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5

Das war am Vorabend, ehe Jaun, der Bub, vom Isengrund fort sollte nach der Stadt. Die Cille kam aus seiner Kammer und hatte seine Habseligkeiten in eine Kiste gepackt, sie war bleich, erregt; es mochte vom vielen Bücken sein. Auch plagte sie Unruhe; denn sie ging aus der Stube in die Küche, aus der Küche wieder in die Stube, und so hin und her, und nirgends hatte sie groß Arbeit. Zweimal lief sie noch gegen die Werkstatt hinüber, wo die Clari-Marie mit dem Töni an der Arbeit stand, kehrte aber halben Weges wieder um, als reue sie etwas. Beim drittenmal trat sie dort auf die Schwelle.

»Was ist?« fragte die Clari-Marie; zum Zusehen kam die Cille nicht herüber. Diese winkte mit den Augen, daß der Töni nicht zu hören brauche, was sie zu sagen habe.

»Was ist denn?« fragte die andre noch einmal, ein wenig ungeduldig, trat neben die Schwester auf die Schwelle und klopfte den Staub aus dem Gewand. Die Cille drehte dem Werkstattinnern den Rücken.

»Allein kann er nicht gehen, der Bub! Es muß ihn eines hinbringen,« sagte sie.

»So geh doch!« sagte die Clari-Marie.

»Willst – willst nicht –«

»Ich?« unterbrach sie die Clari-Marie, »wenn's ums Leben geht, gehe ich in die Stadt, sonst aber nicht!«

Die andre schwieg. Es schien, als verlange sie nach einem guten Wort. Endlich stammelte sie: »Er muß es recht bekommen, der Bub, er hat ja jetzt wieder geschrieben, der Herr, er –«

»Ja, ja, es wird wohl sein,« sagte die Clari-Marie langsam, gleichgültig, wandte sich und ging an die Arbeit zurück.

So ging nachher die Cille und legte oben in der Kammer des Buben auch noch Kopftuch und Schirm für sich selber zurecht und stand und preßte die Hand vor die platte Brust und hatte ein Gefühl von Schwindel und Bangigkeit; viel kam auf einmal, viel für den langsamen Verstand einer, die zeitlebens im Isengrund gesessen: der Bub ging fort, und in die Stadt sollte sie, sie, die noch in keiner Eisenbahn gesessen und nicht mit Leuten umging!

Der Abend rückte weiter. Als es dunkel war und die Abendmahlzeit hinter ihnen lag, saßen alle, die Alten, der Jaun und der Töni, die Cille und die Clari-Marie, um den Tisch und beteten. Das taten sie immer, wenn just nichts zu besprechen war.

»So wollen wir noch eine Zeitlang beten,« sagte die Clari-Marie immer; immer war sie es, die daran erinnerte, und dann betete sie mit ihrer tiefen, festen Stimme das »Vaterunser« und den englischen Gruß, und die andern murmelten nach. Ging einer hinten an der Haustür vorüber, konnte er es hören: eintöniges Murmeln vieler Stimmen, und immer wie ein Führer vorauseilend die eine, die der Clari-Marie, stark, ruhig, mit einem Tonfall, der nichts mit dem Leiern gemein hatte, das manchmal in der Kirche ging, wenn sie den Rosenkranz hersagten. Plötzlich und nicht wie eine, die sich schläfrig gebetet, hörte die Clari-Marie auch wieder auf. Während ihr Amen laut und kurz abbrach, erstarb das Murmeln der andern wie Windwehen. Dann hob jene die zwei alten Menschen, einen nach dem andern, auf wie immer und brachte sie zu Bett, wie man Kinder schlafen legt. Just am heutigen Abend fiel ihr ein, daß sie wie für Kinder sorgte. Als sie den Vater nach der Kammer trug, sagte sie mit einer Stimme, die weicher als sonst klang:

»Habt Ihr mich auch einmal so gehalten, Ihr – Vater?«

Und der Ziegler erwachte noch einmal aus halbem Schlaf und streckte den Hals und eiferte:

»Meinen will ich es, so will ich!«

Als sie nachher aus der Nebenkammer zurückkam, hatte sich der Töni nach seiner Kammer getrollt. Jaun und die Cille saßen noch hinter dem Tisch; der Bub steckte schon in den Feiertagskleidern und erzählte der letzteren, wo er im Dorf gewesen war, um Abschied zu nehmen.

