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XVII.

Aus den kleinsten Widrigkeiten und
Chikanen des Glücks setzt sich oft ein
verfehltes Dasein zusammen.

Wie still es war, als alle das Haus verlassen hatten – – so furchtbar still! Die Jalousien waren herabgelassen, da die Maiensonne jetzt um die Mittagszeit schon glühendheiß war. Einige Fliegen summten im Zimmer umher und strebten nach den Fenstern hin.

Aber so konnte ich doch nicht sitzen bleiben, die Hände im Schoß und ihn erwarten! Ich machte mir an meinen bereits gepackten Sachen zu schaffen. Das Herabbeugen des Kopfes war mir unerträglich, alles flimmerte vor meinen Augen. – – Was regst du dich denn eigentlich auf? schalt ich mich, vielleicht hält er dir nur eine Predigt über dein schlechtes Betragen und stattet dich mit einigen Lehren für die Zukunft aus. – – Die Zukunft! o, grauenhafte Leere ohne ihn! – immer ohne ihn. Nein, er wird kommen, dich in seine starken Männerarme schließen und sagen – – – Ja, was denn? Er kann ja noch nicht heiraten und nach zweimonatlicher Thätigkeit hier kann er von seinem Chef auch keine Opfer verlangen. Er ist auch gewiß zu stolz dazu. – Was wird nun sein? was? was?

Aber kommt da nicht jemand? – – nein, es war nichts! Ich war ganz ermattet. Und wenn Frau Brandt das wüßte! Jetzt war sie wohl schon daheim. Wie würde ich ihr wohl zugestehen, daß ich mein Wort doch nicht gehalten. O, was sind mir alle Frau Brandts der Welt, wenn ich ihn nur habe! – Und du bist älter als er – älter, älter, älter!

O, ein Jahr überschwenglichen Glückes – ein Jahr nur! und dann mag die Nacht kommen, ich werde sie ertragen, ich werde wieder stark werden, wie früher. – Wenn er mich nicht mehr liebt, werde ich ihn freigeben und still nach Rußland zurückkehren, werde mir mit meiner alten Energie mein Leben aufs neue einrichten; aber einmal – einmal – will ich glücklich, ganz glücklich sein!

Jetzt geht die Thür, ich weiche bis an den Eckdivan zurück, mein Herz klopft hörbar, ich wage nicht zur Thür hinzusehen – – – plötzlich Annas Stimme:

»Kommen Sie zum Kaffee, Fräulein Maria! Und der Herr Doktor war im Garten und läßt Ihnen sagen, daß er Ihne nix B'sondres mehr zu sage hätt'!«

Es war, als ob die Decke über mir einstürzte und mich darunter vergrub. – Mich durchzuckte ein wilder Schmerz, und dann sprang – wie eine lang niedergedrückt gewesene Sprungfeder, mein Stolz empor.

»Es ist gut, Anna! ich komme gleich. – Ist Herrmann aus der Stadt zurück?«

»Ja, und hat ein arg nett's Plaidriemle mitgebracht. Kommen Sie und sehen Sie's selber, Fräulein Maria!« damit ging sie fort.

Also allein und frei! Frau Brandts Wunsch war erfüllt.

Als ich in das Speisezimmer trat, saßen schon alle am Tisch. Fräulein Hannchen sah mich scheu von der Seite an.

»Ich finde es unverantwortlich von ihm,« sagte sie endlich. »Er hätte in erster Linie bedenken sollen, daß man mit einer kaum Genesenen nicht verfährt, wie mit einer Gesunden.«

Ida v. Herbenstein lachte belustigt.

»Jetzt gehts heim, Fräulein Hannchen, weit nach Rußland, jetzt muß man lustig sein!«

Dann besahen wir das ›Plaidriemle‹; es war wirklich ›arg nett‹.

»Aber warum haben Sie ihm auch keine Stunde bestimmt?« sagte Fräulein Hanna. »Gestern waren Sie so absprechend gegen ihn; heute morgen waren Sie fortgelaufen. Was soll er auch davon denken?«

»Wenn er mich liebte, so käme er zehnmal.«

»O, die Männer haben ihren Stolz – und erst Dr. Tondern, für den in der kurzen Zeit schon alle Mädchen der Umgegend schwärmen.«

»So mag es weiter bei den sieben Lieben bleiben!«

Jetzt ertönten die drei Glockenschläge über den Hof, die Hanna zum Geheimrat befahlen. Sie eilte fort. Nach einer Weile kehrte sie zurück.

