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In der Nacht war ein starker Frost niedergegangen. Tom King brachte die Winterkälte von draußen in die kleine Werkstatt Ria Romas. Sie war noch im weißen Arbeitskittel und legte die nassen Tücher um die zwei Lehmfiguren.

»War sie da?« fragte er statt jeder Begrüßung.

»Schon ›sie‹, Tom King? Das ging rasch.«

»Sie müssen nicht die Auffassung eines Pensionsmädchens haben, Ria Roma, das paßt nicht zu Ihnen.«

»Schön. Also – sie war da.«

»Und Sie haben sie fortgehen lassen? Ich bat Sie doch ...«

»Sie baten? Nein, Tom King – bitten ist nicht Ihre Art. Sie befahlen – und ich habe Ihren Befehl ausgeführt. Sie sitzt drüben in meinem Teezimmer und wartet auf mich oder auch auf Sie bei der Durchsicht meiner Skizzenbücher. Ich glaube, wir bringen sie noch dazu, mir zur Figur der Weisheit zu stehen.«

»Warten Sie damit! Ich habe anderes vor.«

»Das wäre? ...«

Ria Roma warf ihren Kittel ab, stand da in einem weinroten, knapp anliegenden Tuchkostüm. Unter dem matten Weiß ihres Gesichtes spielte das Blut lebhafter. Schade, dachte Tom King. Seine trägen Sinne entzündeten sich manchmal an dieser rassigen Schönheit.

»Wie lange brauchten Sie, Ria Roma, um Ihre Zelte hier abzubrechen und nach Kingstown zu kommen?«

»Also doch?«

Sie unterdrückte rasch ein überlegenes Lächeln, zwang ihren Zügen wieder die gewohnte Ruhe auf. »Besuch oder Übersiedlung?«

Er hörte an dem Unterton der Frage vorbei, und sie wußte nicht, ob es Absicht war.

»Für Sie und unseresgleichen ist doch alles nur Besuch. Wir haben Marmorbrüche bei Kingstown, die Ihnen das herrlichste Material liefern würden. Einen englischen Baumeister, um den uns das alte Rom beneiden könnte. Schaffen Sie doch drüben bei uns ein Jahr oder zwei.«

Ihre Augenlider sanken schwer herab. Der spielerische Ton an ihm war ihr neu. »Sie wissen, was ich zu meinem Schaffen brauche,« sagte sie grollend. »In ein Sanatorium lasse ich mich nicht sperren.«

»Schade ...« Diesmal sagte er es laut.

Ihre wie gemeißelten Hände legten sich auf seine Schultern. Einen kurzen Augenblick gab er sich dem Wohlgefühl hin, daß diese Berührung in ihm auslöste. Sie sah die Blutwelle in seinem kurzen, ernsten Jungengesicht auf und ab laufen. Hoffnung gab ihrer Stimme Wahrhaftigkeit.

»Vielleicht gelänge es Ihnen, mich zu lieben. Vielleicht ist das alles so gekommen, weil ich nur mir selbst, nicht dem Manne etwas danken wollte. Ich bedurfte seiner nicht. Ich war reich. Ich habe es nie gekannt – das Abhängigsein vom Mann. Vielleicht hätte ich zur Liebe gezwungen werden müssen und wäre dann gesund geworden, glücklich. Meiner Kunst jedenfalls kam meine Unabhängigkeit zugute.«

Er drückte ihre Hände mit den seinen herab, so daß sie ablassen mußte von ihm. Dann trat er einige Schritte zurück. Sie konnte es nicht sehen, wie er seine Pelzmütze krampfhaft in der Hand zusammenballte.

In dem verweichlichenden Rahmen ihrer Wohnräume hatte alles in ihm ihr widerstanden. Hier, in der nüchternkalten Umgebung ihrer Werkstatt, hier, wo das Weib sich verbarg hinter der Arbeiterin und der heiße Trieb des Werdens sich umsetzte in mühevolles Schaffen, hier, wo er eine Kraft spürte, die der seinen ebenbürtig war, hier mußte er zum erstenmal einen Kampf, der ihm in diesem Augenblick härter schien als alle öffentlichen Kämpfe, denen er den Ruhm seiner »Unbesiegbarkeit« verdankte, ausfechten mit sich selbst. Unterlag er jetzt – so war er verloren.

