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4

Im Dorf war ein altes reiches Weib gestorben. Die Clari-Marie schlug ihr schönstes Beschläg an den Sarg. Töni, der Gesell, legte die reichsten Schablonen auf und malte die fertige Kiste bunt. Als die Clari-Marie mit aufgestülpten Aermeln, den rauhen Stoff ihres dunkeln Gewandes voll Staub, aus der Werkstatt kam, trat der Briefträger aus dem Hause.

»Lug, bist du bei uns gewesen?« fragte die Truttmannin; der Briefträger hatte nicht viel in ihrem Hause zu suchen.

»Ja,« lachte mit breitem Grinsen der junge Bursche, rückte die Kappe und ging.

Die Clari-Marie trat in die Stube und fand die Cille am Tische stehen, einen geschlossenen Brief in Händen. Sie zuckte zusammen, als die Tür ging, und machte eine Bewegung, als müßte sie den Brief wegwerfen; dann sah sie sich entdeckt, legte ihn langsam auf den Tisch zurück und trat zu ihrem Nähzeug; aber ihre Hand hatte gezittert.

Es war noch früh am Tag; die beiden Alten lagen noch in ihrer Kammer, Jaun, der Bub, war mit den Ziegen aus; die Schwestern waren allein.

»Für mich?« fragte die Clari-Marie, als sie den Brief aufnahm und die Aufschrift las. »Aus St. Felix,« setzte sie, den Stempel musternd, hinzu.

Da wendete sich die Cille nach ihr um, mit der einen dürren Hand stützte sie sich auf die Tischecke. Sie schien sich aufrichten zu wollen, aber ihr Blick blieb am Boden haften und in ihrer steifen, aufrechten Haltung war nur Demut und Gedrücktheit.

»Von dem Herrn wird er sein, der Brief, von dem Stadtherrn, der vor Wochen mit dem Jacki am Rothorn gewesen ist,« sagte sie mit heiserer Stimme.

»Von dem?« fragte erstaunt die andre. Sie sah auf und die Cille groß an; ein Zug von Strenge kam in ihr Gesicht, jeder Muskel spannte sich seltsam; dann war es, als straffte sich die ganze Gestalt, selbst über die vollen Arme, deren Muskeln hart waren wie die eines Mannes, lief eine Bewegung, als zöge Sehne um Sehne sich fester. So sah der und jener vom Isengrund die Clari-Marie manchmal, wenn sie seinem Weibe eine schwere Hilfe leistete. Sie erbrach den Brief; aber noch ehe sie lesen konnte, fuhr die Cille zu sprechen weiter.

»Ich habe ihm von dem Jaun gesagt, dem Herrn.«

Die Clari-Marie sah sie gerade an, immer an.

»Er – er hat doch gesehen damals, wie der Jaun gefallen ist – da – da im Gang,« fuhr die Cille fort. Obwohl sie sich nicht regte, war es, als winde sie sich unter den Blicken der Schwester. »Ob er in der Stadt nichts für ihn weiß, habe ich ihn gefragt,« stieß sie endlich hervor, als die Clari-Marie noch immer schwieg.

Nun las diese den Brief. »Da,« sagte sie nachher und legte ihn der Cille hin, »mach's mit ihm aus.« Als wäre nichts Neues geschehen, fing sie an, sich in der Stube zu schaffen zu machen.

Auch die Cille las; sie setzte sich an den Tisch nachher und sann nach. »Was meinst?« fragte sie nach einer Weile.

»Ich?« gab die andre zurück, »ich sage kein Wort dazu. Machen kannst, wie du willst!«

»Er paßt nicht da herauf,« sagte die Cille in demselben gequälten Ton, in dem sie schon lange sprach. Die andre ging schweigend ab und zu. »Er hat Freude, etwas zu lernen,« hob jene wieder an; und wieder gab die Clari-Marie nicht Antwort. Da nahm die Cille den Brief von neuem aus und las ihn und las, daß Friedrich Kirchhofer, der Apotheker von St. Felix, der Clari-Marie schrieb:

