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IV.

Gebt mir vom Becher
Nur den Schaum!

Geibel.

»Fräulein Maria, machen Sie sich bereit, Sie fahren heute mit dem Herrn und der Frau Geheimrat und mit dem Herrn Doktor auf die Ronneburg,« rief mir Hannchen zu.

»Danke für die gute Nachricht, bin sogleich fertig,« war meine Antwort.

Ich zog rasch ein blaues Kleid an, das der Geheimrat sehr an mir liebte, legte Hut und Mantel an und ließ mich von Fräulein Hannchen an den Wagen geleiten.

Im Fond saß das Ehepaar, und als ich mich soeben auf den Rücksitz des geschlossenen Wagens gesetzt, sprang zu meinem Erstaunen der neue Doktor in den Wagen.

Also der – dachte ich – auch gut; wenn der liebe Geheimrat nur so gemütlich bliebe wie sonst, wenn kein fremdes Element dabei war!

Zuerst herrschte Stille im Wagen. Der junge Doktor deckte seinen Chef sehr sorgfältig mit der Wagendecke zu, zog dann eine zweite über unser aller Knie und machte das alles so hübsch ritterlich, daß man ihm gern zusah.

Jetzt zog der Geheimrat ein Buch aus der Tasche und las uns daraus allerlei Sinnsprüche vor. Währenddem begegneten sich einigemal meine und des Doktors aufmerksame Blicke; dabei hatte ich jedoch ein vollkommen selbstverständliches Gefühl, keine Spur von Befangenheit.

Dann redete die Frau Geheimrat etwas drein, und über den zuletzt gelesenen Spruch entstand eine kleine Debatte zwischen Geheimrats und mir.

Während dieser ganzen Zeit fühlte ich, daß der Doktor mich still beobachtete.

Dann gefiel sich der Geheimrat in etwas schwülstiger Rede, in die er leicht geriet, wenn er hochdeutsch sprach – wie übrigens alle Menschen, die gewohnt sind, im Dialekt zu reden – fing an, eine längere Auseinandersetzung zu halten und schloß mit den Worten: »Nun, Maria, was meinen Sie dazu?«

»Schön gesagt!« war meine Antwort.

»Böses Ding!« schalt kopfschüttelnd der Alte.

»Sie scheinen Logik getrieben zu haben, Fräulein?« wandte sich nach einigen weiteren Debatten zwischen mir und dem Geheimrat Dr. Tondern an mich.

»Wie, Logik – ich? Kennen Sie nicht den Vers, der ungefähr so lautet:

›Logik such bei Frauen nie,
Sie kennen keine andern Schlüsse,
Als Thränen, Krämpfe und Küsse.‹

Stilles Lächeln und ein rascher Blick vom Doktor, herzliches Lachen von seiten des Geheimrats.

»Ja, ja, Doktor, mit der ist nicht gut Kirschen essen. Aber Maria,« wandte er sich an mich, »jetzt habe ich Sie nun schon in allen Stadien gesehen, aber verliebt, recht ordentlich verliebt noch nicht, und das möchte ich noch gar zu gern erleben.«

»Verliebt? Herr Geheimrat, – das werden Sie nie erleben, die Liebe ist eine Kinderkrankheit, wie Scharlach oder Masern, und die liegen weit hinter mir; es lohnt auch nicht, zu lieben,«

»Wenn erst der Rechte kommt ...« sagte Dr. Tondern.

»Ach, der dumme Rechte, der kommt ja gar nicht, auf den zu warten ist vergebene Liebesmüh',« bemerkte ich lachend.

»Ich glaube, unsre Maria,« meinte der Geheimrat, »würde den ganzen Tag lachen, lachen und wieder lachen, wenn sie verliebt wäre. Du, Lachtaube, du! ... Aber da ist unsre Ronneburg, Doktor; die sehen Sie sich nun an!«

Cäsar und Waldmann sprangen außer sich vor Freude um den Wagen herum, die Gänse flogen schreiend und schnatternd auseinander, und unser Wagen hielt vor der alten, bekannten Thür.

