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In der Villa drüben machte Herr Wittke seiner Frau den ersten ehelichen Krach. »Biste Meechen für alles bei denen dort oder meine Frau? Wenn ick zu Hause komme, will ick meine Gemütlichkeit haben, verstanden – und nich dem leeren Teller fiessafieß meinen Fraß runterschlingen. Und wenn ick dir 'nen Kuß gebe, denn brauchste nich nach'n Lysol von fremde Leute zu stinken.«

So hatte Anna Wittke ihren Mann noch nicht gesehen. Was war denn dem über die Leber gekrochen?

Ein paar geschäftliche Ausfälle hatte er ja in den letzten Tagen gehabt. Eine Fabrik, der er für eine halbe Million Leder auf Kredit geliefert, hatte schließen müssen. Wittke war Verluste nicht gewöhnt.

Er sah sich um, ob der bei Tisch aufwartende Diener schon aus dem Zimmer war, nahm dann die kalte Gänsekeule zwischen die Finger, haute ein mit seinen kräftigen weißen Zähnen. »Eine Pulle Wein, Frau; muß den Ärger runterspülen.«

Er trank ein bißchen viel in der letzten Zeit und polterte dann darauf los. Wie auch jetzt.

Ein Skandal war's, was die Aester verdienten, der Tom King und der O'Bry. O'Bry würde übrigens den Preis von fünfhunderttausend Mille einstecken. Hatte Schule, der Kerl. Viel mehr als Tom King. Und hielt sich. Tom King luderte. Hatte da so 'ne Bildhauerin aufgegabelt, eine verrückte Schraube, die Kölnisch Wasser soff und Kokain fraß. Die war schon im Wintergarten jeden Abend in seine Garderobe gekommen, und er hatte sich von ihr zeichnen lassen und war stundenlang bei ihr draußen im Grunewald gewesen. Und heute, da war sogar eine richt'ge Durchlaucht zu ihm gekommen. Eine Prinzessin.

»Tjawoll, Anneken.«

Er schlürfte den Wein von den Schnurrbartspitzen auf, und der Spaß, seiner Frau ein bißchen Fürstenanbetung zu nehmen, zerstreute seine üble Laune. Anna Wittke zuckte die Achseln: »Es gibt so'ne und so'ne Prinzessinnen.«

»Na, und wat meenste denn, wat deine Prinzessin von drüben für eine is?«

»Red' keinen Quatsch!«

Ärgerlich hielt sie den spärlichen Rest der Flasche gegen das Licht, während er die »dicke Berta«, wie er seine starke Zigarre nannte, anrauchte.

»Is man jut, Anneken, daß ich deine Herrschaften damals nich jekannt habe. Denn wenn ick jewußt hätte, daß deine Prinzessin zu Boxern in die Garderobe läuft – nee, weeßte ... das wär' keene Empfehlung nich für dich jewesen!«

Anna Wittke wäre bald die Flasche aus der Hand gefallen.

»Die Wanda ...?«

Wie Gotteslästerung kam es ihr vor. Aber gleichzeitig sah sie die nächtliche Szene vor sich, wie Prinzessin Wanda an der Seite des Tom King über den verschneiten Hof gegangen und dann erst lange nachher wiedergekommen war. Sie wiederholte ausdruckslos:

»Die Wanda ...!«

Haushohe Schranken brachen zusammen. Nicht geflickten Sohlen und fadenscheinigen Kleidern, nicht kalten Öfen und leeren Schüsseln war es gelungen, den tief in ihr sitzenden Respekt zu untergraben. Aber daß eine, die Prinzessin war, sich von einem Krankenbett in den Zirkus fortstahl – das – –

»Nee, Justav, weeßte ...!«

Sie stand auf, mit ungewohnter Würde, die ihr in dem Augenblick wie angeflogen kam, da eine Welt für sie entgöttert in Trümmer sank.

