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Ist dir besser, Kind? Ist dir besser?« Fürst Erasmus strich väterlich über Agathes Gesicht.

Xaver Sternfeld aber klopfte ihre Hand.

»Ja, also ... was sind das für G'schichten? War's denn gar so schrecklich, was der große Mann da oben auf der Bühne g'macht hat? Wir haben gar nit hing'schaut ... So interessant hat der Onkel erzählt ... Na ... Handerl hergeben ... so ... Bussi drauf ... Hast nit dein Riechflascherl, Steffi?«

Steffi fächelte Agathe mit ihrem stark duftenden Tuch zu. »Nur aufschnaufen, aufschnaufen ... recht tief ...«

Ganz ungeduldig riß Xaver seiner Frau das Tuch aus der Hand und führte es an Agathens Augen. »Na ... was denn, was denn?«

Er sprach zu ihr wie zu einem kleinen Kind. Und jedesmal, wenn das Licht einer Straßenlaterne über ihr Gesicht huschte, strömte ihm das Blut zu Herzen.

Agathe saß eingeklemmt zwischen Wanda und dem Fürsten. Ganz schmal saß sie da und hielt mit aller Anstrengung den Kopf gerade, daß er ja nicht auf die Schulter des einen oder anderen fiel. Nur manchmal schloß sie die Augen, als atme sie mit der parfümierten Luft aus Steffis Tuch die Wiener Laute ein, die, so vertraut und, wie ihr jetzt zum Bewußtsein kam, so lang entbehrt, durch den leise surrenden Wagen schwirrten.

Der Fürst sagte: »Sie ist doch sonst nicht so. Bei aller äußeren Zartheit ein widerstandsfähiges Mädelchen ...«

Mädelchen ... Wie splitterndes Glas fiel das Wort dem Xaver Sternfeld aufs Herz.

Steffi wurde unruhig, drückte mit dem Ellbogen an seinen Arm.

Die Agath konnt' einem schon leid tun, wann's auch zehnmal Durchlaucht war! Aber der Xaverl brauchte sie darum doch nit in einem fort anzustarren, als wär' sie die heilige Jungfer Maria ...

Allerlei Kellererinnerungen an zweideutige Späße aus der Stumper-Vorzeit gingen durch Steffis Gehirn, daß sie sich in den kleinen Finger beißen mußte, um nicht laut herauszuprusten ...

Und das kleine spitzbübische Vergnügen half ihr über den Ärger hinweg, daß sie so plötzlich hatten aufbrechen müssen.

Noch ehe sie den bildschönen Kerl recht hatte anschauen können, den ... wie hieß er doch ... na, sie hatte ja das Programm mitgenommen. Seinetwegen hatte sie ja eigentlich den Wintergarten durchgesetzt, obwohl der Fürst immer wieder irgend so ein »Wintermärchen« vorgeschlagen hatte. Sie machte sich einen Schmarren aus Märchen! Aber den ersten, unbesiegten, größten Boxer und schönsten Mann Amerikas – – – den mußte sie gesehen haben. Und weil sie doch für morgen ihre Fahrkarten nach der Schweiz gelöst hatten, war nur der eine Abend für den Wintergarten geblieben.

Na, alsdann war's eben ein verpatzter Abend ... Und ein bißchen mit aufgeblasenen Lippen blieb Steffi im dunkelroten Wagen sitzen, während die anderen ausstiegen. Sie konstatierte versöhnt, daß nicht Xaver es war, der die junge Fürstin führte, sondern Wanda ...

Die große Vordervilla war hell erleuchtet. Steffi befahl dem Chauffeur, aus dem Hof hinaus auf die Straße zu zu fahren, weil's ihr nicht paßte, vor dem Hinterhäusel zu warten, in dem der Herr Onkel wohnte. Und mußte dann doch vor einem ratternden, sausenden Auto, das in schwungvollem Bogen die geschweifte Auffahrt zur Villa nahm, im Tor stecken bleiben und hübsch geduldig warten, bis es den Insassen des Wagens beliebte, auszusteigen. Dann aber wurden ihre hübschen hellglänzenden Augen ganz rund vor Staunen ...

Denn wer da ausstieg und seinen Pelz dem Chauffeur zuwarf, um in fabelhaft geschnittenem Frack durch die weitgeöffnete, hellerleuchtete und von Dienern weit aufgerissene Tür zu schreiten ...

Das war ganz sicher ... war das ... So was – nein – – so was – –

Xaver Sternfeld stand indessen vor dem Fürsten in der Haltung eines durchs Examen gerasselten Studenten.