»Eure Schwester sagt, daß Jaun, der Bub, beim Lehrer vom Isengrund und beim Pfarrherrn wacker gelernt hat. Ich kann einen Burschen brauchen, der mir Gehilfendienste leistet, nebenbei will ich den Buben hier einen Unterricht besuchen lassen, der ihn weiterbringt. Wenn er recht tut, kann er hier etwas Rechtes werden.«

Sie staunte noch in das Briefblatt hinein, als die Clari-Marie plötzlich zu ihr hintrat, ganz nahe, und mit ihrer harten Stimme sagte: »Hast daran gedacht, daß du ihn in eine Stadt geben willst! Weißt doch, wie sie in den Städten sind, vergnügungssüchtig, lau; an den Herrgott denkt keiner! Wer weiß, ob er dir nur in die Kirche kann, der Jaun, in dem St. Felix!«

Die Cille saß, den Kopf in beide Hände gestützt, und starrte vor sich hin.

»Hast daran gedacht,« fuhr die Clari-Marie fort, »daß der Vater und die Mutter nicht lang mehr da sein werden? Du und ich, wir sind keine große Gesellschaft.«

Die Cille legte die langen hageren Arme auf den Tisch. Die Finger griffen ineinander und wanden sich. »Meinst, ich lasse ihn gern fort?« sagte sie, und es klang, als ob sie engen Atem hätte. Die Clari-Marie wandte sich ab und ging. Da erhob auch die andre sich, den Brief steckte sie ein.

Dann kam die Zeit des Frühbrots. Die Clari-Marie holte die Alten aus ihren Schlafstätten; derzeit saß und aß und ging die Cille wie in einem Traum. So in einem Traum, grübelnd, für und wider wägend verbrachte sie den Tag. Der Tag war aber lang für eine wie sie, die die engen vier Wände nur selten verließ, seit – nun – seit etwas in ihrem Leben – knack – entzweigegangen war. Drei-, vier-, fünfmal kamen Leute der Clari-Marie wegen. »Jesses, der kleine Bruder will sterben, sie soll kommen, die Clari-Marie!« So drängte ein Bub, der atemlos in die Stube hereinfuhr! Und die Clari-Marie ging und war noch nicht zurück, als die nächste kam, ein altes Weib: »Sagen habe ich wollen der Clari-Marie, daß ich wieder laufen kann, seit sie mir das Einreibzeug gegeben! Danken habe ich ihr wollen.« Und ein dritter trat ein: »Auch gar nichts anzuziehen haben wir dem Kind zur Taufe am Sonntag und – und – fragen möchte ich die Clari-Marie, ob sie nicht ein Jäcklein hat, ein gestricktes?« Mit ähnlichen Anliegen kamen der vierte und fünfte. Aber das machte den Tag nicht kürzer, das war nicht neu, geschah so jahraus, jahrein, solange nun die Clari-Marie schon die Barmherzige vom Isengrund war.

*

Am Nachmittag war es und zu einer Stunde, da die Clari-Marie soeben von einem Ausgang nach Hause kam, daß die Furrerkinder ins Haus gefahren kamen, wild wie ein Wirbelwind und lachend.

»Hoho,« schmälte die Clari-Marie, die jetzt ihr Kopftuch ablegte und sich an den Tisch setzte, wo ihr ein Krüglein Milch bereit stand; ihr Gesicht war aber hell trotz ihres Schmälens. »Woher kommt ihr?« fragte sie.

Der Furrerbub, der Hansi, gab Bescheid, und seine hellbraunen Augen glänzten und leuchteten zur Rede. »Von der Schule kommen wir, daheim ist niemand, der Vater und die Mutter sind um Holz aus talab!«

»So sind wir halt hergelaufen,« ergänzte die kleine Severina, das feine Kind, das der Rottalbäurin schmales Gesicht hatte und ihre schönen glänzenden Augen, aber alles viel anders, so daß sein Gesicht gegen das der Mutter war wie ein Kunstwerk gegen eine Stümperarbeit.

Die Clari-Marie aß und hieß die Kinder sich setzen. »Seid ihr recht gewesen in der Schule?« fragte sie.

»Ja, ja,« lachte der braune Hansi. Dabei fiel sein Blick hungrig auf das Brot, das auf dem Tisch lag. Auch die Severina hing ihre dunkeln, heißen Augen daran. »Gebt uns auch etwas zu essen, Base,« platzte der Hansi plötzlich heraus. Er lachte dazu, aber aus seinem Blick, der klar und ehrlich war wie der lichte Tag, leuchtete es wie Gier.