»Heute Abend feiern wir noch ein kleines Abschiedsfest im ›Lamm‹, Fräulein Maria, und der Geheimrat geht gleich in den Schloßgarten, wollen Sie nicht noch ein wenig zu ihm?«

»Ja – und einen Rundgang muß ich machen, um von allen im Hause Abschied zu nehmen.«

»Das ist recht, Fräulein Maria, dann begleite ich Sie auch zu den Herren Doktoren!«

»Nein, dahin gehe ich nicht. – Sie haben es ja so unpassend gefunden, daß ich Herrn Braun besucht, wie sollte ich ihre Lehren so wenig zu Herzen nehmen; dazu ist es ja fast dieselbe Stunde wie vorgestern, und Dr. Tondern hält mich am Ende für unheilbar verrückt, wenn ich noch einen ›Herrenbesuch am Abend‹ mache. –

»Fräulein Maria, zum letzten Mal?«

»Nein – das ist zu viel verlangt! – Glauben Sie, liebes Fräulein, daß ich im Leben stets das muntere, sanfte Lamm gewesen bin, als das ich mich hier in der Krankheit gezeigt? Ich besitze auch Stolz, Energie – und wenn Sie wollen, auch Starrköpfigkeit; mindestens ebensoviel, als der von den Damen umschwärmte Herr Doktor, der sich an andre Adressen für seine Scherze wenden kann. – Ich bin jetzt gesund – ich lebe wieder.«

Nachdem wir unsern Rundgang mit Frl. Hannchen beendet, und ich den Dienstboten den ihnen zugedachten silbernen Händedruck geboten, trat ich zu dem Geheimrat in den Garten.

Er saß in der Laube, die Füße waren in Tücher eingehüllt und auf einen Schemel gestellt; er litt also wieder. –

»Herr Geheimrat, mein Lieber, Guter, Edler! wie soll ich Ihnen danken, für alles, was Sie an mir gethan haben?« Thränen stürzten aus meinen Augen und machten mein belastetes Herz endlich frei.

»Frl. Maria, wollen wir nicht noch rasch ein Bild von der Anstalt aufsuchen gehen,« fragte Frl. Hannchen, »das sie dann zum Andenken mitnehmen können?«

Ich blickte auf, der Geheimrat war sehr gerührt, er sagte aber nur etwas rauh: »Und geben Sie auch der Maria meine Adresse nach Karlsbad! Ich reise ja auch übermorgen,« fügte er an mich gewandt hinzu, »und dahin müssen Sie mir schreiben, Maria!«

Hannchen zog mich mit sich fort. »Frl. Maria«, flüsterte sie mir zu, »der Herr Geheimrat kann das Abschiednehmen nicht vertragen, er denkt gleich an den Tod, das ist so seit seiner letzten Krankheit.«

Ich erhielt die Karlsbader Adresse und das Bild der Anstalt. Dann brach der Abend herein, und Hannchen, Ida v. Herbenstein, die morgen auch zu ihren Verwandten nach München sollte, der Geheimrat und ich versammelten uns, um ins ›Lamm‹ zu gehen.

»Ich wollte ja auch gern die Herren Ärzte auffordern«, sagte der Geheimrat; »aber da Sie sich nun mit ihnen überwarfen, würde es Ihnen ja unangenehm sein.«

»Ich danke Ihnen, Herr Geheimrat,« sagte ich, und dabei that mir das Herz weh.

