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XIV.

Die Soldaten sammelten sich, sie waren binnen Sekunden bereit, Feuer zu geben, aber die Rothäute hatten noch schneller Deckung gesucht, so daß für den Augenblick kein Schuß fiel. Befehl folgte auf Befehl, die Kranken und Krüppel wurden in die Koupees befördert und schon begannen unerschrockene Männer, wenigstens für die einzelne Lokomotive eine Notbrücke zu schlagen – da krachte aus dem Walde hervor die erste Salve und ein hundertfältiger Schreckensschrei beantwortete dieselbe.

Überall hatten die Kugeln getroffen, wie niedergemäht stürzten ganze Reihen von Soldaten, von Kranken und Verwundeten, zersplittert flogen die Glasscheiben der Koupees nach allen Seiten, aber auch jetzt war kein Feind zu sehen. Nach der bekannten Kampfesweise des roten Volkes hatte jeder Mann für sich ein Versteck gesucht und sorgte zunächst dafür, nie die eigene Person den Blicken des Feindes preiszugeben. Die Überfallenen auf dem erhöhten Bahndamm boten ein leicht zu treffendes Ziel, man konnte einen nach dem anderen bequem erschießen, ohne sich Auge in Auge gegenüber zu stellen, – der Häuptling der Sioux glaubte es wenigstens.

Aus tief verborgenem Dickicht tönten die dumpfen, einförmigen Schläge der großen Trommel, wieder krachte eine Salve und wieder streckten die Kugeln wehrlose Menschen zu Boden, jetzt aber war dem Kommandeur der Truppen die Geduld ausgegangen. »Auf sie!« rief er mit lauter, erbitterter Stimme. »Auf sie, meine Jungen! Sollen wir uns hier von den roten Halunken wie die Hasen erschießen lassen? – Gebt es ihnen tüchtig, vor allem aber deckt unseren Pionieren den Rücken!«

Ein kräftiger Zuruf beantwortete diese Rede. Leute, die vielleicht kaum allein gehen konnten, Männer mit nur einem Arme oder Fieberkranke und Genesende warfen sich todesmutig mit ihren Körpern zwischen die eifrig arbeitenden Soldaten und die Kugeln der versteckten Angreifer, während dagegen die unbeschäftigten Soldaten den Bahndamm verließen und stürmend in den Wald vordrangen.

Das hatten die Indianer nicht erwartet, – mit ohrenzerreißendem Kriegsgeschrei kamen sie hinter den Bäumen hervor, jeder einzelne tanzend, das heißt, sich auf den Fußspitzen drehend, wobei alle Muskeln in Bewegung gerieten und alle Glocken betäubend rasselten. Es war ein seltsamer Anblick, hinter jedem Baume eine in Leder gekleidete Rothaut wie eine Schlange umherkriechen zu sehen, sich bückend und wieder aufrichtend, zurückfahrend und in Bogenwindungen vordringend, dabei schauderhaft bemalt und mit den unglaublichsten Schmuckgegenständen buchstäblich überhangen. Zähne, Federn, Perlen, Felle und Schneckengehäuse, alles rauschte und klirrte bei jedem Schritt, während das ›Totem‹ oder Namenszeichen, eine Art weißer Binde, über die Brust herabhing und ebenso die bekannte ›Medizin‹ bei keinem Krieger fehlte.

Hier hatte einer das Gesicht und die Brust mit lauter plumpen, aber gerade deshalb um so schauerlicher aussehenden Totenköpfen bemalt, dort einer sich mit bunten Tiergestalten oder schlichten, grünen Streifen herausgeputzt. Schwarze oder rote Flecke bedeckten die Gesichter, es gab ganz gefärbte Köpfe und mit bunten Kreisen geschmückte Oberkörper; nicht wenige, besonders hervorragende Persönlichkeiten trugen außerdem weißgegerbte Büffeldecken, auf deren Außenfläche sich die Malereien fortsetzten und dazu eine lange Schleppe von buntem, meistens scharlachrotem Tuche.

Alle diese Leute kreischten jetzt mit lauter Stimme, alle kamen aus den Verstecken hervor und stürzten sich den Weißen entgegen.

Der beabsichtigte Schlag war gelungen, – die Pioniere konnten arbeiten, ohne im Augenblick von den Kugeln der Rothäute belästigt zu werden.

Als die Soldaten den Wall hinabliefen, hatten sämtliche Pioniere die Waffen von sich geworfen und ebenso schnell waren diese von den leidlich gesunden Leuten des Transportes wieder aufgelesen worden. Wer sich kräftig genug fühlte, um noch die Kugelbüchse halten zu können, der wollte nicht zurückbleiben, wo es galt, einem grausamen, hinterlistigen Gegner so viel als nur möglich heimzuzahlen, was er über wehrlose Menschen heraufbeschwor.

Auch Lionel und Hermann hatten am Boden liegende Waffen ergriffen und sich den in den Wald eilenden Soldaten angeschlossen. Ein schwacher Schrei berührte Hermanns Ohr und erschütterte ihn tief, – es war seine Mutter, deren Stimme er hörte, ohne ihr antworten, ohne die Bitte, welche dieser Schmerzenslaut ausdrückte, bewilligen zu können. Er sah nicht zurück, schien nicht gehört zu haben, – in vollem Laufe stürmten Lionel und er zwischen den Bäumen dahin.

Ein Kugelregen empfing die tapfere Schar der Weißen. Vielleicht tausend und noch mehr Rothäute standen einigen hundert Soldaten gegenüber, Brust an Brust wurde gefochten. Furchtbare Verwüstungen kennzeichneten die Stätten, wo das Bajonett gegen die nackten Körper des Feindes zur Anwendung gekommen war. Sich selbst zum Opfer bringend, lockten die tapferen Soldaten den Gegner unvermerkt immer tiefer und tiefer in den Wald hinein, um auf diese Weise den Blick und das Interesse von den auf Leben und Tod arbeitenden Pionieren abzulenken. Die Leute krochen zwischen den Rädern der Lokomotive hindurch nach der anderen Seite, sie holten aus dem Walde das nötige Holz und brachen hinter dem Train die Schienen und Schwellen auf, alles in fieberhafter Eile. Eine Notbrücke entstand wie durch Zauberei, die Maschinen konnten zu erneutem Laufe vorbereitet werden, in aller Stille ordnete der Kommandeur die verschiedenen Züge seiner tapferen Soldaten.

Nur einige wenige sollten die Fahrt bis zur nächsten Station mitmachen, die meisten dagegen am Gefechte teilnehmen und so viel als möglich zum Vorteil der guten Sache eintreten. Alles Notwendige vollzog sich geräuschlos und sicher, aber doch nicht ohne blutige, schreckliche Opfer von seiten derer, die unter den Bäumen auf Tod und Leben mit den Indianern kämpften.

Jetzt war das Werk vollbracht. Langsam, ohne Signal oder irgend einen Laut glitt die leere Lokomotive über das schwebende, in aller Eile hergestellte Gerüst. Es ging gut, es gelang, – sollte nun der ganze, schwerbeladene Zug folgen? Konnte man es wagen?

Unruhig schlugen die Herzen der Männer; heißer, schneller rann durch die Adern das Blut. Welches von beiden Übeln war das kleinere?

Die Schienen wurden untersucht, sie lagen fest und unverrückt. Vorwärts denn in Gottes Namen! Die Hunderte von Kranken und Verwundeten mußten gerettet werden, denen, die mit den Indianern kämpften, war man Beistand schuldig. Vielleicht befanden sich Unionstruppen in der Nähe der nun folgenden Station.

Die eisernen Arme regten sich, Dampf wallte auf, die leere Lokomotive flog dahin wie der Blitz, – ihr nach in möglichster Eile der Zug.

Es krachte und dröhnte, wie Gespenster umschwirrten die aufgeschreckten Gedanken das Personal der Lokomotive und des nachfolgenden Wagens. Wenn die Notbrücke wich, wenn von beiden Seiten das Gesetz der Schwere die eisernen Massen hinabzog in den Bach und Waggon auf Waggon sich türmte, – welch ein gräßlicher Gedanke!

Aber es geschah nichts Böses. Der letzte, leer hinterdreinlaufende Packwagen war hinüber und die Lokomotive stieß einen langgezogenen, gellenden Siegesruf mit voller Kraft hervor. Mochten jetzt die Indianer versuchen, den rollenden Rädern nachzulaufen.

Sie hörten den Pfiff und ein heller Aufschrei beantwortete ihn. Überlistet von den Weißen, das erregte ihren ganzen Zorn.

