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Dostal wartete auf dem Bahnsteig, als der Zug einlief. Rechts und links von ihm, wie an der Strippe, so unter dem Bann seiner kleinen, harten Augen, standen zwei Träger.

»Welche Klass'?« fragte einer von ihnen.

»Ich denk' schon, zweiter,« antwortete Dostal und lächelte dazu ein ungewöhnlich mitteilsames Lächeln. Denn so viel konnte er sich an den fünf Fingern abzählen: Sprünge waren mit den fünftausend Mark nicht mehr zu machen.

»Küß die Hand, Frau Gräfin, Grüß Gott. Herr Graf ... ah, da is ja auch die Fräulein Mariann' ... Na, alsdann... Ein bisserl angegriffen schaut die Frau Gräfin aus. Herzkrampf? Ui je ... das is aber bös! Na, auf der Mariahilfer Straßen is an ausgezeichneter Spezialist für Herzkrankheiten, ganz nah' von der Sensengass'. Da hat's die Frau Gräfin nit weit.«

»Was heißt, von der Sensengasse?«

Dostal nahm der Gräfin beflissen ihr kleines Reisenecessaire ab. »Ja, aber – haben denn die Herrschaften meinen Brief nit kriegt?«

»Was für einen Brief?«

»Den, wo ich schrieb, daß die Herrschaften die Badener Villa leider müssen aufgeben.«

»Dostal!« Gräfin Sternfeld schrie auf, als sei sie plötzlich in kaltes Wasser gefallen.

»Nit aufregen, Frau Gräfin, nit aufregen – das is Gift für Herzkranke.«

»Dostal – haben's den Verstand verloren?«

Aber Dostal hörte wohl nicht. Eilig wand er sich mit dem Necessaire durch die drängelnde Menschenmasse. Gräfin Sternfeld hängte sich schwer in den Arm ihres Mannes ein. »Du ... Anton ... was macht der Mensch mit uns?«

»Reg' dich nit auf, Muzi – i red' schon mit dem Kerl ... i red' schon ... Laß uns nur z'Haus sein.«

»Z'Haus! Wo sind wir z'Haus? ... O heilige Mutter Gottes!« Sie wußte nicht, wie sie bis zum Wagen kam.

Mariann' schimpfte mit den Trägern herum, behauptete, die Fahrt ginge zum Südbahnhof, aber die Träger, die ihre Weisungen hatten, sagten zum Fiaker: »Sensengasse. Fragen's nur den Herrn!«

Und sie zeigten auf Dostal.

»Is scho recht ... Sensengasse.«

Sorglich half Dostal der Gräfin in den Wagen. Graf Sternfeld, der nicht viel mehr als zweihundert Mark heimgebracht hatte, fühlte, daß der Kampf augenblicklich aussichtslos sein mochte.

»Worauf warten wir?« fragte er ungeduldig.

»Das große Gepäck. Ich nehme an – die Herrschaften haben viel eingekauft in Berlin ... da dauert's vielleicht ein bissel länger beim Zoll – –«

»Nix haben wir gekauft,« schnitt Anton Sternfeld rauh ab.

»Dös is schad, Herr Graf. In Deutschland soll doch alles viel billiger sein als wie bei uns. Mir sind ja furchtbar in allem z'rück. Und die Teuerung ... ja schaun's – das war eben mit ein Grund ... Ein Haus muß sich verzinsen. Ich bitt' Ihna, Herr Graf, bei die Steuern! Ich hab's nit verantworten können vor der Kassa – –«

»Und da haben's die Villa vermietet ... unsere Villa?«

»Entschuldigen, Frau Gräfin. Die Villa g'hört dem Herrn Stumper – da kann i nix machen. I bin sozusagen nur der Verwalter, muß handeln nach meinem Gewissen –«

»Gewissen ... ha ... ha!«

Dem Papa Sternfeld entfuhr ein satanisches Lachen, und er sah, daß die Mama am liebsten ihre Hutnadel herausgezogen und sie in die harten, kleinen Augen des Dostal gestoßen hätte. Schrecklich – wie die arme Mama litt – bis zur Blutrünstigkeit. Wilde Bestien machte dieser Dostal aus Engeln...