»Jesses,« sagte die Clari-Marie; sie sah den Hunger in den Augen der Kinder. Schmalwangig waren die immer gewesen; aber dann – ihre Mutter war es auch und ihr Vater war dürr wie einer; daß sie hungern könnten, war ihr nie eingefallen. Erregung verschlug ihr den Atem.

»Habt ihr denn nicht gegessen?« fragte sie, »zu Mittag gegessen, meine ich?«

»Schwarzen Kaffee gibt es daheim am Morgen,« sagte der Hansi. »Weil wir zum Mittag nicht haben heimgehen können, hat uns die Mutter Brot mitgegeben.«

»Aber ich habe meines schon am Morgen gegessen,« fiel die Severina geschwätzig ein.

Die Clari-Marie schnitt zwei mächtige Stücke Brot für die Kinder, dann stand sie auf, ging hinaus und kam wieder mit einer Schüssel Milch, die setzte sie auf den Tisch und legte zwei Löffel hinein. »Jetzt esset,« sagte sie.

Die Kinder aßen und schwatzten und lachten; sie weckten den Ziegler und sein Weib, die aneinander gelehnt am Ofen geduselt hatten.

»Des Trinis Kinder,« sagte der Ziegler, den Hals vorgestreckt. »Und sagt keines ›Tag‹,« schalt er halb ernsthaft, halb mit gutmütigem Lachen.

»Jere-ja,« jammerte sein Weib, »wer denkt an uns?«

Da hatten die Kinder die Schüssel geleert und kamen vom Tisch weg zu den Alten, setzten sich neben sie auf die Ofenbank, sagten das »Tag« und trieben Scherz und staunten verstohlen in die greisen, lederfarbenen Gesichter.

»Warum habt Ihr so kleine Augen, Großmutter?« fragte die Severina und tippte der Zieglerin in die vertrockneten Augenwinkel; es war etwas, was das Kind immer tat, wenn es die Alte sah. »Ihr seht ja nichts mehr,« lispelte es ängstlich.

»Jere-ja,« sagte das alte Weib und dann rann es wie zwei dünne Wässerlein aus den halberstorbenen Augen. Darauf saßen sie alle einen Augenblick ganz still, der Ziegler hatte den Hansi, sein Weib das Mädchen bei der Hand; so waren sie eine seltsame Gruppe. Der Ziegler, der fast ertrank in seinem rauhen weiten Anzug, das Weib mit dem kleinen Kopf und der Gestalt, die nur ein Bündel brauner, zertragener Kleider schien, auf der andern Seite der zwölfjährige Bub, groß, schlank, von zähen Gliedern, das Haar kraus und stark, eine weiße Strähne mitten darin, die Wangen aber schlaff und fahl, wie sie in den dumpfen, niederen Stuben sich färben. Der Hansi trug ein enges, verschlissenes Gewand, Knie und Wade hatten der Hose ihre Form gegeben, wo der nackte, in der Holzsandale steckende Fuß heraustrat, hingen die Fetzen herab. Die Severina, die sechsjährige, die im ersten Jahr in die Schule ging, hatte den rotbraunen Rock schon vor zwei Jahren getragen; er reichte kaum über die Knie, das Loch, das über der Ferse im rauhen grauen Strumpfe saß, hätte er doch nicht zu decken vermocht. Aber die Severina war eine, wie sie in feine Kleider unter Stadtleute passen, eine mit weichen Gliedern und Zügen wie die Elfenbeinenglein, die sie zu Einsiedeln feilhalten.

Der Severina wurde zuerst die Zeit am Ofen lang; sie schoß plötzlich von der Großmutter weg und der Cille nach, die nach der Küche ging. Da stand auch der Hansi auf, steckte die Hände in die Taschen und drückte sich an den Wänden hin, ins Leere staunend.

»Willst mit?« fragte die Clari-Marie, und nahm ihn mit nach der Werkstatt hinüber.