Ein Teil der bemalten Gestalten erkletterte sogleich das Geleise und Hunderte von Kugeln sausten den davonfliegenden Wagen nach, ohne mehr als einige Holzteile derselben zu zersplittern. Während die Indianer gehofft hatten, bei dieser Gelegenheit die Insassen des ganzen Zuges mit Mann und Maus zu vernichten, war ihnen der größere Teil entronnen und außerdem ihre sofortige Verfolgung ganz sicher geworden. Sie mußten jetzt auf die eigene Sicherheit Bedacht nehmen.

Der Sieg über das Häuflein unvollständig bewaffneter Soldaten wurde leicht. Der Häuptling ließ sie umzingeln und zwang die Tapferen, sich ihm auf Gnade oder Ungnade zu ergeben, – er brauchte Gefangene, um sie gegen solche, die aus seinen eigenen Reihen den Unionstruppen in die Hände gefallen waren, bei Gelegenheit einzutauschen.

Wieder tanzten die wilden Gestalten ihren Kriegstanz. Es fand sich eine zerfetzte Fahne der Konföderierten, die sie auf den Beutezügen durch einen großen Teil des Kriegsschauplatzes mitschleppten und überall wohin sie kamen, gewissermaßen als Aushängeschild brauchten. Auch jetzt erklärte das »Schwarze Pferd«, der Häuptling des Trupps, die Soldaten für Gefangene der Konföderation, dann ließ er sie sämtlich an Händen und Füßen binden und befahl ihnen, sich ruhig zu verhalten, er werde für ihre Ernährung und Verpflegung Sorge tragen.

Nachdem er diese, einem Rebellengeneral abgelauschte Rede möglichst würdevoll vorgetragen, und dazu die Fahne kräftig geschwenkt hatte, verfiel der Wilde wieder in das Alltagsgewand seiner Manieren, er machte sich darüber her, den gefallenen Tapferen die Skalplocke zu rauben und versäumte auch keineswegs, ihre Taschen gründlich zu durchsuchen, dann verließ die ganze Schar den Schauplatz ihres halbgelungenen Angriffs, um sich in die Tiefen des Waldes zu begeben und dadurch den Verfolgern die Spur zu entziehen.

Auf der Walstatt lagen weiße und rote Männer bunt durcheinander, so wie der Tod sie ereilt hatte, wie sie hingefallen waren, als die Kugel kam und allem Widerstande, allem irdischen Hader ein Ende bereitete. Wieder ein Schlachtfeld dieses entsetzlichen Krieges, auf dem die Gefallenen den Geiern überlassen blieben, wo keine Hand den Toten in das Grab bettete, kein Herz ihm ein letztes Geleite gab, – ein Schlachtfeld, dessen Schwerverwundete niemand aufhob und pflegte, die einsam in der Wildnis starben, verblutend, zertreten unter den Füßen derer, die eilends davon liefen, nur bedacht, sich selbst zu retten, unbekümmert um die Opfer, deren Leben den Sieg bezahlt hatte.

Zuweilen regte sich ein Arm, ein Kopf, zuweilen tönte ein Ächzen, ein schauerlicher Jammerruf, – niemand sah es, hörte es.

Unter denen, die bebenden Herzens zurückblickten, befand sich auch Lionel. Wo war Hermann? – Er sah ihn nicht, konnte ihn unter den Gefangenen nicht entdecken. Die widerstreitendsten Empfindungen zerrissen seine Seele; halb war es ein grenzenloser Jubel, der ihn im Gedanken an den glücklich entkommenen Eisenbahnzug immer wieder erfüllte, halb eine bange Furcht, daß eines oder das andere der Seinigen doch von den Kugeln getroffen sein könne. Wenn er wenigstens über diesen Punkt beruhigt gewesen wäre! Die Sorge für seine eigene und Hermanns Zukunft war ohnehin drückend genug. Wenn nun der Indianerhäuptling zu den Konföderierten stieß, ja, und wenn er seine Gefangenen den Weißen überlieferte, dann konnte es leicht geschehen, daß die ganze Anzahl derselben nach Richmond, mitten in das Herz des Landes zurücktransportiert wurde, daß man an dem Orte, wo er so lange gelebt, ihn, Lionel, wiedererkannte und mit gebundenen Händen der Witwe des Friedensrichters auslieferte. Es lief ihm eiskalt über den Rücken herab, er wußte, daß er in diesem Falle Mr. Forsters rachsüchtiger Grausamkeit verfallen sei.

Aber noch war es weit bis dahin; eine andre Sorge quälte ihn stärker, – der Gedanke an Hermanns Schicksal. Wieder suchten seine Blicke den Vermißten, er zählte zum zehntenmale die Gefangenen, er musterte jedes Gesicht, – Hermann war nicht darunter.

Tot also höchst wahrscheinlich, oder sterbend, unfähig zu rufen, sich zu helfen. Lionel schauderte.

Bis zu dem Augenblick, in welchem die Lokomotive pfiff, hatte Hermann Seite an Seite mit ihm gefochten, dann, in der plötzlich eintretenden Verwirrung war er verschwunden, – aber wohin? Sollte er nach dem Abzuge der Indianer auf dem Bahnkörper weitergegangen sein, um nach einem Marsche von fünf oder sechs Meilen die nächste Station zu erreichen?

Der Zug, in welchem sich die Seinigen befanden, war ihm dann bereits wieder weit voraus, Lionel konnte aber auch bei näherer Überlegung nicht glauben, daß ihn Hermann so ohne weiteres seinem Schicksal überlassen werde, – nein, nein, ihn mußte eine tödliche Kugel erreicht haben, er lag irgendwo auf dem Moos des Waldes und sein gutes, ehrliches Herz hatte aufgehört zu schlagen.

Lionel biß die Zähne zusammen. Er mußte in scharfem Schritt vorwärts gehen, obwohl es ihn mit aller Macht zum Kampfplatze zurückzog, mußte schweigen und gehorchen, wo er am liebsten wie ein Tiger dem prahlerischen Häuptling der Sioux an die Kehle gesprungen wäre, um ihn zu erdrosseln.

Aus dem fernen Dakota waren diese Rothäute nach Virginien gekommen, angeblich, um an der Seite der Konföderierten zu kämpfen, thatsächlich aber nur, um zu rauben und zu plündern, um die Skalplocken weißer Männer zu gewinnen und wie eine Schar von reißenden Tieren über versprengte oder abgeschnittene Truppenteile herzufallen. Sie bewegten sich immer an den Grenzen der augenblicklichen Schlachtlinien, es gelang nur selten, ihrer habhaft zu werden, aber wo sie erschienen, da folgten ihnen die Verwünschungen der Bewohner und der Regierungstruppen. Mitten in der Nacht überfielen ihre Scharen die einsamen Gehöfte; was sich widersetzte, wurde totgeschlagen, alles Vieh und alle Vorräte gestohlen und schließlich die Brandfackel in das Gebälk geschleudert. Dabei kam es den Plünderern durchaus nicht darauf an, auch gelegentlich auf dem Gebiet der Konföderierten ihre Schreckensherrschaft geltend zu machen, sie beseitigten nur etwas sorgfältiger die Spuren der begangenen Greuelthaten und zogen sich schneller in ihre Schlupfwinkel zurück, das war alles.

Auch jetzt hatte der Trupp die größte Eile. Es ging waldeinwärts, um das dort versteckte Zeltlager zu erreichen und dann so rasch als möglich ein andres Nachtquartier zu suchen. Lionel sah, daß mitten auf dem Marsche ein Trapper in Lederkleidung zu dem Häuptling stieß und einige Minuten lang mit ihm sprach, dann gingen die beiden Männer auseinander und der Jäger verschwand wieder.

Unser Freund seufzte. Alle diese »Scouts«, die fahrenden, heimatlosen Pelzjäger, deren es hier so viele gab, – sie alle waren mit Leib und Seele dem Süden zugethan, sie leisteten Kundschafterdienste und verstanden es, sich gleichsam zu vervielfältigen, nur um leise schlüpfend und schleichend in alle Geheimnisse des Gegners einzudringen und sie den Konföderierten zu überliefern. Was hatte dieser sonnenverbrannte Mann mit dem langen Bart und dem durchdringenden Blick hier mit dem wilden Häuptling zu verhandeln gehabt?

Aber da war alles Raten und Grübeln umsonst. Schweigsam wie jede Rothaut, ging das »Schwarze Pferd« seiner Schar voran, es wurde kein Wort gesprochen, weder gesungen noch geraucht, noch irgend etwas genossen; katzengleich glitt jeder einzelne, lautlos schritt der Fuß über den Moosboden. Lionel sah heimlich nach der Uhr, seine Glieder begannen zu schmerzen, seine Zunge war trocken und die Augen brannten. Ob man denn nicht endlich das Lager erreicht hatte?

Eine Spottdrossel pfiff aus den Gebüschen hervor und sogleich antwortete ihr eine andre, die mitten unter der wandernden Schar ihren Platz zu haben schien. Lionel horchte mit klopfendem Herzen, – war das ein Signal?

