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VIII.

Besorgsam und bedächtig
Hat man uns flüsternd nachgeschaut.

»Heute wird nach Kronau gefahren!« sagte in den nächsten Tagen Dr. Tondern zu mir.

»Wer fährt mit?« fragte ich dagegen.

»Sie, mein gnädiges Fräulein, Frau Herrmann, Frau Ring und meine Wenigkeit.«

Ich hätte laut jubeln mögen, so freute ich mich, und des Doktors liebe Augen jubelten auch; wir verstanden uns beide, obgleich wir schwiegen.

Ich konnte den Nachmittag kaum erwarten, trotzdem er bei uns schon um 1 Uhr begann.

Endlich stand der Landauer vor der Thür, und ich lief die Treppe hinab um mit den Damen und dem Doktor einzusteigen.

Frau Ring, eine vor kurzem eingetretene Patientin, führte hauptsächlich das Wort. Sie war sehr harthörig und brauchte ein Hörrohr, führte auch stets ein Täfelchen mit einem Griffel für schwierige Fälle bei sich. Trotz dieses Mangels und ihres Alters von etwa 55 Jahren war sie das Leben selbst. Mir war sie anfangs sehr gewogen, als ich aber eines Tages von ihrem vielen Reden Kopfschmerzen bekommen hatte und sie vom Geheimrat veranlaßt wurde, nicht mehr in mein Zimmer zu kommen, wenn ich mich zurückgezogen hatte, grollte sie mir ein wenig. Sie fand, daß man zu viel Wesen mit mir mache, und darin hatte sie gewiß auch recht.

»Sehen Sie Maria nicht so viel an!« ermahnte sie Dr. Tondern. Dieser ließ sich aber wenig darin stören.

Ich schwieg heute und genoß das herrliche Wetter, die wunderschöne Gegend. Als wir aber durch ein Dorf fuhren und an einem Klempnerladen vorbeikamen, bat ich, anhalten zu lassen.

»Weshalb?« fragte erstaunt der Doktor.

»Ich will Ihnen eine Gießkanne kaufen.«

Natürlich wurde nicht angehalten, und Frau Ring machte Mienen. Ich lachte dazu.

Nachher wollte der Doktor sich eine Cigarre anzünden, und als endlich eines der vielen versuchten Zündhölzchen brannte, blies ich es geschwind wieder aus.

»Das ist aber zu kindisch für ein Mädchen in Ihrem Alter ... wenn man schon nicht allzu fern von den dreißig ist, so ...« und ein langer Verweis folgte.

Ich blickte über sie hinweg in den Frühlingshimmel und ließ jetzt einen nochmaligen Versuch des Doktors, zu Feuer zu kommen, durch Frau Rings Sonnenschirm beschützen.

Der Doktor unterbrach sie mehreremal, sie fuhr aber fort: »Wir lassen uns ja oft durch das pikante russische Deutsch verführen, habe das selbst einmal durchgemacht; denn mit Riga begann die Tragik meines Lebens; aber es ist doch nichts für uns, lassen Sie sich nicht verblenden!«

Jetzt ergriff ich ihr Hörrohr, und sie, froh, mich endlich gereizt zu haben, horchte gespannt auf.

»Trara, trara!« rief ich munter hinein.

Der Doktor freute sich königlich darüber.

»Bitte noch einmal!« rief er.

Da hatten wir uns aber verrechnet, jetzt brach der Sturm gegen uns beide los, und wir konnten nur unsre schuldigen Häupter in Demut beugen.

Im Kronauer »Bären« setzte Frau Ring ihre Predigt fort und schrieb dem Doktor allerlei auf ihr Täfelchen, das er ärgerlich fortwischte.

Ich summte dabei eine Melodie aus dem »Boccacio«, und als der Doktor sich zu mir wandte, fragte ich ihn: »Kennen Sie dieses Lied, Herr Doktor?«

»Hab' ich nur deine Liebe,
Die Treue brauch' ich nicht«

sang er mir fröhlich entgegen.

»Ja, das ist's,« sagte ich. »Nach vier Wochen bin ich weit fort in Rußland.«

Noch hatte ich einen kleinen Platzregen über meine noch nicht abgelegten langen, seidenen Handschuhe zu überstehen, der mich endlich etwas ärgerte.

»Madame,« sagte ich, »ich kaufe mir meine Handschuhe selbst!« – doch nicht ins Hörrohr hinein, so daß auf des Doktors bittenden Blick Frieden blieb. Aber der erste rauhe Hauch des Lebens hatte mich gestreift, und zum erstenmal sprach ich mit dem Doktor von Rußland und von K. am Schwarzen Meere. Von meiner Thätigkeit am Mädchengymnasium, meinen Vorgesetzten, unsern Konferenzen und dergleichen.