Stumm setzte sich die Clari-Marie zu ihnen; einen Augenblick sah sie vor sich nieder auf die Tischplatte, dann rückte sie näher zu den zwei andern, sprach nicht, sondern hörte nur, die Arme auf den Tisch gelegt, zu, was der Bub erzählte.

»Und der Herr Pfarrer?« fragte die Cille eben den Jaun, »was hat der gesagt?«

Der Bub zuckte die Schultern. »Glück hat er mir gewünscht wie die andern,« sagte er fast ungeduldig.

Da sah ihm die Clari-Marie ins Gesicht, gerade, scharf und streng. »Daß du mir in die Kirche gehst, da unten in St. Felix,« sagte sie.

Der Jaun duckte sich; er versuchte die Truttmannin wohl anzusehen, aber vor ihrem Blick senkte er scheu den seinen. »Ja, ja,« sagte er.

»Es ist denn noch nicht alles, wie es sein sollte, da unten in St. Felix, in den Städten überhaupt,« fuhr sie fort.

»Ja, ja,« machte der Jaun; dann blickte er mit seinen versonnenen Augen einmal links herum, einmal rechts herum in der Stube und drückte die verlegenen Worte heraus: »Ins Bett gehen will ich jetzt. Es – wir – wird noch früh sein, wenn wir morgen fortgehen.«

Er rückte den Stuhl und stand auf. Auch die Cille erhob sich; sie schien aufzuatmen, als sie aus der Nähe der Schwester kam.

Die Clari-Marie ließ sie gehen. Als sie schon der Tür nahe waren, kramte sie in der Rocktasche.

»Gute Nacht,« sagte Jaun eben.

»So komm – da,« sagte da die Clari-Marie und bot ihm etwas über den Tisch hin, etwas, in ein Stück Zeitungspapier eingewickelt.

Jaun kam ganz verlegen heran und griff zu. »Geld! Dank,« sagte er, und es flog eine Röte durch sein fahles Gesicht – Geld hatte er noch keines im Besitz gehabt.

»Etwas für dich auf die Reise,« sagte die Clari-Marie.

»Dank,« stammelte er noch einmal und lachte, die Freude leuchtete ihm aus dem Gesicht, und die Cille trat neben ihn und beugte sich über ihn; blitzähnlich ging ein Freudenschimmer auch durch ihre herben Züge, es war, als wallte etwas in ihr.

»Schau, was für eine Gute!« sagte sie, sagte es zu dem Buben und meinte es für die Schwester; aber an die wagte sich ihr Dank nicht.

Die Clari-Marie stand auf: sie strich mit den Händen ihr Haar am Kopfe glatt, war wieder aufrecht und von kurzer Art und drehte die Lampe aus, noch ehe die beiden andern aus der Tür waren. Dann ging sie schlafen.

In der Nacht wurde sie ins Dorf gerufen, aber am Morgen, als es Tag geworden war, kam sie zurück, noch ehe die Cille und der Bub wegfertig waren. Bis unter die Haustür gab sie ihnen das Geleit.

»Ade,« sagte der Jaun, der seine Siebensachen in einer Kiste auf der Rückengabel trug, und reichte ihr die Hand hin.

»Ade,« sagte sie und wiederholte: »Hast gehört, geh fleißig in die Kirche da unten.«

Aber der Bub hörte nur noch halb; er trottete schon vom Hause weg.

»Ade,« sagte auch die Cille, knüpfte das Kopftuch fester und nahm den Schirm unter den Arm, dann schritt sie mit langen und langsamen Schritten, die ihren Körper wie den Stamm eines hohen Baumes wiegen machten, dem Buben nach.

Die Clari-Marie ging in die Stube; von einem der Fenster sah sie wegauswärts und sah den beiden nach, wie sie auszogen. Es war ein trockener Nebeltag, der Himmel war schwarzgrau, und rings ob den Bergen standen tiefblaue Linien; die Luft war still und kalt.

Trotz der frühen Stunde trat der Löwenwirt unter die Haustür, als der Jaun und die Cille vorbei schritten. »So, geht ihr jetzt? Ade!« grüßte er.

»So, ade,« sagte auch ein Knecht, der ihnen ein Stück weiter drüben zwischen Dorf und Kirche begegnete. Er war der letzte vom Isengrund, den Jaun lange Jahre sah. Eine Viertelstunde später stiegen sie den Felsenweg hinab, der zum Seeufer führte.