Rote Gesichter erschienen auf dem Wege, eine Wasserader, vielleicht von einem der größeren Ströme ausgehend, wurde sichtbar, dann der Rauch eines Feuers, das sich ganz in der Nähe befinden mußte. Hundegebell erklang von allen Seiten, endlich lichtete sich der Wald und ein Indianerdorf mitten in der Zivilisation lag vor den Blicken der Ankommenden.

Zelt an Zelt erhob sich in enger Gasse um das Feuer geschart, zahllose Hunde lungerten überall herum, Kinder spielten friedlich mit Blumen und bunten Steinen, während die roten Frauen, in große Wolldecken gehüllt, am Boden kauerten und ihre hübschen, kunstvollen Gewebe arbeiteten. In den Ohrläppchen trugen sie lange, schmale Ketten aus Glasperlen, die Scheitel der kohlschwarzen Haare waren dunkelrot gefärbt, ebenso die spitzen Backenknochen, – an den Füßen befanden sich die bekannten Mokassins aus grauem oder weißem Leder.

Kein Zeichen der Freude oder Überraschung begrüßte die zurückkehrenden Männer. Schweigsam erhoben sich die Frauen, um in kleinen flachen Holzschüsseln ihren Gebietern ein unangenehm duftendes Fleischgericht vorzusetzen, – Hundebraten, wie sich später herausstellte. Dazu gab es steinharte Klöße und Branntwein, lauter Dinge, von denen auch die weißen Gefangenen nach stattgehabter Mahlzeit der Rothäute ihren Anteil erhielten.

Ohne den ermüdeten, solcher Gewaltmärsche ungewohnten Leuten die Fesseln abzunehmen, hieß man sie sich auf den flachen Boden setzen und warf ihnen die halbabgenagten Knochen in den Schoß, ebenso die unverdaulichen Klöße. Wollten sie zu diesem schrecklichen Mahle auch trinken, so war ja der Bach in nächster Nähe.

Lionel kauerte neben einem älteren Unteroffizier, der die Mühen des Tages besser ertragen und es vielleicht auch schon gelernt hatte, einmal anderes, als das Fleisch gewöhnlicher Schlachttiere zu essen. Sein Messer fuhr über den Knochen und was es etwa davon abschabte, das verschwand hurtig zwischen den festen, weißen Zähnen. »Sie sollten essen, junger Freund,« wandte er sich an Lionel, »Ihre Kräfte brauchen Sie, was auch geschehen möge, sehr notwendig.«

Lionel schauderte. »Hundefleisch?« seufzte er.

»Darnach darf man im Kriege nicht fragen. Geben Sie acht, uns steht noch ein langer Marsch durch das Wasser bevor.«

Lionel erschrak. »Durch das Wasser?« wiederholte er.

»Pst! Diese Halunken sind nicht mehr die einfachen Wilden, von denen wir in unsern Knabenjahren so ergötzliche Schauergeschichten lasen, sie verstehen alle das Englische wie ihre Muttersprache. Ich sage Ihnen, wir müssen durch den Bach waten, um die Verfolger irrezuleiten. Das Wasser hinterläßt keine Spuren.«

Lionel wurde aufmerksam. »Meinen Sie denn, daß man uns zu Hilfe kommen werde, Sir?«

Der Unteroffizier nickte, indem er Kloß nach Kloß mit dem Messer aufspießte und verschlang. »Zwei Regimenter Kavallerie und doppelt so viele Infanterie liegen kaum sechs Meilen von hier vollständig marschbereit,« versetzte er. »Diese Leute sind jetzt schon unterwegs, um uns loszuschlagen.«

»Und das sollten die Indianer nicht wissen?«

»Ganz genau sogar. Sehen Sie dorthin, die Weiber beginnen schon, das Zeltlager abzubrechen.«

Wirklich ward das Feuer bis auf den letzten Funken ausgelöscht, man sammelte Kochgeschirre und Arbeiten zusammen, dann wurden die Zeltstangen aus dem Boden gezogen und die Büffeldecken aufgerollt. Keiner der Männer leistetete bei dieser beschwerlichen Arbeit irgend eine Hilfe, sie lagen vielmehr sämtlich, auf die Ellbogen gestützt, im Moos und ließen Pfeife und Flasche emsig kreisen. Gesprochen wurde auch hier nicht: es ging alles zu, wie bei einer Gesellschaft von Taubstummen.

Sogar die kleinsten Kinder spielten ohne jenes Jubeln und Toben, das von den Erholungsstunden ihrer weißen Altersgenossen so unzertrennlich ist, die allerjüngsten hingen schweigend in den hübschen, ganz aus feiner Perlstickerei bestehenden Wiegen an den Baumstämmen, bis die ohnehin schwerbeladenen Mütter kamen, um das Baby mit dem Holzgestell auf den Rücken zu schnallen.

Wer keine solche Bürde zu tragen hatte, nahm Zeltstangen und Decken, selbst die Kinder und die größeren Hunde mußten sich's gefallen lassen, daß ihnen ein leichtes Bündel aufgepackt wurde, nur alles, was Mann hieß, blieb verschont und ebenso auch ein junges Mädchen, Prinzessin »Morgenröte,« die Tochter des »Schwarzen Pferdes.« Diese junge Dame trug ihr Ohrgehänge um einen Fuß länger, als die gewöhnlichen Frauen des Stammes, sie hatte auch mehr Rot aufgelegt und war nicht in die grobe Wolldecke gehüllt, sondern in ein außerordentlich schönes Gewebe, das halb aus weichem, schneeweißem Pelz bestand und halb aus kleinen viereckigen Mustern aus goldenen und blauen Perlen. Die Falten dieses Prachtgewandes fielen schwer bis auf ihre Füße herab, sie saß steif und starr wie eine Bildsäule, ohne zu sprechen oder sich zu bewegen, nur mit einem kleinen Knaben, ihrem Bruder verkehrend, der für sie das Essen in Empfang nahm und auch später an ihrer Seite blieb.

Die gewaltige, durch Schmutz und Blut gezogene Fahne trug ein junger Häuptling, sonst lag alle Last auf den Schultern der Frauen.

»Vorwärts!« befahl das Schwarze Pferd, indem er mit der Rechten auf den Bach deutete. »Dort hinein!«

»Also doch!« murmelte Lionel. »Wie unangenehm!«

»Sie haben wenigstens tüchtige Stiefel,« raunte der Unteroffizier, »aber sehen Sie meine Füße an! Jeder Kiesel wird mir die Haut zerreißen.«

Er deutete auf die Fetzen einer ehemaligen Fußbekleidung und erhob sich dann seufzend aus dem weichen Mooslager. »Es hilft nichts, junger Herr! Wir müssen uns fügen.«

Auch Lionel stand auf, sein Blick überflog die Reihen der Gefangenen. Hier war eine Wunde notdürftig mit dem Taschentuche und einigen frischen Blättern verbunden, dort blutete eine andre ohne jeglichen Schutz immer leise fort, – die Leute waren todesmatt, als sie jetzt nach kaum halbstündiger Rast die neue Wanderung wieder antreten sollten.

Voraus ging eine Abteilung roter Krieger, dann kamen Frauen und Kinder, darauf die Gefangenen und zuletzt wieder bewaffnete Indianer. Das Wasser ging den Männern bis an die Kniee, den armen Frauen aber häufig viel höher, so daß sie die größte Mühe hatten, sich mit den schweren Lasten fort zu bewegen, aber trotzdem half ihnen niemand, sie mußten an den tieferen Stellen sogar auch noch die größeren Kinder unter die Arme nehmen.

Prinzessin Morgenröte trug die Schleppe ihres Pelzmantels, alles weitere überließ sie den Frauen der gewöhnlichen Krieger.

Es ging sehr langsam vorwärts, der Abend brach bereits herein, als erst eine Viertelmeile Weges zurückgelegt war. Das Schwarze Pferd blickte häufig über die Schulter auf den endlos langen, nachfolgenden Zug, und jedesmal schien es, als umdüstere sich sein wildes Gesicht immer mehr und mehr. Ein zischender Laut entfloh den fest zusammengepreßten Lippen, aber auch jetzt sprach er kein Wort.

Der Unteroffizier lächelte spöttisch. »Alle diese Mühe ist umsonst,« raunte er kaum verständlich in Lionels Ohr.

»Wie meinen Sie das?«

»Nicht so laut, junger Herr! Sehen Sie sich doch nur die Hunde an! Wenn sie nicht mehr schwimmen mögen, springen sie an das Ufer und laufen eine Strecke weit. Dabei werden Blumen und Blätter ganz gehörig zertreten.«

»Ach – und Sie meinen, daß die Regierungstruppen diese Spur –«

»Auf der Stelle entdecken, ja! Bemerken Sie nicht, mit welchem Ingrimm die Rothäute nach den Bestien schlagen?«

Lionel nickte. »Wenn wir befreit würden!« flüsterte er voll Hoffnung.