Mir schien selbst alles so sonderbar, was ich sagte, aber ich war stolz darauf, daß ich dies erzählen konnte. Mich überkam ein Gefühl von Sicherheit und Unabhängigkeit gegenüber allen diesen Menschen um mich her.

* * *

Auf dem Rückwege hatte sich ein Stückchen Papier hinter meinen Schleier verirrt, das den Doktor genierte. Ich bemühte mich vergebens es herauszubekommen; da faßte er zu und nahm es mir von der Wange. –

Die Berührung seiner Hand ging mir bis ins Herz. Ich atmete kaum. Da sagte der Doktor: »Wie sagt man nun, wenn man artig ist?«

»Danke, lieber Onkel!« konnte ich wieder scherzend entgegnen. Und eine unerklärliche, sinnverwirrende, zugleich süße und beklemmende Angst wich zauberschnell von meiner erschrockenen Seele.

Als er bald darauf davon zu reden anfing, wie »sanft« er sei, sagte ich in etwas strafendem Tone: »Ja, ›sanft und keck‹ wie der Taucher.«

»Können Sie mir das verdenken?« fragte er in halb bittendem, halb vorwurfsvollem Tone. Ich blieb ihm die Antwort schuldig.

Dann kam ein Moment, wo ich weit ins Abendrot hinein blickte und mit tausend Schmerzen begriff: so kann es nicht bleiben – es ist zu schön.

Er las auf meinem Gesichte und blickte mich ernsthaft und traurig an.

»Wie sind Sie eigentlich?« fragte ich und sah ihn fest an.

»Das ist schwer zu sagen,« war die nachdenkliche Antwort. Darauf redete Frau Ring etwas von einem armen Jungen ohne Vermögen dazwischen und Dr. Tondern sagte leise zu mir: »Solch ein armer Junge bin auch ich.«

Nicht denken! nicht denken! rief es in mir; noch bist du hier, noch blicken dich diese lieben Augen an, noch brauchst du für nichts zu verantworten – verbittere dir deine Sabbathwochen nicht! – Jean Paul, ich grüße dich! – jetzt weiß ich, was »Sabbathwochen« sind.

»Diese Villa gehört mir, Herr Doktor!« sagte ich lachend und auf ein hübsches, am Wege liegendes Gebäude zeigend, »und dort weiter laß ich mir noch ein Haus bauen. Sehen Sie, dort hinter den Bäumen!«

In heiterster Stimmung langten wir bei eingetretener Dunkelheit in Helbingen an und schüttelten uns die Hände zur »Guten Nacht«.

»Mein blauer Schmetterling!« sagte der Doktor leise zu mir.

Er hatte recht: blau, blau, blau waren alle meine Farben.

* * *

In mir war ein fieberhafter Durst nach Vergnügen erwacht, es war, als sollte ich in diesen Genesungswochen alles einholen, was ich in den trüben, eintönigen Lehrerinjahren und in der Zeit meiner geistigen Finsternis versäumt hatte.

O! noch ein wenig Glück! noch ein wenig Sonnenschein! wünschte ich heiß – – und es drängte sich wirklich alles in engem Rahmen zusammen, was andre sonst in Jahren erleben.

»Ich habe einen großen Wunsch, Herr Geheimrat,« sagte ich eines Morgens, »sagen Sie, bitte, ja.«

»Da es der erste Wunsch ist, den Sie aussprechen, Maria, so sage ich von vornherein ja; denn Unvernünftiges werden Sie nicht mehr wünschen.«

»Lieber, guter Herr Geheimrat, lassen Sie uns noch einmal tanzen! Noch sind Ihre Söhne zu Hause und die werden ebenso froh sein, als ich. Lassen Sie uns tanzen!«

»Ach, warum denn tanzen!« rief Dr. Mai, »lieber wollen wir kegeln.«

»O bitte, Herr Geheimrat, nein – tanzen, tanzen!«

»Gut, Maria, gleich soll mir der Albert per Veloziped zur Stadt, um die Musik zu bestellen, ein Fäßchen soll der Keller auch hergeben und heut nachmittag kann's losgehen.«

»Ach, tausend Dank, lieber Herr Geheimrat!«

»Welche Thorheit – heute nachmittag!« rief wieder Dr. Mai. – »Wir beiden Arzte können jedenfalls nicht dabei sein.«

»Warum denn?« fragte ich. »Ohne Max und Moritz geht es nicht, wer soll denn uns Rappelköpfische beaufsichtigen?«

»Fragen Sie mal Kollege Moritz – er kann nicht.«

»Aber warum denn nicht?« wandte ich mich an Dr. Tondern.

Er schwieg.

»Wir haben eine Sektion,« sagte endlich Dr. Mai.