»Für die Nachwelt ist es gleich, ob Laster oder Tugend den Steinen Leben gibt. Den Menschen aber Leben zu geben, ist das Laster nicht berechtigt.« Seine Stimme hatte wieder jenen fast schläfrigen Gleichmut, der ihn unnahbarer machte, als es die größte Härte vermocht hätte.

Sie wendete sich ab, hob die Arme und kühlte ihre brennenden Hände an den nassen Tüchern. Er sollte die Angst nicht sehen, die sie würgte, als sie fragte, in dem überlegen-sarkastischen Ton, der ihr eigen war: »Tote Menschen also soll ich gebären?«

»Lebendige Kunstwerke, ja.«

»Ich sagte Ihnen schon, Tom King: ich war reich. War. Bin es nicht mehr.«

»Das weiß ich.« Und es tat ihm wohl, daß die Unterredung nüchtern wurde, wie die Wände dieses Raumes, deren Kahlheit nur von großen Spiegeln unterbrochen wurde.

Er wiederholte sachlich, trocken: »Ich weiß es – und darum frage ich, wie lange Sie brauchen, um Ihre Zelte hier abzubrechen?«

»So lange, wie nötig, um einen Koffer zu packen und mir einen Scheck von Ihnen auf der Bank auszahlen zu lassen. Von allem, was das Haus einschließt, gehört nur meine Person mir selbst.«

»Was hätten Sie getan, Ria Roma, wenn ich nicht gekommen wäre?« Wider Willen war ihm die Frage entschlüpft, die mehr Anteil verriet, als er zeigen wollte. Er hätte sie gern zurückgenommen.

Aber sie antwortete, kurz und hastig fast, als fürchtete sie, es ungesagt zu lassen: »Dann hätte ich meine eiserne Ration verbraucht.«

Er sah auf ihre Hände, auf ihr stolzes, blasses Profil. Er wußte – sie sagte es nicht, um ihn weich zu stimmen. »Lassen Sie Ihre eiserne Ration hier, Ria Roma. Sie finden in Kingstown ein fertiges Haus, Material, Modelle und Geld. Sie werden aus dem Vollen schaffen und durch eigens dazu bezeichnete Vermittler Ihre Kunstwerke auch außerhalb von Kingstown verkaufen können, ohne betrogen zu werden.«

»So ist es wahr, was ich von Ihrer Märchenstadt gehört habe?«

»Was hörten Sie?«

»Eine erweiterte Besserungsanstalt ist sie genannt worden.«

Tom King zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen, Ria Roma. Es war ein gutgemeintes Angebot. Und manchen finden Sie dort wieder als Zierde der Stadt, der hier in Europa vor die Hunde ging.«

Er machte eine Wendung zur Tür. Sie warf abermals ihre Hände auf seine Schultern. »Wann werden Sie dort sein, Tom King?«

Er fühlte ihren warmen Atem in seinem Nacken. »Ich weiß es nicht. Ich habe viele Verpflichtungen. Stephens hat eine Tournee zusammengestellt von Stockholm bis nach Bukarest. Von Lissabon bis an den Ural.«

»Sie werden reisen wie ein König –«

Er mißverstand sie. »Die Ausstattung meiner Wagen ist einfacher als die Ihrer Luxuskabine, Ria Roma.«

»So meinte ich es nicht. Antworten Sie: Wann werden Sie dort sein?«

Er stolperte über Mörtel und fiel mit dem Knie auf einen niederen Hocker. Sie hielt sich noch immer fest an ihm, ihr wundervolles Gesicht lag jetzt ganz nahe an dem seinen, ihre Wärme strömte über auf ihn; er blinzelte ungeschickt, ein bißchen verlegen fast vor dem sengenden Blick ihrer großen, glänzenden Augen.

»Schenken Sie mir eine Stunde. Heute. Eine einzige Stunde – heute nach der Vorstellung. Ich habe nie einen Mann um seine Gegenwart gebeten – nie. Nur weil ich nicht weiß, ob ich Sie wiedersehe und wann – ich bin doch nicht die erstbeste, Tom King ... ich darf bitten.«

Ganz nahe glühten ihre Augen vor den seinen auf. Das Weinrot ihres Kleides schlug um ihn wie eine Flamme. Sein Nacken lag wie eingebettet in ihren brennenden Händen.