»Das geschieht sicherlich, junger Herr! Ob man es erlebt, bleibt allerdings eine offene Frage. Die Rothäute kämpfen wie die Löwen.«

»Und ihrer tausend sind sie gewiß! – Ach, uns stehen böse Tage bevor!«

Der Unteroffizier suchte ihn zu beruhigen. »Wie kommen Sie denn überhaupt in die ganze Angelegenheit hinein, junger Herr? Halten Sie sich doch dem späteren Kampfe völlig fern und lassen Sie sich, wenn das Schlimmste hereinbrechen sollte, ruhig als Gefangener nach Richmond bringen, – man muß Sie dort unverzüglich in Freiheit setzen.«

Lionel seufzte, dann erzählte er dem thatkräftigen und freundlichen Manne an seiner Seite, welche Gefahren ihm in der Heimat drohten. »Ich muß um jeden Preis zu entkommen suchen,« fügte er bei. »Der Gedanke an eine nochmalige Sklaverei könnte mich wahnsinnig machen.«

Der Unteroffizier nickte. »Bleiben Sie nur an meiner Seite,« sagte er. »Ich will Sie schon heraushauen. Die Kupfergesichter haben bei mir ohnehin noch einen Schinken im Rauch.«

»Waren Sie selbst vielleicht schon früher ihr Gefangener?«

Der Alte nickte. »Ich habe bei den vertrackten Kerlen schon am Marterpfahl gestanden, bin halb geschunden worden und halb verhungert, – das muß ich noch mit Zinsen zurückbezahlen.«

»Aha!« fuhr er fort, »jetzt wird das Wasser zu tief; wir gehen an Land.«

Die vordersten Indianer hatten das schmale Flußbett verlassen, der übrige Zug folgte nach und ganz zuletzt kamen auch die Gefangenen an die Reihe. Wie schwer war es, wie unangenehm, so in den durchnäßten Kleidern zu gehen.

Rechtsab führte im Mondschein der Weg in den dunkeln, dichtverschlungenen Wald. Todmüde sanken die roten Frauen mit ihren Kindern zu Boden, todmüde die Gefangenen. Es wurde kein Feuer entzündet, keine Speise mehr verabreicht und auch die Zelte nicht aufgeschlagen. Eine Kette von Wachtposten umgab den Lagerplatz, das Schwarze Pferd hielt den Soldaten eine kurze Anrede.

»Wenn einer unter euch zu fliehen versucht, so sterben alle! Darnach könnt ihr euch einrichten. Der große Häuptling der Sioux hat gesprochen.«

Der Unteroffizier nickte. »Ein prachtvoller Knabe,« sagte er. »Morgen will ich ihm den Schädel einschlagen.«

Lionel lachte unwillkürlich. »Sie nehmen unsere Lage, wie es scheint, sehr leicht, Sir! Wenn es nun unsere Schädel wären, die bei der Sache in Trümmer gingen?«

»Dann ärgert uns fernerhin keine Rothaut mehr. Ich krieche nun seit Beginn dieses schrecklichen Feldzuges durch Wälder und Felder, durch Sümpfe und Wüsten, ich habe Hunger und Durst gelitten, bin gefangen gewesen und habe gestohlenes Gut verzehrt, – dadurch stumpft man schließlich ab. Der einzige Gedanke ist, den anderen bei Zeiten umzubringen, damit man selbst verschont bleibe.«

Lionel schauderte. »Lebend komme ich nicht nach Richmond zurück,« dachte er. »Lieber tot, als in Mr. Forsters Händen!«

Der Unteroffizier erhob sich aus dem Moos. »Sehen Sie den schwankenden Schatten, junger Herr? – Das ist eine Schlange!«

Seine kräftige Hand zog unsern Freund mit schnellem Ruck vom Boden empor. An dem unteren Aste eines Tulpenbaumes hing eine riesige Klapperschlange, die eben im Begriff war, sich den Gefangenen auf die Köpfe fallen zu lassen. Unheimlich rasselten die Hornplatten, der schlanke Körper schillerte und glänzte im Mondlicht, da fuhr plötzlich ein roter Arm, mit dem Kriegsbeil bewaffnet, durch die Luft und der Kopf des Untiers lag gespalten am Boden. Noch im Tode schien die spitze Zunge sich vorstrecken zu wollen, die Augen funkelten boshaft, bis nach einigen Sekunden eine bläuliche Haut den Glanz verhüllte und nun auch der Körper kraftlos auf den Boden fiel.

Der Indianer zerhackte ihn mit dem Beile und lockte einige der mageren Hunde herbei, um ihnen die Stücke vorzuwerfen. Die Tiere verzehrten gierig das abscheuliche Futter, nur den Kopf ließen sie liegen, bis ihn der rote Krieger mit einigen wohlgezielten Schlägen in den Erdboden hineintrieb.

»Schade, daß kein Feuer entzündet werden darf,« flüsterte der Unteroffizier, »sonst würden die Sioux das Festmahl keineswegs den Hunden überlassen haben. Sie braten und essen mit wahrem Vergnügen die großen Schlangen.«

Lionel schauderte. »Wo diese eine war, da können auch mehrere sein,« sagte er. »Man wird an keinen Schlaf denken dürfen.«

Der Unteroffizier zuckte die Achseln. »Legen Sie den Kopf in meinen Schoß, junger Herr! – Das alles ist Gewohnheit.«

Es rauschte und klapperte in der Nähe der beiden, noch mehrere Schlangen fielen von den Bäumen in das Moos und wurden erlegt, die kleinen roten Kinder weinten, die Mütter suchten sie angstvoll zu beschwichtigen. Durch den stillen Wald fuhr flüsternd der Nachtwind, ein Fuchs bellte in der Ferne und große Eulen huschten lautlos vorüber; der Unteroffizier erzählte dem Knaben von früheren Schlachten und Gefahren, von weiten Märschen und stolzer Siegesfreude, er träufelte Ruhe und neue Zuversicht in das Herz seines Zuhörers. »Der Süden ist eigentlich jetzt schon zu Boden geworfen,« flüsterte er, »es fehlen nur noch einige Schlachten im Herzen von Virginien, dann hat die Konföderation aufgehört zu bestehen. Übers Jahr ist der Friede hergestellt.«

Und Lionel sog begierig den Trost in das unruhige Herz. Er horchte und horchte, bis ihm die Lider zufielen, bis er doch eingeschlafen war, trotz aller Indianer und Klapperschlangen der Welt.

Der Unteroffizier beschützte sein Gesicht gegen die Mondstrahlen; mit einer Art von Rührung, von Zuneigung sah der halbverwilderte Mann auf die gewinnenden, jugendlichen Züge des Knaben, dessen Kopf er so weich als möglich gebettet hatte. Einmal im Beginn seines Lebens war auch er so schuldlos, so vertrauensvoll gewesen, es hatte eine Zeit gegeben, in der er ruhig den Kopf zum Schlummer in den fremden Arm gelegt hätte, – daran dachte er während dieser Nacht.

Dann lockten ihn böse Gesellen und er folgte nur zu willig, er verließ Arbeit und Ordnung, das zuchtlose Leben wurde zur Gewohnheit, endlich, als das schlimme Jahr 1848 kam, da kämpfte er gegen seinen Landesherrn und sah später im deutschen Vaterlande für sich keinen Weg zum ehrlichen Erwerb mehr offen, er ging nach Amerika und versuchte hier den Wechsel des Glückes in allen erdenklichen Formen. Was war er nicht seitdem schon alles gewesen: Kellner und Fabrikarbeiter, Lastträger, Wunderdoktor, Bärenführer und Schullehrer! –

Dann kam der Bürgerkrieg. Dem ersten Werber fiel er in die Hände und das erhaltene Geld vergeudete er in einer einzigen Nacht. Jetzt begann für ihn ein Herrenleben. Keine Arbeit, keine Sorge um das tägliche Brot, wohl aber der Rang des Unteroffiziers, eine schmucke Uniform und ein Anteil an allen Liebesgaben, allen Ehrenbezeugungen und patriotischen Festlichkeiten. Das war es, was er liebte, was er ›leben‹ nannte.

Aber auch in sein Paradies kroch eine Schlange. Welch ein Ekel beschlich ihn zu stiller Stunde, wie wüst erschien nach verrauchter Begeisterung das Lagerleben!

Gleich einem Friedensbilde ging durch seine Träume das Andenken der deutschen Heimat. Hätte er das ärmlichste Los in den Mauern derselben sein eigen genannt, wie glücklich wäre er gewesen! – Aber das war nun zu spät, für immer zu spät.