»Fort, Hundepack!« wetterte der Geheimrat wie immer – er litt die Hunde nicht – »daß man diese Bestien nicht einsperren kann!«

»Aber lieber Herr Geheimrat, wie kann man denn nur die Hunde nicht gern haben?« fragte ich vorwurfsvoll. »Sie sind doch reizende Geschöpfe und so treu!«

»Ja, hat sich was mit reizend ... Widerliche Viecher sind sie.«

»O, bitte nicht so, die Hunde liebe ich über alles und habe es mir gern in K. gefallen lassen, wenn die Brandtschen Kinder mich die ›Hundetante› nannten.«

»Pfui, Maria, reden Sie keinen Unsinn!«

»Ich liebe sie aber doch und werde sie immer lieben.«

»War Ihr Vater Jäger?«

»Ja, Fabrikbesitzer und Jäger obendrein, ein großer Jäger vor dem Herrn.«

»Das konnte ich mir denken ... Nun aber vorwärts, alle Mann nach oben, und die Viecher bleiben im Hof!«

Cäsar und Waldmann wedelten beschämt mit dem Schweif und zogen sich, in ihr Schicksal ergeben, bescheiden zurück. –

Diese Antipathie gegen Hunde und seine vorerwähnte, hin und wieder auftauchende Art, sich allzu gesuchter Phrasen zu bedienen, waren die einzigen Punkte, in denen ich mit meinem lieben, verehrten Herrn Geheimrat nicht übereinstimmte.

* * *

Karoline, die Wirtin, trug ein vortreffliches Mahl auf, und zum Schluß desselben gab es Schlagrahm, mein Leibgericht. Der Wein that das seine, und bald war die Stimmung bei Tisch im höchsten Grade animiert.

Ein Fräulein Franz, auch eine ehemalige Patientin, die sich jetzt auf einige Monate wieder zur Erholung auf der Ronneburg aufhielt, speiste mit uns.

Zwischen alle Scherze hinein sagte plötzlich der Geheimrat:

»Maria, Sie sind ja gar keine Russin, Sie sind eine Deutsche.«

»Eine Deutsche allerdings, aber eine russische Unterthanin.«

»Woher stammen denn Ihre Eltern oder Voreltern?«

Jetzt wollte ich von einer alten Familiengeschichte erzählen und begann: »Als ich noch klein war ...«

Da kam der Verwalter mit einer Nachricht für den Geheimrat ins Zimmer. Nach Erledigung dieser Verhandlung begann ich zum zweitenmale: »Als ich noch klein war ...« und abermals kam eine Störung dazwischen.

»Nun aber, Maria, erzählen Sie weiter,« bat der Geheimrat.

»Ja, so – also: Als ich noch klein war ...«

»Zur Zeit der Kreuzzüge,« schaltete harmlos der junge Doktor ein.

»Besten Dank, Herr Doktor, für das Kompliment! ... Herr Geheimrat, Sie haben also halb und halb eine Antike vor sich, bitte um Respekt!« und ich erzählte endlich weiter, innerlich jedoch nahm ich mir vor: dafür werde ich mich rächen. –

Im Laufe der Erzählung erwähnte ich, daß der Name Prätorius in den Ostseeprovinzen ein sehr bekannter sei (allgemeiner hätte ich sagen sollen) ... wie in Deutschland ungefähr ...

»Bismarck!« fiel mir der Doktor mit Nachdruck ins Wort.

»Müller oder Meier hatte ich sagen wollen« ... Wart, Freundchen, das schenke ich dir nicht! gelobte ich wieder still.

Jetzt empfahl sich unser Geheimrat und verfügte sich in seine Zimmer, um dort ein wenig auszuruhen. Wir blieben indessen im Speisesaal, und Frau Geheimrat führte jetzt das Wort.

Nach einer Weile brachte Fräulein Franz Karten herbei und bat mich, ich möge ihr wahrsagen.

Ich ließ mich nicht nötigen und prophezeite ihr wiederholt einen blonden Zukünftigen, wobei ich den Doktor fixierte, »einen blonden, sanften Heinrich« wiederholte ich.

Nun wollte auch der Doktor sein Schicksal erfahren.

»Himmel!« rief ich, in die Karten blickend, »Sie haben ja stets sieben Lieben auf einmal! Das ist aber schrecklich; außerdem steht hier eine große Liebhaberei für Wein und Gesang. Sie halten es auch mit der alten Zeit, Herr Doktor, wenn auch gerade nicht mit den Kreuzzügen, so doch mit Vater Luther.«

Der Doktor lachte amüsiert und bat, uns ein Kartenkunststück vormachen zu dürfen.

»Bitte recht aufzupassen!« sagte er. »Hier liegen also die vier Könige: der erste ist der Kaiser von Deutschland, der zweite der Kaiser von Österreich, der dritte der Kaiser von Rußland und der vierte der Kaiser von China. – Welcher war also der Treffkönig?«

Wir antworteten.