»Sie ist sehr nett, deine Frau,« sagte der Fürst. »Sehr natürlich. Ich wünsche euch das Beste. Wärst du mein Sohn – – ich hätte am Ende auch Ja und Amen gesagt. Ein Mann kann sich herabbeugen, ohne Schaden zu nehmen. Eine Frau fällt, wenn sie sich bückt.«

»Schon recht, Onkel Erasmus, aber bei der sozialen Umwälzung –«

Im Leben hatte der Xaver Sternfeld nicht von sozialen Umwälzungen gesprochen. Er wußte darum auch nicht gut weiter, und es war ihm lieb, daß der alte Herr ihn unterbrach.

»Die müssen vor der Ehe haltmachen – – – für unsereins wenigstens. In früheren Zeiten, als wir Hohenecks noch katholisch waren, steckten wir unsere Töchter in Klöster, wenn wir voraussahen, daß sie nicht standesgemäß heiraten würden. Jetzt haben wir eine andere Disziplin: Arbeit.«

»Aber das ist doch furchtbar!«

So ehrliches Entsetzen lag in dem Ausruf, daß der Fürst lächelte. »Ich meine natürlich nicht bezahlte Arbeit – – –«

»Das ist ja noch ärger. Wozu denn dann überhaupt arbeiten?«

Ein leises Frösteln ging über die hagere Gestalt des Fürsten. Im alten Kachelofen war das Feuer ausgegangen. Eine grüne Tischlampe beleuchtete spärlich den mehr als einfach eingerichteten Arbeitsraum, der nur durch einen schweren Vorhang mit dem Laboratorium verbunden war.

»In fremdem Sold arbeiten – – – nur das ist entwürdigend für uns. Weil Gemeines klebt am Dienen um Geld ...«

Er sprach schwer. Seine Augen bekamen etwas Starres, und gewaltsame Spannung lag über seinem Gesicht, als er fortfuhr:

»Aber als freier Mann geben und nehmen ... das ist was anderes. Du siehst, wie wir hausen, in unserem ehemaligen Sommerpavillon. In Dresden steht unser Ahnenschloß. Nicht bewohnbar mehr. Die Jahre und die Ereignisse sind über die Mauern hingefegt. Aus dem Ahnensaal haben sie in den Revolutionstagen einen Pferdestall gemacht. Krippen waren angebracht, wo früher die roten Brokatbänke standen, Bilder sind zerschossen, einige von Messern zerfetzt. Herrliche alte Schränke aufgebrochen, alte Kunstschlösser verbogen. Vieles ist verschwunden, geplündert. Aber die Mauern stehen. Das Wappen ist heil geblieben, das alte Wappen der Hohenecks mit ihrem Wahlspruch: Treu und stark. Das war ein Fingerzeig. Ich verkaufte die Villa – zwanzig Zimmer, – was sollten wir damit? War ja nicht zu halten. Nun kann das Palais renoviert werden, wenn's auch sündhaftes Geld kostet in der jetzigen Zeit.«

Dem Xaver Sternfeld verschlug es die Rede, denn ihm fiel das Hütteldorfer Schloß ein, das eine Flora aufgefressen hatte. Jetzt mußte ihre Tochter wie so ein armes Hascherl dahinwelken, damit ein anderes Schloß seinem Verfall entrissen wurde.

Zaghaft fragte er, ob dann eine Übersiedlung nach Dresden stattfinden könnte. Da zuckte es erregt in den alten Zügen.

»Hängt davon ab ... wenn die Erfindung patentreif ist, an der ich mit Wanda arbeite: ein Gas, das aus den akkumulierten Sonnenausstrahlungen gewonnen wird, und das eine Revolution in unseren Beheizungs- und Beleuchtungsfragen, im Eisenbahn- und Luftverkehr hervorbringen muß, wie sie noch nicht da war. Das Heliogas ist produzierbar, solange die Sonne selbst nicht erkaltet.«

»Das kann wohl noch lang dauern, bis du ...?« Der Xaver Sternfeld hatte ja keine Ahnung von so was.

»Was ist lang? Augenblicklich stehen hundert Glasröhrchen um die Sonnenzeit auf unserem Dach. Hundert Möglichkeiten ... Hundert Hoffnungen ... Monate können endlos scheinen ... Tage sich zu Ewigkeiten dehnen. Blickst du zurück, drängen sich Jahrzehnte zu einem Augenblick zusammen. Uhren und Kalender sind ganz äußerliche und recht nichtssagende Taktstriche unseres Daseins.«

Er saß jetzt in einem hochlehnigen, mit verschlissenem, grünem Samt überzogenen Sessel, den Kopf tief über die zwischen die Knie gepreßten Hände gebeugt. Dem Xaver Sternfeld kroch die Kälte wie feuchtes Gewürm in den Nacken, hinter das steife Frackhemd. War es möglich, daß Agathe ... dieses schöne, junge Geschöpf, an diesen verbohrten Gelehrten, diesen blutlosen Greis gekettet war! War es nicht sein verruchtes, leichtsinniges Werk, daß es dazu gekommen?