»So ein hübscher, junger Bursche,« dachte der Mann mit dem ergrauenden Haar, »ein armes, vaterloses Kind, – wie schade um ihn! Morgen, wenn die neue Schlacht beginnt, will ich doppelt, zehnfach dreinhauen, um ihn aus den Händen seiner Widersacher zu erretten.«

Er lehnte den Kopf gegen den Stamm des Tulpenbaumes, aber er schlief nicht. Die ersten Strahlen der Morgensonne fanden ihn noch in gleicher Haltung, noch mit offenen Augen. Was würde für ihn selbst, für den Knaben an seiner Seite der nächste Tag bringen?

Im Lager regte sich's. So schäbig, so schmutzig und grau sahen die Indianer aus, so häßlich und plump waren ihre in die unförmlichen Wolldecken gehüllten Frauen. Zerknickte Federn, zerrissene Perlschnüre, niedergetretene Schuhe, das alles bot sich den Blicken der Beschauer. Selbst die Prinzessin sah kläglich aus; das zarte weiße Fell ihres Mantels war rauh und verspritzt, die rote Farbe auf den Wangen hatte sich halb verwaschen; die arme Morgenröte glich mehr einer Trauerweide, als einem Bilde der Jugend und Schönheit.

Auch heute gab es nur kaltes Fleisch und etwas übrig gebliebenen kalten Kaffee, aber keinen Bissen, der nach der ungemütlichen Nacht den Magen ein wenig erwärmt hätte. Lionel fühlte sich wie zerschlagen an allen Gliedern, ihm graute vor dem Gedanken einer erneuten Wanderung. Wohin führte überhaupt der Weg? – Doch sicherlich in ein Gebiet, das bis jetzt von den Regierungstruppen noch nicht besetzt worden war. Vielleicht unaufhaltsam vorwärts in die innerste Mitte des Landes.

»Jetzt müssen unsere Befreier bald kommen,« meinte der Unteroffizier. »Sie sind jedenfalls die ganze Nacht hindurch marschiert.«

Lionel seufzte. »Das sagen Sie so ruhig, als hätten Ihre eigenen Augen alle diese Maßregeln mit angesehen, Sir!«

»Es kommt jemand! – Pst!«

»Doch nicht – –«

»Still!«

Die Indianer bildeten eine Gruppe, in deren Mittelpunkt eifrig geflüstert wurde. Wieder sah man den großen, runden Hut eines Trappers, dann erfolgte so eilig als irgend möglich der Aufbruch. Diesmal nahmen die Rothäute selbst ihre Zeltstangen und Felle, sie rafften alles zusammen und schnürten es sich auf auf den Rücken, als gälte es nur fortzukommen, gleichviel, um welchen Preis.

Der Unteroffizier lächelte. »Es ist eine böse Botschaft gebracht worden,« raunte er. »Die Kerle hoffen sich noch durchzudrücken, aber vergebens.«

»Wenn nicht in der Nähe konföderierte Truppen stehen!«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Auf Meilen in der Runde sind sie vertrieben. Hei, wie die Rothäute laufen! Wahrscheinlich ist ihnen unsere Kavallerie auf den Fersen.«

Es blieb jetzt keine Zeit zur Unterhaltung mehr übrig. Diese Wanderung glich ums Haar einer Flucht, – man eilte über Stock und Stein.

Zuweilen blieb ein Verwundeter am Wege liegen, unfähig, sich zu erheben oder weiter zu gehen. Das Schwarze Pferd und seine Genossen zerrten ihn empor, mißhandelten mit Stößen und Fußtritten den Wehrlosen und suchten ihn auf alle mögliche Weise zum Aufstehen zu bewegen, erst wenn sie die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen erkannten, fuhr dem Unglücklichen das kalte Eisen in die Brust, er wurde rücksichtslos zwischen die nächsten Gebüsche geworfen und verlassen, – dann zog der Trupp der Rothäute in fliegender Eile weiter.

Ein Gebirgszug trat aus dem Walde hervor. Dichte Massen von Tannen und Eichen bedeckten den Fels, undurchdringlich schien das Gewirre von Blöcken und Klippen, zwischen denen sich reicher Baumwuchs erhob. Geier und Adler schwebten in den Lüften, schöngefärbte Ziegen kletterten an den steilen Abhängen, wild schäumend stürzte sich über glattgeschliffenes Gestein ein Wasserfall in das Thal herab.

»Eine natürliche Festung!« raunte der Unteroffizier. »Wir haben aber schon anderen Widerstand besiegt, ihr Herren Rothäute.«

Der große Hut des Trappers erschien wieder im Vordergrunde, dann verschwand er zwischen den Klippen, – ihm nach folgten einer hinter dem andern die Indianer. Wie in den Boden hinein verloren sich die kriegerischen Gestalten, die Frauen und Kinder, alle in wilder Hast, eilends flüchtend, als sei ihnen der Feind unmittelbar auf den Fersen.

Der Unteroffizier sah zurück. »Wenn man so leise verschwinden könnte,« flüsterte er. »Aber die Spitzbuben achten auf jeden einzelnen Mann.«

Er und Lionel mußten nun wohl oder übel den Felsspalt betreten und die mühselige Wanderung in das Innere beginnen. Hoch über ihren Köpfen schlossen die Klippen in seltsamen Formen zusammen, rechts und links bildeten sich tiefe Abgründe und natürliche Stufen, die zu schwindelnder Höhe hinaufführten. Ein unübersehbares Gewirre von Schluchten schien alle diese einzelnen Berge und Steinkolosse mit einander zu verbinden.

Große Raubvögel flatterten auf. Vielleicht waren sie in den tief verborgenen Felsennestern vorher noch niemals gestört worden, vielleicht trieb das Erschrecken sie an, den unerwarteten Eindringlingen um die Köpfe zu fliegen. Ein unheimlicher Gruß, das Krächzen der rauhen weithin schallenden Stimmen.

Lionel sah verstohlen seinen Begleiter an. »Ob uns in diesem Schlupfwinkel irgend ein Mensch finden wird?« flüsterte er. »Ich glaube es nicht.«

Der Unteroffizier schien ernster, als er zugestehen wollte. »Wie lange können sich denn die Rothäute darin aufhalten?« gab er zurück. »Lebensmittel für anderthalbtausend Menschen sind nicht so leicht beschafft.«

Lionel schwieg, aber er war nicht beruhigt. Wenn es nun geheime Wege gab, auf denen die Indianer den Gebirgszug passieren und an der entgegengesetzten Seite die Hilfe befreundeter Truppen oder Einwohner erlangen konnten, – dann war eben alles, auch das Ärgste möglich.

Noch eine halbe Stunde dauerte der Marsch, bis endlich ein Thalkessel erreicht war, eine tiefe Senkung zwischen himmelhohen, dicht mit Eichen bestandenen Bergen. Das weite Rund lag im grünen, von Blumen durchwirkten Mooskleide offen vor den Blicken der Ankommenden, nur von Hasen und Eichhörnchen bewohnt, weltabgeschieden wie Gegenden, die wir im Traume sehen, still und leer gleich der Wüste.

Hier sanken die roten Frauen, unfähig, länger zu gehen, auf den Boden; die Hunde ließen ihre Zungen lang hervorhängen, die Männer warfen ihre Bündel und Packen von sich. Nach wenigen Augenblicken loderten an mehr als zwanzig Stellen die Reisigfeuer hoch empor.

»Wie sicher sie sich fühlen müssen,« flüsterte Lionel.

Der Unteroffizier antwortete nicht. Er begann Schlingen für die zahlreich vorhandenen Vögel aus biegsamen Stäben zu flechten und überredete auch seinen jungen Kameraden, ihm darin nachzuahmen. »Es wird wenig zu essen geben,« sagte er. »Man muß sich vorsehen.«

»Indem man Krähen oder Raben fängt, Sir?«

»Die sind immer noch besser als gar nichts.«

»Oder Hundebraten! Sehen Sie, da beginnen die Vorbereitungen zum Schmause.«

Mehrere Indianer trieben von allen Seiten die mageren Hunde zusammen und schlachteten eine Anzahl derselben, indem sie das Blut auf der Stelle austranken. Etwas Korn kam aus den Bündeln zum Vorschein und wurde am Feuer geröstet; schon nach einer starken Stunde konnte das höchst bescheidene Mahl genossen werden.

Die Frauen errichteten unter den Bäumen ihre Zelte; man schien sich für den Augenblick einigermaßen sicher zu fühlen und wollte einstweilen ausruhen.