Herr Wittke aber blickte ihr verblüfft nach über das blaue, aromatische Gewölk seiner Zigarre, die im Verein mit dem genossenen Bordeaux seine Laune um ein beträchtliches gebessert hatte, so daß sich die behäbige Besitzfreude für diesen Abend in eine um etliche Grade wärmere Verliebtheit umzuwandeln im Begriffe stand. Daß seine Frau sich im Schlafzimmer einschloß, weckte alle primitiven Instinkte seiner bürgerlichen Männlichkeit.

»Mach' auf, Anneken ... Hörste ... jleich machste uff! Det wär' ja noch scheener!«

Aber es blieb still jenseits der weißlackierten Tür. Und ob er auch zwei-, dreimal mit der Faust gegen sie schlug und schließlich durchbrüllte: »Du glaubst woll, die vornehmen Zicken verfangen bei mir?« – abziehen mußte er doch. Und fühlte sich wie verprügelt und lendenlahm vor Ärger. So daß er alle Türen, die sich noch im Bereich seines Greifens bis zur Flurtür befanden, dröhnend hinter sich zuschlug und den herbeistürzenden Diener anschrie: »Sagen Sie meiner Frau, det ick verreise. Vor drei Tage braucht sie mir nich zu erwarten; und die Marta soll mir das Fremdenzimmer herrichten für heute nacht!«

Hing sich in den Pelz ein, den ihm der Diener hinhielt, stülpte die Sealmütze auf und schaffte sich mit einem barschen »Weg da« auch noch das Vergnügen, die schwere Eingangstür laut schallend ins Schloß fallen zu lassen. Dann warf er sich in das erste vorüberfahrende Auto und ließ sich von einem Amüsierlokal zum andern fahren.

Aber er hatte offenbar den Geschmack verloren an den Freuden seiner Junggesellenzeit. Als er um zwei Uhr nachts in dem Kabarett landete, dessen Star Kari Taß war, hatte sich das offizielle Programm gerade abgerollt. Bei herabgelassenen Portieren aber und verschleierten Lampen feierte der nicht offizielle Teil zu Ehren der Stammgäste und klotzig zahlender Fremden seine Auferstehung in Form einer eleganten Animierkneipe mit Vorträgen.

Kari Taß, bereits in ihrer giftgrünen Gesellschaftstoilette, hielt ein noch feuchtes beschriebenes Blatt in der Hand. »Aufgepaßt, meine Herrschaften: das Neuste von meinem Hof- und Leibdichter – mach' Salamalek, Gigi –«

Sie schob einen schlanken, diaphanen Jüngling vor, mit verdächtig viel Ringen an den Fingern und feuchtem, kirschrotem Mund. »Da sehen Sie, meine Herrschaften, hier, mit roter Tinte, dem Blute seines Herzens, steht es geschrieben: ›Die Boxerprinzessin‹. Uraufführung morgen. Generalprobe heute. Hallo – 'n Abend, Papa Wittke ...! Setz' dich, mein Sohn. Haste Urlaub bekommen von deiner Frau? Hör' zu, mein Sohn: War deine Gemahlin nicht erste Kammerfrau bei einer Prinzessin ...? Ob sie sie erkennen würde, was glaubst du, Papa Wittke?«

Sie war trunken vor Wut und Kognak. Mit dem Schwesternkostüm legte sie meist auch die Unschuldsmiene ab.

»Jiftkreete,« murmelte Wittke.

Er stand da in Mütze und Mantel, kaute an seinem erkalteten Zigarrenstummel, die Hände mit dem baumelnden silbernen Krückstock im Rücken.

Seit zwei Stunden hatte er sich mit Ekel vollgepumpt. Was ihm früher Gewohnheit gewesen und erweitertes Geschäftslokal, manchmal auch Renommierunterhaltung, die er sich »leisten« konnte – jetzt war ihm das alles widrig. Als sähe er plötzlich Schwären, von denen all diese Jünglinge und dreisten Weiber angefressen wären.

Die kindlich näselnde Stimme der Kari Taß zerbröckelte das Pasquill mit seinen kaum versteckten zotigen Anspielungen wie einen wohlschmeckenden Kuchen; ihre übergroßen Augen gaben jede Scham preis, und ihr spitzes, rotes Zünglein schlürfte genüßlich das ölige Lachen der Zuhörer auf, zerdrückte es zwischen ihren Lippen wie eine überreife Beere.