»Weib werden ... Weib – durch dich – und ich bin gerettet ... Nie soll ein anderer Rausch – nie, ich schwöre es – um dieser einen Stunde willen – nie – –«

Sie fühlte, wie seine Schultern nachgaben, wie seine Lippen sich zu ihr neigten, sah, wie das Blut ihm aus den Wangen lief, spürte seine Hände an ihrem Körper – und schrie plötzlich auf vor einem harten Stoß, der sie zurückwarf an die kahle Mauer.

Tom King stand jetzt mit beiden Füßen auf dem Boden. Seine Atemzüge gingen rasch, und seine Augen blickten über sie hinweg.

Mochte sie es ahnen, wissen durfte sie es nicht, wie nahe er daran gewesen war, zu unterliegen. In dem Ausdruck seiner schweren Lider lag ein Etwas, vor dem sie erschauerte.

»Ich glaube, Sie haben Besuch, Ria Roma.«

Ganz heiser war seine Stimme.

Sie murmelte: »Gehen Sie voran, Tom King – Sie kennen ja den Weg.«

Er ließ die Tür hinter sich zufallen. Eine zweite erdröhnte. Ein schmaler, vereister Gartensteg führte zur Villa. Violette Schatten lagen auf den bereiften Bäumen. Vor dem zierlichen Gitterwerk des Grundstücks stand das Hotelauto. Der Chauffeur schritt, eine Zigarette rauchend, auf und ab.

»Ankurbeln!« rief Tom King hinüber.

Ein junges Mädchen mit weißer Tändelschürze öffnete ihm, bevor er noch geläutet. Sie sah ehrfürchtig zu ihm empor wie zu einem Gott. Dann atmete sie auf, lief eilig vor bis an die Tür des Teezimmers.

»Ich weiß schon – gehen Sie,« sagte er und schob sie zur Seite.

Prinzessin Wanda saß in einem Sessel aus gelbem Goldbrokat. Ein Skizzenbuch war ihr von den Knien geglitten. Ihr Kopf lag zurückgeworfen an der Lehne mit der schweren, geschnitzten Barockrahmung. Ihren weichen, dunklen Filzhut hielt sie in der herabhängenden Rechten. Der verlöschende Tag vertiefte die Schatten in ihrem blassen, durchgeistigten Gesicht. Sie schlief.

Und zum erstenmal sah er sie – bewußt. Die also sollte seine Frau werden. Die sollte den Herrscher der Welt gebären ...! Sie erschien ihm dürftig, jetzt – da seine Augen noch erfüllt waren von dem Bilde Ria Romas. Nichts an ihr sprach zu seinen Sinnen. Und das tat ihm wohl.

Noch lag ihm die Schwüle der letzten Augenblicke im Blut. Noch fühlte er den heißen Atem der Leidenschaft um sich wehen, das unsinnige Verlangen, sich loszulösen von sich selbst – einmal, ein einziges Mal nur die schönste Frau, die er je gesehen, an sich zu pressen, unterzutauchen mit ihr in einem Rausch – der ihn alles vergessen ließ ...

Wer sagte ihm denn, daß Michael den wahren Sinn des Lebens erkannt hatte? War nicht doch die Lust – das Höchste? Lust geben, Lust empfangen der einzige erstrebenswerte Daseinszweck?

Ein Schwindel erfaßte ihn. Seine Hand stieß an eine der bereits aufgestellten Teetassen. Da kam er zu sich. Und ihm war – als hätte sich ein Abgrund vor ihm aufgetan. Ihm – Tom King – dem Unbesiegbaren, hatte eine Vorstellung, ein Gedanke die Herrschaft über sich geraubt, daß er sich hatte festhalten wollen, um nicht zu wanken. Eine Vorstellung – ein Gedanke! Was geschah – wenn es Wirklichkeit würde, was sein Blut verlangte –? Und zum erstenmal in seinem Leben feuchteten sich seine Schläfen.

Das dumpfe Geräusch des angekurbelten Motors brachte ihn vollends zur Besinnung. Absichtlich diesmal ließ er die Tasse erklirren.