Der Unteroffizier beobachtete alles. »Der Trapper ist nach der entgegengesetzten Seite hin verschwunden,« sagte er. »Man kann also das Gebirge hier an diesem Punkte überschreiten.«

Lionel sah auf. »Dasselbe habe ich auch schon gedacht, Sir! Wir halten eine kurze Rast, vielleicht bis morgen abend, dann geht es zu Thal und das Gebiet der Konföderierten ist erreicht.«

»Das wissen Sie noch nicht, junger Herr! Alle Wetter, sollten uns denn die Kameraden ganz im Stiche lassen? Sollten sie nichts versuchen, um die Opfer des letzten Überfalls zu rächen? Das will ich doch nicht so schnell glauben.«

Er unternahm, anscheinend ohne Zweck, eine kleine Wanderung nach rechts und links, befestigte unter den Bäumen seine Schlingen und beobachtete die Formationen der himmelanstrebenden Felsen, aber alles das nur bis zu einer gewissen Grenze. Darüber hinaus gekommen, streckte sich ihm eine rote Hand gebieterisch entgegen und er mußte umkehren. Das ganze Lager war von einer Vorpostenkette umgeben, es konnte nicht überrumpelt werden.

Tiefe Stille herrschte überall. Wer es vermochte, der schlief, um neue Kräfte zu sammeln.

Gegen Abend hatte der Unteroffizier drei Krähen gefangen. Er richtete sie zu und erbat und erhielt dann von einer der roten Frauen ein Kochgeschirr nebst etwas Salz. »Wir bereiten uns eine Suppe,« sagte er. »Das Fleisch ist zähe, man hat keinen Genuß davon.«

Er pflückte einige Blätter einer kleinen, überall aus dem Moos hervorsprossenden Pflanze und warf sie mit in den Topf. »Geben Sie nur acht, junger Herr, das schmeckt ganz gut. Ich hätte oft genug dem Himmel gedankt, wenn mir eine Krähe beschieden gewesen wäre.«

Lionel lachte. »Wie geschickt Sie das alles zu machen verstehen!« sagte er, als der Unteroffizier mit dem Rücken des Taschenmessers den hervordringenden Schaum entfernte. »Man könnte Sie für einen gelernten Koch halten.«

Der Alte nickte. »Zu anderen Zeiten bin ich gelernter Schneider und dann Schuster oder was gerade der Augenblick mit sich bringt. Alles und nichts.«

Er seufzte halb verstohlen, sein eigener und Lionels Gedankengang mochten die gleiche Frage behandeln, – endlich sprach unser Freund dieselbe auch aus. »Was gedenken Sie zu werden, Sir, wenn der Krieg beendet ist?«

Der Unteroffizier störte in den glühenden Reisern umher. »Wenn der Krieg beendet ist?« wiederholte er. »Dann müßte man ein bürgerliches Gewerbe ergreifen! – Aber welches?«

Er schüttelte den Kopf. »Daran zu denken, wäre Thorheit. Wer weiß denn, ob man in der nächsten Stunde noch lebt?«

Er streckte sich ins Moos und schürte von Zeit zu Zeit die Glut. »So, jetzt ist unsere Suppe bald gar, – dann wollen wir schlafen. Hier oben in luftiger Höhe gibt es keine Schlangen.«

Lionel stützte den Kopf in die Hand, er dachte an Hermanns Schicksal, an die Familie, mit welcher er so viele schwere Stunden geteilt hatte. Ob er sie je wiedersehen würde?

Ein dumpfer Druck lastete auf seinem Herzen. So ganz allein, getrennt von den Wenigen, die überhaupt auf Erden zu ihm gehörten, – wie traurig berührte es ihn.

Hoch oben über den Felsgipfeln stand der Mond und warf seine weißen Strahlen auf die phantastischen Formen der Klippen und Kegel. Im leichten Wind flüsterten die Blätter der Eichen, hie und da fiel aus der Höhe eine reife Frucht herab auf das Moos. Wo blieben die ersehnten Befreier? – Jetzt war der ganze Tag vergangen und niemand hatte sich blicken lassen.

Die Indianer hielten Kriegsrat, sie saßen im Kreise und sprachen halblaut, dunkle, unheimliche Gestalten im weißen Scheine des Mondes. Der Häuptling deutete mit ausgestreckter Hand über das Gebirge hinweg. »Da hinaus!« sagte die Bewegung.

Eine Stimme antwortete ihm, ein Klang, der wie ein elektrischer Schlag Lionels Herz durchzuckte. War das nicht Jack Peppers?

Er sprang auf und bemühte sich, den dichtgedrängten Kreis der Wilden zu überblicken, aber vergebens – die wallenden roten und braunen Federn im Haar der Krieger verhinderten ihn, er konnte nichts Sicheres erkennen.

»Was haben Sie?« fragte der Unteroffizier.

Lionels Stimme bebte vor Aufregung. »Sie sind größer als ich, Sir! – Bitte, sehen Sie hinüber! Ist unter den Indianern ein weißer Mann?« –

Der Deutsche stand auf und streckte seine hünenhafte Gestalt. »Ein Trapper!« antwortete er. »Jung und hübsch, mit schwarzem Bärtchen. Trägt einen Hut wie ein Wagenrad!«

»Das ist er! Das ist er!«

Und Lionel wollte sich der Gruppe der Indianer nähern, aber sein besonnener Freund hielt ihn am Arme zurück. »Den Beratungskreis dürfen Sie nicht durchbrechen, junger Herr! Ihnen flöge, ehe Sie sich dessen versehen, ein Wurfhammer an den Kopf.«

»Aber wie fange ich es nur an, des Trappers habhaft zu werden? Wenn er fortginge, ehe ich ihn sprechen könnte, das wäre entsetzlich!«

Der Unteroffizier deutete auf einen im Moos liegenden Stein. »Setzen Sie sich dorthin, junger Herr! Wenn die Rothäute auseinander gehen, so wagen Sie es immerhin, den Weißen anzureden, aber hoffen Sie davon keinen besonderen Gewinn. Das Schwarze Pferd hält seine Gefangenen fest, bis ein hohes Lösegeld geboten wird, das weiß ich aus Erfahrung.«

Lionel flog zu der bezeichneten Stelle. Jack Peppers würde ihn in der Not nicht verlassen, darauf rechnete er mit Sicherheit.

Die Minuten schlichen bleiern langsam dahin, immer noch beratschlagte der rote Stamm. Ernste Gesichter sahen in das die Mitte des Kreises einnehmende Feuer, hie und da erklang eine Stimme in den dumpfen Lauten der Siouxsprache. Es war nichts Gutes, Hoffnungsvolles, über das da die Häuptlinge ihre Meinungen abgaben.

Ein Entschluß schien nicht gefaßt zu sein, als endlich das Schwarze Pferd sich aus seiner kauernden Stellung erhob und nach ihm alle übrigen den Platz um das Beratungsfeuer verließen. Jetzt stand der Trapper im Augenblick allein und Lionel trat ihm, so schnell es die immer noch seine beiden Füße verbindende Fessel gestattete, entgegen. »Jack!« rief er. »Jack Peppers!«

Der Angeredete erschrak so heftig, als sei neben ihm ein Blitz in den Boden gefahren. »Herr des Himmels,« stammelte er, – »Sie sind hier?«

»Leider! Leider! Aber jetzt hoffe ich, daß mir Ihre Freundschaft abermals aus der Not helfen werde, Jack! Sie müssen einen Fluchtplan ersinnen.«

Der Trapper bewegte die Hand. »Junger Herr!« flüsterte er, – »halten Sie das doch nicht für so leicht. O du großer Gott, welch' ein Unglück das doch ist!«

Lionel schüttelte den Kopf, ein sonderbar beklemmendes Gefühl überschlich sein Herz. »Jack,« sagte er, »ich verstehe Sie nicht ganz.«

Im selben Augenblick legte sich von hinten eine Hand schwer auf seine Schulter, er drehte gedankenschnell den Kopf und nun bebte über seine erbleichenden Lippen ein Schreckensschrei, den er nicht zurückzudrängen vermochte. »Mr. Forster!«

»Derselbe!« sagte hinter ihm die Stimme des Kentuckiers. »Hab' ich dich endlich!«

Das rote Gesicht glühte im Vollgefühl einer grausamen Freude, die Finger krallten sich beinahe krampfhaft fest in Lionels Rock. »Du bist mein Sklave, mein Eigentum!« rief Mr. Forster. »Jetzt sollst du mir nicht mehr entrinnen!«

Eine leidenschaftliche Bewegung befreite wenigstens für den Augenblick unseren Freund von der verhaßten Hand des Kentuckiers, er stand vor ihm und sah ihn an, vor Zorn fast außer sich. »Berühren Sie mich nicht noch einmal, Sir!« schrie er, »oder ich schlage Sie nieder wie einen tollen Hund!«

Der Kentuckier wich unwillkürlich zurück. »Er wäre es im stande, dieser Bursche! – Aber warte! Warte! Ich will dich peitschen lassen, bis du um Gnade heulst, elender Sklave! Jetzt hab' ich dich und keine Macht der Erde soll dir helfen, mir nochmals zu entschlüpfen!«

Er wollte in blinder Wut die Hand ausstrecken, um Lionels Arm zu ergreifen, aber Jack Peppers trat kurz entschlossen zwischen beide. »In diesem Augenblick kann über die Frage nicht entschieden werden, Sir! – Mr. Lionel ist der Gefangene des Schwarzen Pferdes, vergessen Sie das nicht!«

»Paperlapapp!« rief Mr. Forster. »Mein Sklave ist er und sonst nichts. Die Rothaut bekommt ein Trinkgeld und schweigt!«

»Hugh! – Was sagt der Herr? – Rothaut? Trinkgeld?«

Der Häuptling mußte wohl die letzten Worte verstanden haben, er streckte gebieterisch den Arm aus, sein böses, düsteres Gesicht erschien noch finsterer und drohender als sonst. »Geh' fort da, Bursche! Marsch zu deinen Genossen!«

»Häuptling!« rief erschrocken der Kentuckier, »du hast mich vollständig mißverstanden. Ich will dir ja viel, sehr viel Geld geben!«

Die Augen des Indianers glühten wie die einer wilden Katze. »Hast du es hier bei dir, weißer Mann?« fragte er.

