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XV.

Der Kriegsruf der Indianer erstickte auf ihren Lippen, sie waren vor Schreck erstarrt. Prasselnd schlugen in ihre Reihen die Kugeln, jählings dahingerafft fiel Mann nach Mann, ehe noch ein einziger Schuß zurückgegeben worden war, ehe jemand an eine Verteidigung dachte.

»Der Tod ist los – schon wogt der Kampf
Eisern im wolkigen Pulverdampf,
Eisern fallen die Würfel!«

Da erhob das Schwarze Pferd beide Arme hoch in die Luft und lief an den Reihen seiner Stammesgenossen dahin. Gellend klang von den bemalten Lippen der Kriegsruf, wie eine Schlange wogte im Bogen, hoch aufgebauscht, die Schleppe über Stein und Moos. Der Häuptling glich einem Teufel, dessen rasende Sprünge bestimmt sind, durch ihre Wildheit, ihre tolle Wut andere zu entflammen und mit sich fortzureißen.

»Hoh! Hoh!« klang es durch zehnfaches Felsenecho dahin. »Hoh! – Hoh!« –

Das war zu einem langen, schrillen, der Klangfarbe nach in Worten nicht zu schildernden Tone hinausgedehnt, ein Gellen und Trillern, das den Weißen wie ein Messerstich durch den Kopf ging. Die Rothäute schienen davon plötzlich aus ihrer Erstarrung zu erwachen, sie stießen alle den gleichen Ton hervor, – eine fürchterliche Begleitung zu dem Knattern des Kleingewehrfeuers, dem Trommelwirbel und den Kommandos der Truppen. Wie ein Mann erhoben sie die Arme, und Muskete und Bogen entsandten ihre todbringenden Geschosse in die Glieder der Feinde.

Auch da oben an den Abhängen lichteten sich die Scharen. Hier stürzte eine der tapferen Blaujacken zerschmettert hinab in die grausige Tiefe, dort wurde ein anderer zeitig genug hinweggetragen, um nicht von den Füßen der nachrückenden Kameraden zertreten zu werden.

Vom schmalen Eingang der Schlucht her klang Laufschritt. »Die Zwölfer!« rief der Unteroffizier. »Hurra! die Zwölfer! Hierher, Kameraden!«

Aber es war nicht so leicht, den Thalkessel zu stürmen. Wie eine Mauer standen die Rothäute, wie Löwen verteidigten sie ihre Stellung. Ganze Scharen von Soldaten rückten heran, die Salven krachten, das grüne Moos begann sich blutrot zu färben, – noch war kein Zollbreit von den Regierungstruppen erobert worden.

Hinter dem Rücken der roten Kämpfer, dicht an den Rand des jäh abfallenden Felsens gedrängt, standen die weißen Gefangenen des Häuptlings. Stein nach Stein flog aus ihrer Mitte in den zusammengeballten Knäuel kämpfender Indianer, dennoch aber vermieden sie ein offenes Vorgehen. »Hütet euch!« hatte das Schwarze Pferd gesagt. »Ein kurzes Wort von mir und ihr liegt in weniger als einer halben Minute zerschmettert da unten.«

Das lähmte auch die Tollkühnsten, selbst der Unteroffizier sah ein, daß Vorsicht geboten sei. »Ich warte, bis mir der Häuptling in den Wurf kommt,« raunte er, »dann mag der schwerste Stein durch die Luft fliegen. Er soll daran glauben und, will's Gott, von meiner Hand.«

»Hassen Sie ihn so sehr?« fragte Lionel.

»Sehr! Er hat Scharen von weißen Gefangenen zu Tode gemartert, hat wie ein Wolf im Blute der wehrlosen Menschen geschwelgt, dafür steht die Abrechnung noch aus. Zu jener Zeit gab es keine bei den Unionstruppen in Gefangenschaft befindlichen Rothäute, der Häuptling brauchte daher auch keine Soldaten, um eine Auswechselung beider Teile vorzunehmen, er konnte seinen grausamen Gelüsten freien Lauf lassen und so ziemlich alle Unglücklichen, die in seine Hände fielen, auf bestialische Weise abschlachten. Das soll er noch gehörig büßen.«

Und der große Stein bebte in der Hand des bleichen, erbitterten Mannes. »Es waren Deutsche dabei,« setzte er zähneknirschend hinzu, »junge, prächtige Knaben in Ihrem Alter, Mr. Lionel, – ich habe sie bei lebendigem Leibe skalpieren, sie niederschlagen sehen, wie ein Mann von Gewissen kein Vieh behandelt. Dergleichen vergißt sich nicht wieder.«

»Halloh!« unterbrach er die eigene Rede, »was geht da drüben vor, Mr. Lionel? So wahr ich lebe, die Blaujacken haben einen zweiten Zugang gefunden!«

Unser Freund sah auf. Während die Indianer immer noch mit Erfolg den Felspaß gegen die anstürmenden Soldaten verteidigten, während sich Leichen auf Leichen häuften, hatte geräuschlos hinter ihrem Rücken ein neuer, ungeahnter Einbruch begonnen. Mann nach Mann betrat den Thalkessel; wie ein dunkler Strom ergoß sich aus dem Spalt eine unübersehbare Menge, deren Bajonette im Mondlicht blitzten, die sich leise zu festgegliederten Abteilungen fügte und möglichst im Schatten Posto faßte.

Hunderte mochten den Eingang gefunden und hinter Bäumen oder Zelten und einzeln liegenden Blöcken Deckung gesucht haben, da bemerkte eine Rothaut den bisher glücklich verborgen gehaltenen Schachzug und der gellende Kriegsruf tönte wieder über das weite, blutbedeckte Rund dahin.

Verwirrung ohne gleichen überfiel die Indianer. Nicht wie Menschen, wie wilde, plötzlich von der Kette losgerissene Raubtiere kämpften sie auf Tod und Leben nach zwei verschiedenen Seiten zugleich, rasend vor Zorn, vor zerstörender, gewaltiger Aufreguug.

Mehr und mehr Soldaten drangen herein, auch in ihre Glieder schlug der Eisenhagel; Brust an Brust, Stirn an Stirn kämpften die erbitterten Gegner.

Jetzt hatten sich sämtliche Gefangene mit hineingestürzt in die heiße Umarmung des Todes. Ohne Waffen, mit Steinen oder Stöcken drangen sie auf ihre Widersacher ein, mit der bloßen Faust würgten sie die Kehlen der Wilden.

So nahe war ihnen die Freiheit gewesen, so süß, so selig der Traum vom Wiedersehn mit ihren Lieben, – und das alles hatten die Indianer geraubt, vernichtet, das alles hatten sie in unabsehbare Ferne gerückt. Fluch ihnen! Sie sollten hundertfältig ihre Unthat büßen.

Lionel war mit mehreren anderen zugleich ganz in die Nähe des Einganges verschlagen worden. Blut bespritzte von oben bis unten seine Kleider, ihn schwindelte, tief atmend überblickte er das entsetzliche Kampfgewühl, in dem sich kaum noch der Einzelne unterscheiden ließ. Ein roter Arm und der Nacken eines weißen Mannes, dann ein Sturz, ein Knäuel, aus dem meist der Wilde sich allein wieder erhob, während sein Messer rauchte und unten am Boden ein verstümmelter Körper in den Zuckungen des Todes sich wand und stille, ganz stille liegen blieb.

Wo ein Soldat gefallen war, da raubten ihm flinke Hände die Waffen. Unter die Füße getreten wurde der, dessen Brust den letzten Atemzug gethan, wild in das Getöse stürzte sich der Sieger. Auf Leichenhügeln raste der Kampf.

Es wirbelte und flutete vor Lionels Augen. Hatte nicht eine Stimme seinen Namen geflüstert? – Er glaubte es!

»Lionel! Lionel!«

Träge öffnete er die heißen Augen, halb betäubt; er sah umher und schloß wieder die Wimper. Zu viel des Entsetzlichen, zu grauenhaft das Bild.

»Lionel! – Hörst du mich nicht?«

Wieder fuhr er auf. War das Hermanns Stimme?