Prinzessin Wanda schlug die Augen auf. Sie schnellte aus dem Sessel empor, dunkle Glut kroch ihr bis unter die Haarwurzeln. »Ich habe wahrhaftig geschlafen.«

Es fiel ihm auf, daß ihr Hut ihr nicht aus den Fingern geglitten war. Da lächelte er. »Kommen Sie, Prinzessin – ich habe mit Ihnen zu sprechen.«

Sie fragte nicht. Mechanisch setzte sie ihren Hut auf, griff nach ihrem Täschchen.

Er war vorausgeschritten, hielt die Tür. Sie ging ihm nach wie eine Nachtwandlerin. Über die Diele durch eine zweite Tür, einen schmalen, vereisten Gartenweg. Stieg in das prustende Auto, das innen erleuchtet war von einer elektrischen Birne. Hörte, wie eine Stimme sagte:

»Halensee und zurück Tiergartenstraße.«

Dann war es ihr, als löste sie sich selbst auf in dem unendlich Großen, das den Innenraum des Wagens füllte, der gleich darauf mit leichtem Surren abstieß. Eine Hand drehte das Licht aus, und dieselbe Stimme sagte: »Ich denke – so ist es besser.«

Wenige Augenblicke später trat Ria Roma in ihr Teezimmer, einen Pelzkragen um ihr weinrotes Kleid. Sie sah sich nicht um. Sie wußte, daß das Zimmer leer war. Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und drückte ihre Handrücken gegen die Stirn.

So saß sie, bis die Nacht den letzten Dämmerschein löschte. Von draußen hatte das Stubenmädchen mehrfach ihr Ohr lauschend an die Tür gelegt. Aber es war ihr verboten zu kommen, ohne daß ein Läuten sie herbeirief. Und es blieb still im Teezimmer. Auch zur Stunde, da die Bildhauerin sich sonst zum Zirkusbesuch ankleidete.

Um acht hielt ein Mietauto vor dem Gitter. Ein kleiner, beweglicher Herr lief mehr, als er ging, den schwachbeleuchteten Gartenweg entlang. Läutete. Er müsse sofort das gnädige Fräulein sprechen, er hätte einen Brief von Mister King zu übergeben.

Da wagte das Mädchen, die Tür zum Teezimmer zu öffnen. Es war noch dunkel darin. Aber als sie Licht machte, sah sie ihre Herrin am Teetisch sitzen, die Handrücken gegen die Stirn gepreßt, den Pelzkragen um die Schultern.

»Ja?« sagte Ria Roma und wandte ihr das Gesicht zu. Es war grau. »Ein Herr Quick ist draußen mit einem Brief von Herrn Tomkin.«

»Ich lasse bitten.«

Sie stand jetzt. Wie versteinert waren ihre Züge.

»Ich soll auf Antwort warten, gnädiges Fräulein.«

Der Sekretär trat in die Tiefe des Zimmers zurück. Aber im Spiegel konnte er sehen, wie ihre Hände zu zittern anfingen, als sie den Brief in Händen hielt. Dann riß sie ihn auf. Er wußte, was in dem Brief stand. Er selbst hatte ihn getippt, nur die Unterschrift war von Tom King.

»Sehr geehrtes Fräulein! Der Zug, den Sie benützen müssen, um das Schiff zu erreichen, das Sie in bester Gesellschaft nach Amerika bringt, geht morgen abend um sechs Uhr. Mein Sekretär, Mister Quick, Überbringer dieses, wird Ihnen für den Fall, daß Sie sich zu der Reise entschlossen haben, einen Scheck über zehntausend Dollar einhändigen. Ein Scheck in der gleichen Höhe wird Ihnen bei Ihrer Ankunft in Kingstown von meinem Freund Dr. Michael übergeben werden. Mit ergebenem Gruß und den besten Wünschen für das Gedeihen Ihrer Kunst Tom King.«

Das Papier raschelte in ihrer Hand. Mister Quick zog die Uhr. »Darf ich fragen ...« Mehr als zehn Minuten waren in seinem Programm für diesen Besuch nicht vorgesehen.

»Ich reise,« sagte Ria Roma. Und lachte plötzlich kurz auf.

Der Sekretär holte ein Bankbuch mit Blankoschecks aus seiner Rocktasche und schrieb Zahlen und Datum auf das erste Blatt.

»Wünschen Sie eine Quittung?« Wie ein Peitschenhieb sauste ihre Stimme durch das Zimmer.

