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Tom King saß allein im Speisezimmer der Badener Villa an dem noch unabgeräumten Tisch. Aus einer schweren, überreich verschnörkelten Silberschale strömte der betäubende Duft seltener Blumen. Auch sonst waren in allen Ecken des Zimmers und des angrenzenden Salons Blumen in verschwenderischer Fülle angebracht.

Im Salon rauschte in einem Schwarzseidenen die Schwester des Herrn Dostal herum, die Döblinger. Sie zerlegte den improvisierten Altar, sammelte die kaum angebrannten armdicken Kerzen ein, rollte den köstlichen Smyrna zusammen und schlug ein grünes Tuch um das Altarbild. Zwei schwarze kleine Boys liefen um sie herum und suchten ihre pantomimisch ausgedrückten Aufträge zu begreifen, da ihre österreichischen Laute ihnen völlig unverständlich blieben. Bis die Döblinger sie schließlich mit einem Zipfel ihrer schwarzseidenen Schürze davonjagte wie lästige Fliegen.

Manchmal warf sie durch die offene Tür einen Blick in das Eßzimmer und schüttelte den Kopf. Ein g'spaßiger Hochzeiter war dieser große, schöne Mensch. Saß am Tisch, ein Glas Mineralwasser vor sich, und kaute Gummi.

Überhaupt – so viel Seltsames sie erlebt hatte und so wenig Dinge es gab, über die sie sich wunderte – die neuen Mieter der Villa gaben ihr manche Nuß zu knacken auf. Schon daß ihr Bruder den Direktor Stephens so freundschaftlich begrüßt hatte wie noch nie einen Menschen – den Stumper miteinbegriffen – gab ihr zu denken.

»Erkennst ihn nicht?« hatte Dostal gefragt.

»Den hinketen Einäugigen?«

Sie zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.

»Immer hat er nit g'hinkt, und immer war er nit einäugig. Aber wann'st ihn nit erkennst, nachher is guat.«

Sie war nicht neugierig, die Döblinger, und viel Zeit zu fragen hatte sie auch nicht. Denn kaum, daß die seltsamen Mieter acht Tage in der Villa waren, da hieß es: alles zur Trauung vorbereiten. Das Schlafzimmer der Sternfelder Grafen richtete sie als Brautgemach ein – rosa Ampeln, seidene Decken, Spitzenbezüge – alles wie sich's gehörte. Sogar die »Monogrammer« mit den verschlungenen T. W. K. brachte sie noch auf. Da staunte die Winter – was? Reden – nein – das war nit ihr Fall, der Z'widerwurzen. Nit mit einer Zange hätt' die Döblinger ihr's kleinste Wörtel entreißen können, nix als den ganzen Tag packen tat sie, was die Herrschaften aus Wien brachten.

Eines Morgens fuhr das Brautpaar mit dem Dostal und dem Herrn Stephens – in dessen Zügen die Döblinger immer noch vergeblich den Mann suchte, den sie einst als blutjunges Ding gekannt haben sollte – »irgendwohin.« Als sie um sechs zurückkamen, sagte die Kammerfrau »gnädige Frau« zur Braut, und die Döblinger schloß daraus, daß da wieder einmal der Standesbeamte vom ungarischen Heiratsnest am Werk gewesen war. Ein G'hauter, der aussah wie ein verhungerter Schulmeister und drei Häuser am Ring und zwei auf der Wieden besaß. Die Tax wurde immer teurer bei ihm. Na – die Kings hatten's ja, konnten leicht jeden abgekürzten Tag mit an paar tausend Kronen bezahlen!

Um acht war die Haustrauung. War niemand dabei, als die in der Villa beisammen waren – und der Mister Sekretär – kurios war's ...

Und dennoch hatte die Braut einen Staat gemacht. Die Döblinger war eine, die sich auskannte in Stoffen, Spitzen – aber so was Prächtiges hatte sie doch ihr Lebtag nit gesehen.

Dem so ehrwürdig ausschauenden Pastor verschlug's gar die Red', und er stotterte in der Ansprache ganz verlegen: »In Gott geliebte Durchlaucht – –«

Oha ... Durchlaucht!

Hatte sie doch gedacht, die Döblinger, daß so was dahintersteckte! – Ja – die großen Damen – allen Respekt! Die suchten sich ihre Liebhaber nit unter den abgewirtschafteten Herren ihrer Kreise! Jessas, wie vielen Gräfinnen und Herzoginnen hatte sie schon geheime Liebesnester eingerichtet, wo sie Stallmeister, Schauspieler, ja sogar Zirkusleut' empfingen... Ah da schau ... Na ja – diesmal war's ein Boxer ... und g'heirat' mußte werden. Die war eben ganz närrisch ...