Als wir beim Wein saßen und das Gespräch nicht recht fort wollte, sagte der Geheimrat nachdenklich: »Maria, Maria, werden Sie Ihre That bereuen? Abschied hätten Sie doch nehmen können. Ein gesprochenes Wort ist zehn Mal mehr als 100 geschriebene. – Und es ist so ein netter, lieber Kerle, so gescheit, so tüchtig und lebensfrisch, wie sonst selten einer aus unserer verdorbenen Zeit. Und so kurze Zeit er hier ist – alle Mädle schauen sich die Augen nach ihm aus, der kriegt an jedem Finger zehn, wenn er will.«

»Zehn mal zehn – macht hundert«, sagte ich trocken, »hab mich also verrechnet, ich riet nur auf sieben. Meinen besten Glückwunsch für den Herrn Doktor Don Juan.«

»Maria, einem vernünftigen Weibe, wie Sie eins sein könnten, würde er zu Füßen liegen. Das ist noch das echte Ritterherz, voll Verehrung für die Frau – und ein gutes Herz ist es, der kann keinem Tier was zu Leide thun.«

Den Menschen aber doch, dachte ich bei mir.

»Wo bin ich wohl von heute in acht Tagen,« – sagte ich nach kurzem Schweigen. »Lassen Sie mich rechnen ... wahrscheinlich in W. bei meinem verheirateten Bruder und in 14 Tagen bin ich in Petersburg.«

»Und ich,« sagte der Geheimrat, »sitze im langweiligen Karlsbad und trinke allerlei dummes Zeug in mich hinein; aber eins müssen Sie mir versprechen, Maria: jede Woche einen Brief. Ich komme sonst dort um vor langer Weile. Wie es Ihnen geht, was Sie machen und was Sie denken – – alles, alles, hörst du, Mädle – alles! Du Eigensinn du!« Dabei schüttelte er mich an der Schulter.

Ich beugte mich nieder, um seine liebe Hand zu küssen. Er zog sie eilig fort.

»In jeder Lebenslage, Maria, dürfen Sie sich getrost an mich wenden. Hätt' Sie so gern dabehalten! können's mir glauben!«

Als wir spät zurückkehrten, ging auf dem Hof noch Dr. Mai an uns vorüber, wir grüßten leicht, ohne stehen zu bleiben. Das war auch das Letzte, was ich von ihm sah – eine undeutliche, dunkle Gestalt, die im Finstern verschwand.

* * *

Die letzte Nacht in Helbingen, die allerletzte – der ein strahlender Maimorgen folgte. – Alle Bäume und Blumen funkelten im Thau, die Welt hatte ihr Festkleid angethan und ringsum in den Helbinger Gärten duftete es nach Frühling und nach den ersten sich schüchtern entfaltenden Rosen, die ihre halberschlossenen Knospen sehnend zum blauen Himmel emporhoben.

Ich ging ins Schloß hinüber, wo alle meine Effekten hingeschafft waren.

»Fräulein Maria,« rief mir Anna entgegen, »kommen Sie rasch einmal in den Salon, da ist noch 'was für Sie.« Ich trat ein; das erste, was ich sah, war ein herrlicher Strauß von Theerosen, mit einer Karte von Herrn Braun; dann eine einzelne dunkelrote Rose vom Geheimrat.

»Warum will er sie mir nicht selbst geben?« fragte ich.

»Er ist auf der Ronneburg; er kann ja keinen Abschied nehmen.«

Also nie wiedersehen, dachte ich, – nie mehr? – So war es – ich habe ihn nie mehr wiedergesehen.

Dann erblickte ich ein zartblaues Couvert, auf dem in Rundschrift zierlich mein Name geschrieben stand. Es war offen, und ein gleichfarbiger Bogen fiel heraus, auf dem ebenfalls in Rundschrift folgender Vers geschrieben war:

Souviens-toi

Wenn je an der Neva das Herz dir bricht
In tiefem Leid.
Kein Sternlein dir leuchtet als Rettungslicht
In dunkler Zeit,
O, Nordlands Maid,
Kein Sträußlein der Freuden die Welt dir flicht,
Dann wisse, daß in den deutschen Reichen
Dir Liebe und Freundschaft die Hände reichen!

Mai 1891 Adalbert v. Bremen.

»Adalbert von Bremen? wer ist das?« fragte ich erstaunt.