»Nicht nötig, gnädiges Fräulein. Ich habe den Vorzug, Sie morgen um fünf Uhr mit dem Auto zur Bahn abzuholen. Empfehle mich.«

Er war draußen. Und so eilig er war – er blieb doch plötzlich stehen, weil er abermals ein Lachen hörte. Ein Lachen, das ihm, der vieles erlebt hatte in den Jahren, da er in Diensten der zwei Athleten stand, den Atem benahm. Er riß die Tür auf und lief durch den Garten zum Auto. – –

»Halensee!« hatte Tom King dem Führer zugerufen. Er hätte ebensogut »Paris«, »Lissabon« oder »London« sagen können. Zeit, Raum, innere Zusammenhänge, Bedenken, Vergleiche – das alles war für Wanda versunken. Und doch war keine Verwirrung in ihr. Nur ein somnambules, scharfes Erfassen, das tiefste Wahrhaftigkeit auslöste.

»Wissen Sie, Prinzessin, warum ich Sie bat, zu Ria Roma zu kommen?«

»Nein.«

»Ich wollte Sie bestimmen, ihr zu einem Halbakt zu stehen: ›Weisheit‹, den ich in Kingstown zwischen zwei Monumentalfiguren: ›Kraft‹ und ›Schönheit‹, aufzustellen beabsichtige.«

Er wartete vergeblich auf einen Ausruf der Empörung oder Ablehnung. Sie schwieg. Da nahm er seine Pelzmütze ab und fegte mit ihr hin und her über sein Knie. »Hätten Sie es getan?« fragte er beinahe grob.

»Wenn es notwendig gewesen wäre für Sie – ja.«

»Noch gestern schien es mir notwendig. Aber ich sehe ein, es war nur eine Spielerei. Die Weisheit aus einem Stein gehauen – ist nonsense. Dumme Allegorie. Kraft und Schönheit kann man darstellen. Weisheit muß leben – wirken. Und darum müssen Sie selbst nach Kingstown kommen, you know ... Sie selbst.«

Wieder schwieg sie. Der Wagen schien ihr nicht geradeaus zu sausen, sondern sich in wilden Purzelbäumen zu überschlagen. Sie hing sich in den Armgurt ein, der am Fenster herabhing. Ihn aber durchbohrte es wie mit einem schmerzhaften Feuerstrahl: Wenn Ria Roma hier säße statt dieser Prinzessin, wie anders wären Frage und Antwort. Wie einfach, stark und zwingend wäre da ein einziges Wort gewesen: »Komm.« Und wie leicht wäre es ihm geworden, es zu sagen.

Ganz unwillkürlich faßte auch seine Hand nach dem Armgurt an seiner Seite. Ihm war es, als müßte er sich mit dem Kopf durchstoßen durch eine dicke Mauer, eine Mauer festgefügter Begriffe und Überlieferungen. Denn daß er keinen wahrnehmbaren Widerstand fühlte, war ihm eher unheimlich als ermutigend.

»Was wissen Sie von Kingsland? Wollen Sie es mir sagen – aufrichtig?«

»Alles, was Doktor Kürer weiß.«

»So ... well. Das ist viel. Und es war auch wohl Gutes, als Doktor Kürer mein Freund war. Er ist es nicht mehr.«

»Nein.«

» I can not help it. Ich hatte viel vor mit ihm. Aber ein neues Land verlangt neue Menschen – mit neuen Begriffen. Er ist ein Alt-Europäer. Er glaubt neu zu sein, weil er seinen alten Titel weggeworfen hat, wie eine Münze, die außer Kurs ist.«

Tom King starrte eine Weile durch die Fensterscheibe, obwohl draußen kaum noch Umrisse vereinzelter Häuser und kahler Baumstämme eines gleichsam ausgefransten Waldsaumes zu erkennen waren. Beinahe hätte er Wanda vergessen, als ihre Stimme an sein Ohr drang.

»Begriffe mögen dem Wechsel der Zeiten unterworfen sein, nicht aber Gefühle.«

Wieder fegte Tom King über sein Knie. Zu dumm war das alles! Ohne Liebe nahm er einem Greis, nahm er einem Mann, wie Doktor Kürer, der ihm beinahe fremd geworden, ihr Teuerstes fort und stieß rücksichtslos das Weib von sich, nach dessen Besitz allein ihn verlangte. Aber das mußte wohl alles so sein, damit er seine »Mission« erfüllte, damit seine Kraft Sinn hatte, nicht bloß zwecklose Vergeudung war im üppigen Haushalt der Natur.