»Aber ich bitte sie nicht zu verwechseln, bitte auch die Handarbeiten fortzulegen, seien Sie ganz Auge, ganz Ohr!«

Endlich, als meine ganze Aufmerksamkeit sich auf die Karten konzentriert hatte, und nachdem er mich wohl zehnmal durch examiniert, wer der Carreau- und wer der Treffkönig wäre, fragte er mich nach vielem Mischen und Abheben: »Nun, welchen von diesen Monarchen wünschen Sie jetzt zu sehen, mein Fräulein?«

»Den Kaiser von Deutschland!« rief ich.

»Dann reisen Sie, bitte, nach Berlin!« war die geschwinde Antwort, und dabei wurden die Karten rasch beiseite geschoben.

»Sehr gut,« lobte ich, aber innerlich gelobte ich zum drittenmale Rache.

In diesem Augenblick trat der Verwalter ins Zimmer und forderte uns auf, seine vielgeliebten Ställe und Scheuern in Augenschein zu nehmen. Hinab ging es und in den Riesenstall mit dem Mosaikboden, den Fenstern und all den komfortablen Einrichtungen, die des Geheimrats Stolz waren.

Der Stier brummte gewaltig, als wir vor ihm standen.

Mir gingen noch immer »Bismarck, die Kreuzzüge und die Berliner Reise« durch den Kopf.

»Da ist der große Stier, Herr Doktor, der ist recht böse und stößt gründlich zu,« sagte der Verwalter und wandte sich zum Weitergehen.

»Fritz heißt er« – ergänzte ich die Biographie des Gewaltigen. – »Wie heißen Sie, Herr Doktor?«

»Fritz,« war die Antwort.

»Ach, wirklich Fritz? und ich dachte, Sie hießen Christian.«

»Warum das?«

»Sie sehen so aus, als ob Sie Christian heißen müßten.«

»Danke!«

»Bitte, sehr gern geschehen!«

Dann gingen wir wieder, mit Ausnahme des Verwalters, der noch zu thun hatte, ins Haus.

Frau Geheimrat und ich nahmen eine kleine Handarbeit vor, der Doktor setzte sich zu uns, und Karoline schickte sich an, den Kaffee zu bereiten.

Wir sprachen über allerlei und kamen so auch auf die Emanzipation der Frauen.

»Der Frau Beruf sollte nur der der Frau und Mutter sein,« sagte der Doktor, – nach aller Männer Weise, – »hier ist ihr eigenstes Feld, auf jedem andern wird sie immer eine Stümperin bleiben.«

Das verdroß mich.

»Und was soll denn die statistisch nachgewiesene Überzahl der Frauen beginnen, die keine »Frauen und Mütter« werden können, die hierzu auch nicht die zwei obligaten Faktoren: Schönheit und Reichtum, besitzen? Die sollen sich wohl, um keine Stümperinnen zu werden, ins Wasser stürzen?«

»Sie können sich immer wieder in einem häuslichen Kreise nützlich machen,« sagte er.

»Nein,« erwiderte ich, »das können sie nicht ›immer‹, denn auch in der Frau stecken verschiedene Anlagen und verschiedene Fähigkeiten, und wenn man die Frauen ungeachtet dessen in einen und immer wieder nur in einen Beruf hineinzwingt, so vollführt man an ihnen einen moralischen Mord. In einem angemessenen Wirkungskreise könnte sie vielleicht Bedeutendes leisten, während sie in der Kinderstube – dazu in der Kinderstube fremder, ihr gleichgültiger Menschen, die meist für sie wenig mehr als Befehle und Vorwürfe übrig haben – eine Stümperin ist und bleiben wird. Wie man jeder Pflanze das paffende Erdreich zum Gedeihen gönnen muß, so muß man auch der Frau das richtige Feld der Thätigkeit gönnen, wenn man an ihr Gutes und Tüchtiges erleben will.«

»Meine ergebenste Ehrfurcht, Fräulein Professor!« rief der Doktor und machte mir ein Kompliment.

Ich schwieg erhitzt. Das waren Gedanken aus meinem früheren Leben gewesen, mein Kopf war schon müde davon geworden.

Nun begann Frau Geheimrat ein Lied von den Junggesellen, das sich ebenfalls auf den bekannten Saiten abspielte. »Sie thun geradezu ein Unrecht,« schloß sie, »wenn sie ledig bleiben,«

»Warum?« fiel ich ein, »mögen sie ledig bleiben; vielleicht eignet sich nicht ein jeder zum Familienvater; aber Platz, Platz für uns!«

Der Doktor rückte in komischer Hast mit seinem Stuhle weiter.

