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XIII.

Es fällt ein Stern herunter
Aus seiner funkelnden Höh'!
Das ist der Stern der Liebe,
Den ich dort fallen seh.

Heine.

Als wir allein waren, sprach Frau Brandt wieder ein ernstes Wort mit mir.

»Ich habe mit dem Geheimrat gesprochen,« sagte sie, »und habe aus seinem Gespräch entnommen, Marie, daß Sie sich ganz unnütze Hoffnungen machen. Der Doktor treibt seinen Scherz mit Ihnen und sucht sich zu amüsieren. Schlagen Sie sich den nur aus dem Kopf, Sie passen ja auch garnicht für ihn. Seien Sie vernünftig und kommen Sie nach K.!«

»Nein, niemals!« sagte ich; »aber hat Ihnen der Geheimrat wirklich gesagt, daß der Doktor sein Spiel mit mir treibe?« Mein Herz war mir wie eine Wunde in der Brust.

»Ja, so waren seine Äußerungen zu verstehen.«

»Nun, dann muß der Geheimrat in der kurzen Zeit wohl ganz andrer und nachteiligerer Meinung von ihm geworden sein, – Übrigens, wie kann er wissen, wie Dr. Tondern denkt?«

»Er muß sich doch wohl dahin, dem Geheimrat gegenüber, ausgesprochen haben,« ergriff Frau Brandt wieder das Wort.

»Das ist unmöglich!« rief ich entrüstet.

»Ihre Phantasie scheint noch immer etwas zu schwungvoll zu sein, liebe Marie ... Es ist überhaupt sonderbar, wie sehr Mädchen, die über die Mitte der Zwanziger hinaus sind, dazu geneigt sind, da etwas sehen zu wollen, wo überhaupt nichts zu sehen ist. Ich stimme mit dem Geheimrat vollkommen überein, der junge Mann hat sich einen kleinen Scherz erlaubt; voila tout

Es war mir, als risse etwas mitten durch in meiner Brust – mein Herz hörte auf zu schlagen.

»Sie haben's erreicht, Frau Brandt!« rief ich – – »selbst wenn das Unwahrscheinliche geschieht, daß Dr. Tondern um mich anhält, so sage ich ›Nein!‹«

Dann brach ich in Schluchzen und Weinen aus, ich war außer mir; ich wollte an mich halten, ich konnte nicht – – ich schluchzte wie ein Kind.

O, du grausame, herzlose Frau, warum, warum hast du mir das gethan?

Frau Brandt war über diesen Ausgang ganz erschreckt. Anfangs suchte sie mich durch Schelte zu mir zu bringen; dann fing sie an zu drehen und zu wenden an dem, was sie soeben erbarmungslos gesagt hatte.

Ich schluchzte fort. Ich war ja noch immer schwach, mein Gemüt vertrug das noch nicht. – Ach, auch ein gesundes hätte das nicht ertragen.

Fräulein Karoline kam in's Zimmer, dann der Verwalter, ich weinte wie ein Kind. Man machte mir Zuckerwasser und brachte mich endlich zu Bett.

Dann gingen sie ab und zu, und Fräulein Karoline sprach mir davon, wie gut es doch Frau Brandt mit mir meine, sie wolle mich ja wie eine Schwester in ihr Haus nehmen, mir helfen, bis ich wieder selbständig würde; ich möge es doch einsehen und mit ihr nach K. reisen.

»Ich bitte Sie um eins,« sagte ich endlich ruhiger, »lassen Sie mich jetzt allein!«

Sie ging und ich lag da und konnte nicht mehr denken. – Gottlob! ich war wie erstarrt.

Dann öffnete sich noch einmal die Thür, und Frau Brandt kam, mir den Gutenachtkuß zu geben.

Ich regte mich nicht. – – – –

* * *

Am andern Morgen früh fuhr sie mit den Kindern nach Stuttgart. Ich hatte auch mitgesollt; aber ich fühlte mich so elend, daß ich nicht konnte.

»So kommen Sie morgen mit dem Einuhr-Zuge nach!« sagte Frau Brandt, »wir werden Sie auf dem Bahnhof erwarten.«

Ich versprach es.