Die Clari-Marie hob zu Hause indessen ihr Tagewerk an. Die beiden Alten holte sie aus ihrer Kammer und richtete das Morgenbrot für sie und den Gesellen, der schon in der Werkstatt an der Arbeit stand.

»Jetzt ist er fort, der Jaun,« sagte der Töni, als er hereinkam.

Die Clari-Marie nickte stumm.

»Jere-ja, jere-ja,« jammerte die Zieglerin, »wir werden ihn schon nicht mehr sehen, den Bub.«

»Es ist, als seien viel mehr fort; ganz leer ist es im Haus,« sagte der Töni wieder, der schwer kauend am Tisch saß.

Der Ziegler schoß mit dem Kopf über die Tischplatte vor; die kleinliche Giftigkeit des hohen Alters war in seinen Worten und in seiner Stimme. »Warum hast ihn gehen lassen, den Bub,« eiferte er auf die Clari-Marie ein, »du willst auch alles anders, als –« Jäh brach er ab und zischelte nur noch heimlich in sich hinein.

Die Clari-Marie hatte ihn angesehen. Es war, als werde er kleiner oder verstecke sich in sein überweites Gewand, während sie den Blick auf ihm ruhen ließ. Dann sah sie der Reihe nach auch die beiden andern an. »Da hat die Cille zu befehlen,« sagte sie. Aber als sie darauf hinausging, in Küche und Kammer hantierte und später in der Werkstatt mit Hand anlegte, wußte sie doch, daß sie recht hatten: es war leer im Haus, als wären viele hinausgegangen; es war nichts Junges mehr darin und – und – zu viel Ueberzeitiges.

Der Töni brachte darauf den ganzen Tag sein Maul nicht zu von dem Jaun; er hatte Tage, an denen er ein Waschweib war, der Töni. Die Zieglerin hatte ihre böseste Zeit, sie kam aus dem Jammern nicht heraus, und der Ziegler giftelte zwischen Rauchen und Schlafen: »Warum hat er fort müssen, der Jaun!«

Als die Clari-Marie gegen Abend fortging, nach einer Wöchnerin zu sehen, hieß sie den Töni auf die beiden Alten achthaben. Der ging bald nachher nach der Stube, einmal weil es ihm geboten war, dann auch, weil ihm die Arbeit nicht eilte, wenn die Meisterin nicht in der Nähe war. Er kam herein in seinen Schlappschuhen, nur in Hose und Hemd; nach den Alten, die am Ofen duselten, sah er erst gar nicht hin. Er nahm die Pfeife aus der Hosentasche, stopfte sie und nahm sich die Streichholzschachtel vom Gesims.

Da erwachte der Ziegler und fragte: »Ist sie fort, die Clari-Marie?« Er fragte leise und blickte scheu nach der Tür dabei.

»Ja,« sagte der Töni, drehte sich um, lehnte sich an den Tisch und dampfte, dann spuckte er aus und sagte das wieder, was er zu reden den ganzen Tag nicht müde geworden war: »Ganz tot ist es im Haus, seit der Bub fort ist.«

»Jere-ja, nicht recht ist es, daß sie ihn fortgelassen hat, die Clari-Marie,« jammerte die Zieglerin, die sie nun auch wach hatten.

»Ja, es ist schon – die Cille hat es gewollt,« warf der Töni ein.

»Aber die Clari-Marie hätte ihn können heißen dableiben,« meinte der Ziegler.

Darauf der Töni: »Die redet kein Wort mehr, als sein muß.«

Und der Ziegler wieder: »Ja, ja, sie – ihr tut es schon nicht weh, wenn eines fehlt!«

»Die hätte auch ein Mannsvolk werden sollen!«

Als der Töni das mit polterigem Spotten hinsagte, fiel die Zieglerin wieder ein: »Sie ist gar eine Harte, die Clari-Marie.«

»Nicht einmal reden darf man, wie man will, wenn sie da ist,« fügte der Ziegler an.

Und sein Weib abermals: »Anpacken tut sie einen, daß es gerade weh tut!« Das dürre Weiblein schüttelte sich wie in körperlichem Schmerz.

So häuften sie ihren kleinen Zorn in einzelnen Scheiten zu einem Stoß.

