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VI.

Ach, auf dieser Erden wäre kein Gewinn,
Unter den Beschwerden sänken wir dahin,
Schenket im Getriebe uns der liebe Gott
Nicht ein wenig Liebe zu des Teufels Spott!

So kam Ostern heran, das schöne Fest im Lenz, das ich gewiß nie mehr so heiter und glücklich verbringen werde. Die Felserschen jungen Leute kamen zu den Ferien nach Hause und ich bereitete für alle in der Anstalt, die mich gepflegt hatten, kleinere und größere Geschenke vor, was mir ein großes Vergnügen bereitete.

Für den Geheimrat hatte ich ein elegantes Sofakissen anfertigen lassen. Selbst etwas zu machen, hatte ich jetzt weder Sinn, noch Zeit, ja nicht einmal lesen konnte ich, jeder Versuch dazu scheiterte an dem jubelnden Bewußtsein: ein Buch kann mir nichts Schöneres und Interessanteres bringen, als mein jetziges Leben mir bietet, alles Gelesene ist wie ein trüber Schemen gegen das holde, warme Sonnenlicht der beglückenden Gegenwart, und mich jetzt zu belehren, etwas zu studieren, wie einst in Rußland, hatte ich erst recht keinen Sinn.

Mein Schicksal erschien mir so bedeutend, so mit nichts anderm vergleichbar, ich konnte mir gar nicht mehr vorstellen, daß ich früher ein bescheidenes Gänseblümchen gewesen war, das von niemand beachtet, seine schönsten Jugendjahre als Lehrerin verbracht hatte. Klassenstaub, Kathederweisheit schienen mir fernabliegende, lächerliche Dinge.

Am zweiten Ostertage sollte getanzt werden, wie zu allen größeren Feiertagen in Helbingen der zweite Festtag dazu bestimmt war.

Dr. Tondern wußte hiervon nichts und hatte sich gerade für diesen Tag beurlaubt, um sich Karlsstadt anzusehen. Kaum hatte Fräulein Hanna dies erfahren, so steckte sie sich hinter mich, ich sollte ihn veranlassen, durchaus an diesem Tage zu Hause zu bleiben.

»Warum denn?« fragte ich, »er soll nur fahren.« Nun war es schon längst ausgemachte Sache, daß ich Einkäufe halber, auch nach Karlsstadt sollte und Dr. Mai sollte mich begleiten. – Da nun aber Dr. Tondern gerade dorthin fahren wollte, so sprach man davon, daß er mich wohl am besten begleiten könne.

Bei den Einkäufen sollte mir Frau Dr. Grot, eine ehemalige Helbinger Patientin, helfen, die ich im verflossenen Sommer, als ich noch sehr leidend war, kennen gelernt hatte.

Aber vor einer Fahrt mit dem jungen Doktor allein hatte ich große Angst; ich traute ihm ja nichts Schlechtes zu, aber allein, ganz allein mit ihm – – nein! Da wäre all' meine Sicherheit, mein Übermut geschwunden. Ich fürchtete mich davor und bat inständigst, mich lieber allein fahren zu lassen.

Das wurde denn auch bewilligt, und am dritten Ostertage sollte ich allein fahren.

Frau Dr. Grot, die für den Geheimrat und Helbingen noch immer große Anhänglichkeit bewahrte, wurde schriftlich gebeten, mich auf dem Karlsstädter Bahnhof zu empfangen und sich dort meiner anzunehmen.

»Aber Fräulein Maria, wenn Sie nun auch mit dem Herrn Doktor nicht fahren wollen, so können Sie ihn doch bitten, am zweiten Feiertage zu Hause zu bleiben und einen andern Tag, etwa den kommenden Sonntag, zu seiner Fahrt zu bestimmen,« fing abermals Fräulein Hannchen an.

»Nein, Fräulein Hannchen, ich rede kein Wort. Wenn er selbst nicht bleiben will, so mag er nach Karlsstadt fahren, wir haben ja Tänzer genug, alle vier jungen Felsers, die Buchhalter und die Herren von oben.«

»Thut es Ihnen denn kein bißle leid, daß er nicht da sein wird? Sie sind doch ein rechter Eisenkopf.«

Ob es mir leid that? – gewiß; aber doch war ich zu fröhlich, um mir irgend etwas, sei es, was es sei, so recht zu Herzen gehen zu lassen, und dieser Frohsinn bis zur Fühllosigkeit mag Dr. Tondern manchmal an mir gekränkt haben; aber ich konnte nicht anders. So ist es nun einmal nach einer Gemütskrankheit, die neuerwachte Lebenslust erhebt sich über alles, alles. Was sich nicht mit fortreißen läßt, bleibt eben unten liegen. Wie die Trauer vorher keine Grenzen gekannt, so kennt sie jetzt nicht der Frohsinn.