»Hier bin ich ja! – Hier!«

Wie ein elektrischer Strom floß es durch Lionels Adern. »Hermann, du lebst! – O mein Gott! du lebst!«

Er sah ihn jetzt. Ein hoher Felsblock trennte das Schlachtfeld von den dahinter liegenden Steinmassen; Hermann hatte Deckung gesucht und gefunden, jetzt streckte er die Hand aus, um den Freund zu warnen. »Komm nicht hierher! Dich könnte eine Kugel treffen!«

Aber Lionel schüttelte den Kopf. Ein Baum gewährte ihm Schutz, rechts und links flogen die Geschosse, – einerlei, ob eins das Herz trifft oder nicht. Es schien in diesem furchtbaren Blutbade alles unterzugehen, Besinnung und Hoffnung, – die tödliche, lähmende Ermattung beherrschte Leib und Seele, das Entsetzen hielt den Verstand in Banden.

Lionel raffte alle seine Kräfte zusammen, er versuchte einen festen Schritt, aber nur taumelnd gelangte er hinüber zu der Stelle, wo Hermann stand und ihn jetzt in seinen Armen auffing. »Bist du krank, Lionel?« fragte er voll Besorgnis.

Unser Freund schüttelte den Kopf. »Der Schwindel!« flüsterte er. »Es geht alles mit mir im Kreise herum.«

Hermann nahm von einer, an seinem Halse hängenden Feldflasche den Kork und ließ einige Tropfen Rum auf Lionels Lippen fließen. »Trink!« bat er. »Du bist hoffentlich nur schwach, aber nicht krank. Die Szene da unten ist zu gräßlich.«

Lionel nahm aus der Flasche einen tüchtigen Schluck, – erst jetzt kam etwas Sicherheit in seine Haltung zurück, er konnte die Augen offen halten und freier atmen. »Wohl eine Stunde lang war ich mitten in dem furchtbaren Tumult, Hermann! Warmes Blut aus Todeswunden ist mir über Gesicht und Hände gelaufen, – mich traf ein Hammerschlag auf den Kopf.«

»Aber es wird schon besser!« setzte er tief atmend hinzu. »Ich kann wieder allein stehen, kann ruhig denken. – O Hermann, wie habe ich gebangt um dich! Wo warst du? Wie bist du hierher gekommen?«

»Dafür ist jetzt keine Zeit, Lionel! Ich konnte mich bei dem Aufbruch der Rothäute versteckt halten, das genüge dir! – Auf dem Geleise lief ich dem Zuge nach und habe dann die Truppen hierher geführt, – Tag und Nacht sind wir marschiert.«

»Und die Deinigen, Hermann! Leben sie?«

»Alle, alle! Es wurde niemand verletzt.«

»Sieh dort den Häuptling!« setzte er hinzu. »Ein Soldat ringt mit ihm, ein Unteroffizier. Die beiden haben sich aus der Menge herausgeschält, – sie sind in förmlichem Zweikampf! Mit seinen Zähnen hängt sich der Mann an die Rothaut.«

Lionels Herz klopfte schwer. »Ein alter Haß!« sagte er halblaut. »Wer wird siegen? – O gräßlich! Gräßlich! – Das Schwarze Pferd ist zu Tode getroffen!«

»Aber der Soldat nicht minder! Sieh, wie er fällt! Der Häuptling gibt seine Kehle nicht frei! – Zu spät! Zu spät! Die Brust ist durchstochen.«

Lionel überhörte das Letzte. Der Alte dort, dessen Leben unter dem eisernen Griff des Wilden dahinschwand, der einsame alte Mann hatte ihn selbst während des Schlafes bewacht, hatte seine wenige Speise mit ihm geteilt, – sollte er ihn jetzt in höchster Not verlassen?

siehe Bildunterschrift

Die Indianerschlacht.

Und Lionel fühlte plötzlich seine frühere Kraft zurückkehren, er sprang mit einem Satz hinzu und riß die Faust des Wilden von der Kehle, welche sie umklammert hielt. Die düsteren Augen der Rothaut waren gebrochen, nur noch leise zuckten die Glieder, dann hatte der Tod den Tapferen entführt, um ihn in die ewigen Jagdgründe seiner Väter zu versetzen.

Der Unteroffizier hielt den Blick fest auf Lionels farbloses Gesicht geheftet, ein Leuchten des Triumphes ging durch seine entstellten, von Blut und Pulverdampf furchtbar veränderten Züge. »Ich hab's erreicht,« sagte er, mühsam atmend, »die Bestie ist tot, gestorben im ehrlichen Kampfe! – Als guter Soldat erscheine ich vor Gottes Thron, – frei von Anklage, das freut mich.«

Seine Atemzüge wurden kürzer. »Wenn Sie mich fortbringen könnten, junger Herr! Es zählt mit mir nur noch nach Minuten. Ich möchte in den Himmel hinaufsehen, nicht so in das greuliche, blutige Treiben!«

Sie umfaßten ihn mit vereinten Kräften, Hermann und Lionel. Durch das Toben und Wüten der Schlacht trugen sie ihn in den stillen Winkel zwischen dem Gestein und stützten mitleidig den schwachen, kaum noch aufrecht zu haltenden Kopf. Das Blut strömte aus tiefer Brustwunde, der Atem ging schwer und stoßweise. Als Lionel das Taschentuch hervorzog, um dem Verletzten notdürftig einen Verband anzulegen, da schüttelte der arme Schelm kaum merklich den Kopf.

»Das ist nicht mehr nötig! – Der Tod steht zu Häupten und ich heiß' ihn willkommen.«

Er suchte und fand Lionels Rechte. »Sie fragten mich, was nach Beendigung des Krieges aus mir werden würde, junger Herr, wissen Sie es noch? – Ach, nun ist das alles abgethan, alles geschlichtet. Die ›Wenn‹ und ›Aber‹ des Lebens haben über mich keine Macht mehr.«

Lionel tröstete freundlich. »Das wissen Sie noch nicht, Sir! – Soll ich Ihnen etwas Branntwein geben oder Wasser holen?«

Der Sterbende schloß die Augen. »Nichts als ein Gebet,« murmelte er. »Ein Gebet, daß mir Gott gnädig sei. Ich war ein leichtsinniger, ungehorsamer Bursche, hab' meiner alten Mutter viele Thränen gekostet, hab' Jahre vom Leben nutzlos vergeudet, – – möcht's mir nicht angerechnet werden, wenn ich vor dem Weltenrichter stehe.«

Die Stimme verlor sich in undeutliches Flüstern, Hermann und Lionel trockneten den Todesschweiß von der Stirn des Ringenden. »Denken Sie nur an Gottes Erbarmen,« sagte halb erstickt unser Freund, »aber nicht an Ihre Schuld, Sir! Wer bereut, dem wird vergeben!«

»Amen!« bebte es von den bleichen Lippen des Sterbenden. »Herr, in deine Hände – – befehle ich – – meinen – Geist!«

Der Donner des Kleingewehrfeuers übertönte die fromme Bitte, Pulverdampf zog in Wolken über die Kämme der Gebirge und Wutschrei und Jammer mischten sich in das Gebrause, das die Schlucht durchklang, – hinter den Felsblöcken hielten Hermann und Lionel in ihren Armen einen Toten, dem der Widerstreit des Lebens nicht mehr nahen konnte. Von Blut überströmt ließen sie ihn zurücksinken in das Moos und bedeckten mit grünen Blättern sein Gesicht, – die einzig mögliche Art der Bestattung, während in ihrer unmittelbaren Nähe der Kampf tobte und Kugel nach Kugel über die Felsen dahinpfiff oder gegen ihre Wände schlug.

Hie und da flog eine Rakete in die Luft empor. Bläuliche und goldene Lichter fielen auf die Stätte einer entsetzlichen Zerstörung, auf bleiche Totengesichter und auf die heißen Stirnen der ermatteten Kämpfer. Wer hatte den Sieg behalten?

»Kein Weißer kommt lebend aus dieser Schlucht hervor!« – Durch Lionels Seele gingen die Worte des Trappers, er schauderte unwillkürlich. War es ganz so schlimm geworden, wie Jack Peppers meinte, – ganz so entsetzlich schlimm?«

Und Mr. Forster? – Ob er noch lebte?

Jetzt verzog sich das Getümmel, wahrscheinlich verfolgten die Rothäute den Rest des flüchtenden Feindes. Sollte man sich ihnen anschließen, oder lieber in der Wildnis allein und schutzlos zurückbleiben?