Durch die mangelhaft schließenden Fenster mit den dünnen, grünen Übergardinen drang der Klang von Geigen herein, Klaviergepauke.

Der Fürst hob den Kopf. Ganz müde und verfallen sah er aus, und seine Augen, die jetzt tief in den umfurchten Höhlen lagen, starrten durch den Spitzenvorhang auf die taghell erleuchteten Fenster der Villa.

»Bei denen drüben steht der Zeiger auf Mittag, und in ihrem Kalender ist der heutige Tag rot angestrichen ... Wenn ich gewußt hätte ...! Aber bei solchen Verkäufen, da hat man es immer nur mit dem Mittler zu tun. Und dann ... Schuster!? Stiefelfabrikant nennt er sich ... Es gibt doch so viele Schuster in Berlin! Mußte es gerade der sein, bei dem unser Dienstmädchen die Stiefel besohlen ließ!«

»Ah ... so was!«

Dem Xaver Sternfeld fehlte die Feierlichkeit, um die Tragik der Situation zu empfinden. Der Fürst aber sah in diesem Augenblick wieder die groteske peinliche Szene vor sich, wie die »Frau Anna Wittke«, nachdem sie eine Karte hereingeschickt, deren Namen ihm nichts sagte, in Seide und Samt und mit kostbarem Pelzwerk behangen, zu ihm hereingerauscht war und dann plötzlich die erst lebhaft entgegengestreckte Hand, unter deren zu engen Glacés sich eine Unzahl von Ringen höckerte, erschreckt fallen gelassen hatte.

»Ich bin doch die Anna ... Wissen Durchlaucht nich mehr? Und mein Mann hat doch Ihre Villa gekauft ... Wir hätten in der Fasanenstraße kaufen können ... Noch en bißken preiswerter. Aber ich habe meinem Bräutigam – was er damals war –, gesagt: ›Nee, weeßte, Gustav, bei Durchlauchts hab' ich's gut gehabt. Viel war ja da nich zu holen, weil sie selber nischt haben. Aber das bißken Essen, was die hatten, haben wir auch gekriegt, die alte Köchin und ich. Und anständige Behandlung und keen Geschnüffle in unsern Kammern. Und Ausgang, wie sich's gehört, und bei aller Sparsamkeit ein anständiges Geschenk zum Fest. Also, Gustav, hab' ich gesagt, eh du so einem Ekel von Sauerkohlschieber sein Haus abkaufst – denn schon lieber meinem Fürsten. Is en gutes Werk ... Und schöne Möbel und Bilder sind ooch drin. Wir verstehen ja doch nischt davon. Da ist's schon gut, een fertiges Nest zu finden.‹ Und so ist's gemacht worden, Durchlaucht. Und ick habe mir immer diebisch auf den Augenblick gefreut – – wann ick werde Besuch machen. Aber ick gehe allein – habe ick zu meinem Gustav jesagt, denn ick weiß, wie man mit solche Herrschaften spricht. Die Prinzeß Wanda hat mir selber meine Sprache verbessert, wie ich damals aus der Kastanienallee zu Durchlaucht gezogen bin. Und Ihre Durchlaucht, die hat mir Romane zu lesen gegeben, damit ich feine Bildung lerne. Also nischt für ungut, Durchlaucht, daß ick so reingeplatzt bin. Und wenn Durchlaucht so gut wollen sein – – dann gehe ick jetzt bei die ... zu den Durchlauchten Damen guten Tag sagen ...«

Damit hatte sie sich zur Tür hinausgedrückt, verlegener von Satz zu Satz, und hatte erst kaum bemerkt, daß der Fürst wie entgeistert mitten in seinem Zimmer stehengeblieben war, ohne auf den Gedanken zu kommen, ihr einen Stuhl anzubieten. Er hatte dann auch ihr Klopfen gehört an Agathens Tür. Das ihm von früher her so wohlbekannte, trockene Klopfen, wenn sie ihm das warme Waschwasser am Morgen ins Schlafzimmer brachte ...

Die Geigen rissen schrill in die Stille des dunklen Arbeitszimmers ein. Man konnte jetzt die Melodie unterscheiden. Es war ein Two-Step, der auf Xavers Hochzeit gespielt worden war. Das brachte Xaver seine Frau in Erinnerung.