» Well, Sie müssen nach Kingstown kommen,« sagte er, fast gereizt, daß er Bittender sein mußte – er, der gewöhnt war, zu befehlen. Doch kaum hatte er es ausgesprochen, so kam ihm zum erstenmal der Gedanke, daß es nach alt-europäischen Begriffen eine Ungeheuerlichkeit sein mochte, die er von ihr verlangte, daß er zum mindesten eine andere Form finden mußte, um zu erreichen, was er vorhatte. Angestrengt suchte er in seinem Gedächtnis zusammen, was er über ihre Lage, ihre häuslichen Verhältnisse wußte.

»Wenn Sie wollen, können Sie Ihren Vater mitnehmen, Miß Wanda. Er soll ein großer Gelehrter sein – ein Erfinder. Ich habe Interesse für alles Neue. Natürlich müßte die Erfindung zuerst Kingstown zugute kommen. Wir nützen sie dann aus, verwerten sie. Ich kann Ihnen dort drüben alle Hilfsmittel zur Verfügung stellen.«

Prinzessin Wanda neigte ihren Kopf tief über die in ihrem Schoß gefalteten Hände. »Es ist nichts mit der Erfindung,« stieß sie kurz hervor.

Sie fühlte, daß sie sich mit diesem sich selbst abgerungenen und zum erstenmal ausgesprochenen Bekenntnis jeder Bemäntelung entäußerte. Daß sie sich in seine Hand gab – ganz Weib. Nur Weib. Brennende Scham ließ ihr Blut aufkochen. Wenn er in diesem Augenblick das Licht angedreht hätte – sie wäre zum sausenden Wagen hinausgesprungen.

Aber er dachte nicht daran. Langsam, weil er die Ausdrücke nicht gleich zur Verfügung hatte, die Unglaubhaftes glaubhaft machen sollten, lösten sich die Worte von seinen Lippen: »Augenblicklich handelt es sich nicht so um Ihre Wissenschaft. Ich schätze Sie ... als Menschen. Ich« – wieder war es ein verzweifeltes Suchen – »ich verehre Sie als Frau. Ich bewundere die Vereinigung von alter Zuchtkultur und hohem Verstand an Ihnen. Und ich empfinde es als Notwendigkeit, mich durch Sie zu ergänzen. Denn ich glaube, daß wir beide zusammen eine Einheit ergeben können, die der Welt not tut, weil die Welt einen Mittelpunkt braucht und einen Beherrscher.«

Er bemerkte es nicht, daß er unterdes alle Knöpfe seines Pelzes abgerissen hatte. Denn während er sprach, war ihm, als hämmere jemand auf seinem Schädel herum und schriee ihm in die Ohren: »Wahnsinn – Wahnsinn!« Und doch mußte er sprechen. Mußte es sagen, es fast wörtlich wiederholen, was ein Krüppel ihm übers Meer gekabelt. Als zwängen ihn auch jetzt unsichtbare Gewichte unter das Joch dieses fremden Willens. Und er lauschte, atemlos, auf das, was kommen mußte. Auf das spröde, kühle Frauenlachen, das ihn zurückstieß in die Welt der Wirklichkeit, die sein Neuland einschätzte wie getünchte Kulissen einer Operettendekoration ...

Doch es blieb still im Wagen, der in zitternder Schwingung über die glattgestampfte Chaussee flog.

Da streckte er tastend die Hand aus – furchtsam fast wie ein großer Junge, der Strafe abwehren will für großmäulige Lügen. Und riß seine Hand zurück, weil sie an heißes Naß geraten war.