»Aber Herr v. Bremen, der zu den Festen immer die Reden hält, der Patient, der so gut zeichnet, der Ihnen auch die Taschentücher eingemerkt hat. Sie kennen ihn ja, Frl. Maria!«

»Ja, setzt entsinne ich mich! – Bitte, Annele, bringen Sie Herrn v. Bremen und Herrn Braun hier meine Karte und diese weiteren zwei geben Sie den Herren Ärzten.«

Ich schrieb auf alle noch geschwind das vorschriftsmäßige » p. p. c.« und händigte sie Anna ein.

»Aber – hören Sie denn nicht, Frl. Maria, da kommen ja soeben die Herren Ärzte schon selbst die Treppe herauf zur Visite; wollen Sie ihnen nicht selbst Adieu sagen? Und der Herr Pfarrer ist auch dabei, kommen Sie!«

»Nein, unten fährt der Wagen schon vor, und Fräulein Hannchen winkt. Da, bitte, noch eine Karte für den Herrn Pfarrer. – Adieu, Annele! leben Sie wohl! tausend Dank für alle Ihre Pflege und Sorge um mich, ich werde Sie nie vergessen! Grüßen Sie Frl. Wundermann, Ella und Frau Herrmann. Ich kann jetzt nicht zu Ihnen hinein und – leben Sie wohl!«

Anna führte ihre Schürze an die Augen; ich küßte sie auf die Wange und dann fuhren wir mit Frl. Hannchen an den Fenstern des Gesellschaftszimmers vorüber, wo alle beisammen waren und uns gewiß nachschauten.

Ich warf keinen Blick nach oben und schaute auf meinen schönen Rosenstrauß, den ich in den Händen hielt. Die rote Rose vom Geheimrat hatte ich an die Brust gesteckt. Beim Thor warf mir noch die Frau des Portiers Heinzelmann einen Blumenstrauß in den Wagen, sie hatte mich immer gern gehabt und als ich noch krank war, oft mit Blumen und Obst beschenkt, so gut sie's wußte.

Ich grüßte dankend, da kam auch ihr Mann aus seinem Häuschen am Thor heraus und schwenkte seine Mütze.

»Darf ich mir erlauben, auf jedes Briefcouvert, das an Sie aus Helbingen abgeschickt wird, von mir und meiner Alten einen Gruß aufzuschreiben?«

»Gewiß, Heinzelmann, es wird mich freuen!«

»Adieu, Frl. Prätorius, leben Sie wohl!« riefen beide, »und lassen's Ihnen auch recht gut gehen!«

Der Wagen rollte weiter.

»Wer hätt' auch das gedacht,« sagte Hannchen, »daß Sie nun doch auch von uns scheiden würden, Frl. Maria!«

»Ja, alles nimmt ein Ende, alles auf dieser Welt, auch das Schönste, Frl. Hannchen.«

»Sie müssen uns aber schreiben, Frl. Maria. In Berlin werden Sie Lanzen's schon gut empfangen, der Herr Geheimrat hat ihnen geschrieben. Dann haben Sie noch eine Nacht bis zur Grenze und von dort ist's bis zu Ihrem Herrn Bruder ja nur noch wenige Stunden,«

Wie rasch es die X.er Straße dahinging, durch die alte Stadt hindurch bis an den Bahnhof. Wir lösten die Fahrkarte, ordneten alles im Coupée, dann hieß es: »Einsteigen!« – der bekannte markerschütternde Pfiff und Ade – Ade auf ewig!

Wie klein Frl. Hannchen aussah, als der Zug weiter ging, viel kleiner noch als sonst – immer kleiner, kleiner – zuletzt nur noch ein Punkt.

Dann verschwanden die Türme der Stadt und ich saß allein da mit meinen Blumen und blickte in die lachende Landschaft hinaus.

* * *

Jetzt könnte ich füglich schließen. – Das Lied war aus. Was jetzt noch kam, waren nichts als teils unharmonische, teils traurige Nachklänge, die mit einem schrillen Springen der Saiten endeten.

Ja, was sind Briefe gegen ein lebendiges, gesprochenes Wort! – Ein Blick, ein Händedruck, ein Tonfall der Stimme sagt mehr als tausend beschriebene Blätter.

Doch ich will, wenn auch in anderer, kürzerer Art das Lied bis zum Ende und zum wahren Schluß führen.


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