»Nein, das natürlich nicht. Aber –«

Der Häuptling schüttelte den Kopf. »Du bist der Gast des roten Mannes, Fremder, du schläfst unter seinen Zelten und issest von seiner Speise, aber den Gesetzen, die in seinem Stamme herrschen, mußt du dich fügen. Der junge weiße Knabe gehört dem Häuptling der Sioux! Wenn du Geld hast, um ihn auszulösen, so sprich wieder vor.«

Das war mit vieler Würde gesagt, die Federn auf dem Haarwulst des Wilden nickten und flogen, die bunte Kattunschleppe bauschte auf und der Häuptling schritt zu seinem Zelte, während Lionel schon längst den Augenblick wahrgenommen hatte, um in die Nähe des Unteroffiziers znrückzuflüchten. Der wütende Mr. Forster fand nur noch den Trapper, um an diesem seinen gewaltigen Ärger auszulassen. »Es scheint, daß Sie abermals meinen entlaufenen Sklaven in Schutz zu nehmen beabsichtigen, Sir!« schrie er.

Der Jäger nickte spöttisch. »Bestmöglichst, Mr. Forster, ja!«

»Das will ich Ihnen verleiden! – Mit dem Scharfrichter sollen Sie Bekanntschaft machen, Sie – Sie – –«

Der Revolver des Trappers blitzte ihm in bedrohlicher Nähe entgegen. »Kein Schimpfwort, Sir! oder der Himmel sei Ihnen gnädig.«

Mr. Forster wandte sich ab, das blanke Eisen schien ihm doch einen bedeutenden Respekt einzuflößen. »Mit lauter rabiaten, aufsässigen Menschen hat man zu thun!« schrie er. »Was kümmert Sie mein Eigentum, Sir? Wie können Sie es wagen, einem entlaufenen Sklaven Vorschub zu leisten?«

Jack Peppers behielt sein spöttisches, den heißblütigen alten Herrn auf das äußerste erbitterndes Lächeln. »Ihre Sprachweise hat sich gewaltig verändert, Sir!« sagte er. »Als wir inmitten der Regierungstruppen lebten, als Sie nicht wußten, wo hinaus, noch herein, da konnten Sie schmeicheln und gute Worte geben, es kam Ihnen nicht in den Sinn, irgend etwas zu verlangen, oder gar zu drohen, heute dagegen gebärden Sie sich, als müsse ich ohne weiteres Ihren Befehlen gehorchen. Wie kommt das? Stützen Sie sich etwa auf den Häupling?«

»Gewiß!« rief Mr. Forster. »Natürlich! Wenn Sie das Ansehen Ihrer Person für mich in die Schale werfen, wenn Sie gleichsam mein Bürge sein wollten, dann erhielte ich den Burschen, der ohnedies zu keinem Militärverbande gehört, schon jetzt gleich ausgeliefert. Aber das ist keineswegs Ihre Absicht.«

Jack Peppers lachte. »Durchaus nicht!« bestätigte er. »Was könnte Ihnen denn die leere Förmlichkeit auch nützen, Sir? Der junge Mr. Lionel ist unter Umständen gewiß ein sehr ungemütlicher Gesellschafter, er würde sich Ihren Befehlen niemals fügen.«

»Dann bekäme er die Peitsche zu kosten! Mehr Prügel als Brot!«

Ein scharfer Blick des Trappers beantwortete diesen Satz. »Da wir doch vom Brote sprechen,« sagte er. »Ich bitte Sie, Sir, sich entsinnen zu wollen, daß Sie ohne alle Mittel, ohne die Möglichkeit des Entrinnens im feindlichen Lager lebten und daß ich es war, der Ihnen versprach, Sie auf Schlupfwegen nach Kentucky zurückzuführen. Mein Wort werde ich unter allen Umständen halten, darf aber als Gegenleistung wohl erwarten, daß Sie auch meinen Wünschen Rechnung tragen. Lionel soll nicht belästigt oder bedroht werden, er soll, wenn ich es verhindern kann, nie der Sklave irgend eines Menschen sein, am wenigsten aber der Ihrige, Sir!«

Mr. Forster knirschte wütend. »Aus welchem Grunde, wenn man fragen darf?«

»Weil Sie den armen Jungen hassen, Sir!«

Und der Trapper wandte sich kurz ab, um Lionels Schlafplatz aufzusuchen. Er hatte an unsern Freund noch eine besondere Botschaft auszurichten, ein Versüßungsmittel für die bittere Überraschung dieser Schreckensnacht.

Mr. Forster ballte in ohnmächtigem Groll die Faust. Er konnte nichts thun, um sein Ziel zu erreichen, das machte ihn beinahe rasend.

Lionel hatte unterdessen seinem Freunde, dem Unteroffizier im Fluge alles erzählt. »Wenn nun keine Regierungstruppen kommen, so bin ich verloren,« setzte er bebend vor Unruhe hinzu. »Mr. Forster ist ein sehr reicher Mann, er biegt den wilden Häuptling wie weiches Wachs nach seinen rachsüchtigen Wünschen.«

Der Unteroffizier goß die heiße Krähensuppe in den Feldbecher. »Ich habe Ihnen ja schon gesagt, den Häuptling schlage ich tot!« nickte er. »Nun trinken Sie einmal, junger Herr! Man lebt nicht allein vom Ärger.«

Lionel ergriff das Gefäß und wunderte sich, die Brühe ganz annehmbar zu finden. Er trank noch in vollen Zügen, als der Trapper hinzukam und ihn mit ernsten, traurigen Blicken begrüßte. »Welch ein Wiedersehen!« sagte er tief erschüttert.

Lionels Herz schlug schneller. »Sind wir diesmal in der That verloren, Jack? Werden keine Unionstruppen hierher kommen?«

Jack Peppers verzog auf eigentümliche Weise die Lippen. »O, daß ich Sie an diesem Orte finden mußte, Lionel! – Ich kann Ihnen nicht helfen, Ihnen nichts nützen.«

»Aber,« setzte er hinzu, »eine Freude habe ich für Sie, einen Brief aus Richmond.«

Er reichte dem Knaben ein etwas geschwärztes und zerknittertes, aber nichtsdestoweniger so hochwillkommenes Kouvert, das Lionel mit einem Jubelschrei ergriff und sogleich aufriß, um sich den Inhalt zu eigen zu machen.

