, der Schulmeister, alt, weißhaarig, ›von stämmiger Gestalt‹, gegangen.

Der Kehle-Gisler aber hatte bald das Dorf hinter sich, der Wind stieß ihn in den Rücken, die Haarsträhne flogen ihm im Luftzug, und der Filz wollte ihm vom Kopfe fahren. Da nahm er ihn herunter und warf ihn in den Tragkorb. Dann sang er eins, halblaut, und sah die grüne Welt an, und das Funkeln war noch in seinen Augen, lustig, frei, als wäre auf der grünen Welt keine Sorge für ihn, den Lätz! Und der Mensch, der, die Zufriedenheit im Gesicht, so dahin trottete, der Kehle-Gisler, den sie den Lätz schalten, war der beste und waghalsigste Strahler im ganzen Tellenland, kannte die Berge im Umkreis wie seinen Tragkorb, kletterte mit der Gewandtheit des Grattiers an Stellen, vor denen jeder andre sich bekreuzigte, hatte einen Blick scharf und rasch wie der Adler, war aber ein Armer unter den nicht Reichen und hatte kein Ansehen im Isengrund; denn er ging nicht zur Kirche, kümmerte sich wenig um Dorf und Bauern und machte sich zum Narren zuzeiten. Nur die Städter, die ins Tal kamen, um das wundervolle Rothorn und andre Stöcke zu zwingen, und deren einer den Kehle-Gisler in seiner Hütte gefunden hatte, hatten seit einiger Zeit den Narren an ihm gefressen, suchten ihn heim dann und wann und ließen sich von ihm Führerdienste leisten, obwohl er kein Patent besaß.


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