Mir ging ein Stich durchs Herz – Tod und Leben dicht bei einander. Doch rasch, wie alles in dieser Zeit, verflog dieser Eindruck.

»Ach, lassen Sie den armen Toten ruhen und kommen Sie beide zum Tanz!«

»Ich tanze nicht!« bemerkte Dr. Mai trocken.

»Aber dennoch kommen Sie, ich gehe gleich nach X. und bringe Ihnen auch was Gutes mit.«

Und dabei blieb es.

Als ich aus X., wo ich eine notwendige Besorgung hatte, heimkam, waren die Musikanten schon da und alle im Saal versammelt.

»Fast eine Stunde warten wir schon,« rief mir Dr. Tondern entgegen, »und da Sie die ganze Gesellschaft heraufbeschworen, wollten wir ohne Sie nicht anfangen zu tanzen.«

Es hatte sich, soviel ich bemerken konnte, eine leise Frostigkeit in die Gesellschaft geschlichen; das aber duldete ich nicht; voll Scherz und freundlicher Worte eilte ich von einem zum andern und riß sie schließlich durch meine, mich ganz durchdringende Fröhlichkeit auch mit fort. –

Die Musikanten spielten einen reizenden Walzer, alles ordnete sich in Paare und von den Klängen der Musik elektrisiert, flogen wir dahin. Alle Frostigkeit war entschwunden.

»Fräulein, eine Neuigkeit!« rief Dr. Tondern und trat an mich heran, betrachtete mich aufmerksam und lächelte.

»Was gibt's?«

»Wir sollen beide sprechende Ähnlichkeit miteinander haben, wie Geschwister. Sie seien nur um zwei Schattierungen dunkler geraten als ich.«

Jetzt sah ich ihm auch ins Gesicht und wir lachten uns beide freudig an.

»Schwesterlein, darf ich Sie zum Tanz einladen?«

»Ja, Brüderlein!« sagte ich und legte mit einem Gefühl von zutraulicher Herzlichkeit meinen Arm auf seine Schulter. Daß das Tanzen so eine Seligkeit sein könne, hatte ich nie geahnt.

Als wir nachher promenierend durch den Saal gingen, zog er meine Aprilkarte aus der Brusttasche und zeigte mir unter meinen russischen Worten triumphierend die Übersetzung.

Ich las sie, etwas erschreckt.

»Wo haben Sie die Übersetzung her?« fragte ich.

»Ich habe sie mir brieflich zu verschaffen gewußt. Ist sie richtig?«

»Nein, nicht ganz, ein Wort ist falsch übersetzt.«

»Welches?«

»Dieses Wort heißt nicht ›verliebt‹, sondern ›jung‹ auf deutsch.«

»Jung?«

»Ja, leider jung.«

»Also heißt es: ›Schade, daß du so jung bist?‹«

»Ja, so heißt es« – –

In diesem Augenblick trat Dr. Mai in den Saal, und ich eilte zum Fensterbrett hin, wo ich das für ihn mitgebrachte ›Gute‹ niedergelegt: eine Riesenorange.

»Bitte, Herr Doktor, hier ist eine Kugel zum Kegeln!«

Er nahm sie mit flüchtigem Lächeln und setzte sich dann in unsern Kreis, wo er anfangs ein wenig als kalte Douche wirkte; doch nach und nach taute er auf, denn die vier jungen Felsers und Dr. Tondern überboten sich an Heiterkeit.

Ja, als ich mich nach einem Walzer mit Albert Felser atemlos auf meinen Stuhl setzte, sah ich – ich traute meinen Augen kaum – unsre beiden Ärzte miteinander fröhlich durch den Saal walzen: der lange, blonde als Kavalier, der kleine schwarze als Dame.

»Bravo! bravo!« riefen die vier jungen Felsers, wie auch alle Patienten, und damit begann ein Höhepunkt von Freude und Lustigkeit, der ans Überschäumen grenzte.

Zur Erholung für uns mußten die Musikanten Lieder spielen und die ganze Gesellschaft fing an zu singen.

Bei jedem neuen Liede sahen sie mich erwartungsvoll an, ob ich, als ›Russin‹, denn auch dieses Lied kennen würde, und immer kannte ich es und sang tapfer mit.

Und endlich nahm auch dieses Fest ein Ende, dieses fröhliche improvisierte Fest, das wohl alle, die dabei waren, noch lange in Erinnerung behalten haben.

Nur Dr. Mai bekam es schlecht, er mußte den nächsten Tag im Bett bleiben.

Wir Damen verfertigten aber ein Dankesschreiben an den Geheimrat, das später mit Unterzeichnung aller Doktoren- und Tänzernamen an uns zurückkam, und jeder hatte ein fröhliches Wort neben seine Unterschrift gesetzt.


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