»Geh, wenn du es für besser hältst, Hermann!« sagte Lionel. »Ich muß vor allen Dingen meine persönliche Freiheit wahren, – du bist nicht Sklave wie ich.«

Hermann schüttelte den Kopf. »Wir trennen uns nicht,« versetzte er. »Jetzt ist die Schlacht beendet, – laß uns warten, bis der Tag anbricht.«

»Denkst du, daß es möglich sei, den Deinigen noch wieder nachzukommen?« fragte Lionel. »Ist die Eisenbahnstrecke frei?«

»Im Gegenteil, die Schienen sind aufgebrochen und alle Schwellen verbrannt. Tausende von Indianern machen die ganze Umgebung unsicher.«

Lionel legte die Hand an den Kopf, er schauderte. »Die Schmerzen kommen wieder,« sagte er. »Ich wollte, es gäbe eine Stelle, um ein paar Stunden ruhig zu schlafen.«

»Bist du so sehr ermattet?« fragte besorgten Tones der andre. »Mein Gott, wenn du krank würdest!«

Lionel deutete mit der Rechten auf das offene, von Leichen bedeckte Feld. »Wo so viele Helden ihr Leben daran gaben, Hermann? – Ich bin es beinahe müde, immer wieder vergeblich zu kämpfen und zu hoffen, – an irgend einer Ecke faßt mich Mr. Forster doch.«

»Thorheit! Du solltest den Mut nicht so vollständig verlieren, Lionel, solltest nicht alles aufgeben! – In kurzem beginnt der Tag, dann verlassen wir diese Stätte des Schreckens und sehen zu, wie Gott weiter hilft.«

Lionel legte immer wieder die Fingerspitzen auf seinen Kopf. »Da sitzt der Schmerz,« antwortete er. »Es ist eine Art von Betäubung, die mich fassen will.«

»Und die dich so schwarz sehen läßt! Komm, wir können wenigstens einige hundert Schritte weit in die Felsen hineindringen, – der Blutgeruch ist zu entsetzlich.«

Er wollte Lionels Arm ergreifen und ihn mit fortziehen, aber im selben Augenblick trat er hastig zurück in den tieferen Schatten. »Es kommen Leute!« raunte er.

Lionel erbebte. »Wenn es Mr. Forster wäre!«

»Nein, nein, – es sind mehrere Personen, viele sogar. Sie sprechen laut, lachen und scherzen, – das ist unbegreiflich!«

Lionel sah hinüber. »Bummers!« raunte er. »Die Hyänen des Schlachtfeldes!«

»Das Gesindel, an dem wir vorüberfuhren! Allmächtiger Himmel, welch ein neues, schreckliches Unglück!«

Aus den Felsspalten kroch es hervor, über die Klippen kam es geklettert, durch die offene Schlucht sogar gefahren, ob auch nur ein graues Eselein den Karren zog und der Kutscher nebenher traben mußte. Verlotterte Gestalten, zerfetzt und schmutzig, gingen mit kurzen Pfeifen zwischen den Zähnen neben Weibern von eben so fragwürdigem Aussehen, trugen allerlei Gepäck oder führten Handpferde am Zügel, elende, magere, gestohlene Klepper, die nie mit der Bürste in Berührung kamen, nie ein kräftiges Futter erhielten oder die Nächte in einem Stalle verbrachten. Ihre Mähnen hingen voll von Moosfäden und Blättern, ihre Felle dienten Legionen von Insekten zum Aufenthaltsorte; viele dieser unglücklichen Geschöpfe hinkten, weil ihnen der zerbrochene Huf nicht geheilt oder neu beschlagen wurde, viele zeigten tiefe Wunden, andre waren blind oder hatten bei irgend einem Scharmützel die Ohren eingebüßt.

Zuweilen trug ein solches Tier auch seinen Reiter. Es wäre ganz unmöglich, die verschiedenen Gestalten dieser Räuberschar auch nur annähernd zu schildern, der Schmutz und die Verkommenheit waren ihnen allen gemeinsam, aber im Alter und Aussehen, in Nationalität und Persönlichkeit erschienen die Ritter von der Landstraße äußerst mannigfaltig.

Der Weiße herrschte vor, neben ihm trabte der Mischling aller Abstufungen und endlich der Schwarze. Die abscheulichen Negerphysiognomieen tauchten auf, die wulstigen Lippen und platten Nasen, die Wollköpfe und Zwergkörper, – die seltsamsten Anzüge wurden gesehen, zerfetzte Lappen jeder Färbung, Uniform und Zivil, ja, Frauengewänder und Frauenhüte, in denen halbwüchsige Burschen steckten. Das Gesindel mußte sich auf seinem Raubzuge sehr sicher fühlen, denn eine muntere Unterhaltung flog von Lippe zu Lippe, während einige Männer sogar sangen, besonders die Neger.

»In seinem Grabe liegt der alte John Brown und modert.« Was schwarze Haut trug, das sang damals diese Strophen; sie bildeten den Mittelpunkt aller Negerbegeisterung.

»Heißa!« rief einer der Männer, »das nenne ich reiche Beute. So ist uns der Tisch lange nicht mehr gedeckt gewesen!«

»Das weißt du noch nicht!« brummte ein anderer. »Die Herde und die wenigen Proviantwagen, welche den Soldaten folgten, haben die Rothäute mitgenommen.«

»Verdammnis über die Hunde! Aber wir besitzen ja noch Lebensmittel genug, – wenn es nur bares Geld und Schmucksachen gibt, so ist alles gut.«

»Stellt Wachen aus!« gebot der erste Sprecher, offenbar eine Art von Anführer der Wegelagerer. »Es wäre doch möglich, daß die Wilden zurückkämen, um ihre Toten zu bestatten.«

Ein Spottgelächter folgte diesen Worten. »Solche Berge von Leichen? Da hätten die Kerle eine Woche lang zu schaufeln!«

»Gräßlich ist's!« meinte eine hexenartig aussehende Frau. »All' das arme junge Blut liegt übereinandergeschichtet wie die Heringe im Faß!«

»Solltest lieber gleich heulen!« schrie sie der Kerl an. »Vorwärts! Die Sonne geht auf, wir müssen das Tagewerk beginnen.«

Wie eine Schar von Geiern verbreitete sich das Gesindel über die weite, mit Leichen gefüllte Ebene. Weiber und Männer warfen rücksichtslos die Toten bei Seite, um in den Taschen und an den Händen nach Wertgegenständen zu suchen, sie schichteten mit der Gewandtheit langer Erfahrung die ihnen wertlos scheinenden Körper in Haufen und verschafften sich Raum, um desto bequemer die übrigen ausplündern zu können.

»Nichts bei Seite bringen!« tönte das Kommando. »Was stecktest du da eben in deine Tasche, alte Barbara?«

Die Hexe brummte eine Verwünschung. »Nichts war's, – ein Spiegelchen, ein dummes Ding, kaum ein paar Cents wert!«

»Zeig' her!« rief die gebieterische Stimme.

Der kleine glitzernde Gegenstand kam zum Vorschein, es erhob sich ein schallendes Gelächter und eilends verschwand der Spiegel zwischen den Schmutzfalten des Gewandes, von dem die dürren Glieder der Alten umhüllt waren. Die gekrümmten Finger suchten weiter, das immer bereite Messer fuhr in das Fleisch der Gefallenen, sogar ein kleines Beil kam zur Anwendung. Wie die Leichenschänder ihr Wesen trieben, wie sie hausten und einsammelten! –

Uhren, Ketten, Ringe, Medaillons und Börsen, alles fiel in den Wagen, vor dem der Esel das blutige Moos benagte und zuweilen mit einer Art von Schauder den Kopf zurückwarf, als wolle er sagen: das kann ich nicht fressen! – Es war reiche Beute, die das fahrende Volk hier unter den ersten Strahlen des Morgenrots einheimste, der ganze Wertbesitz von mehr als tausend tapferen Männern, deren Leben den erbitterten Wilden zum Opfer gefallen. Schmunzelnd sah der Anführer auf die Schätze, welche den Wagen füllten. »Netter Gewinn heute! Wenn's nur oft so käme!«

Ein junger Neger brachte in Sprüngen eine wahre Sammlung von Schmucksachen herbei. Beide Arme hoch emporhebend, schüttete er Geld und Uhren von oben herab in den Wagen, daß es klirrte und rasselte. Seine weißen Zähne traten sichtbar hervor, so vergnügt und überlaut lachte der Bursche. »Wollen eine Uhr selbst umhängen an Kette!« rief er. »Wollen sein Gentleman wie weiße Leute! – Ja!« –

Alles lachte. »Du mußt erst die Haut wechseln, Toby! An den schwarzen Gentleman will niemand glauben.«

Der Bursche machte die Pantomime des Schießens. »Sollen glauben alle!« schrie er. »Kommen sonst mit Gewehr. Puff!«

Die eifrigen Sammler hatten jetzt ihre Ernte fast vollständig eingebracht, sie schlüpften um alle Ecken und einzelne Felspartieen, damit ihnen keine Leiche entgehe, sie durchsuchten jeden Winkel. Ganz unvermutet standen sie plötzlich auch vor dem Versteck, in welchem Lionel und Hermann bis jetzt regungslos als freiwillige Gefangene verharrten. Ein lautes »Halloh« dröhnte von den Lippen des Spitzbuben, der sie zuerst entdeckt hatte.