»Sie sind abscheulich!« sagte ich ärgerlich; »aber so sind alle Männer, sobald sie nichts zu erwidern wissen, ziehen sie geschwind alles ins Lächerliche.«

»Spricht man von Fragen der Moral,« fuhr Frau Geheimrat fort, »so springen sie, sobald sie keine stichhaltigen Gegengründe haben, rasch auf einen pikanten Seitenweg, auf den man ihnen, als anständige Dame, nicht mehr folgen kann.«

»Diese Art zu siegen ist aber wohlfeil und unwürdig,« fügte ich hinzu.

»Entschuldigen Sie, Fräulein, ich bemerkte nur, daß Sie das Gespräch angreift, und das ist Ihnen jetzt nicht gut,« sagte der Doktor, »Wollen wir nicht lieber etwas von den ›Kreuzzügen‹ oder vom ›alten Fritze‹ reden?«

»Nein,« sagte Frau Geheimrat, »sagen Sie uns zuerst, was Sie auf die Junggesellenfrage zu antworten haben.«

»Glauben Sie, gnädige Frau,« erwiderte der Doktor, »daß nicht so mancher von uns heiraten wollte, wenn er es nur könnte? Uns stillt das Ledigsein nicht leicht; aber in manchen Fällen ist Heiraten ein Unrecht und nicht umgekehrt. Wenn ich z. B. jetzt heiraten würde, so wäre dies der größte Leichtsinn, denn man muß doch in Betracht ziehen, daß man auch Familie haben kann,«

»O,« sagte Frau Geheimrat, »Sie waren nicht unser erster Assistenzarzt, der in seiner Stellung heiratete. Mein Schwager Steinfeldt, jetzt Oberamtsarzt in X., hat z. B. in der Anstalt geheiratet,«

»So hatte der eine Teil Vermögen, und er hoffte bald die Stelle als Oberamtsarzt zu bekommen.«

»Vermögen war wenig vorhanden, aber mein Mann verhalf ihm zu seiner jetzigen Stellung.«

»Das ist es eben; es bleibt also bei meiner Aussage.«

»Da Sie nun einmal das Gespräch aus dem Allgemeinen ins Engere geführt, so mochte ich wieder vom Heiraten fort und auf meine Emanzipation zurückkommen, und zwar die Stellung der Lehrerin näher beleuchten, in der ich persönliche Erfahrungen habe.« –

»Bitte, mein Fräulein, ich bin ganz Ohr!«

»Man hat allerdings nach jahrelangem Kampf jetzt Lehrerinnen in den unteren Klassen der Mädchenschulen angestellt, in den oberen aber herrscht natürlich das herrliche Geschlecht, und mag es herrschen, mag es doppelt und dreifach besser honoriert werden als wir, warum giebt man uns aber nicht als Ersatz die unteren Klassen der Knabenschule, in denen wir vielleicht, durch mehr Geduld, Besseres zu leisten im stande waren als unsre Herren Kollegen?«

»Sie werden sich wohl an den Herrn Unterrichtsminister wenden müssen, mein gnädiges, logisch denkendes Fräulein. Auf einen Punkt, indessen, gestatten Sie meiner Wenigkeit eine Entgegnung.«

»Jetzt bin ich ganz Ohr.«

»Die von Ihnen so liebenswürdig mit »herrliches Geschlecht« bezeichneten Männer müssen eigentlich doppelt und dreifach besser honoriert werden, da sie, wenn sie keine verwerflichen Junggesellen werden sollen, eine Familie zu versorgen haben.«

»Sie haben wahrscheinlich überhört, mein sehr zu verehrender Herr Doktor, daß ich sagte: ›mögen sie mehr bekommen‹ wenn Sie glauben, daß eine Lehrerin nicht auch oft eine Familie zu versorgen hat, dann irren Sie. Zwei meiner Kolleginnen hatten Mutter und Geschwister zu Hause, deren einzige Stütze sie waren, und eine hatte einen Mann mit sehr geringem Auskommen.«

»Wie?« unterbrach mich der Doktor, »dürfen denn die Lehrerinnen bei Ihnen in Rußland verheiratet sein?«

»Allerdings, doch gestattet man es nur wirklich tüchtigen Personen, Man hat mich in K. oft damit geneckt, daß ich nun genug hätte, um einen Mann ernähren zu können.«