Es war nah an Dunkelwerden, als die Kinder mit dem Schulzeug vom Hause weg- und heimschritten. Die Clari-Marie stand in der Haustür und schaute ihnen nach. Als sie um die Ecke verschwunden waren, trat sie in den Flur zurück. Die Cille stand hinter ihr. Zu der sagte sie plötzlich: »Wenn er fortgeht, der Jaun, bei Gott, ich – wir nehmen die zwei in Kost, den Hansi und das Kind!«

»Die im Rottal werden froh sein,« sagte die Cille bitter. Dann wendete sie sich der Stube zu. Hier sah sie geraume Zeit später von einer Arbeit auf, die sie zur Hand genommen. »Ich will ihn schicken, den Jaun – nach St. Felix,« sagte sie plötzlich zaghaft zur Clari-Marie. »Es ist mir – ich soll.« Es klang noch wie eine Frage. Die Clari-Marie aber gab keine Antwort.

*

Jaun Ziegler, der Bub, saß an diesem Tage im Bohnenwald oben bei den Dorfziegen. Sonst hütete diese des Jeretönis Bub, einer der ärmsten im Isengrund, der hatte heute eine Abhaltung; so war der Jaun dazu gekommen, den sie gern da und dort zur Aushilfe holten, weil er es umsonst tat und weil es hieß, daß er immer Zeit hätte. Der Bohnenwald war der Baumkranz, der um den kahlen, weißen Schädel des Rothorns lief. Ob den Schroffen hob er an, deren Fuß der Vierländersee netzte, und reichte weit ins Tal hinein, bis wo das öde, schmale Hochalptal zwischen die Rothorngruppe und die Wildstöcke hineinschnitt. Unter dem Walde lagen die Weiden, unterhalb der Weiden, tief im Grund, stand das Dorf und rann der Alpbach. Am Waldsaum, auf einer Bergrippe, lag das Rottalhaus, und in einer Lücke des Waldes, auf vorspringendem Fels, stand die Scharfegghütte, dem Wipfli, dem Strahler, seine Behausung. Aber der Jaun hütete unterhalb der Stämme, die den Fuß dieses Felsens umstanden. Die Sonne warf Gold über Gold an die graue Felsbrust, weißes Mooswerk leuchtete wie Flammen, warmer Schein lag so über den Stein gegossen, daß es schien, als rinne sanftes, goldklares Wasser wellenlos und still über ihn nieder. Auf den grünen Tannennadeln lag es heiß, auch Jauns unbedecktes langes Haar glänzte. Der Bub hatte ein altes Buch mit losen Blättern auf dem Knie liegen, ein Papierfetzen lag darauf, mit einem Bleistift malte er in gerader, schöner Handschrift ein Wort nach dem andern darauf. Seine Ziegen verloren sich hinauf unter die Waldstämme. Er trug eine schwarze Hose, vom Pfarrherrn ererbt, von der Cille zurechtgeschneidert, eine gleichfarbige Weste hing ihm schlapp und offen an beiden Seiten nieder, lose saß ihm das Hemd; die gelbweiße Brust schimmerte hindurch, wo es vom Halse abwärts offen stand, blutlos und bleich wie diese waren der hagere Hals und die spinndürren Beine, wo sie nackt aus der dunkeln Hose ragten.

»Tag,« sagte ein Stimmlein hinter dem Jaun. Er wendete langsam den schmalen Kopf, seine kohlschwarzen Augen suchten mit dem halb schläfrigen, halb zerfahrenen Blick irgendwo in der Walddämmerung. Als dicht über ihm die Gisler-Claudi, das Buckeli, am Felsen vorbei zu ihm hinabgeklettert kam, fuhren seine sonderbar hochbogig geschwungenen schwarzen Brauen zusammen.

»Tag,« sagte er verdrossen und bückte sich wieder über sein Papier.

Das Buckeli setzte sich und rutschte neben ihn, ohne weiter zu reden. Ein Holzbündel rollte ihr nach, blieb aber dann ein Stück über ihr liegen. Das Mädchen zog die nackten braunen Beine unter den dünnen, armseligen Rock, schlang die Arme um die Knie und sah in den sonnigen Talgrund hinab, sah dann nach den östlichen Bergen, deren Ränder, wo der Himmel sie grenzte, silberne Säume trugen; dabei drückte es die braunen, großmächtigen Augen um ein weniges zusammen, daß sie waren wie die andrer Leute; ganz zuletzt drehte sie sich nach Jaun, dem Buben, um. »Was machst?« fragte sie.