Dostal wollte auf den Bock steigen. »Da haben's die Herrschaften mehr kommod im Wagen,« sagte er freundlich.

»I pfeif' auf die Kommodität. Setzen's Ihna in den Wagen, die Mariann' drückt sich schon ins Winkerl. Aber wissen müssen wir, in was für ein Loch Sie uns hineinstecken wollen.«

Dostal kramte umständlich in seinem grauen Leinensack, der aufgebauscht war wie ein kleines Kopfkissen, zahlte die Tax, ein bescheidenes Trinkgeld dazu, inspizierte selbst noch einmal, ob alles richtig und gut verstaut war, und schwang sich dann mit einem kurzen: »Also, wann die Herrschaften erlauben – i bin so frei,« auf den Rücksitz, worauf er ungewöhnlich redselig und milde zu plaudern anfing.

»Also was sagen's, Herr Graf – zu dem Wetterl? Draußen in Baden hab' i schon ein paar Veigerln im Garten. Noch an paar Wochen, und mir haben den schönsten Frühling.«

»Interessiert mich nicht, was Sie in Baden haben.«

»Na ja ... den Frühling spürt man in Wien akkrat so. Nur schad', daß die Sensengass' keinen Garten nit hat. 's is halt a Kreuz mit die Wohnungen, man muß froh sein, wann man überhaupt was kriegt.«

Graf Sternfeld wollte nach dem Xaver fragen. Aber es schien ihm Entwürdigung, auch nur ein Wort noch an den Mistkerl zu richten. Vorerst wollte er schauen, wie sie untergebracht waren.

Viel zu schauen gab's nicht. Drei Zimmer, ein Kabinett und ein Verschlag fürs Dienstmädel.

»Hab' ich Ihna nit g'sagt, daß 's Ihna an Häuberl aufsetzen?« krächzte Dostal die dickliche junge Magd an. »Wann's schon die Ehr' haben, bei gräfliche Herrschaften zu dienen, nachher tun's Ihna danach richten. Das ist die Theres,« stellte er gleich darauf vor. »Jung is. Fleißig is, und an gut's Mittag bringt's no allweil z'samm', wann die Mariann' an bisserl nachhilft und die Herrschaften nit gerad' an Essen verlangen wie bei Sacher. I denk' mir überhaupt, die Herrschaften werden zufrieden sein. Hochparterre – daß die Frau Gräfin nit so viel steigen braucht – Morgensonne – die, was am meisten gut ist für die G'sundheit.«

Die Gräfin sah in Hut und Mantel im sehr bürgerlich eingerichteten Wohnzimmer, wie wenn sie im Wartezimmer eines Zahnarztes säße.

»Wollen Euer Gnaden nit ablegen?« fragte die Mariann'.

Aber die Gräfin schüttelte den Kopf. Solange der Dostal noch da war, zog sie nicht mal die Handschuhe aus. Irgendwie mußte sie doch protestieren gegen diese unerhörte Vergewaltigung. »Ich glaub', Mariann', die Möbeln sind wo beim Trödler gekauft.«

»Leicht möglich, Gräfliche Gnaden. Der Herr Dostal, der bringt's fertig.«

»Ich ekle mich. Mariann'.«

Mariann' schauderte zusammen, als liefen die Wanzen ihr bereits über das Gesicht.

»Wie's hier in der Früh' ausschaut – weiß ich nicht,« fuhr die Gräfin fort. »Aber jetzt ... da war unser vierter Stock freundlicher.«

»Freundlicher war er,« bestätigte Mariann'.

»Schaun's mal nach, Mariann' – was wir für Aussicht haben aus den Fenstern.«

Mürrisch zog Mariann' den Vorhang zur Seite. »Gar keine. Eine Gasse, so wie Gassen sind – wann drüben graue Häuser stehen mit altmodische Vorhäng'.«

Die Gräfin seufzte tief auf.

»Is ja nur, bis mein Sohn kommt, Mariann'. Der wird ihm heimgeigen, dem Dostal. Am besten, wir packen nur das Notwendigste aus.«

»Hab's mir eh denkt, Euer Gnaden.« Und die Frauen versanken in stummes, trostloses Schweigen.

