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6

Die Cille war wieder daheim und erzählte. Die Lampe brannte an der niederen Diele, ihr Schein spann Kreise wie Wasserringe auf dem Getäfel und auf der Wachstuchdecke des Tisches, mit schwerfällig aufgestützten Armen und vorgeneigten Körpern hockten die Zieglerischen am Tisch und hörten der Cille zu. Der Töni, der Gesell, hatte die Pfeife im Mund und saß hemdärmelig da, zuweilen brach in die Rede der Cille ein Schmatzen; der Töni sog an der Pfeife wie das Kind an der Milchflasche, aber er hörte eifrig zu und nickte zuweilen beifällig; er war vor vierzig Jahren in einer Stadt gewesen und meinte sich selber durch ihre Straßen gehen zu sehen, während die Cille erzählte. Diese saß zu Häupten des Tisches, steif, aufrecht, so daß ihr Oberleib wie eine herbe, zum Tisch gehörende Schnitzverzierung an seinem Ende stand. Ihr hageres Gesicht schien bleicher als sonst; die Brauen waren nah zusammengerückt, so daß der Blick düster darunter hervorstach und wie feindselig ein Gesicht um das andre streifte, nur an der Clari-Marie ging er in einem demütigen Bogen vorüber.

»Jesses, ist das eine Reise gewesen,« erzählte die Cille. »Ganz dumm bin ich geworden von dem Fahren auf der Eisenbahn. Und fast verirrt hätten wir uns in dem Bahnhof da, in dem von St. Felix.«

»Wo wohnt er, der Apotheker?« fragte die Clari-Marie.

»Kirchgasse heißen sie's dort,« gab die andre Bescheid. Dann schilderte sie in ihrer wortsparenden Art Reise und Empfang bei Kirchhofer, dem Apotheker, weiter.

Ein Mann stand in der Ladentür der Hirschenapotheke, als sie ankamen, der Jaun und die Cille. Das zweite Haus links unten an der Gasse war's. Und die Gasse war dunkel; vier- und mehrstöckig standen die Häuser aus ihr auf, und fast schien es, als neigten sie sich oben gegeneinander, damit ja viel Schatten unten auf dem Pflaster und in den Laden der Krämer sei. Im Laden der Hirschapotheke brannte Licht, schon am mittagjungen Tag Licht! In der Tür stand der Mann. Der war alt, klein, hatte ein rotes, gesundes Gesicht, aber langes schneeweißes Haar, einen ebensolchen Bart und gleichfarbene Brauen; er steckte in einem schwarzen Anzug, der so sauber und fein war wie das freundliche, ehrwürdige Gesicht, so daß der Alte eine seltsame Schmuckheit an sich hatte. »Einer wie aus einer Schachtel war er,« sagte die Cille, beugte den Kopf nach vorn und wurde blutrot. Ganz so mit gebeugtem Kopf, alles Blut im Gesicht, war sie zu dem alten Herrn an der Apotheke getreten. Und der Alte war Kirchhofer, des Bergsteigers Vater. Leise lachend empfing er sie, streckte die Hand, die klein und verschrumpft war, erst der Cille hin und dann dem Jaun, tat dann die Tür des Ladens auf und hieß beide eintreten und tätschelte eines ums andre, wie sie hineingingen, auf den Rücken, wie um zu sagen: nur ruhig, nur ruhig. Er mochte gesehen haben, wie beide heimlich zitterten.

Hier warf die Clari-Marie wieder eine Frage dazwischen: »Wohnt er zu Haus bei dem andern, bei dem Jungen?« fragte sie.

»Er hat noch die Apotheke mit ihm,« antwortete die Cille, »aber nicht mehr lang, sagt er,« fügte sie bei. Dann fuhr sie von neuem fort: Daß es – jesses und jesses – wie schön sei bei den Kirchhofers! Daß sie Freude hätten an dem Jaun! Wie der es bekäme! Was er zu tun habe! Wie er ganz gern dort geblieben sei! Gut seien sie mit ihm, mit dem Buben! Der alte Herr besonders! Der habe in seiner Jugend eine Zeitlang in einem Alpdorfe gewohnt und hätte Freude, die Bergsprache wieder zu hören. Und – und – und –