Die Döblinger linzte zur Winter herüber. Jetzt mußt' es doch eine Verständigung geben mit der z'widren Person. Aber die Winter stand da mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen halb verborgen hinter einer Palmengruppe und ließ die Worte des Geistlichen über sich hinwegrieseln wie ein laues Brausewässerchen. Redete ja doch jahraus, jahrein dasselbe. –

» Yes« sagte plötzlich Tom King, verbesserte sich und wiederholte hastig: »Ja ... ja ...«

» Damned boy,« murmelte Stephens ärgerlich und mußte doch an sich halten, um nicht laut herauszulachen.

»Ja,« sagte auch Wanda Hoheneck und sah dabei den weißhaarigen Geistlichen mit so tiefer Gläubigkeit an, wie ein Schwerkranker einen berühmten Arzt ansehen mag: Ich weiß, nun brauche ich nicht zu sterben. Du gibst mich dem Leben wieder.

Seltsam still und feierlich verlief das Hochzeitsmahl an der überreich gedeckten und bestellten Tafel, die von vier Sacher-Kellnern bedient wurde. Denn obwohl mindestens sechs verschiedene Weinarten auf der goldgeränderten Weinkarte standen, war es nur ein vorsichtig-sparsames Nippen zwischen den erlesenen Gängen.

Dem Herrn Pastor kam erst bei dem selten genossenen, aber doch vertrauteren Schampus zum Bewußtsein, daß er ein Esel wäre, wenn er die guten, herrlichen Gottesgaben ungenützt an sich vorbeiziehen ließe. Beim Schnepfensalm hatte er denn auch einen ganz leichten Spitz, beim Rehrücken in Madeirasauce mit den exquisiten Himbeertascherln sprach er tränenden Auges von seiner entbehrungsreichen, verprügelten Jugend, und unter dem gebackenen Ananasg'frornen wetterte er mutig gegen die Völlerei der Reichen. Nachdem er aber beim schwarzen Kaffee das eigenmächtig mit grüner Chartreuse halbvoll geschenkte Burgunderglas geleert hatte, verließen ihn alle guten Geister.

»Mein liebes Frauerl!« – das galt Wanda – »wann i g'wußt hätt', zu was für an Unglück mein geistlicher Segen oftmals führt, mein Lebtag wär' ich kein Pfaff nit worden. Und wann i an die Höll' glauben tät wie meine katholischen Amtsbrüder – nachher brüllet' ich in meiner Sterbestunde vor Angst, i könnt' den verstorbenen von mir kopulierten Leuteln in die Händ' fallen. Is ja doch nur an großer Betrug oder eine große Schmutzerei, was die Leute Ehe nennen.«

Der weinselige Pastor war draußen – er wußte nicht wie. Und da er das Gesicht von Stephens' Neger über sich erblickte, so schrie er lallend: »Jetzt holt er mich schon, der Teixel. Aber er hat kan Recht nit dazua! Kan Recht! Ich glaub' nicht an ihn. Ich bin lutherisch, Sie! Ich bin lutherisch – Sie Gottseibeiuns, verfluchter!«

Und dies war das Ende des so feierlich begonnenen Hochzeitsmahles der Prinzessin Wanda Hoheneck, und als sie allein blieb mit ihrem Mann, wagte sie kaum ihn anzusehen. Saß da in ihrem starren Staat am Tisch, wühlte ihre brennend heiße Hand in den kühlen Duft der Blumen und wußte nicht, wie sie nach der lärmenden, peinlichen Szene die Stille überbrücken sollte.

Er aber ging auf und ab, in verhaltenem Ärger, und suchte vergeblich nach einem Wort, das er ihr sagen könnte. Er sprach meist Englisch mit ihr. Doch schien es ihm, als würde es sie kränken, wenn er heute nicht Deutsch mit ihr redete. Das »Du« wurde ihm noch immer schwer. Und die leiseste Zärtlichkeit in Blick und Gebärde mußte er sich jedesmal abringen.

»Tom!« Sie zog ihn bei der Hand leise zu sich herüber, lehnte ihre Wange an seinen Arm. »Tom – ich habe jetzt nur dich. Weißt du, was das heißt, nur einen, einen einzigen Menschen haben auf der weiten Welt? Nichts aus der Vergangenheit mit herübernehmen in sein neues Leben – nicht mal das Andenken an Tote, die einem einst teuer waren?«

Seine Hände irrten befangen über den weißen Schleier. » Dear ... dear ...«

Er fand kein deutsches Kosewort.