»Pfui Deibel!«

Wittke spuckte auf den großblumigen, roten Teppich. Irgendein Provinzler rief laut: »Sie Schwein, benehmen Sie sich!«

»Ick benehme mir, wie's im Schweinekoben ieblich is.«

Von irgendwoher flog ein Glas durch die blaugerauchte Luft, spritzte seinen Inhalt über Wittkes Pelz. Nun wurde er ungemütlich, hob seinen Stock. Ein paar befrackte Künstler legten sich ins Mittel:

»Herr Wittke ... aber ich bitte Sie, Herr Wittke ...«

Kari Taß wollte sich ausschütten vor Lachen.

»Ach Gott, wie niedlich! Stiefelfritze kriegt sittliche Anwandlungen. Geh schlafen, Papa Wittke, Frauchen wartet.«

Der diaphane Jüngling hob die beringten Hände:

»Oh, Kari Taß! Laß ab ... verschwende nicht deiner süßen Vogelstimme Zauber an so was! Dein Amt ist zu geißeln – grausam und gerecht –, nicht aber, dich um eine mannstolle Prinzessin aus dem sanften Gleichmaß deiner blumigen Schönheit bringen zu lassen!«

In diesem Augenblick gab es in dem Menschenknäuel in der Mitte des Saales einen Schlag auf irgendeine Nase. Ein paar Blutstropfen sickerten auf ein verdrücktes Frackhemd. Schimpfworte neuesten Gepräges flogen hin und her. Wittkes silberner Krückstock blinkte unter dem rieselnden Licht wie eine Waffe auf.

»Nanu, was ist denn hier los?«

Zwei Nachtbummler traten durch den Spalt der schweren Portieren, Zylinder im Nacken, so daß man den gleichen schrägen Scheitelansatz sah, erbsengroße Perlen in den schwarzen Krawatten, das goldene Armband mit der sechseckigen, brillantenbesetzten Uhr eng um das breite Handgelenk geschlagen. Wie Brüder sahen sie aus. Und hatten doch nichts Verwandtes als Neigungen, deren Befriedigung sie durch eine Gunst des Zufalls statt in verrufenen Kellerlokalen der Elsasser Straße in eleganten Amüsiersalons suchen durften.

Der diaphane Jüngling schwebte auf sie zu. »Was los, Gigi?«

Zwei goldene Zigarettenetuis mit Schließen aus Smaragden klappten vor ihm auf. Gigi nahm je eine Zigarette, mit der Miene eines Menschen, der andere begnadet.

»Zu albern, denkt euch: der Stiefelfritze Wittke – ihr wißt doch – hat sich plötzlich bewogen gefühlt, für die Ehre einer Prinzessin einzutreten, bei der seine Frau mal Köchin war; eine Hoheneck, früher Hohen-Steineck. Alter, verkrachter Adel. Der Vater – ein Tattergreis, der sich Gelehrter nennt, weil er in einem Laboratorium herumpantscht. War lange in sibirischer Gefangenschaft. Klaps. Tochter hat sich in Tom King verknaxt. Sitzt in seiner Garderobe, statt bei Papa und seinen Retorten. Gar kein Grund zur Aufregung. Wollt ihr mein neuestes Chanson hören? ›Die Boxerprinzessin‹? Wird ein beispielloser Erfolg werden. Himmel – hört denn der Skandal noch nicht auf? Musik ...!«

»Gigi ... Gigi!«

Kari Taß saß mit herabbaumelnden Beinen auf dem Flügeldeckel und klatschte in die Hände. Sie unterhielt sich göttlich. Wittke, so schätzte sie, bekam dort irgendwo in der Ecke Prügel. Seine belegte Berliner Stimme drang zu ihr: »Eure Bude, die könnt ihr bald zumachen, det will ick euch bloß sagen! Wär' ja noch scheener, wenn so'ne Jiftkreete anständ'je Leute ungestraft bedrecken dürfte ...!«