»Von Philipp! Von Philipp! – Ach wie glücklich bin ich!«

Er rückte an das Feuer und las bei dem letzten verglimmenden Scheine desselben, was ihm Philipp schrieb, lauter liebe, zärtliche Worte, lauter Balsam für sein dürstendes Herz. »Wir sehen dem letzten, entscheidenden Schlage jetzt schon mit ziemlicher Sicherheit entgegen,« hieß es am Schlusse des Briefes. »Die Konföderierten können sich nicht mehr halten, der unselige Kriegszustand wird aufhören, das Land in Verzweiflung zu stürzen. Gottlob! Gottlob! Aber wenn auch zugleich für dich eine Heimat offen stünde, wenn du, mein armer Lionel, gerettet und in dein Erbe eingesetzt wärest, wie viel glücklicher würde ich sein! – Noch ist Seven-Oaks unverkauft. Niemand wagt mehr sein Geld in Plantagen anzulegen. Das Vieh mußte an den Markt getrieben werden, die Ernte verdarb auf dem Halme, die Gebäude stehen verschlossen. Und auch bei uns im Hause ist es öde und still, – ach Lionel, entsetzlich still. Du bist mein Vertrauter, mein Bruder im edelsten Sinne des Wortes, dir darf ich es sagen, wie tief durch das Verhältnis zwischen meinem Vater und mir die unheilbare Spaltung geht. Wir sprechen nicht miteinander, wenigstens so lange wir allein sind. Er ist krank, immer krank, obgleich ihm der Arzt keine Arznei verschreibt und auch dem Leiden keine Bezeichnung zu geben weiß. Mitunter in der Nacht erwache ich von seinem Ächzen und schleiche zu ihm, – Lionel, er ist ja mein Vater! – dann liegt er mit offenen Augen und sieht mich doch nicht kommen, von seiner Stirn rinnt der Schweiß, er murmelt unverständliche Worte, die Finger zucken wie im heftigen Krampfe. Ich nehme in solchen Fällen nach ärztlicher Verordnung ein wenig Wein und halte ihm das Glas an die Lippen, aber sobald er mich erkennt, zieht er sich schaudernd zurück. ›Was gibst du mir da? – Wer weiß, was das ist? – Lionel wäre glücklich, wenn ich stürbe, – schickt er mir vielleicht Gift?‹

»Ach, mein Freund, mein lieber, teurer Lionel, welch schmerzvolle Tage verbringe ich! Du erkennst das, siehst es aus dem eben Erzählten. Glaube mir, wenn dir das trockene Brot fehlt, wenn du in der Nacht ohne Obdach bist und am Tage ohne Freude, – – selig preise ich dein Geschick, dem meinigen gegenüber. Dein Vater ist in den Fiebersümpfen Brasiliens einsam und verlassen gestorben, aber mit welch reinen Empfindungen der Liebe und innigen Teilnahme darfst du seiner gedenken! – Laß mich hier abbrechen, Lionel, mein Herz ist übervoll, es sehnt sich nach dir zu jeder Stunde, immer, immer. Wenn ich nicht wüßte, daß für dich, du armer Betrogener, der Tag meiner Mündigkeit so notwendig erreicht werden muß, dann würde ich den lieben Gott bitten, mich noch heute zu sich in seinen Himmel zu rufen.

»Von vielen, vielen Freunden hier im Orte die herzlichsten Grüße. Es kam ein Trapper und redete mich auf der Straße an, um mir zu erzählen, was alles du erlebt hast und wo du dich befindest, – wie froh, wie glücklich war ich in jener Stunde! Diese geheimen Verbindungen, diese Botschaften von einem Scout zum anderen überziehen das ganze Land; was sich heute hier zutrug, das weiß man morgen im feindlichen Lager und so umgekehrt. Mein Trapper verspricht mir, durch zehn oder zwanzig vertraute Hände werde dieser Brief unversehrt zu dir gelangen – möchte er doch recht haben! Wo du auch seiest, wo dich meine Grüße erreichen, Lionel, teuerer, geliebter Bruder! da behüte und beschütze dich Gott, da schenke er dir Freude und Glück, so viel es die schweren, äußerlichen Verhältnisse gestatten. Behalte Mut für jenen Tag, an dem mir zum erstenmale die Sonne wieder scheinen, an dem mein Herz freudig und leicht schlagen wird, – den Tag, wo ich Seven-Oaks in deine Hände lege.

»Mit tausend Grüßen dein Philipp Trevor.«

Lionel faltete mit bebenden Fingern den Brief zusammen. Er war doch nicht von aller Welt verlassen, nicht unglücklich, so lange ihn der Freund seiner Knabenjahre herzlich und aufrichtig liebte, so lange er ihm vertraute und ihn hoffen, ihn fest an bessere Tage glauben hieß. Ein Strom neuen Mutes zog durch seine Seele, – das Schicksal des Krieges war so ungewiß, so wechselnd, vielleicht brachten schon die nächsten Tage oder gar Stunden eine Veränderung.

»Jack,« fragte er den Trapper, »bleiben Sie hier? Wie lange denkt überhaupt das Schwarze Pferd an diesem Orte zu rasten?«

»Bis die Blauen kommen!« schaltete der Unteroffizier ein.

Jack stützte den Kopf in die Hand. »Sehen Sie da die feste undurchdringliche Mauer von roten Männern, Sir? Sehen Sie, wie tausend erprobte Krieger in aller Stille die nötigen Vorbereitungen treffen, um den Angriff abzuschlagen und vielleicht zu den schon vorhandenen fünfhundert Gefangenen noch die doppelte, dreifache Zahl hinzuzufügen?«

»Unsinn!« brummte der Unteroffizier. »Unsinn!«

Jack Peppers beachtete ihn nicht. »Da kommt das Schwarze Pferd!« sagte er.

Der Indianer zog die lange, wallende Schleppe über das Moos, seine tiefliegenden Augen sandten zu den drei am Feuer sitzenden Männern einen langen, gebieterischen Blick. »Dort hinaus!« sagte er, indem er die Hand erhob und zugleich dem Trapper winkte, ihm zu folgen. »Alle Gefangenen sollen an der Stelle unter den Eichen ihre Plätze nehmen.«

Der Unteroffizier und Lionel gehorchten sogleich. Von allen Seiten kamen die ermüdeten, durch Hunger und Anstrengung geschwächten Soldaten herbei, um sich, getrieben von mehreren Rothäuten, an einer steil abfallenden Felswand niederzulassen. Vor ihnen in einiger Entfernung standen mit ihren Federbüschen und Wurfhämmern die wilden Krieger am Ausgange des Thalkessels, hinter ihnen senkte sich der Abgrund in unabsehbare Tiefe. Da hinein konnte niemand flüchten, den Gefangenen war jede Beteiligung an einem etwa ausbrechenden Kampfe von vorn herein vollständig unmöglich gemacht.

Der Trapper kehrte, nachdem er mit dem Häuptling einige Worte gewechselt hatte, zu dem Unteroffizier und dem Knaben zurück. »Master Lionel,« sagte er, »ich habe eine Bitte, – wollen Sie mir dieselbe erfüllen?«

»Wenn es möglich ist, auf alle Fälle, Jack!«

»Nun gut, dann ergeben Sie sich scheinbar ruhig in Ihr Schicksal, Master Lionel, gehorchen Sie dem, was Ihnen etwa befohlen wird, ohne Widerrede und zu Ihrem eigenen Besten. Ich finde dann mit Gottes Hilfe später Gelegenheit, Sie entschlüpfen zu lassen.«

»Bleiben Sie nicht hier, Jack?«

»Das ist unmöglich. Die Frauen und Kinder der Indianer müssen in ein anderes Versteck gebracht werden, – dieser Punkt sieht schon sehr bald den Zusammenstoß zwischen den Regierungstruppen und den Rothäuten.«

»Aha!« rief der Unteroffizier. »Also doch!«

Jack Peppers nickte, sein Blick war düster und leuchtend zugleich. »Doch, Sir, doch! – aber ich fürchte, die Sache wird nicht ganz nach Ihrem Wunsche ausfallen. Von den weißen Männern verläßt schwerlich einer lebend diese Schlucht!«

»Welche sind es?« fragte der Unteroffizier. »Die vom zwölften Regiment?«

»Ja!«

»Hurra! Deutsche Jungen das! – Und da sprechen Sie vom Unterliegen, Sir? Wünschen wohl gar, daß die tapferen Blauen ins Gras beißen müßten?«

Der Trapper antwortete nicht, er bot nur dem Knaben die Hand und ging dann schnellen Schrittes davon. Drüben hatten die roten Frauen, geduldig und gehorsam wie immer, ihre Bündel geschnürt und die Wiegen mit den kleinen Kindern aufgeschnallt; während die Krieger den Engpaß in dichten Scharen besetzt hielten, gingen sie ohne einen Laut, ohne einen Blick nach rückwärts hinter dem Trapper her und verschwanden an einer Felsecke, die seitwärts in das Gewirre hineinführte. Nach wenigen Minuten war von ihnen nichts mehr zu sehen.

Der Unteroffizier wog in seiner Hand einen Stein, von dessen Art ganze Haufen unter dem Moos lagen. »Keine Rücksicht der Welt soll mich hindern, den Kameraden vom Zwölften beizustehen,« sagte er sehr energisch. »Laß sie nur hier sein!«

In diesem Augenblick erdröhnte die Erde von einem betäubenden Donner, dessen Schall aus allen Himmelsrichtungen zugleich herzukommen schien. Am Eingang der Schlucht, oben auf den Felsgipfeln, in den Klüften und Engpässen, überall blitzte das Feuer der Kugelbüchsen, überall zeigten sich im Mondlicht die Uniformen der Regierungstruppen. Wie mit einem Kranze von toddrohenden Feuerschlünden war der ganze Thalkessel umgeben.

Der Unteroffizier sprang auf, er warf vor Freude seine Mütze hoch in die Luft. »Umzingelt!« rief er. »Hurra! Hurra! Umzingelt!«


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