Sie aber warf beide Arme um seinen Hals:

»Wirst du mich lieb haben, Tom?«

Lieb haben! Was war das für ein komischer Ausdruck. Lieb haben ... Verliebt sein ... lieben ... begehren ...

Wenn sie jetzt von ihm verlangt hätte – er solle die ganze Hochzeitstafel im Zimmer herumtragen oder mit dem schweren silbernen Armleuchter jonglieren – er hätte es getan. Aber ... »lieb haben« ... da konnte er sich nichts Rechtes darunter vorstellen. Da war wieder mal etwas, worüber er sich nicht mit ihr verständigen konnte, und wenn sein deutscher Wortschatz auch noch so groß war.

Er seufzte schwer auf, und dann schoß ihm plötzlich eine heiße Flamme in die Augen, wie das Aufflackern eines Verstehens. »Ich denke, dear ... wir werden sehr glücklich sein, wenn wir ein Kind haben werden ... ein kluges, schönes Kind.«

Und seine Arme umschlossen sie. Da wurde sie still, tief innerlich still, und wünschte sich nur, eine Ewigkeit so still ruhen zu dürfen in der Einfriedung seiner starken Arme, so daß sie es nicht merkte, wie er über sie hinweg einem noch Ungeborenen gab, was sie für sich ersehnte: Liebe, die »lieb hatte.« Ganz betäubt stand sie da, als seine Arme sie freiließen.

» Dear ... wenn du müde bist – –«

Ein sanftes, zages Wegschicken war es.

Der weiße Schleier legte sich wie Spinnweb um ihn. »Kommst du nicht mit, Tom?«

»Doch, gleich, dear ... gleich ...«

Ihre Lippen brannten von ungeküßten Küssen, ihre Augen schimmerten heiß von ungeweinten, zornigen Tränen. Warum trug er sie nicht auf seinen Armen davon, warum forderte er nicht als ihr Herr, daß sie ihm gehöre jetzt ... in diesem Augenblick ... Warum mußte sie die wenigen Schritte bis zum Salon allein gehen und dann weiter allein – durch den matterleuchteten Raum, am Altar vorbei, vor dem sie das ewig bindende »Ja« gesprochen – und noch weiter über die nächste Schwelle ...

So schwer trug sie an der langen Schleppe, so schwer an dem heißen Toben ihres Blutes und schwerer noch an einer tiefen Traurigkeit, einer quälenden Sehnsucht – als gälte es einen Abschied, nicht eine Bereinigung für immer.

»Helfen Sie mir, liebe Winter.«

Wortlos entkleidete die Kammerfrau ihre Herrin.

»Rasch, liebe Winter, rasch ... er kommt gleich.«

Sie flüsterte es kaum vernehmlich. Aber die Winter hatte es dennoch verstanden. Die Spitzen, Strümpfe und Schuhe fielen auf den Teppich. Ein seidenes Nachtkleid rieselte kühlend über Wandas fieberheißen Rücken. Ein Sprühregen köstlichen indischen Duftwassers ergoß sich über sie, ein weiter Umhang aus weißem Flanell umhüllte sie von Kopf bis zu den Füßen, die nackt in weißen, goldgestickten Samtpantöffelchen steckten. Ein breites, hellblaues Band hielt die goldblonde, feine, über die Schultern wallende Haarflut zusammen.

»Gehen Sie, liebe Winter, gehen Sie ...«

Die Winter raffte alles auf, was herumlag. Nur der Schleier wehte noch gespenstisch im Licht der großen rosa Ampel vom Kleiderriegel herab bei jedem Schritt, den sie machte.

Feines Läuten drang von draußen bis ins Zimmer.

»Was ist das?«

Wanda fühlte plötzlich das Aussetzen ihres Herzschlags. Die Winter schob den Fenstervorhang zur Seite und spähte hinunter.

»Ein Depeschenbote, glaube ich.«

Eine Männerstimme erklang. Die Döblinger sagte: »Is schon recht – geben's nur her ...«

Von Michael wahrscheinlich, dachte Wanda. Den ganzen Tag über hatte Tom das Telegramm vermißt. Nun kam es doch ... jetzt ... gerade jetzt. Und ihr war, als spendeten jenseits des Meeres Freundeshände ihnen beiden den Segen. Sie wußte, mit welcher Ungeduld Tom die Telegramme von Michael erwartete. Jetzt war es ihr auch klar, warum er sie allein in ihr Brautgemach hatte gehen lassen.