»Steffi wird ungeduldig werden. Wenn ich doch nur erst wüßte, wie es deiner ... wie es Agathe geht,« sagte er.

Ja, Agathe ...

Müde erhob sich der Fürst, machte eine unbestimmte Bewegung nach der Tür. Da trat Wanda über die Schwelle. Ihre dunkle, schmale Silhouette hob sich kaum ab von dem dunklen Gefält des Türvorhanges.

»Nun?«

»Alles wieder gut. Nur schlafen kann sie nicht. Der Fensterladen ist vom Sturm voriger Woche aus den Angeln gerissen. Nun schlägt das Licht aus der Villa gerade auf ihr Bett. Dazu die Musik. Die haben drüben wohl halb Berlin zusammengeladen, die Gäste stehen bis auf die Treppen. Künstler und allerlei Spaßmacher haben sie engagiert ... Nun haben sie noch die Fenster aufgerissen, und man hört den Lärm bis in Agathens Zimmer. Eine nette Nacht wird das werden.«

Sie sprach ausdruckslos.

»Da können wir wohl nichts machen, liebes Kind ...«

»Nein ...«

Xaver fragte schüchtern, er war immer schüchtern der nur wenige Jahre älteren Kusine gegenüber: »Sie muß doch einen Grund haben ... diese Ohnmacht ... Und grad bei dem Athleten ... Ich hab' ja nit auf'paßt ... aber ... was hat er denn so zum Beispiel g'macht? Geboxt? Ist ein ekelhaftes Vergnügen.«

Wanda Hoheneck griff mit der Hand in die Falten des Vorhanges. Ihr weißes Gesicht leuchtete geisterhaft aus dem Dunkel hervor. »Gemacht? ... Weiß ich nicht ... Er war da ...« Wie ein Losringen war es der einzelnen Worte.

»Wir leben sehr zurückgezogen ...« Fürst Erasmus machte eine kleine Bewegung mit der Hand.

Dem Xaver Sternfeld kam eine glänzende Idee: »Schick' uns Agathe nach der Schweiz ... Sie soll unser Gast sein ... Vier Wochen ... sechs ... acht ... Nudeldick kommt sie dir zurück. Was meinst, Wanda?«

Wanda antwortete nicht.

»Darüber reden wir noch später.«

Die Züge des Fürsten waren starr und abweisend. »Agathe kann ich jetzt nicht entbehren ... jetzt nicht. Du weißt, was auf dem Spiel steht. Sie ist meine Assistentin, sie und Wanda ...«

Es war nicht mehr die Gelassenheit des großen Herrn – – nur eigenwilliges, kindisches Bestehen war es, wie das Festhalten irgendeines Gegenstandes in eigensinnigen Kinderhänden.

»So sag' doch, Wanda ... daß es nicht geht ...«

»Nein,« sagte sie leise.

»Es wird Zeit, Xaver ... Deine Frau wartet.«

Xaver Sternfeld umschloß eine eisigkalte, knöcherne Hand. Wenn er dachte, daß sich diese Hand um Agathens Hals legen konnte, legen durfte – – Es schüttelte ihn plötzlich vor leisem Grauen.

»Ich bringe dich hinunter,« sagte Prinzeß Wanda.

»Küß die Hand ... aber der Diener – –«

»Wir haben keinen. Und das Mädchen schläft.«

Ja richtig, er vergaß. Es war anders als damals in Dresden. Ein kleinbürgerliches Heim, voller Einschränkungen und Entbehrungen. Wie es bei den Eltern in Wien gewesen. Nur mehr innere Größe – oder – – Narrheit.

»Geh nit raus, verkühlst dich, Wanda.«

»Nein ... Nein ... es ist gar nicht kalt ...« Sie hatte zum Hinuntergehen ein dunkles Tuch vom Riegel gerissen und trat nun mit ihm hinaus auf die schmale Steintreppe.

Hell war der Hof erleuchtet durch das Licht, das aus den Fenstern der Villa herausströmte. Der Wind, der Schnee bringen mußte über eine Stunde oder zwei, riß Wolken wie einen dunklen Vorhang vor die zunehmende Mondsichel.

An den Fenstern oben sah man schwarze Männerrücken, weiße Frackhemden. Lautes Lachen, helles Kichern – dann prasselndes Klatschen und ein dreimaliger Tusch, in den sich Hochrufe mischten, schienen den Abschluß einer humoristischen Rede zu bilden.