Den jungen Doktor aber hatten mittlerweile alle lieb gewonnen, er gehörte zu den Personen, die die Herzen ihrer Nebenmenschen im Sturme erobern. Jung und alt, groß und klein – alles hatte ihn gern. Einer so einnehmenden Liebenswürdigkeit bin ich weder vor- noch nachher wieder begegnet. Er konnte froh sein bis zur Ausgelassenheit, doch war diese stets mit ritterlichem Anstand verbunden; auch war er ein ganzer Mann und man fühlte, daß er tüchtig und kenntnisreich in seinem Amte war. Mitten aus allen Vergnügungen hinaus eilte er oft zu Kranken, verband die oft wundgelegene Frau Hauptmann K., eine meiner Mitpatientinnen, mit eigner Hand oder war sonst im Interesse seiner Kranken thätig.

* * *

So kam der erste Ostertag heran. Ich erwachte mit einem unbeschreiblich süßen Gefühl, wie man nur in der Kinderzeit am Christtag aufwacht. Überhaupt war in dieser Zeit das Erwachen stets ein unsagbar schönes. Noch halb im Traum fragte ich mich: was ist denn so Herrliches passiert, was ist mir denn so leicht und selig zu Mut? – Ach, ich lebe, lebe, lebe! – und bin glücklich.

Könnte ich jetzt nur ein Atom davon empfinden! Aber wie sollte ich, das Glück ist ja längst gestorben!

Am Ostersonntag also brachte mir Anna, als ich kaum die Augen aufgethan, um den goldnen Tag zu begrüßen, einen Brief. Das war nichts Neues, alle Tage fast kamen Briefe für mich an; aber wie erstaunte ich, als ich diesen las.

Es war eine förmliche Liebeserklärung und ein Heiratsantrag von Herrn Weinberg, einem in der Genesung begriffenen Patienten, den ich höchstens zweimal auf der Kegelbahn gesehen, mit dem ich kaum mehr als zehn Worte gewechselt hatte.

Anfangs war ich ganz erstarrt, dann aber erinnerte ich mich, wie er einmal davon gesprochen, daß er Junggeselle sei, und dies in so drolligem Ton, daß ich es sogleich Dr. Mai vormachte, der ein finsteres Gesicht schnitt und mich bat, nicht weiter mit Herrn Weinberg zu sprechen.

»Ja,« hatte der Doktor noch hinzugefügt, »der hat immer noch Hoffnung, Hoffnung – lächerlich!«

Und ich hatte auch gelacht, aber das war mehr als einen Monat her, und von damals an zog ihn Dr. Mai nie mehr zu unsrer Gesellschaft mit heran.

Nachdem ich die erste Überraschung überwunden, lachte ich bis zu Thränen. Der Brief war aber auch zu komisch.

Hier liegt er neben mir, und das Originellste daraus will ich mitteilen. Abgesehen davon, daß er sich auf eine Unterredung beruft, in der ich ihm erlaubt hätte, mir zu schreiben und ihm überhaupt Hoffnungen gemacht, was alles in der seltsamsten Orthographie niedergeschrieben ist, enthält der Brief auch ein mir geweihtes Gedicht. Im Briefe finden sich Stellen wie:

»Ich habe es mir seitdem oft vorgestellt, wie schön und lieblich es sein müßte, mich von Ihnen verfeinern und unterrichten zu lassen. Sollten Sie meine Hoffnungen verwirklichen, so müßte das ein wahrhaft paradiesisches Leben mit Ihnen sein. Ich bitte Sie nun inständigst, verehrtes Fräulein um Rondevous. Gern möchte ich einem solchen holden Engel zu Füssen fallen und meine Anbetung darbringen.«

In diesem Ton geht es fort. Aus dem langen Gedicht belustigte mich folgender Vers am meisten:

»Du schwebst mir vor im Traume,
Selbst wachend, auch im stehn,
Glaub' ich von deinem Saume
Mich leis berührt zu sehn.«

Nachdem ich mich genügend gewundert und amüsiert hatte, sandte ich den Brief mit meinem Ostergeschenk durch Fräulein Hannchen an den Geheimrat.