»Und trotz alledem? ...«

»Ja, trotz alledem ... aber ich bin noch nicht zu Ende: Eine meiner Kolleginnen hatte sogar einen Bruder auf der Universität, für den sie so ziemlich alles zu beschaffen hatte, und was das bedeutet, werden Sie wissen. – Die andre hatte ihre jüngeren Geschwister in die Schule zu schicken und zu erziehen. Und da bekommt so eine Lehrerin die Hälfte oder gar den dritten Teil des Gehalts ihrer männlichen Kollegen; für dieselbe Anzahl Stunden, dieselbe Arbeit! In Rußland ist nun allerdings auch diese Hälfte schon eine recht ansehnliche Summe, mit der eine alleinstehende Person, wie z. B. ich, ausgezeichnet leben kann; aber nach Berichten, die ich über Deutschland gelesen, hat die arme Lehrerin hier meist eine jämmerliche Besoldung. – Wahrlich, ein ungerechtes Verfahren gegen das sogenannte ›schwache Geschlecht‹.« –

Ich hatte mich in Eifer geredet, und es war gut, daß der Geheimrat jetzt zu uns zurückkehrte.

»Nun, was hat denn meine Maria für rote Bäckle?« sagte er, »haben Sie auch Ihr Licht hübsch leuchten lassen vor dem neuen Doktor?«

»Ich bin ganz geblendet!« rief dieser und rieb sich die Augen.

»O, o, Maria, haben Sie es zu arg getrieben? Soll ich einen Augenschirm holen lassen, Doktor? – Meine liebe Maria,« fuhr er fort, »am nettesten und mir am liebsten sind Sie doch, wenn Sie lachen und scherzen, das paßt auch für die Frauen am besten. Wie viel Reiz und Anmut geht ihnen bei trockenen Debatten ab.«

»O, ihr verehrten Herren der Schöpfung! wir möchten ja so gerne kindlich und anmutig bleiben, wenn nur das unerbittliche Leben nicht alle Munterkeit niedertreten würde; wenn ihr selbst nicht sofort, sobald wir allein und unbeschützt in der Gesellschaft erscheinen, euch Freiheiten herausnehmen würdet, nach denen wir uns dann in unser Schneckenhäuschen zurückziehen müssen. Was Wunder, wenn wir darin verbittern und versauern? Die meisten von euch haben die Achtung und die Ritterlichkeit der Frau gegenüber verloren – – wie schade! Wäre das Leben nicht weit anmutiger, wenn ihr sie euch wieder aneignen wolltet?«

* * *

Durch des guten Geheimrats Erscheinen war ich plötzlich wie losgesprochen von all den Gedanken, die mich in meinem früheren Leben so oft gequält, hatten und die allerdings jetzt »nicht gut« für mich waren.

Wechselvoll wie mein Empfinden war, sprang ich jetzt in die vollkommenste Kindlichkeit und Ausgelassenheit über. Ich wußte, daß ich jetzt nichts mehr für mich zu verantworten hatte, daß ich mir etwas erlauben durfte.

Man setzte sich an den Kaffeetisch, und der Geheimrat beherrschte wieder mit seiner markigen Stimme die Tafelrunde. Auch dem duftenden Getränk wurde munter zugesprochen, und an Scherzworten fehlte es nicht.

Dr. Tondern flocht hie und da ein Häkchen ein, das von mir nicht unbeachtet blieb.

Endlich bei Sonnenuntergang stieg man wieder in den Wagen, in den hinein mir noch Karoline ein Körbchen voll Äpfel reichte; die allerschönsten bekam ich aber für unterwegs in den Muff.

Dies veranlaßte den Doktor zu allerlei Neckereien, und da wir uns durch des Geheimrats und seiner Frau Unterredung mit den Ronneburgern unbeobachtet sahen, wurde Rede und Gegenrede immer übermütiger. Schließlich drohte ich dem Doktor, wenn er nicht bald aufhöre, ihm einen meiner Apfel gleich an den Kopf zu werfen.

»Ach,« sprach er seufzend, »das ist doch nicht mehr nötig, Fräulein, Sie haben mir heute schon genug an den Kopf geworfen.«

Nun zogen die Pferde an, und der Geheimrat, der nur des Doktors letzten Worte gehört hatte, drohte mir mit dem Finger.