»Wer ist hier?« rief er. »Hervor mit euch!«

Die Weiber kreischten, der Esel setzte sich in Trab, die Männer rannten durcheinander und endlich bildete sich vor dem Versteck der beiden jungen Leute eine dichte Mauer von zerlumpten Gestalten. Ein ausgestreckter Arm zwang sie, vorzutreten. »Wen haben wir hier? – Zwei Grünschnabel ohne Uniform! – Wer seid ihr?«

»Flüchtlinge!« antwortete Lionel, »Leute, die euch nicht belästigen werden. Laßt uns hinaus!«

Ein Gelächter antwortete ihm. »Wer sagt uns, daß ihr keine Spione seid? – Fürs erste müßt ihr doch den Marsch durch das Gebirge mit uns machen.«

»Wohin?« fragte Hermann.

»Immer der Nase nach, junger Herr!«

In diesem Augenblick trat der Negerbursche, welcher von seinen Kameraden vorhin als ›Toby‹ angeredet wurde, aus dem verwilderten Haufen hervor und schlug mit beiden Händen zugleich auf seine Kniee. So halb gebückt, den Mund offen, die Blicke voll Erstaunen auf Lionels Gesicht geheftet, blieb er stehen und schien sich in die Lösung eines unentwirrbaren Rätsels vollständig vertieft zu haben. »Massa Lionel,« sagte er in zaghaftem Tone, »Massa Lionel! – Das wohl unmöglich sein!«

Unser Freund sah auf. Diese Stimme mußte er ja kennen! Und dann zeigte ihm die Erinnerung das Bild von Seven-Oaks, den weiten, sauberen Hof mit den Negerwohnungen und den vielen glücklichen, zufriedenen Menschen, die sie beherbergten. »Toby!« rief er, »Toby! Hier finde ich dich! Wie bist du in diese Verhältnisse hineingeraten?«

Der Schwarze ergriff die Hand seines ehemaligen Gebieters und preßte schluchzend die Lippen im langen Kusse fest darauf. »Ist ich weggelaufen!« heulte er. »Habe ich grausamen Herrn, können das nicht aushalten – Mr. Charles Trevor so gut gewesen, so gut, Vater für arme Nigger, aber dieser Herr viel böse, er immer mit Peitsche schlagen.«

Lionel hatte voll Teilnahme den Kummer des armen Burschen mit angesehen. »Ich wünschte lebhaft dir helfen zu können, Toby,« versetzte er, »aber es geht mir selbst vielleicht noch schlechter als dir. Die Indianer überfielen einen Bahnzug, in welchem mein Freund und ich uns befanden, – wir sind bis jetzt ihre Gefangenen gewesen, und würden es auch noch sein, wenn nicht im Getümmel des Kampfes dieser Felsblock uns versteckt gehalten hätte.«

Hier mischte sich der Anführer der Beutelschneider in das Gespräch. »Ihr wißt also selbst bis jetzt nicht, wohin ihr euch begeben wollt, meine jungen Herren, he?«

»Womöglich an einen Ort, der von Regierungstruppen besetzt ist, gleichviel welcher.«

Der Strauchdieb nickte. »Dann könnt ihr uns begleiten, – es soll auf ein bißchen Speise nicht ankommen. Geht nur mit!«

Wieder fragte Hermann: »Wohin denn?«

»Das wird sich schon zeigen, mein Bürschchen. Nehmt nur erst einmal Waffen und Munition an euch, – da drüben liegt genug für eine ganze Kompanie.«

»Ich thut das!« rief Toby. »Ich ist nun wieder Sklave von Massa Lionel.«

Er rannte fort und kam mit einem Arm voll Musketen und Säbeln zurück. »Toby hat auch ein Schießgewehr, das putzt er blank und spielt damit. Toby will für Massa Lionel ein Eichhörnchen schießen und es ihm braten.«

Die Bande hatte sich unterdessen zum Abzug geordnet, der Esel war wieder eingefangen worden und nun ging es nordwärts, tiefer in das Gebirge hinein. »Werden wir den Konföderierten begegnen? oder etwa einem Indianerhaufen?« fragte Hermann. »Zu welcher Partei gehört ihr selbst?«

Ein verschmitztes Lächeln trennte die Lippen des Anführers. »Wir sind Leute, die leben müssen und die es nehmen, wo sie es eben finden können. Begegnen wollen wir womöglich keinem Menschen, am wenigsten den Rothäuten.«

Hermann und Lionel sahen einander an. Gemeine Räuber, sie hatten es beide von vorn herein schon geglaubt.

Hinter den Gebirgsschluchten kam noch eine Anzahl kleiner, schmaler Wagen zum Vorschein, die Wegelagerer hatten Lebensmittel in Fülle, sie geizten auch nicht damit, sondern schienen ganz bereit, ebenso schnell, wie das gestohlene Gut erworben wurde, auch ihrerseits wieder mit dem Bedürftigen zu teilen. Die jahrelang geübte Gewohnheit, dem siegreichen Heere zu folgen und überall zu brandschatzen, das unstete Vagabondenleben bei Gefahr und häufigem Überfluß hatten alle Rechtsbegriffe zerstört und vielleicht als letzte gute Eigenschaft nur noch ein wenig Gastlichkeit übrig gelassen.

Es wurde großer Kriegsrat gehalten, man stritt und ratschlagte durcheinander, wohin jetzt zunächst der Weg gehen müsse; die große Mehrzahl befand sich dabei auf seiten des Anführers, während einige wenige entgegengesetzter Ansicht waren. »Dem Unionsheere nach!« riefen die letzteren.

»Nach Hause! Nach Hause!« erscholl es von den anderen. »Wir haben Geld und Gut in Fülle, nun laßt uns auch einmal ruhig genießen, anstatt immer zwischen Tod und Leben, verhaßt und verfolgt durch die Schlachtfelder zu ziehen und keinen Augenblick sicher zu sein, daß nicht eine blaue Bohne geflogen kommt, um das bißchen Leben auszupusten.«

»Besonders da unsere Vorräte inzwischen nutzlos verderben würden!«

Dieser letzte Grund entschied den Streit und lärmend und singend zog die ganze Schar vorwärts, – jetzt allerdings in veränderter Richtung. Ein Generalsrock mit den Doppelknöpfen und den schweren Tressen schmückte die breiten Schultern Paddys, des Anführers, eine zerfetzte Artilleriemütze mit gewaltigem Federbusch krönte das edle Haupt und ungeheure Jagdstiefel vervollständigten diese gewählte Toilette.

So zog der Sohn der grünen Insel seinen Getreuen voran; die kurze Pfeife dampfte, von bärtigen Lippen erscholl das Trinklied, Witzworte flogen hinüber und herüber, fleißig kreiste die Whiskeyflasche. Auch deutsche Laute wurden gehört, Hermann fing sie auf und errötete in der Seele der Landsleute. Das Gesindel befand sich im Sumpfe seines verkommenen, dem Strafrichter verfallenen Daseins ungemein wohl.