Die Cille redete und erzählte. Die zwei Alten hatten längst die Arme schwer auf dem Tisch liegen und den Kopf noch schwerer darauf und schliefen; der Töni stand zwischenhinein auf, spuckte aus, suchte sich ein Streichholz, um seine Pfeife neu anzuzünden, vergaß das Wiederniedersitzen und ging endlich aus der Stube. So saß nur die Clari-Marie allein noch aufrecht und reglos da. Plötzlich gingen der Cille Gedanken und Worte aus. Sie stand auf; halb hatte sie das Gefühl, als verlasse sie just jetzt erst die Stadt, wo alles wirr und lärmig und eng war. Sie trat an eines der Fenster, tat es auf und sah die schweigsame Bergnacht an. Auch die Clari-Marie erhob sich, nahm wortlos und wie man ein Bündel aufrafft eines der schlafenden Ueberzeitigen am Tisch nach dem andern auf und trug es hinaus. Indessen stand die andre immer noch am Fenster, die Hand am offenen Flügel. Die Nacht der Talwände war schwarz, dort tief, undurchdringlich, dort wie von oben leise erleuchtet, daß ein paar Bäume an einem Hange erkennbar waren, daß eine Felsbrust wie bepanzert schimmerte, da, dort lag es wie bläulicher Schein, drüben, wo die Kirche stand, leuchteten rote Fenster in die Finsternis. Ueber den Bergen standen die Sterne.

Die Cille stand gerade auf und schnaufte; es war ein befreiender Seufzer; Jesses, wie war es eng in der Stadt! Dann schlug ihr plötzlich das Herz schneller, heiß überlief es sie. In der engen, fremden Stadt saß jetzt der Jaun, allein, weit weg!

»Und doch meine ich, es ist nichts für den Bub!«

Das sagte die Clari-Marie, die auf einmal hinter ihr stand, fügte es klar und geradeheraus und hart und ohne Umschweife, wie sie immer sprach.

»Warum?« fragte die Cille scheu. Dabei war es, als verlören die Muskeln ihrer Gestalt an Spannkraft, der Kopf bog sich wieder vornüber; die alte Last drückte ihr die Schultern.

»Er – das ist ja ganz anders in der Stadt –, wenn er wieder heimkommt, wird er sich hier nicht mehr zurechtfinden und vielleicht wir uns in ihm nicht!«

Eine Weile standen sie nebeneinander und blickten beide stumm aus dem Fenster.

»Denk nur,« sagte die Clari-Marie, »wie es jetzt in der Stadt zugeht, das rasselt und lärmt und treibt jetzt noch im Gewühl durch die Straßen und – hier ist es ganz still.«

Die Cille antwortete nicht.

»Und die Städter sind anders,« fuhr die Clari-Marie fort, »und werden ihn anders machen, weiß Gott, was sie aus ihm machen werden.« Sie trat jetzt in die Stube zurück und packte eine Arbeit zusammen, die noch aus dem Tisch lag. Dann ging sie hinaus. »Ich gehe schlafen,« sagte sie im Davongehen.

Die Cille sah über die Kirche mit den roten Fenstern hinaus nach dem fernen Axen hinüber. Hinter dem Berg und noch vielen lag die Stadt. Dort war der Bub, der Jaun! In dem Augenblick fragte sie nicht, ob es gut für ihn war, dort zu sein oder nicht. Nur an die endlose Weite, die er weg war, mußte sie denken. Es zuckte um ihren Mund, kurz, wild, als ob sie hastig etwas hinunterkaute. Dann schloß sie mit rascher Hand das Fenster. In ihren Augen war eine Röte, als ob sie darin gerieben hätte oder als hätte sie – aber bah, die weinen doch nicht, die herben Weiber vom Isengrund. Als sie nachher in die Kammer trat, die sie mit der Clari-Marie teilte, lag diese im Bett; aber sie wachte noch und hob den dunkeln Kopf aus den rotblumigen Kissen.

»Du,« sagte sie, »morgen will ich zur Trine ins Rottal hinauf wegen der Kinder.«

»Ja, geh,« sagte die Cille. Fast wäre es ihr auf die Zunge gesprungen: »Hol den Jaun wieder heim!«

*

Am andern Morgen stieg die Clari-Marie nach der Rottalhütte. Der Weg ging dort hinaus, wo man gegen das Rothorn stieg; aber am Waldsaum stand der Gaden des Furrer, des Bauern, und an ihm zweigte ein schmaler Fußpfad wagrecht ab, um die Bergkante herum in eine breite Schrunde, das Rottal, durch diese aber wieder hinauf zu einem großen, steinuntermauerten Holzhaus. Hier saß der Furrer. Wie zwei Wächter standen sie da, diesseits der wettergraue Gaden, jenseits das Haus mit dem hohen Schindelgiebel und den neu verschalten Wänden, aus denen die kahlen Fenster lugten. Zwischen Haus und Gaden fuhr im Winter die Laue nieder. Wenn sie lag, bis tief ins Frühjahr hinein, hatte der Rottalbauer eine Brücke nach seinem Heustall und nahen Weg.