Ein ungewöhnlich großer Mann, jung und bartlos, brannte sich eine Zigarette an einem blinkenden Luntenfeuerzeug an, blies die erste Rauchwolke in die Nachtluft und stellte sich mit dem Rücken an das Fensterkreuz.

Xaver Sternfeld streifte sich die Handschuhe über. »Die Steffi springt mir ins Gesicht, daß ich sie hab' so lange warten lassen. Muß halt a bissel übertreiben mit der Agath ihrem Zustand. Dauert's noch lang mit der Erfindung? Sag's mir, Wanda! Mir allein ... auf Ehrenwort ...! Ich sag's nit weiter.«

Wie ein schwarzer Strich, so stand Wanda auf der hellgrauen Treppenstufe, eng eingehüllt in das schwarze Tuch. »So etwas weiß man nie.«

Ihre Stimme klang rauh. Ihr Gesicht sah grün aus in dem weißen Mondlicht.

»Na, alsdann Servus! Viel Glück, und schickt's uns die Agath!«

Er lief schon, behende und geschmeidig. Vor dem Portal drehte er sich noch einmal um, winkte.

Wanda stand noch immer auf derselben Stufe. Ihre Augen waren starr nach oben gerichtet, da wo taghelles Licht mit Stimmengewirr und Geigenklängen aus einer langen Fensterreihe strömte.

»Servus,« rief er zurück und blieb plötzlich doch noch einmal wie angewurzelt stehen, als er am äußersten Fenster des weißen Sommerhäuschens eine weiße Gestalt erblickte. Regungslos stand sie da, das gelöste Haar wie einen Mantel um die zarten Schultern. Und gerade in diesem Augenblick fiel der Mond hell auf ein schmales Gesicht, aus dem zwei Augen groß und unverwandt in gleicher Richtung starrten wie die des reglosen schlanken Mädchens auf der Treppenstufe.

»Agathe!«

Vielleicht hatte er ihren Namen nur wie einen schmerzlichen Aufschrei gedacht. Vielleicht ihn auch wirklich gerufen.

Das Herz zog sich ihm zusammen in Mitleid. Damit ein paar alte Leuteln ihr Häusel behielten, hatte er ein junges, so junges, liebes Geschöpf... Es würgte ihn an der Kehle, und er lief, was er konnte, aus dem Tor.

Im Auto aber zappelte Steffi. Kaum daß sie sich Zeit ließ zu einem kurzen Anranzer. Dann gleich: »Weißt, Xaverl, wen ich vorhin g'sehn hab? Du ratst nit ... meiner Seel ... Du ratst nit ...«

»Na, wann ich's schon nit rat.« Sehr pomadig – das erprobte Mittel, alles aus ihr herauszubekommen – breitete er die Decke über seine und Steffis Knie und zog das Fenster hoch.

»Geh, sei nit blöd ... Also ich will dir's sagen! Den Athleten!«

»Was für einen Athleten?« Er war in diesem Augenblick so gar nicht im Bilde ihrer Vorstellungen.

»Na, Jesses, den schönen Menschen aus dem Wintergarten, den Boxer! Ausg'schaut hat er dir! Ausg'schaut! Xaver! ... Bubi ... wann du nit ein Graf wärst und ich dich zum Fressen gern hätt – – den Menschen ... Also, Xaverl ... einen Pelz hat der dir g'habt ... weißt, heut kann man ja nimmer sagen: wie ein Fürst ... aber einfach zum Verrücktwerden. Und wie die Diener kommen sind und die Tür vor dem aufg'rissen haben ... also noch kein Kaiser ist so die Treppe hinaufgegangen. Ich hab' den Chauffeur g'schickt fragen, wer da wohnt. Also ganz gewöhnliche Bürgerliche, Xaverl, was sagst? Und der Fürst wohnt im Hinterhäusel! Mein Xaverl, wann so was möglich ist, da hat man ja nichts davon, Fürst zu sein. Man kann doch nit an jedem mit dem Taufschein ins Gesicht springen, nit wahr? Und eh ich so ein armes Hascherl von Gräfin wär' –«

»Eher möchtest du den Athleten heiraten ... gelt?«

»Tschap!«

Steffi stieß ihrem Mann einen Kuß in den Hals, kuschelte sich in seine auch im Pelz nicht sonderlich breiten Schultern fest, schloß die Augen und wurde ihrem Xaver in Gedanken zum ersten Male untreu. Er aber traute sich nicht, von seiner Einladung zu sprechen. Er sah immer nur Agathens Augen, und die Fahrt, da er still und ungestört seinen dummen Träumen nachhängen konnte, schien ihm kurz.

* * *


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