»Wie ist dir?« flüsterte Hermann, als Lionel halberstickt zu seufzen schien. »Sind deine Schmerzen noch nicht vorüber?«

»Sie werden im Gegenteil immer stärker. Der Tomahawk des Wilden muß mich doch härter getroffen haben, als es im Augenblick schien.«

Hermann fühlte, daß eine geheime Unruhe sein Herz ergriff. Lionel war blaß, von Zeit zu Zeit schloß er die Augen, wie um sekundenlang auszuruhen. Wenn ihn eine Krankheit überfallen sollte, – was würde dann werden?

»Massa Lionel,« schmeichelte Toby, »ich freuen mich so sehr, guten Herrn wiederzusehen! Alle Nigger jetzt Gentlemen werden, aber Toby will Massa Lionels Sklave bleiben!«

Ein schwaches Lächeln irrte um die Lippen unseres Freundes. »Ich wollte, daß es so geschehen könnte, Toby,« versetzte er, »aber leider bin ich selbst der Gefahr der Sklaverei viel näher, als du. Man verfolgt mich, hinter jedem Gebüsche können meine Widersacher auftauchen und mir nochmals den Weg zu versperren suchen.«

»Dann will Toby sie totschlagen!«

Lionel winkte dem gutmütigen Burschen. »Komm einmal näher heran zu mir, du! – Wohin gehen wir nun eigentlich?«

Der Neger zog ein verschmitztes Gesicht. »Haben ein schönes Versteck,« antwortete er, »beinahe unzugänglich. Ist das ein Nest im Wasser und in Felsen zugleich.«

»Du kennst es? Diese ganze Rotte, in deren Mitte du lebst, hat dort ihre Wohnung?«

»Ja, ja. Sehr schön sein da im Versteck, Massa Lionel.«

»Und wie lange müssen wir, um es zu erreichen, noch wandern?«

»Bis an die Boote noch zwei Stunden. Kommen durch schöne Felsenhöhle, sehr schön! Massa Lionel sehen, das alles wie Silber und blanke Steine.«

Eine weite, von hohen Bergen umgrenzte Thalschlucht wurde jetzt in aller Bequemlichkeit durchzogen. Die bunten Scharen der Buschklepper saßen jetzt meistens hoch zu Roß, die Frauen und verschiedenen Kinder in den Eselkarren. Nur neben dem Gefährt, das die letzte reiche Beute an Goldsachen enthielt, gingen rechts und links zwei Männer mit geladenen Gewehren, sonst zeigte nichts, daß man sich mitten im Herzen des ausgedehnten amerikanischen Kriegsschauplatzes befand. Wie friedliche Jäger oder Schnitter von der Ernte zurückkehren, so zogen die Freibeuter, mit dem fremden Gute beladen, lustig und sorglos ihres Weges. Selbst der Spaßmacher fehlte nicht, der Harlekin, dem alle lauschten und dessen Witzen sie mit unbändigem Gelächter lohnten.

»Ich glaube, wir sind schon eine ganze Ewigkeit marschiert,« raunte Lionel. »Das ist furchtbar ermüdend, – ich halte mich kaum noch aufrecht.«

»Da scheint die Höhle, von der Toby sprach, bereits ihren Anfang zu nehmen. Soll ich übrigens für dich um einen Platz in einem der Wagen bitten?«

»Um des Himmels willen nicht! Diese Gesellschaft erregt mir ein Grauen.«

Er raffte alle Kräfte zusammen, um rüstig weiterzuschreiten. Das Ende der langgestreckten Tiefebene war jetzt erreicht, die Felskette schien den Weg zu versperren; blühende Tulpenbäume, Eichen und Tannen schoben sich eng zusammen, Ranken von Armesdicke schaukelten zwischen Stamm und Stamm. Wo war das Thor zu den geheimnisvollen Irrgängen des verborgenen Innern? – Man sah äußerlich nur die grüne, blumendurchwirkte Mauer.

Der Anführer sprang vom Pferde und alle übrigen folgten ihm; die Esel wurden am Halfter erfaßt, der ganze Zug schwenkte rechts ab. Verborgen hinter einer vorspringenden Ecke lag ein gewölbtes, in kühnem Bogen geschweiftes Thor, dessen vorderer Zugang ein wenig bergab zu führen schien, mindestens leitete der erste Reiter sein Tier sehr vorsichtig hinein, die Wagen wurden gestützt und gehoben, die Fußgänger wurden zur Behutsamkeit ermahnt. Erst nach einer starken Viertelstunde verschwand der letzte Mann im Schatten des natürlichen Thorbogens; nun war gleichsam auf der Oberfläche der Erde von den Strauchdieben keine Spur mehr vorhanden, sie hatten sich so gut versteckt, daß nur ein ganz Eingeweihter ihre Schlupfwinkel gefunden haben würde.

Eine kalte, aber überaus reine, wohlthuende Luft wehte den Eintretenden entgegen. Es war nach den ersten zwölf oder zwanzig noch vom Sonnenlicht erhellten Schritten Weges in der Höhle vollständig finster, weshalb der Anführer den Zug halten ließ und aus einem der Wagen ein Bündel Fackeln hervorholte. Rote Flammen wallten auf, dichter schwarzer Rauch zog in Wolken zur Decke, deren geheimnisvolle Höhe kein Auge zu entdecken vermochte.

»Hast du nicht noch ein paar Schwärmer, O'Brien?« fragte einer der Männer.

»Einen ganzen Kasten voll! Da rechts hinter den Pulvervorräten.«

»Hübsche Ladung das! Mensch, wenn von deiner ewig brennenden Pfeife ein Funke hineingeflogen wäre!«

Der Irländer zuckte die Achseln. »Das ganze Dasein ist ein Pulverfaß, über dem die Funken immer in der Luft herumwirbeln, roter Daniel – Hattest du Angst?«

Der andere knurrte wie ein gereizter Hund. »Angst wohl nicht, O'Brien! Wie käme ich dazu? Aber wenn man das bißchen Besitz so mühsam zusammengeklaubt hat, dann will man's doch auch gern eine Zeitlang genießen!«

Er hantierte bei den Schwärmern herum und bald flog einer derselben in die Luft empor. Die blauen Sterne platzten und verbreiteten ihren schönen Glanz wie unter freiem Himmel, – auch sie hatten die Kuppel des natürlichen Domes nicht erreicht.

Es glitzerte an den Wänden wie im Palaste des Zauberzwerges, alles schien eitel Gold und Edelsteine. In ganzen Blöcken war es eingefügt, wie mit Tausenden von Flocken überstreute es weite Flächen, daß das Auge geblendet wurde und erschreckt zurückwich. Immer neue Schwärmer ließ der rote Daniel aufsteigen, immer neue Schönheitsfülle zeigte sich den Blicken, – auch das Tierleben huschte in bunter Formenfülle über die Wände dahin.

Eidechsen, groß und glitzernd, schnell wie der Blitz, schossen durch das silberne Funkeln, Riesenspinnen, – Eulen.

Träge zusammengerollt lag die schillernde Schlange, bäumte sich beim Herannahen des Zuges hoch auf und verschwand langsam im Mauerspalt, – wie die buntgestaltigen Szenen des Panoramas zog Bild nach Bild im roten Fackellicht vorüber an den Wanderern.

Und dann war das entgegengesetzte Ende der Felshöhle erreicht, Mann für Mann traten alle wieder hinaus in die freie sonnendurchleuchtete Luft, in eine steinige Ebene, hinter der das blaue Wasser des Stromes rauschend und weißschäumend an die letzten Ausläufer des Gebirges schlug. Frischer, kühlender Wind wehte den Männern entgegen, ein eigentümlicher, wild romantischer Anblick bot sich den Augen. Wer hierher gelangen wollte, der mußte notwendig durch die Felshöhle kommen, denn vor derselben lag ein überschwemmtes, sumpfartiges Feld, weitgedehnt, mit üppigem Pflanzenwuchs bestanden, von hohen Eichen und Fichten überschattet, malerisch schön in jedem Punkte, aber schwer zu passieren, vielleicht garnicht, wenn der Reisende von der Wasserseite hierherkam und also zur Weiterfahrt nur ein Boot besaß.

Wohin ging die Reise? – Hier schien das Chaos zu beginnen. Nur Baum und wildverschlungenes Buschwerk, Ranken und Blumen traf der Blick, nur Wasser anstatt des festen Bodens.