Die Clari-Marie kam an den Gaden und sah jenseits der Schrunde den Rottalbauern und sein Weib mit schweren Tragkörben aus dem Walde herab- und dem Haus zu steigen. Es war Herbst, die Hänge gelbten, die vom Isengrund trugen Brennholz ein; die Hablichen kauften sich ihren Vorrat zusammen, die Armen bogen die Rücken krumm und lasen Heizung im Walde zusammen. Der Furrer und sein Weib zählten sich zu den Armen. Der lange hagere Mensch war mit seinem hoch mit Holz bepackten Korb wie ein Turm, der vornüber ins Fallen kommt und sich ruckweise immer wieder aufrichtet, die Furrerin aber sah aus, als müßte sie jeden Augenblick unter ihrer Last zusammenknicken wie das taumelnde Elend; aber zäh mit verbissenen Zähnen kam sie gegen das Haus niedergestiegen.

Die Clari-Marie rief sie nicht an, und jene achteten ihrer nicht. Sie stellten die Hutten ans Haus, klopften die schweren Schuhe an die Hausmauer, daß der Waldlehm abfiel, und gingen hinein. Eine Weile später trat die Clari-Marie ihnen nach durch die Tür und fand sie in der rauchschwarzen Küche, die mit einem halbblinden Fenster nah wie ein Kurzsichtiger auf die steil ansteigende Halde sah. Der Furrer hantierte an seinem Beil, das locker war, die Trine wusch den Melkeimer. Das Licht war so düster, daß die Clari-Marie Mühe hatte, zu unterscheiden, was sie taten.

»Guten Tag,« grüßte sie.

Sie sahen sich beide um und traten fast hastig gegen die Tür vor, als sei ihnen just in der Küche Gastung nicht willkommen. Die war auch nicht gastlich, soviel im Halbdunkel erkennbar war, sondern rußig, unsauber, ärmlich. Im brüchigen Steinherde fehlte das Feuer, obgleich es nahe an Mittag war.

»Komm doch in die Stube,« sagte die Trine, trat vollends aus der Tür und schob die Schwester einer gegenüberliegenden Kammer zu. Sie selber trat zuerst hinein, und als sie plötzlich im vollen Tageslicht stand, das durch eine Reihe weit in die Runde blickender Fenster quoll, war sie ein fadenscheiniges Weibswesen, nicht nur weil ihr Gewand zertragen und unordentlich war, der Leib selber und das dünne braune Haar und der schmale Kopf, alles war wie gespart; die Clari-Marie, die immer ernste, lächelte innerlich und heimlich, daß die Sparsamkeit der Schwester gleichsam aus allen Poren lugte.

»Setz dich,« sagte die Trine und schob ihr einen Stuhl zum runden Tisch, der in einer Ecke unweit der Fenster stand; sie selber ließ sich neben ihr nieder und konnte ein zufriedenes Aufseufzen nicht unterdrücken, als sie den korbmüden Rücken an die Holzlehne legte.

»Ihr seid im Wald gewesen,« sagte die Clari-Marie.

»Ja,« sagte die andre, der eine dünne Röte in die Wangen kam. »Es liegt so unbändig viel Holz im Wald, daß es eine Sünde –«

Der Bauer kam in dem Augenblick herein, und sie wandte sich zu ihm.

»Wäre es nicht – du – eine Sünde, meine ich,« sagte sie, »das Holz alles liegen zu lassen?«

»Natürlich wäre es,« gab er zurück und setzte sich zu ihnen, aber er rutschte auf dem Stuhl, wie einer, der kein Sitzleder hat, schielte nach einem Wandschrank in seinem Rücken, stand dann auf, machte sich daran zu schaffen und kramte ein halb abgenagtes Schafbein hervor und ein Roggenbrot. Beides legte er auf den Tisch.