Er tat, als hörte er nicht. Sie aber lehnte sich ohne Scheu an ihn, so daß ihr kleines, festes Kinn sich an seinen Arm drückte, und buchstabierte leise an seiner Schreiberei herum.

»Du, das kann ich nicht lesen,« sagte sie endlich.

»Lateinisch,« sagte er; es klang nicht mürrisch, nur gleichgültig; dabei sah er vor sich in den Grasgrund.

»Wie der Pfarrer bei der Messe redet?«

»Ja.«

»Du?« begann das Claudi wieder, so von der Seite her, »wirst du auch ein Pfarrer?«

Da sah er sie an, spöttisch und überlegen lachend: »Nein,« sagte er.

»Was dann?« fragte sein Quälgeist.

Er steckte die Schreiberei ein, gähnte und sah auf den Grasgrund; Bescheid gab er nicht.

»Ein Strahler kannst nicht werden,« hob die Claudi gleich nachher wieder an.

»Warum?« fragte er.

Sie schaute auf seine Spinnenbeine. »Warum bist auch so elend?« fragte sie, statt zu antworten.

Er schwieg dazu, und dann war es still zwischen beiden.

Die Claudi sprach zuerst wieder. Sie schaute wiederum dort hinaus, wo hinter der Kirche vom Isengrund nur blaue, sonnenzitternde Luft war.

»Dort sind Städte, sagt der Vater,« hob sie an; dabei wies die rauhe Hand in die Blauluft hinaus.

Der Jaun murrte etwas, das ein Ja oder ein Nein sein konnte.

»Um in einer Stadt zu leben, braucht einer nicht stark zu sein,« sagte die Claudi, und nach einer Pause, während der der andre sein Vorsichhinstaunen nicht ließ, »du, – wolltest nicht in einer Stadt sein, du?«

»Doch,« sagte er da, dann war es, als lebe er auf. »Der Lehrer, weißt, der Tresch,« sagte er halb obenhin, halb wärmer werdend, »der hat in der Stadt gelernt. Ein Lehrer – so einer wie der Tresch möchte ich schon werden in einer Stadt.«

»Du darfst aber nicht, gelt?«

»Nein!« Er schnaufte, und beim Schnaufen zitterte ein Seufzen mit.

»Wegen der Clari-Marie, gelt?«

Darauf antwortete er nicht.

Das geschwätzige Kind fragte weiter: »Ist sie eine Böse, gelt?«

Aber er wendete sich, ohne Bescheid zu geben, ab, stand auf und stieg den Ziegen nach.

Das braune kleine Ding saß noch eine Weile blinzelnd in der Sonne, ein sonderbares Häuflein Menschenleib, die Brust zusammengeschoben, den Rücken hoch, den Hals kurz. Das Gesicht war rund. Die braunen Haare, die eine rohe, braunrote Schnur von der Stirn zurückhielt, fielen mit den sich leicht ringelnden Spitzen weich auf den verwachsenen Rücken. Nase und Mund waren zierlich und klein, die Stirn stand vor, darum lagen die Augen, über die die Brauen ebenmäßig hingezeichnet standen, tief im Kopf. Sie blickten scheu und doch neugierig, traurig und doch keck, klug aber vor allem.

»Claudi!« kam der langgezogene Schrei einer Männerstimme hoch aus dem Walde herab. Da krabbelte das Kind sich auf die nackten, erdbraunen Füße, hockte sich das Reisigbündel auf, jauchzte ein »Ja – a« hinauf in den Wald und stieg in der Richtung davon, aus der der Ruf geklungen hatte.

Jaun, der Bub, trat aus den Waldstämmen, als die Claudi weit rechts von ihm darunter verschwand. Er ging an die Stelle zurück, wo er vorher gesessen, streckte die dürren Glieder und sann, sann über die Städte, die talzu im Blauen lagen, und daß es dort besser wäre als unter den Steinen im Isengrund. Und als er an dem Tag heim kam, sagte die Cille ihm das Große und Neue an:

»Nach der Stadt kommst jetzt, Bub, nach St. Felix. Der Herr will dich nehmen, der Apotheker.«


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