Der Anführer deutete mit dem Peitschenstiel auf die letzten Ausläufer der grünen Wildnis, weit hinein in den Strom, dessen mächtige Arme eine Menge von Inseln umfaßten. »Da unter den hohen Bäumen ist unsere Freistatt, – jetzt mögen Sie es immerhin wissen! Hier kann uns kein Haltefest oder Leuteschinder mehr erreichen.«

»Wie kommen wir aber hinüber?« fragte Hermann.

»Das werden Sie gleich sehen, junger Herr! – Alle Wetter, ich bin heute in froher Laune, der Fang war gut, es klirrt Gold im Beutel, nun wollen wir auch hoch leben und solch einem Sklavenbaron, einem von den Protzen, die sich für Halbgötter halten, den blassen Knaben vor der Nase wegfischcn! – Er soll Sie nicht haben, Sir, er soll nicht, dafür lassen Sie Peter O'Brien sorgen!«

Ein wuchtiger Schlag auf die Schulter vervollständigte den Satz. Der reichlich genossene Whiskey begann zu wirken, Paddy wurde mitteilsam und kehrte den Großsprecher hervor. »Möchte wohl, daß er hierher käme, der liebe Mann aus Kentucky! Wollt ihn fein höflich empfangen und wenn er dann mit seinem Anliegen herausgerückt wäre, ihm alle Knochen entzweischlagen. Wo Peter O'Briens Faust getroffen hat, da wächst kein Gras mehr!«

»Du!« ermahnte ein anderer, »es wird Zeit! Vorwärts!«

» Very well, Sir! ich wollte nur erst den jungen Menschen ein wenig trösten und ihm meinen Schutz zusichern. Sieh doch nur seinen bleichen Schnabel, – das Kind ist krank. Du mußt ihm Kraftsuppc kochen, Mutter Margaret!«

Die Hexe nickte. »Will ich auch, Peter, – wenn wir nämlich erst einmal drüben sind.«

»Vorwärts!« gebot der Irländer. »Vorwärts! Ich bin der Letzte im Zuge.«

Er begann mit schnellem Griff die geraubten Wertgegenstände in Säcke zu stopfen und diese einigen anderen Männern aufzupacken. Pferde und Esel wurden bestiegen, hinter den Reiter schwang sich die zerlumpte Frau und klammerte ihre ungewaschenen Arme um seinen Nacken, während alles durcheinander schrie und lachte. Die sämtlichen Esel mußten mit Schlägen dem verhaßten Elemente entgegen getrieben werden, überall tobte ihr erbittertes I–ah! – I–ah! und als Antwort die Schmähreden der Buschklepper. »Willst du wohl gehorchen, grauer Satan! Wenn es nach dir ginge, müßte ich dich hinübertragen, was? – Lotweise soll dich der Erzfeind holen, du geborene Bosheit!«

Selbst die störrigen Esel schienen dieser Springflut gegenüber einigermaßen eingeschüchtert, sie schnaubten stark und schüttelten die Köpfe, aber sie gingen doch in das Wasser hinein und setzten vorsichtig einen Fuß nach dem andern auf den unsicheren Boden.

Eine seltsame Karawane! Das Wasser stieg den Pferden bis an die Kniee, langsam, Schritt um Schritt verlor sich ein Reiter nach dem anderen in die dichten Gebüsche hinein. Abgestorbene Baumstämme schaukelten auf dem leichtbewegten Wasser und schwammen rechts und links neben den Reitern her; wieder andere standen noch, auf ihren dürren Ästen saßen in Scharen große Wasservögel wie leblose erstarrte Geschöpfe, die sich auch dann nicht regten, wenn die Pferde hart unter ihnen dahingingen.

Zusammengekauert hockte im Astwerk der Eichen die bunte Wildkatze, blinzelnd, horchend, der nahen Gefahr wohl bewußt. Ein drohender Laut, ein Stoß gegen den Stamm, der sie trug, und husch! war der schlanke, scheckige Körper verschwunden.

Lionel und Hermann saßen miteinander auf einem Pferde. Unser Freund ließ müde den Kopf sinken. »Wie wohl in dem Räuberneste das Lager beschaffen sein mag?« flüsterte er. »Ich sehne mich nach dem Schlaf!«

»Mehr als nach einer tüchtigen Mahlzeit?«

Lionel schauderte. »Sprich nicht von essen!« sagte er.

Hermann sandte einen Blick nach rückwärts. Jetzt waren alle diese zerlumpten Gestalten auf dem Wege zur Insel begriffen, das Wasser schlug schäumend hohe Wellen, die grünen, blumenreichen Ranken schaukelten im Wind. Es kamen Schilfpartien, dicht und beinahe undurchdringlich, hohes Rohr, in dem Möwen nisteten und laut schreiend aufflogen, wenn die Hufe der Pferde ihr kleines verborgenes Heim toddrohend berührten, dann wieder offene Stellen und endlich ein tieferes Wasser, in dem wenigstens die Esel nicht mehr zu gehen vermochten.

Hier lagen tief versteckt unter Gebüsch und Weiden zwei große Kähne. Der vorderste Reiter hielt an und löste die Fahrzeuge von ihren Ketten, – nach und nach füllten sich beide mit den Männern und Frauen der Gesellschaft, bis endlich die Ruder eingelegt wurden und der letzte Abschnitt des ermüdenden Weges begann.

Nun befand sich das feste Ufer der Insel in absehbarer Nähe, – Lionel dankte, als ihm der grüne Strand entgegenschimmerte, heimlich dem Schicksal für die Aussicht auf Ruhe, er wollte um jeden Preis die Augen schließen, sei es denn auch unter dem Schutze eines Räubers, eines Geächteten, den die menschliche Gesellschaft als ihrer unwürdig ausgespieen und in das Bereich der wilden Tiere verwiesen hatte.

Zwischen Weiden und Gesträuchen mit herrlichem Blütenflor glitt der Kahn dahin, immer im Walde, von Vogelstimmen begleitet und doch sanft geschaukelt von blauen, flutenden Wellen. Welch eine bunte Schar war hier auf engem Raume versammelt, welch verwegene Gesichter sahen über den Bootsrand! Der dreiste, prahlerische Ire, der stille Schotte, das Halbblut aller Schattierungen. Endlich Ruhe und müheloser Genuß! Das war es, was die Seelen der Gauner erfüllte und erheiterte.

Das Boot legte an, ein grüner Moosteppich empfing den vielgewanderten Fuß, dichte Waldwipfel spendeten ihren Schatten. Ein letzter Ausläufer der Felszacken erhob sich auch hier noch, zwischen Baumstämmen und Einschnitten lag eine Reihe halbverfallener hölzerner Hütten, die aus Gott weiß welchen Trümmern und Überbleibseln erbaut worden waren. Thüren von geplünderten Häusern, Möbelstücke, Schiffsteile und Wagenbretter, alles hatte den Vagabonden dienen müssen, um den Schlupfwinkel auf der fast unzugänglichen Insel behaglich auszustatten und als Winterquartier herzurichten. Es fanden sich auch überdachte Herde aus Steinen, sogar Ställe für Hühner und Ziegen, große Vorratskammern mit verstecktem Eingang und Haufen dürren Holzes zum Verbrennen.

Ganz zuletzt kam ein großer, viereckiger Schuppen für die Zugtiere und das Heu, welches sie während der ungünstigen Jahreszeit verbrauchten. Die Kolonie der Wegelagerer war mit allem, was Menschen und Tiere bedurften, reichlich versehen.

In den Bäumen summten wilde Bienen, ein Wasserarm lief murmelnd und plätschernd in schmaler Rinne dahin, Blumen überrankten jede dieser niederen Hütten, Blumen umflochten das starre Gestein und die alten, wetterfesten Stämme. Im abendlichen Sonnengold erschien die Niederlassung wie ein armes, aber friedvolles Dörfchen, dessen Bewohner sich genügen lassen an dem, was ihnen die gütige Vorsehung gewährte.