»Essen können wir jetzt, während – während die Clari-Marie da ist,« sagte er, und obgleich er ganz ruhig und fast langsam sprach, lag es wie Hast in seiner Stimme und Reue über unbenutzte Zeit.

»So kommt ihr billiger zu Holz, als wenn ihr kauftet,« sagte die Clari-Marie halb spöttisch, halb zornig zu dem Bauern.

Der nagte am dürren Fleisch und sprach dazwischenhinein. »Es kann nicht billig genug sein heutzutage.«

»Und nichts Warmes habt ihr zu essen, bei der strengen Arbeit?« sagte die Clari-Marie mit offenem Mißfallen.

Die Trine fiel entschuldigend ein: »Es ist das Kochen nicht wert, wenn die Kinder nicht heimkommen.«

»Wir wollen nicht alles essen, was wir haben,« sagte der Bauer scharf, und irgendwie, während er und sein Weib die dünnen Scheiben des Fleisches abhackten und jede Brotkrume vom Tische austupften, lag es wie etwas verborgen Großes in der zielbewußten Art, mit der sie am eignen Leibe sich die behäbige Zukunft absparten.

Aber die Clari-Marie mußte an die hungrigen Gesichter der Kinder denken.

»Zuviel Sparen ist auch nichts,« zürnte sie. »Machet euch nicht selber zuschanden vor den Leuten.«

Die andern drückten an einer Gegenrede herum, fanden aber keine und kauten emsig ihr hartes Fleisch.

»Die Kinder kommen jetzt nicht mehr heim zu Mittag?« begann die Clari-Marie wieder.

»Nicht, seit Ganztagschule ist,« gab die Trine Antwort, »es ist nicht der Mühe wert, viermal den weiten Weg zu machen.«

»Ihr solltet sie in Kost geben,« sagte die Clari-Marie.

Aber der Bauer würgte blitzschnell einen Bissen hinunter, schoß einen wilden Blick zur Seite, als fluchte er heimlich in sich hinein, und sagte hastig: »Das fehlte mir noch. Es gibt gerade sonst genug zu zahlen.«

Er hatte es in seinem Wesen, gegen die Clari-Marie aufzumucksen, aber wenn er ihrem Blick begegnete, der klar und herrisch und lauter über ihn hinging, war er wie die andern und vergaß das Zornigwerden.

»Wißt ihr was,« sagte die Clari-Marie, »gebt die Kinder uns ins Haus zu Mittag.«

»Ja –« sagte die Trini mit Bedenken.

»Ja –« sprach der Furrer nach.

»Es kostet nichts, natürlich,« sagte die Clari-Marie. »Das muß man euch zweien noch besonders an die Nase binden,« fügte sie hinzu.

Die Furrerschen schwiegen beleidigt.

»Es ist zu still im Haus für uns, seit der Jaun fort ist,« sprach die Clari-Marie weiter.

Der Furrer legte sein Messer weg. Er kaute noch, aber er rutschte schon, als litte es ihn nicht mehr auf der Bank. »Ich muß wieder an die Arbeit,« sagte er.

Da begann die Trine den Tisch abzuräumen.

»Nun, was meint ihr?« fragte die Clari-Marie.

»Meinetwegen können sie wohl bei euch essen,« sagte der Furrer achselzuckend. Und die Trine drehte sich um, lachte mit blitzartiger Freundlichkeit und meinte: »Natürlich können sie, und gern genug werden sie kommen.«

»So schickt sie von morgen an,« sagte die Clari-Marie. Sie stand auf dabei; die Trine band schon das Tuch um, das sie umlegte, wenn sie ins Holz ging. In diesem Augenblick läutete von der Isengrundkirche die Elfuhrglocke. Die drei traten schweigend gegen die Fenster vor, durch die eine helle Sonne mit mittäglicher Stärke brach. Mit gefalteten Händen standen sie da, die Gesichter nach der Richtung gewendet, wo die Kirche lag. Myriaden Stäubchen spielten im Lichtschein rings um sie; an Staub war die Stube nicht arm, auf den Gesimsen lag er fingerdick, auf dem unreinen Fußboden flog er in Flocken, lag auf den dunkeln Stabellen und klebte an dem weißgelb vertäfelten Wandwerk. Aber die drei Gestalten standen im heißen, weißen Licht, scharf umrissen – lang, daß der gebeugte, eckige schwarze Kopf fast die Holzdiele streifte, der Bauer; klein, unscheinbar, wiederum wie sein Schatten, die spitze Trine; schwer, stark, breit die Clari-Marie, und ihre breite, eckige Stirn, auf der die hellste Sonne lag, schimmerte wie Elfenbein. Die Haltung aller war demütig und andächtig, nur daß den Furrerischen die Köpfe noch tiefer auf der Brust lagen als der Clari-Marie, und daß diese, als das Gebet gesprochen war, das Kreuzzeichen langsam, mit einer sonderbaren Würde machte, während die beiden andern mehrmals und mit einer fast leidenschaftlichen Hast mit den Fingern an Stirn und Brust rührten.