»Ich habe Sie nicht beleidigen wollen,« murmelte er. Dann, hastig drängend: »Soll der Wagen halten und Sie allein nach Hause fahren? Ich steige aus, sowie Sie mich fortschicken.« Und mit aller Kraft seiner Seele wünschte er es, daß sie »Ja« sagte. Statt dessen aber fühlte er zwei schmale Hände, die sich an seinem Arm hochrankten, und hörte eine Stimme, die ihn so fremd dünkte, als hätte er sie nie vernommen: »Vom ersten Augenblick, da ich Sie gesehen – gehörte ich Ihnen. Wo Sie mich hinstellen, da stehe ich, wohin Sie mich rufen, komme ich. Ob als Ihr Weib – Ihre ... Ich bin ein Ding in Ihrer Hand, Tom King. Ich lebe nur von Ihrer Gnade. Wie kann ich Sie fortschicken – ich Sie ...?«

»Prinzessin – –«

Ihr Titel kam ihm über die Lippen, er wußte nicht wie, nicht warum. Berge und Meere hätte er legen wollen zwischen sich und sie. Da spürte er plötzlich eine brennend heiße Stirn auf seiner Hand und warf sich in jähem Zorn zurück, wie wenn glühendes Eisen ihn verbrannt hätte.

Wanda Hoheneck aber schlug die Hände vors Gesicht, weil im selben Augenblick die elektrische Birne im Wagen aufglühte.

Dann fuhren sie schweigend weiter und warteten, wer von ihnen beiden zuerst die Stille zerreißen würde. Bis Tom King sich vorbeugte, den Sprechschlauch ergriff und kurz hineinrief: »Zurück, Tiergartenstraße.«

Wandas stahlblaue Augen leuchteten wie schwarzer Blutstein aus ihrem totenblassen Gesicht. »Wann soll ich in Kingstown sein?« fragte sie.

Es war wieder ihr ruhiger, klarer Ton. Er schenkte ihm sein Gleichgewicht wieder und das jungenhaft überlegene Lachen, das seiner Kraft den Reiz spielerischer Selbstverständlichkeit gab.

»Nach Kingstown können wir nicht mit leeren Händen kommen. Kingstown braucht furchtbar viel Geld. Ein Jahr wird's dauern, bis wir dort sind: ganz Europa müssen wir durchqueren, ein Stückchen Asien mitnehmen und Ägypten. Reisen schrecken Sie ja nicht – is it not? Und wenn wir Kingsland betreten, wird eine fürstliche Frau ihm das Kind bringen, das sein und der Welt Beherrscher sein soll. Denn was sich hier überlebt hat – dort ist es Wiedergeburt – –«

Er sagte das letzte mit ungewohnter Feierlichkeit.

Wanda Hoheneck preßte ihre beiden Hände gegen ihr wild pochendes Herz. »Wann – – wann reisen wir?«

Halberstickt klang ihre Stimme. Er aber sprach jetzt weiter in ruhig zusammenfassendem Unterhaltungston, als bespräche er einen kurzen Ausflug: »Vor Ende nächster Woche kaum. O'Bry hat plötzlich abgebrochen. Nun will sich ein Herr von Torff in einem Sportklub mit mir messen. Ein Mensch – größer als ich und stärker als O'Bry, sagen die Leute. Well – das kann ich nicht auslassen. Er setzt vier seiner besten Zuchthengste – und sein Gestüt ist berühmt bis nach Amerika – gegen sechs Angorakatzen. Er ist sehr eingebildet auf seine Kräfte. Macht nichts, wenn ich dabei vier erstklassige Deckhengste gewinne, für drüben.«

Seine Augen blitzten auf vor jungenhaftem Vergnügen. Um seinen Mund aber legte sich ein Zug, der ihr plötzlich erschreckend vertraut schien. Wo hatte sie nur diese in den Ecken hochgezogenen Lippen gesehen, die sich mit fast weiblicher Anmut über den blanken Zähnen wölbten? Hatten solche Lippen nicht schon einmal die ihren berührt? Hatte so ein schalkhaftes, sonniges Lächeln sich nicht schon einmal ihr enthüllt? War es im Traum gewesen oder jetzt Spiel ihrer erregten Phantasie? Wenn er nur das Hämmern ihres Herzens nicht hörte. Wenn er nur nicht merkte, wie verlangend und vergehend sie an seiner Seite saß. Nein, – er hörte nichts, er merkte nichts. Er sprach von ihr über sie hinweg. In Wien sollte die Trauung sein. Denn es war nicht viel Zeit zu verlieren, und in Wien lebte ein alter Freund seines Vaters, der alle Schliche kannte, um lästige Formalitäten abzukürzen. Wenn sie wollte, könnte ihr Vater sie nach Wien bringen. Für standesgemäße Unterkunft sollte Sorge getragen werden. Nur an der Eile dürfte er sich nicht stoßen ...