Wie ein Hühnerschwarm einfällt in das mit Stoppeln bedeckte Ackerland, so überflutete das fahrende Volk die Barackenstadt. O'Brien klopfte mit den Knöcheln gegen eine Holzwand und warf sich herausfordernd in die Brust. »Fleisch!« sagte er. »Bohnen! Kartoffeln! Da hinten liegen Speck und Butter und – – na, na, das Beste zuletzt! – so manches runde, behäbige Faß! – Gluck! Gluck! Gluck! – man fühlt schon im voraus, wie warm das hinuntergleitet.«

Er nahm einen riesigen Schlüsselbund aus der Tasche und öffnete die Thür einer Baracke. »Komm mit dem Besen, Mutter Margaret! Und du, Toby, hole frisches Heu herbei, schüttle die Decken, Schlingel! Diese beiden jungen Gentlemen sind jetzt meine Gäste und sollen es gut haben.«

Er reichte mit der ganzen Würde des Halbberauschten unseren Freunden die Hand und bat sie, einzutreten. »Die O'Briens waren der Familiensage nach in alten Zeiten einmal Könige,« sagte er, »richtige, wirkliche Könige! – hm, ich selbst bin heute so etwas Ähnliches, darum übe ich auch die Tugend der Gastfreundschaft, darum bitte ich Sie, sich zu Hause zu fühlen!«

Er schob nach dieser Rede die kurze Fuhrmannspfeife wieder zwischen die Zähne, griff an seine famose Artilleriemütze und ging mit winkendem Federbusch davon, um auch an anderen Orten Befehle zu geben und Einrichtungen zu treffen.

Lionel nickte. »Stolz will ich den Spanier!« murmelte er.

Sie lachten beide, während Toby das Bett aufschüttelte und frisches Heu seine Duftwogen über die Umgebung dahinsandte. Mutter Margaret säuberte den Boden, sie brachte dies und das, – vor der offenen Tür regte sich buntes, vielgestaltiges Leben, ein Feuer flackerte auf und der Suppenkessel sandte seine verlockenden Dämpfe in die Abendluft empor.

Das fahrende Völkchen, Gesindel schlimmster Art, lebte lustig und einträchtig beieinander, weil alle Vorratskammern gefüllt waren, und weil es dem einzelnen Gauner wohlgefiel, von mehreren Dutzend gleichgestimmter Seelen im Notfalle kräftig verteidigt zu werden. Weiterhin bearbeiteten schon einige Neger die Saiten der Geige und vor ihnen im Grase lag eine zechende Zuhörerschaft, die den Kehrreim des Liedes laut und fröhlich mitsang.

»Erinnerst du dich der Melodie?« flüsterte Hermann.

Lionel lächelte. »Bei dem alten knurrigen Mr. Bartlett mußten wir sie singen,« versetzte er. »Du weißt, der, welcher es nicht leiden konnte, wenn man mit den Fingern den Takt schlug. ›Bist du nicht ein Esel, Bursche? Bist du nicht? – Rrrrraus!‹«

Und die beiden frischen Stimmen vereinigten sich zu einem langgezogenen Tone, einem vollendeten Triller, der sie jetzt noch in der Erinnerung lebhaft zu ergötzen schien, den sie in echt knabenhafter Weise wiederholten.

Rrrrraus! – –

Lionel stützte den Kopf. »Ob wir die Heimat je wiedersehen werden?« sagte er träumerisch. »Heute bin ich ganz mutlos.«

»Weil du dich nicht wohl fühlst. Morgen ist das hoffentlich überstanden.«

Lionel schauderte, er zog die Wolldecke über seine Schultern. »Wenn die alte Hexe irgend etwas Genießbares bringt, so iß es allein,« bat er. »Ich möchte nur ein wenig Wasser haben, sonst gar nichts.«

»Soll ich den würdigen O'Brien um einen Tropfen Branntwein bitten?«

»Nein! Nein! – Ich bin müde, das ist alles.«

Er trank etwas kaltes Wasser und war bald darauf in einen schweren, unruhigen Schlaf gefallen. Hermann fand seine Stirn und die Hände fieberheiß, der Atem kam hastig aus der Brust hervor, Lionel murmelte immer leise Worte, bald diesen, bald jenen Gegenstand betreffend, er hielt auch die Angen nur halb geschlossen, obwohl Hermann mit sanfter Hand immer wieder die Lider herabdrückte. Das Fieber ließ sich unmöglich verkennen.

Hermann legte ihm Wasserpolster auf den Kopf, dann schlich er hinaus und holte die alte Mutter Margaret, um ihre Ansicht zu hören. Wenn Lionel hier, wo es keinen Arzt gab, krank werden sollte, das wäre zu schrecklich gewesen.

Die Irländerin beugte sich mit mütterlicher Liebe über den Fiebernden, sie zog ihm unter Hermanns Beistand die Oberkleider aus und steckte dabei sorgfältig die Uhr in das Bettstroh. »Davon braucht ja kein Mensch zu wissen, denke ich! Na, morgen soll Mac Donald, der Schotte, den Kranken besehen, er ist klug und hat sogar in jungen Jahren viel gelernt, studiert heißen es, glaube ich, die Vornehmen. Er behandelt immer die Genossen, wenn einmal eins krank wird!«

Hermann erschrak heimlich. Mac Donalds Nase deutete auf eine langjährige vertraute Freundschaft mit der Flasche – und diesem Burschen sollte er Lionels Wohl und Wehe anvertrauen! –

Er selbst konnte nicht einschlafen, immer wieder schreckten ihn des kranken Freundes Flüsterworte aus der beginnenden Ermüdung auf, immer wieder mußte er horchen und zudecken und begütigen. Lionel warf sich unruhig von einer Seite zur anderen, bald fester schlafend, bald ganz wachend, wenn auch nur für Minuten. Er bat dann um frisches Wasser und trank es in gierigen Zügen.

Toby saß während dieser langen Nacht treulich an Hermanns Seite und nur wenn Lionel ein lautes Wort sprach, schrak er zusammen. »Gespenster, Sir? – Toby hat Furcht!«

Hermann beruhigte den gutmütigen Burschen, aber er selbst befand sich nichts weniger als wohl, die Minuten schienen sich ihm während dieser unheimlichen Nacht alle einzeln zu Stunden auszudehnen und als endlich der Morgen anbrach, da gewannen die unbestimmten Schrecken der Finsternis leider eine sehr greifbare Gestalt, – Lionel lag ohne Bewußtsein, ein heftiges Fieber schüttelte seine Glieder, er hielt die Augen weit offen, aber ohne irgend etwas zu sehen, oder irgend einen Menschen zu erkennen.

Mac Donald stand am Strohlager und voll wahrer Herzensangst sah Hermann in das rote Gesicht dessen, den die alte Margaret als einen ehemaligen Studenten bezeichnet hatte. Tod und Leben hingen an dem Ausspruche des Schotten.

Mac Donald zuckte die Achseln. »Sehr krank!« sagte er. »Sehr krank! – Wir müssen den ganzen Körper des jungen Menschen mit kaltem Wasser abreiben! O'Brien, hast du zufällig in deinem Vorrat ein paar Flaschen Moselwein?«

Der Irländer nickte. »Eine ganze Kiste voll sogar! Weibergesöff! Ich mag das fade Zeng nicht schlucken.«

Dann ging er hin und brachte das Moselblümchen herbei, – auch einer Proviantkolonne geraubt, unter zerschossenen Wagen und toten Pferden hervorgezogcn, eine Beute des launigen Kriegsglückes, das ja zuweilen dem Unwürdigsten den Sieg in die Hände fallen läßt. O'Brien hatte den milden Trunk verächtlich bei Seite geworfen – nun wurde er für den Kranken zum größten und einzigen Segen.

Toby schleppte das Wasser frisch aus dem Bache herbei, Hermann und Mac Donald entkleideten den bewußtlosen Lionel, um ihn abzureiben. In den Augen des Schotten blitzte es plötzlich auf, er deutete mit seiner unsicheren Hand auf den Ledergürtel an Lionels Hüften und fuhr tastend darüber hin.