Hier muß der Brief viel Furore gemacht haben, denn beim Kegeln, am Nachmittag, redeten die Ärzte von nichts anderm. Mich berührte es anfangs unangenehm, daß der Geheimrat ihn sogleich allen gezeigt hatte, aber später lachte ich doch auch herzlich mit den Ärzten.

Dr. Mai sagte mir sogar, er hätte sich den Brief abgeschrieben. Dr. Tondern verhielt sich sonderbar, er lachte auch, aber er deutete an, daß es wohl möglich sei, daß ich es verstanden hätte, Herrn Weinberg den Kopf zu verdrehen, und daß ich ihm doch irgend welche Hoffnungen gemacht haben müsse.

Dies empörte mich.

»Denken Sie, wie Sie wollen, Herr Doktor,« sagte ich herb. War es nun, um mich zu versöhnen, oder wollte er der Koketten, die er in mir zu sehen glaubte, schmeicheln, plötzlich erzählte er, der Geheimrat hätte zuerst den Brief ohne Unterschrift vorgelesen und den Verfasser erraten lassen. Nach all der Anbetung habe er nun unwillkürlich gefürchtet, jetzt müsse durchaus sein Name als Unterschrift kommen. Es seien ja seine Gedanken.

Ich wandte mich ärgerlich ab.

»Morgen fahre ich nach Karlstadt, Fräulein, und komme erst, wenn der Tanz schon vorüber ist, und Sie sich genugsam werden den Hof haben machen lassen, mit dem Nachtzuge zurück.«

»Glückliche Reise! – ich fahre übermorgen!«

Er machte große Augen; wahrscheinlich hatte man ihm noch nicht mitgeteilt, daß ich seine Begleitung entschieden ausgeschlagen hatte.

Jetzt hielt ich mich mehr zu Dr. Mai, der mir einige Ermahnungen zur Vorsicht erteilte und sonst recht freundlich brüderlich mit mir umging; nur wurde er heftig, als ich beim Schließen des Schiebfensters aus Übermut meinen Arm unter die Klappe stellte, und obgleich ich ihn noch rechtzeitig fortzog, trat er doch heftig mit dem Fuß auf und sagte in zurechtweisendem Tone: »Das ist aber doch auch die Thorheit und Unart zu weit getrieben! Ich verbiete Ihnen solch einen Unsinn noch einmal zu begehen!«

Dieser Ton behagte mir erst recht nicht; ich näherte mich wieder der Richtung, wo Dr. Tondern stand, und gleich war er an meiner Seite.

»Mein Fräulein!«

»Herr Doktor Don Juan?«

»Weshalb denn so?«

»Haben Sie etwa nicht sieben Lieben?«

Da war wieder der alte Ton. Wozu auch Vorwürfe, Ärger u.s. w. – – Es ist ja alles nur ein Traum, dachte ich bei mir.

»Hätten Sie nicht vielleicht auch den Titel ›Donna Juanita‹ verdient?« ertönte wieder des Doktors Stimme.

»Ja, wenn Sie wollen – – ich habe auch sieben Lieben, nächstens bringe ich Ihnen die Porträts.«

»Sagen Sie mir, bitte, wie vielemal haben Sie denn schon die Liebe durchgemacht, wenn Sie sie schon als Kinderkrankheit bezeichnen?«

»Hundertfünfzigmal.«

»Nein, ich bitte Sie ernsthaft, sagen Sie mir die Wahrheit!«

»Die Wahrheit?«

»Ja, bitte! Ich muß es wissen.«

»Nun denn – ordentlich nur einmal. Ich war mit einem Vetter verlobt.«

»Wie alt waren Sie damals?«

»Siebzehn Jahre.«

»Ach, da waren Sie noch ein Kind! Was war oder ist dieser Vetter?«

»Student war er, Ingenieur ist er, Heinrich heißt er! Ist's nun genug?«

»Heinrich heißt er« ... sagte Dr. Tondern nachdenklich – »Heinrich, wie ich; ... aber wie kam es, daß Sie sich trennten?«

»Ach, das ist zu langweilig; allerhand Kindereien, Eifersucht u. s. w.«

»Eifersucht! – – ja, eifersüchtig bin ich auch. Bei meiner Frau heißt es einmal ent–oder–weder. Mit andern wird dann nicht mehr kokettiert.«

»Ach, die Arme!«

»Was macht denn der Vetter Heinrich jetzt? Ist er verheiratet?«

»Ja, verheiratet, seit etwa vier Jahren; aber was er gerade jetzt thut, kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.«

»Brauchen wir auch nicht zu wissen. Der sei abgethan!«


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