Die ganze Fahrt über fühlte ich – wie ich mich anders ausdrücken sollte, weiß ich nicht – fühlte ich also die Nähe des Doktors und wunderte mich anfangs, daß der vorher so bequeme Wagen plötzlich so eng geworden sei. Als der Doktor sich aber, um der Frau Geheimrat etwas zu sagen, so weit vorneigte, daß ich fast in einem seiner Arme zu sitzen kam, da dachte ich wieder erstaunt und wie aus dem Nebel heraus: »Ist so das Leben?«

O einmal, wenn natürlich auch in erlaubten Grenzen, sich recht ausleben dürfen, wie schön, wie wunderschön! Ich danke dir, holdes Geschick, daß du mir diesen reizenden, gescheiten, jungen Doktor in den Weg geführt! Der versteht es anders als Dr. Mai, der ist voll Leben, Geist und Kraft – – alles Frische und Jugend, gerade wie auch jetzt in meinem eignen neuerwachten Herzen. Dennoch flüchtete ich mich in die äußerste Ecke des Wagens und stellte dadurch die herkömmliche Distanz wieder her.

Und wenn du dich ernstlich in ihn verliebst? fragte ich mich dann. O nein! jetzt gibt's überhaupt keinen Ernst für dich, und wie böse der allzugroße Ernst auf dich gewirkt hat, weißt du ja. Jetzt heißt es leben, froh und mutig sein und nicht nachdenken!

»Gebt mir vom Becher nur den Schaum!«

Am folgenden Tage hatte ich zur Doktorvisite das bekannte Buch von Busch »Max und Moritz« in einen ehrbaren Umschlag gehüllt und las eifrig darin.

»Was haben Sie denn da, Maria?« fragte der Geheimrat.

»Ein interessantes Werk, etwas Philosophisches, so ein Mittelding zwischen Goethe und Schopenhauer. Es stammt aus der Zeit der Kreuzzüge,« antwortete ich, nachdem ich rasch das Buch zugeschlagen.

»Wovon ist denn darin die Rede?«

»Ach, von allerlei interessanten Dingen. Der Autor vergleicht beispielsweise die Frauen mit den heiligen Affen von Benares, die alles für erlaubt halten, weil man ihnen alles erlaubt. Dann sagt er, daß Männer von achtundzwanzig Jahren noch mit der Schiefertafel in die Schule gehen müssen, Frauen gleichen Alters dagegen Matronen seien.«

»Ach, was Sie da sagen, Maria, zeigen Sie doch einmal her!«

»Entschuldigen Sie, Herr Geheimrat, das paßt am besten für Herrn Dr. Tondern. Bitte, wollen Sie es nicht studieren, Herr Doktor?«

Er ergriff das Buch, blickte mich erstaunt an und schlug es auf:

»Ihrer Hühner waren drei
Und ein stolzer Hahn dabei.«

las er andächtig.

Tableau – alle Doktoren waren starr. Ich lachte bis zu Thränen.

»Haben Sie sich über den Herrn Doktor gestern geärgert?« fragte mich der Hofrat.

»O nein, gar nicht!«

»Dann erlauben Sie wohl, Fräulein, daß ich mir dieses Buch zu eingehenderem Studium mit in meine Wohnung nehme?«

»Bitte, sehr gern.«

Jetzt wurde über Schopenhauer gesprochen.

»Kennen Sie Schopenhauer?« fragte mich der Geheimrat.

»Ja, so ziemlich, wenigstens seine Parerga und Paralipomena habe ich etwa zwei Jahre hindurch studiert, und wenn ich das Lied nicht weiter konnte, sing ich damit wieder von vorne an.«

»Gefiel Ihnen das Studium der Philosophie?« fragte Dr. Mai.

»Nicht ganz, es ging mir damit, wie andern Leuten mit einer Reise um die Welt, ich gelangte stets auf den Ausgangspunkt zurück und mußte schließlich mit Faust sagen: ›Da' steh ich nun ich armer Thor und bin so klug als wie zuvor‹. Doch unbestritten erweitert solch eine Reise den Gesichtskreis.«

Das Gespräch ging jetzt auf Schopenhauers Ansichten über die Frauen über.

»Ich stimme gar nicht mit ihm überein,« sagte Dr. Tondern und sah mich verbindlich an.

»Aber ich,« war meine Erwiderung.

Neues Tableau.

Jetzt wurde wieder »Max und Moritz« hervorgeholt, und Dr. Tondern fragte, welcher der beiden »Thunichtgut« denn er sei.

Ich wies auf den blonden Moritz hin und fand, daß der Max sprechende Ähnlichkeit mit Dr. Mai hätte. Und von Stund an wurden die beiden Assistenzärzte Max und Moritz genannt.


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