Dann wurde er von den Herren der Kabarettleitung zum hinteren Ausgang hinausbugsiert. Vom Podium herab fielen ein paar Entschuldigungsworte humoristischer Art. Es fehlte nicht viel, und das kleine Häufchen Provinz, das für sein teures Geld alle Sensationen bis auf die Neige auszukosten gewillt war, hätte richtig geglaubt, daß dieser »Stiefelfritze« der engagierte Moralist war, der allnächtlich den Krach zu machen hatte. Eine Abart des selig entschlafenen »groben Gottlieb«. Nur eine junge Hochzeitsreisende, die ein paar verdächtige rote Flecken auf einem nassen Mundtuch erblickt hatte, flüsterte ihrem Mann ergriffen und beseligt zu: »Nein, nein, Oskar, das war echt ... himmlisch!«

Herr Wittke, ohne Sealmütze, mit aufgerissenem Kragen, den Pelz hoch bis über die Ohren, vom Stock nur noch die Krücke in der Tasche, ließ sich vom ersten Auto nach Hause fahren. Aber nur bis zur Ecke. Ganz heimlich wollte er sich einschleichen.

Wut und Ekel stritten in ihm noch um die Oberhand; aber stärker als beide war die Sehnsucht nach seinem Anneken. Nach ihren lachenden braunen Augen, ihrer einfachen, derben Zärtlichkeit, die sich selbst in der gelegentlichen Gespreiztheit ihres ungewohnten Reichtums nicht verloren hatte.

Still und dunkel lag die Villa zwischen den zwei gußeisernen Gittern.

Die räumliche Trennung, die er für die heutige Nacht angeordnet, hatte er ganz vergessen. Ging auf den Zehenspitzen wie ein heimlicher Liebhaber über den Gang zum Schlafzimmer.

»Anneken ... Anneken ...!?«

War er denn taub? Nicht mal ihre Atemzüge hörte er mehr. Er tastete nach dem Schalter. Schneeweiß und unberührt standen die breiten Betten nebeneinander.

Er zog die Taschenuhr. Drei. Dunnerja ...

Ob sie muckschte? Oder in das Fremdenzimmer gegangen und dort eingeschlafen war?

»Anna – Anneken ...!«

Niemand antwortete. Auch das Fremdenzimmer leer. Aber sein Pyjama lag ausgebreitet auf dem Bett, seine braunen Morgenschuhe waren vorsorglich zurechtgestellt. Auf dem Kissen lag ein Zettel.

»Sie wird doch nich –?«

Oft hatte er nicht Herzklopfen, der Herr Wittke, aber diesmal – – der Deibel konnte wissen, was so eine Frau heutzutage alles ausbaldowerte!

Auf dem Zettel stand nur: »Es geht schlecht drüben. Und wenn ich auch nach Lysol stinke, ich kann mir nicht helfen, man darf seine Mitmenschen nicht allein lassen in ihre Not. Anna.«

Herr Wittke besah den Zettel von allen Seiten. Ein bißchen ärgerlich war er ja. Aber wie er gerade den Kopf hob, sah er sich im Spiegel. Mit abgerissenem Kragen, verdrückter Hemdbrust, von der ein roter Spritzer sich abhob. Da schüttelte er den Kopf und kratzte sich am Nacken. Na ja ... Bei Licht besehen, hätte er es ja auch nicht nötig gehabt, sich für eine fremde Frauensperson so ins Zeug zu legen! Waren doch wohl aus dem gleichen Holz – er und sein Anneken.

Ganz froh war ihm plötzlich zu Sinn. Er warf Pelz und Rock ab und ging, einen alten gefühlvollen Kriegskehrreim pfeifend, in das Badezimmer, wo er die weiße Kachelwanne voll Wasser laufen ließ.

Als Anna Wittke heimkam, lag Herr Wittke bereits in tiefem Schlaf. Sein oberstes Kopfkissen war ganz nahe an das ihre herangerückt.

* * *


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