Die Furrerin wendete sich mit einem Seufzer zuerst. »Jetzt kann eines wieder schaffen,« sagte sie, und schlug die Augen zur Decke auf. Sie und ihr Mann murmelten noch das »Maria – Mutter Gottes,« während sie schon durch den Flur nach ihren Körben vor der Tür schritten. Sie luden dort das Holz ab; die Clari-Marie stand dabei und sah freundlich auf sie. Die demütige Frömmigkeit hatte die Zieglerschwestern immer zusammengehalten, jetzt war mit dem Band auch der Furrer eingebunden, und um ihrer Kircheneifrigkeit und ihrer Gottfreundschaft willen sah die Clari-Marie Schwager und Schwester den Geiz nach.

Als der Furrer und sein Weib die leeren Körbe auf den Rücken warfen und die Clari-Marie sich zum Gehen rüstete, kam drüben den Rothornweg herauf der Strahlegghüttler gestiegen. Der Ranzen, in dem er jeweilen seine Kristallfunde heimtrug, hing ihm leer am Rücken, und er stieg gemächlich bergan, einen zufriedenen Ausdruck im braunen Gesicht; als er die Blicke der drei auf sich ruhen fühlte, wurde sein Wesen noch schwerfälliger, linkisch fuhr er mit der Hand durch den sonderbar lückigen Bart.

»Tag,« grüßte er mit einem unbeholfenen Lachen im Vorübersteigen.

»Tag, Wipfli,« gab die Clari-Marie zurück. »Tag,« grüßten die Furrerischen. Der Bauer warf dabei sein Beil in den Korb. »Er ist wieder in der Stadt gewesen, seine Strahlen verhandeln,« murrte er; es klang aber wie ein qualvolles Aufstöhnen.

» Der verdient ein Geld,« sagte die Furrerin. Ihre Augen gingen hinter dem Wipfli her, als kämen sie nicht los von ihm; etwas wie ein Lechzen war in ihrem Blick.

»Das mein' ich, verdient der Geld,« echote der Bauer dumpf und wandte sich die Halde hinauf dem Walde zu.

»Nun, der Herrgott wird uns auch weiter helfen,« schloß die Furrerin, sah die Schwester halb lächelnd, halb mit demütiger Frommheit an und gab ihr die Hand zum Abschied.

»Also schick die Kinder,« sagte die Clari-Marie, und als die Furrerin bejahte, stieg sie in die Schrunde hinab nach dem Weg hinüber. Von jenseits sah sie die Schwester ihrem Manne nach dem Walde folgen. Da hob sie selber an, dem Dorfe zuzusteigen. Das Sonnenlicht lag auf ihrer schweren Gestalt und stach fast heiß auf den dünnen schwarzen Scheitel. Ihr Kopf war leicht gesenkt, und sie sann. Der Geiz der Verwandten ging ihr im Kopf herum, einen Augenblick grollte sie ihnen, den nächsten lächelte sie fast ob der Schrullenhaftigkeit, mit der die zwei auf bessere Tage hin sparten und sich mühten. Dann wieder wärmte sich ihr das Herz Schwester und Schwager gegenüber, um des Eifers willen, mit diese dem die Gebote der Kirche erfüllten. Der Kirche! Der Blick der Clari-Marie suchte und fand das Gotteshaus am Talende. Das Kreuz auf dem Turm warf Blitze und blinkte. In das Gesicht des Weibes trat ein fast verklärter Ausdruck; ihre grauen Augen gewannen ein innerliches, seltsames Feuer. »Vater unser,« murmelte sie im Abwärtsschreiten. Und das war die Leidenschaft in dem Leben der Clari-Marie: mit Beten und Gottdienen übertat sie sich.


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