Dostal hatte inzwischen dem Grafen die Wohnung gezeigt sowie die drei Kisten, die noch in einer Küchenecke standen und das persönliche Besitztum der alten Grafen bargen.

»In dem Loch, Herr Dostal, bleiben wir ja doch nit – und wann ich selbst auf die Wohnungssuche gehen sollte. Wann sich meine Frau erst erholt hat, dann ...«

Und damit trat der Graf Anton Sternfeld ins Wohnzimmer und neigte sich über seine in einer Pose tiefster Kränkung und Hilflosigkeit gleichsam erstarrte Frau. Mariann' murmelte etwas von tödlicher Kellerluft, griff sich ans Knie und humpelte hinaus.

»Die Mariann' hätten die Frau Gräfin vielleicht in ein Sanatorium geben sollen,« meinte Dostal sanft, dann: »Entschuldigen die Herrschaften – – daß ich mich nicht gleich erkundigt hab: wie geht's der Frau Tochter? Is wieder hübsch g'sund? Ja? Na, dann gratulier' ich. Und der junge Herr Graf – darf man fragen?«

Gräfin Sternfeld zog die Hand ihres Mannes ganz nah an sich heran. Wie so'n Habicht sah der Dostal aus und hackte auf den wundesten Stellen herum.

»Is nix für mich gekommen, Dostal?« fragte Graf Anton ausweichend.

»Nix, Herr Graf. Ja doch – Drucksachen von G'schäften und 's ›Neue Wiener‹ hat sich ang'sammelt. Hab' manchmal einen Blick hineingetan nach der Arbeit – ein sehr ein unterhaltendes Blatt.«

Die Gräfin spürte, wie das Herz ihres Mannes gegen ihre Hand schlug.

»Verstehst das, Muzi, verstehst das?«

Es lag nur in seinen Augen. Seine Finger zitterten. Dostal schob aufmerksam die Blumentöpfe auf dem Fenstersims zusammen und riß die wuchernden Gräser aus der Erde.

»Schreibt wohl nit gern, der junge Herr Graf ... Na ja ... die jungen Leut' ... Von der Steffi is gestern an Brieferl ankommen... Ob i nit wüßt, wo ihr Mann jetzt steckt? So a dumme Fragerei! Sie is nämlich mit ihrem Vater in Italien g'wesen, und danach, wie sie zurück ist, hat ihr Mann zu schimpfen anfangen, und wie's ihn hat beruhigen wollen – da is er grob worden, hat nix hören wollen und is aus der ehelichen Behausung über Nacht wegblieben und am nächsten Morgen abgereist, ohne die Adreß anzugeben ... Na ... wie so ein Streit halt is bei junge Leut' ... Da muß man warten, bis wieder alles auf gleich kommt. Nur sich nit einmischen! Das macht's bloß schlimmer. Er kommt schon wieder, der junge Herr Graf –, er kommt schon wieder. Wann i was hör' ... i vermeld's gleich. Die Steffi is ein braves Mädel. ›Tu mir die alten Grafen nett versorgen‹, schreibt's, ›daß alles haben, was sie brauchen. Brauchen ja nit viel, so alte Leuteln ...‹ Warten's, Herr Graf... wo habe ich denn das Brieferl?«

Dostal langte nach seiner fleckigen, großen Brieftasche aus Rindsleder.

»Is schon gut, Dostal ... is schon gut ... glaub's Ihnen auch so.«

Die Mama hätte in einem anderen Augenblick aufgeschrien – so fest umschloß der Papa ihre Hand mit der seinen. Jetzt fühlte sie es kaum vor schmerzhaftem Zusammenziehen ihres Herzens. Aber sie hielten sich gut, die alten Herrschaften. Gaben dem Dostal kein »Spektakel.«

Erst wie er draußen war, nach vielen Bücklingen und Wünschen für eine recht eine gute Nacht unterm neuen Dach, da wurde es laut, was in des alten Grafen Augen gelegen: »Verstehst das, Muzi, verstehst das?«

* * *


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