»Was ist das? – Gold?«

»Meines Freundes Eigentum!« antwortete Hermann, indem er den Schotten sehr bestimmt ansah. »Wir wollen es verwahren, bis er genesen ist.«

Der ehemalige Student nickte. »Ja!« murmelte er, »ja, bis er genesen ist! Und wenn nun der Tod kommt, wenn der junge Herr aus diesem Schlafe niemals – –«

Hermann schauderte. »Er könnte Sie hören, Sir! –«

Der Schotte beugte den Oberkörper weit vor, seine verschwollenen Augen funkelten gierig. »Der hört nichts!« raunte er. »Wer bekommt, wenn er stirbt, das Geld?«

Hermann bezwang sich gewaltsam. »Mr. O'Brien natürlich!« antwortete er mit kaum erkämpfter Mäßigung. »Wir beide, mein Freund und ich, sind ihm bedeutende Verpflichtungen schuldig geworden.«

Mac Donald nickte. »So! – So! – Verwahren Sie es nur gut! – Hm! – Hm! –«

Dann wurde von der Sache nicht mehr gesprochen. Der Schotte hüllte den Kranken ganz in die Wolldecke und trug ihn auf das Lager zurück. »Sehr krank!« wiederholte er. »Sehr wenig Hoffnung für den armen Burschen!«

Hermann fühlte, wie die Schläge seines Herzens momentan aussetzten; das ganze Weh der Einsamkeit, der bitteren Furcht umkrallte ihm die Seele. Ob alles Leid, aller Kampf umsonst gewesen sein sollten? Ob Lionel sterben mußte?

Die Hoffnung schien gering. Es folgten wilde Delirien, ein Ringen und Toben, in dem es der vereinten Kräfte mehrerer Männer bedurfte, um den Kranken auf seinem Lager festzuhalten, dann durchlebte Lionel die Vergangenheit der letzten schweren Monate, er kämpfte mit den Feinden und sah die Schreckensszenen des Gefängnisses, er lag endlich todesmatt, beinahe ohne zu atmen. Nur der Wein kam über seine Lippen, sonst genoß er nichts.

Welch eine Todesblässe, wenn zufällig ein Sonnenstrahl das edelgeschnittene, nun so unendlich magere Antlitz traf! – Die Augen öffneten sich nicht mehr, die Hände lagen regungslos, wie die einer Leiche.

»Es kann jeden Augenblick zu Ende sein!« raunte Mac Donald. »Wo verwahrten Sie das Geld, junger Herr? – Liegt's nicht da oben auf dem losen Brett? Mich deucht, ich sah den Ledergürtel.«

Hermann antwortete nicht. Er hatte alles vergessen, außer dem einen, daß Lionel sterben sollte.

Der Schotte sah immer ab und zu in die Hütte hinein, aber er beobachtete jetzt mehr den Ledergürtel, als seinen Patienten. Auch O'Brien und die alte Margaret kamen, – diese letztere weinte sogar ehrliche Thränen, wenn sie den Kranken liegen sah.

»Fünf Kinder hatte ich, junger Herr! – Daheim in Irland schlummern sie alle auf dem Gottesacker unseres Dorfes. Ach, das Leben ist nur ein langes Leid, weiter nichts.«

Und dann versuchte sie es, den Kranken anzureden, sie strich mit der braunen, verrunzelten Hand über seine Stirn, zum hundertstenmale vielleicht. »Haben Sie denn nicht ein einzig Wörtchen, junger Herr? Wir meinen's ja so gut mit Ihnen!«

Aber Lionel hörte nichts, er lag wie tot.

Dann kam eine Nacht, in der sich das Ende vorzubereiten schien. Kalter Schweiß bedeckte die Stirn des Kranken, heftige Krämpfe erschütterten seinen Körper, die Augen waren weit geöffnet, die Finger fest zusammengekrallt. Nur von Zeit zu Zeit hob ein Ächzen die schwer arbeitende, gequälte Brust.

Toby saß und weinte bitterlich, während Hermann neben Lionels Lager kniete, um ihm von Zeit zu Zeit etwas Wein auf die Lippen zu träufeln. Bis zum letzten Augenblick wollte er noch hoffen, noch helfen, – erst wenn der Atem für immer entflohen war, konnte er das Schreckliche überhaupt fassen.

In der offenen Thür stand O'Brien, heute ausnahmsweise vollständig nüchtern. Die Pfeife hing kalt zwischen den Lippen des Riesen, das Gesicht war blaß und ernst. »Armer Bursch!« murmelte er, »armer Bursch! – Ich sah's ihm gleich an, er war todeskrank, als wir ihn fanden.«

Der Schotte ging ab und zu, er machte sich bald in diesem, bald in jenem Teil der Hütte ein Gewerbe. »Die Krisis!« sagte er halblaut. »Wenn's zwölf schlägt, fährt ein kalter Wind durch das Gemach, – der Tod!«

O'Brien verließ seinen Platz in der Thür, er sah hinter sich, als habe ihn eine eisige Faust im Nacken ergriffen. Der Tod! Das war ein Wort, welches er nicht gern hörte.

Anders Mac Donald. Scheuen Blickes schlich er zu jener Stelle, von wo aus sich Lionels Ledergürtel mit ausgestrecktem Arme erreichen ließ, er that, als verjage er eine große Spinne, die über das Brett lief, – seine heißen Finger berührten das Leder, die Augen bewachten unablässig das weiße Gesicht des Kranken.

Und dann ging plötzlich in den verkommenen Zügen eine seltsame Veränderung vor. Die letzte Spur von Farbe hatte sich verloren, der Blick wurde leer, wie geistesabwesend, die Zähne schlugen hörbar aneinander. »Da!« flüsterte er. »Da!«

O'Brien erschrak. »Donald hat sein zweites Gesicht!« raunte er. »Wüßte ich nur, was er gewahrt? – He, Donald!«

Der Schotte hob die Hand. »Da steht er ja!« bebte es über seine aschfahlen Lippen. »Seht ihr ihn nicht?«

»Wer, Donald, wer?«

»Der Bursch, der Kranke hier! – Jetzt ist er gesund, ein brauner, kräftiger junger Mann! – Ah, das schöne Haus gehört ihm, er hat Freunde, er ist reich, mächtig, – was will er denn von mir? – Fort! Fort! – Ich war dein Arzt, ich meinte es gut!«

»Donald! Donald!« flüsterte O'Brien, »komm doch zu dir!«

Der Schotte hörte ihn nicht, große Schweißtropfen rannen von seiner Stirn, er hob in matten, unregelmäßigen Bewegungen die beiden Hände. »Stehlen wollte ich?« murmelte er. »Nein! Nein! Wer sagt das?«

O'Brien zog ihn an beiden Händen ins Freie hinaus. Als der kühle Nachtwind Mac Donalds Gesicht berührte, schauderte der verkommene Patron plötzlich zusammen, er war jählings wie aus tiefem Schlummer erwacht. »Wo ist mein Patient?« fragte er hastig. »Tot?«

»Wir wollen nachsehen!« raunte O'Brien.

Der Schotte beugte sich über Lionels Lager. »Du hast ja eine Uhr, O'Brien! – Wie viel ist sie jetzt?«

»Zwölf!« sagte halberstickt der Anführer der ›Bummers‹.

Mac Donalds Blicke wurden sonderbar still, ja beinahe weich. »Die Krämpfe haben nachgelassen,« flüsterte er, – »das ist ein natürlicher Schlaf. Wenn – – es wirklich für solch' einen armen Burschen einen gnädigen Gott gibt, dann hat er den Jungen behütet, und ich – ich selbst war dabei der Bote. Lionel wird leben!«

Wie ein Pfeil schoß Toby zur Hütte hinaus und draußen begann er zu tanzen, als habe ihn die Tarantel gestochen. Die Freude seines Herzens brauchte Luft, – was war da wohl besser, als tolle Sprünge und Schwenkungen?

Hermann barg erschüttert das Gesicht in den Händen. Zum erstenmale seit Lionels Krankheit überwältigten ihn die Thränen; er weinte wie ein Kind.

Mac Donald träufelte Wein auf Lionels Lippen. Es war doch besser, daß der Ledergürtel noch an seiner Stelle lag, – es war doch ein stolzes Gefühl, dies Menschenleben vor der Vernichtung bewahrt zu haben. Ein stolzes Gefühl!

Und der Schotte dachte an das zweite Gesicht, wie es ihn vorhin heimsuchte. Vielleicht wurde die Vision zur Wirklichkeit und Lionel hob mit rettender Hand eines Tages ihn selbst aus den Tiefen des Elendes empor zu einem ehrbaren Dasein. Erschüttert wie selten barg er das Gesicht in den Händen, – seine Seele betete unbewußt.

»Möchte es so kommen, möchte ich doch aus dem Leben voll Schande erlöst werden! Schenke es mir, Vater im Himmel! Schenke es mir!«


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