Die sie aber schmähten, die Clari-Marie, trat um die Zeit in die niedere Stube eines blutarmen welschen Taglöhnerweibes, und das fand ihre Hand weich und ihr Wesen voller Barmherzigkeit. Sie kam nicht zu früh, für die Wöchnerin nicht noch für das vier Tage alte Wurm, ihr Kind.

Die Stube war zweifensterig, kahl, dumpf und schmutzig. Der Boden starrte von Unreinlichkeit, wie schwere Schuhe von der Straße sie hereintrugen, die ehemals weißgetünchten Wände trugen schwarzschmierige Stellen und solche, wo die nackte feuchte Mauer zutage trat. In einer Ecke stand ein Bett, in elenden Kissen lag dort das Weib, eine zerrissene Wolldecke wärmte sie. Wie weiland Moses im Schilfkorb lag in einem Korbbett das Neugeborene, aber der Korb war zerrissen, halb faul, Lumpen hüllten das Kind ein; in Lumpen lag es. Die Clari-Marie kam herein, sagte ein »Tag«, fragte das Weib, wie es ginge, und kramte in dem kleinen Korb, den sie mitgebracht hatte. Das Kind schrie; es mochte lange geschrien haben, denn es war heiser. Das Weib stöhnte, dann durchlief ein Schauer ihren verfallenen Leib.

»Der – der Mann – arbeitet nicht, er – er hat getrunken – das Kind feiert er, sagt er, und – die Nachbarin, die mich besorgt hat, ist wegen ihm fortgelaufen.«

Die Clari-Marie sah sie an, gerade, streng. »Ihr habt versucht, aufzustehen,« sagte sie.

Die andre nickte. »Ich – ich – muß,« wollte sie stammeln.

»Narrheit,« sagte die Clari-Marie; das klang hart. Aber derweilen trat sie zu dem Weibe und legte ihr die Hand auf die Stirn; jene war rauh, aber irgendwie wurde eines sonderbar ruhig unter ihrem Griff. Nun trat die Clari-Marie an den kleinen Eisenherd, der in einer Stubenecke seinen Platz hatte, sie fachte Feuer an und setzte Milch zu, die sie von einem der schmierigen Gesimse holte. Das Kleine wimmerte. »Schreit es schon lang, das Kind?« fragte sie.

»Ja,« gab das Weib zurück, und ihr fahles Gesicht zuckte, als ob sie ein Flennen ankäme. »Es hat ja keine Nahrung bekommen. Der Mann flucht, weil – weil ich – weil er Milch kaufen muß.«

Die Clari-Marie gab keine Antwort; sie nahm sauberes Gewandzeug, das sie dem Körbchen entnommen hatte, ging und wickelte das Kind; nachher gab sie ihm zu trinken und legte es wieder nieder. Dann besorgte sie die Frau. Aber noch während ihrer Arbeit polterten draußen Schritte auf der Holztreppe, dann torkelte einer gegen die Tür und stieß sie auf.

Der Mann stand auf der Schwelle, ein langer, baumstarker, im schmutzigen Gewand, in schweren Rohrstiefeln. Er gröhlte: »Bravo, Kleines!« Und nach dem Korbbett winkend, gluckste er.

Die Frau zuckte der Clari-Marie unter den Händen, mit der hageren, zitternden Hand strich sie eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht.

Da stolperte jener über die Schwelle und auf das Kind zu; er langte in den Korb hinein. Aber plötzlich stand die Clari-Marie hinter ihm. Sie faßte ihn von hinten an beiden Armen und schob ihn der Tür zu. Mit dem dunkeln Kopf reichte sie ihm nur wenig über die eckigen Schultern, aber er hatte nicht einmal Zeit, ihr Widerstand zu leisten. Hinter sich zog sie die Tür ins Schloß und stand ihm auf dem schmalen Treppenvorplatz gegenüber.