Sie schüttelte den Kopf, unterbrach mit einer Härte, die er nicht kannte an ihr: »Mein Vater bleibt außer Spiel. Mein Vater würde das alles nicht verstehen. Sie nicht. Mich nicht. Zudem ist er nicht allein. Er hat eine Frau. Eine junge Frau, die er mehr liebt als alles ...«

Und was sie schweigend getragen all die Jahre, was sie unter ruhiger Sachlichkeit verborgen und in rastloser Arbeit zu ersticken geglaubt hatte – das quoll in dieser Stunde wieder in ihr auf.

»In Wien also ...,« sagte sie leise.

Wie ein tastendes Weiterspinnen war es. Seine Stimme wollte sie hören, die ihr Glauben schenkte an das, was sie noch immer unfaßlich dünkte, was vielleicht noch ungreifbar in der Luft hing – vielleicht nur ein plötzlicher Einfall von ihm sein mochte oder ein Spaß – oder ein Traum ...

Zu Eis erstarrt saß sie in ihrer Ecke, die schlanken Finger ineinanderverästelt. Seine Stimme rauschte über sie hinweg wie der Flügelschlag eines Adlers. Hob sie weit empor in Höhen, die sie nie geahnt.

»Es wird gute Zeit sein für uns – denke ich, Miß Wanda. Wir reisen in unseren eigenen, für uns gebauten Waggons, mit verstellbaren Rädern, so daß sie überall angehängt werden können. Raum genug haben wir. Denn wie viele waren mein bisher? Mein old man mit seinem Nigger, ich und mein Diener Bob. Unser Sekretär, Mister Quick, unser Geheimagent, unser Kurier, mein schwedischer Masseur, mein Trainer. Ein paar Boys – manchmal ein kleiner Reporter, der ein Paar Stationen mitnahm. Ja richtig – der Koch. Wir könnten eigentlich doppelt so viele Menschen brauchen, denn mal muß der Kurier vorausfahren, mal Mister Quick ... Ihnen soll es an nichts fehlen: Stubenmädchen, Kammerfrau, Salon, Toilettenzimmer. Ihr eigenes Bad. Kein Luxus, nur comfortable. So for instance wie auf einer Farm, you know, praktisch und bequem. Bücher, Schaukelstühle, Schreibtisch, runder Tisch mit Hängelampe –«

Er sprach plötzlich ganz langsam. Als schildere er Vergangenes, das ihm teuer war.

»Auf unseren Expeditionen hatten wir es wesentlich einfacher,« warf sie ein.

Sie hätte geprotzt mit ihrer Anspruchslosigkeit, nur damit er nicht glaubte, daß sein Reichtum sie blendete und anzog. Er nickte versonnen.

»Man muß alles können. Michael hat im Pferdestall geschlafen und sich vom Hundefutter genährt. Jetzt liegt er auf seiner Chinaseide und hat einen Koch, den Vanderbilt ihm abspenstig machen will. Michael sagt – ich sei noch zu jung für Luxus ... Ich mach' mir auch nichts daraus. Luxus versklavt. Nur Frauen dürfen Luxus verlangen. Stephens sagt, Frauen sind Sklavinnen, die ihre Ketten anbeten. Es gefällt ihm an Ihnen, daß Sie keine Sklavin sind und keine Puppe. Mein daddy, you know, ist ein furchtbarer Weiberhasser.« Bei dem Kosenamen, den er seinem Vater gab, schimmerte eine ungewohnte Wärme in seinen Augen auf, und er lachte mit leichter Verlegenheit lautlos vor sich hin.

»Tom!« sagte Wanda Hoheneck leise und trank alle Glut ihres Empfindens in sich ein mit dem Klang seines Namens.

Er aber streifte sie mit einem kurzen Blick, nicht ohne Gefallen an ihrer schlanken, rassigen Silhouette. »Ich denke, wir werden uns bald aneinander gewöhnen,« sagte er und faßte ihre Hand.

Mehr wußte er ihr nicht zu sagen. Ihm schien es viel. Sie aber spürte nur den kurzen Druck und rührte sich nicht, vor Angst, er könnte seine Hand zurückziehen wie schon einmal.

* * *


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