Sie schmiegte sich in den geblümten Ohrensessel, schloß die Augen und wartete. Ganz geduldig wartete sie. Michaels Telegramme waren oft kleine Briefe, und Tom las mit so knabenhafter Aufmerksamkeit jedes Wort ... Ob er jemals ihre Briefe so lesen würde?

Sie lächelte und schloß die Augen. Wie wundervoll war es, auf ihn zu warten und zu wissen ... jetzt ... jetzt ... in einer Viertel-, einer halben Stunde allerlängstens würde er über die Schwelle treten, würde sie seine Stimme hören, seinen runden, ernsten Jungenkopf an ihre Brust drücken, würde vergehen in ihm – Weib werden durch ihn ... Mutter seines Kindes werden – –

Wie konnte eines Menschen Herz all die Seligkeit fassen, die sie vorahnend erfüllte –? Wie lange sie so träumte mit wachen Sinnen – sie wußte es nicht. Leichtes Frösteln rief sie zur Wirklichkeit zurück, und sie zog den Umhang fester um ihre Glieder. Wie lange er sie doch warten ließ ... wie furchtbar lange –!

Da mußte sie lächeln über sich selbst. Wenige Minuten mochte sie wohl nur gewartet haben – und schon verlor sie die Geduld ... Ob sie zu ihm hineinging, ihn holte? Nein, so was macht man nicht, Mrs. King. Sie lachte leise vor sich hin bei dem Namen, den sie sich gab. Dann sanken ihr die Lider herab, und das wunderschöne Gaukelspiel ihrer Phantasie umfing sie aufs neue.

Als sie die Augen aufschlug, breitete die Winter gerade die seidene Daunendecke über sie.

»Wollen gnädige Frau nicht zu Bett gehen? Es ist kühl im Zimmer.«

Wanda blickte verwirrt um sich. Ja ... wie denn ... war er noch immer nicht da?

»Wieviel Uhr ist es?«

»Vier Uhr, gnädige Frau.«

Die Winter hatte einen dunklen Kittel an und um den Kopf ein kleines, weißseidenes Tuch geschlungen. Ihr Gesicht sah jünger aus so, und ihre dunklen Augen loderten.

»Sehen Sie nach, Winter, ob im Speisezimmer noch Licht ist.«

Nach einer Weile kam die Winter zurück.

»Es ist alles dunkel, gnädige Frau. Im Herrenzimmer schläft Bob angekleidet auf dem Ruhebett.«

Bob pflegte nie schlafen zu gehen, bevor er nicht seinen Herrn ausgekleidet hatte.

»Es ist gut, jetzt will ich ins Bett. Drehen Sie das Licht ab, ich bin müde.«

Im Dunkeln tastete sich die Winter aus dem Zimmer. Beim Zuziehen der Tür zögerte sie eine Weile, dann schüttelte sie den Kopf und schlich hinüber in ihr kleines Zimmer, das jenseits des Ganges lag. Sie lehnte ihre Tür nur an und setzte sich vor den offenen Spalt in einen Sessel. Lauschte. Aber es blieb alles still. Nur von draußen schlug der Wind des Vorfrühlings kahles Gezweig gegen das Fenster. Dann legte sich der Wind, und vereinzelte große Tropfen fielen hart auf das äußere Gesims. In immer rascherer Folge fielen die Tropfen, bis schließlich ein Platzregen niederbrauste.

Die Haustür ging auf, mit leise knackendem Geräusch des gut geölten Schlüssels. Leise und dabei schwere Tritte kamen näher. Eine elektrische Taschenlaterne blitzte auf.

Die Winter blickte gerade in Tom Kings Gesicht, das bleich und erschöpft war. Der Regen troff ihm von den Huträndern, der Mantel hing ihm naß und formlos von den breiten Schultern. Eine Tür ging auf. Bob stahl sich heraus, nahm Hut und Mantel ab. Die offene Tür schloß sich hinter Tom King.

Bob schlorrte schlaftrunken den Gang entlang und stieg auf den Zehenspitzen über die Treppe hinauf in seine Bodenkammer.

Wanda saß aufrecht in ihrem Bett und starrte nach der Tür. Sie hielt die Hände über dem Knie verschränkt und betete: Wenn er nur jetzt nicht kommen wollte ... nur jetzt nicht ...!

* * *


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