»Wenn Ihr die Frau und das Kind umbringen wollt, müßt Ihr so weiter trinken und hineingehen und lärmen,« sagte sie. Sie sprach nicht laut, aber der Säufer duckte sich sichtlich vor ihr. Einen Augenblick starrte er sie an. Sie maß ihn. »Schämt Euch,« sagte sie, und Entrüstung und Verachtung sprachen aus ihrer Haltung fast mehr als aus ihrer Rede. Der Mann murrte etwas, dann drehte er sich ab. Sie sah noch, wie er sich auf die Stufe der Treppe setzte, als sie ins Zimmer zurücktrat. Dort saß er noch, als sie eine Weile später nach Wasser ging, saß und flennte Säufertränen. In der Stube aber wurde alles sonderbar friedlich. Das Weib lag ganz still, die Augen an der Decke. Nur manchmal folgte ihr Blick der Clari-Marie. Das Kleine wimmerte noch immer; da nahm die Clari-Marie es auf. Sie sang leise und schritt mit ihm in der Stube auf und nieder. Es beruhigte sich, aber die Clari-Marie machte nicht Miene, es hinzulegen. Sie schritt auf und nieder und wiegte es, ihr Schritt war nicht leicht, die Wöchnerin spürte es in ihrem Bett, wie fest sie auftrat; verstohlen folgte sie ihr mit den Augen und wunderte sich, daß die Vielgeschäftige so lange blieb. Hin und her, her und hin ging sie; das Weib spähte scheu auf die breite, feste Gestalt, auf deren Armen das kleine Wurm wie ein Strohwisch war, nach ihrem dunkeln dünnen Haar und dem fast eckigen Schädel, und dann und scheuer nach dem gelblichen Gesicht mit den Säcken unter den Augen.

Die Clari-Marie vergaß sich selber. Wenn sie gegen die trüben Fenster schritt, ging ihr Blick ins Freie, Leere hinaus und die Gedanken gingen ihr mit. Es tat ihr wohl, das Kind auf dem Arme zu haben, nicht weil ihr die kleine Hilflosigkeit lieber war denn andre, nur weil – weil es ein junger Mensch war und – weil ihr, der Clari-Marie, sein wollte, als sei heute aus ihrem Leben ein junger Mensch gegangen, um nicht zurückzukommen.

Nach einer Weile, während der weder sie noch die Wöchnerin gesprochen hatten, stand sie mit einem Ruck vor dem Korbbett des Kindes still und legte es hinein; es war fast, als sei sie plötzlich erwacht. »Es schläft jetzt gut genug,« sagte sie zu dem Weibe und trat zu ihr. »Ich schicke Euch Suppe! Jetzt schlaft Ihr auch!« befahl sie dann.

Die andre stammelte ein paar Dankworte und brachte den Blick noch immer nicht von ihr. Etwas in der Kürze der Clari-Marie richtete sie auf; was, wußte sie nicht; sie wußte nur, daß es wie frische Luft ins dumpfe Zimmer gekommen war, seit jene da war.

Die Clari-Marie suchte ihren Korb zusammen. »Wenn Euch etwas fehlt, schickt den Mann, und wenn er nicht recht tut, sagt es mir; ich fürchte mich nicht so geschwind!« sagte sie noch, fügte ein trockenes »Ade« hinzu und stand auf der Schwelle. Und als der breite Rücken in der Tür verschwand, fiel dem Weibe im Bett ein Vergleich ein, der drollig war, wenn die Himmelsboten schlanke, elfenhafte, beflügelte Gestalten sein sollen: ›Wie ein Engel ist sie eine,‹ durchzuckte es die Wöchnerin, und sie hatte dieses Wort vorher von der Nachbarin gehört, die eine Schar Kinder besaß und die Clari-Marie kennen gelernt hatte.

Und daheim hatten sie die Clari-Marie geschmäht!

Auf der Treppe hockte noch der Taglöhner und schlief; die Clari-Marie mußte dicht an ihm vorbei, und als wecke ihn die Scheu vor ihr, fuhr er auf, als sie an ihm vorübertrat. Er staunte sie an und wurde fast nüchtern. Als sie zwei Stufen tiefer stand, raffte er sich auf. Dann wandte sie sich und sah, daß er bei Sinnen war.

»Jetzt,« sagte sie ruhig, mit einem Ton von Güte in der Stimme, »seid vernünftig! Geht schaffen und macht der Frau Freude statt Kummer!«

Er gab keinen Bescheid; sie wartete auch nicht darauf. Er sah ihr mit weit aufgerissenen Augen nach und setzte den Filz auf, der ihm vom Kopfe geglitten war. Aber als sie aus der Haustür trat und unwillkürlich noch einmal zurückblickte, zog er unbeholfen und tief den Filz noch einmal vom Kopf, so wie einer linkisch und schwerfällig und scheu einen großen, einen ganz großen Herrn grüßt.


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