Es war ein sonnenheller Frühlingstag, den ich noch auf der Ronneburg verbrachte. Ich ging, nachdem ich erst spät aufgestanden war, in den Garten, beugte mich tief auf die Erde hinab zu den Veilchen und badete meine müden Augen in ihrem Thau und Duft.

Mich bestürmten tausend Gedanken: daß Frau Brandt viele Aussprüche des Geheimrats nach ihrem Sinn gedeutet, war mir jetzt klar; aber irgend ein Punkt mußte darin gewesen sein, der annähernd das ausdrückte, was sie sagte, das wußte ich ebenfalls; sie ist eine zu wahre Natur, um etwas aus der Luft zu greifen.

Aber was war es denn auch andres gewesen, als ein süßer Traum, ein Frühlingstraum, der noch mitten im schönsten Lenz mit rauher Hand zerstört worden war.

Hatte ich denn nicht selbst tausendmal leichtsinnig gedacht: wie schön, daß dieser junge Doktor mir so den Hof macht, jetzt will ich mich noch amüsieren, ihm recht den Kopf verdrehen, ich habe ja noch so viele schwere, einsame, langweilige Jahre auf dem ernsten Katheder zuzubringen; jetzt will ich recht fröhlich sein! – Ich hatte also ebenfalls mit ihm gescherzt; aber dann – – all die unvergleichlichen Stunden, die wir miteinander verbracht, war das auch nur Scherz? Gestern die Rose und das Herz, das er mir ›heil und ganz übergeben‹ und der schon früher nach Rußland verheißene Brief, war das alles Scherz? – –

Wahrlich, dieser Doktor verstand vorzüglich zu scherzen, das mußte man ihm lassen!

Hat er denn ein einziges Wort mit dir gesprochen, ein offenes, ehrliches Wort, in dem er dir gesagt, wie es ihm um's Herz ist? – Nein, er hat eben nur gescherzt. – – Und er soll auch kein Wort sprechen dürfen, das steht fest!

Wohl kamen bittende Stimmen, die mir Härte vorwarfen, aber ich verschloß ihnen Ohr und Herz.

Dann kam endlich die Vernunft und die sagte: Du bist älter als er, er hat kein Vermögen, wie er dir deutlich zu verstehen gegeben, es käme also alles auf ein ›Warten‹ heraus, und darüber wirst du zu alt.

Der Geheimrat hat versprochen euch zu helfen, wollte eine schüchterne Stimme einwenden; du könntest gleich hier bleiben in Deutschland und Frau Brandt eine glückliche Reise nach Rußland wünschen.

Der Geheimrat hat gesagt, Dr. Tondern hätte nur gescherzt, war die unerbittliche Antwort.

Dann wurde es heller in meinem Gemüt ...

Und hast du nur gescherzt, du lieber Mann, so danke ich dir für jeden Blick, für jedes Wort – ich werde jahrelang, mein ganzes kommendes Leben lang davon zehren. Um deinetwillen hat es gelohnt geboren zu werden und dieses ganze, schwere Dasein zu ertragen!

Nein, du sollst nicht reden! Ich, als die Vernünftigere, die Ältere, muß es verhindern, denn dir ist noch Großes vorbehalten, und ich könnte dir nichts als ein Hindernis sein!

Und scherzen und lachen will ich, wenn ich dich wiedersehe, daß uns ein helles, rosiges Bild von diesen Tagen in der Erinnerung bleibt – bis ins Alter hinein!

Ich will nicht sagen, daß ich nun konsequent bei diesem Abschluß meiner Gedanken blieb, dazu war ich in dieser Zeit der Reaktion, mit meiner wechselnden Empfindungen gar nicht fähig – im Gegenteil, es bäumten sich noch vielemal der Stolz, die Sehnsucht, der Zweifel in mir auf, ob dies auch das richtige wäre; aber meine sorglose, ruhig abwartende Stimmung hatte ich verloren. – Frau Brandt hatte aus meiner friedvollen, kaum genesenen Seele ein Chaos gemacht, in den alles bunt durcheinander wühlte.

* * *

Zu Mittag kam der Geheimrat aus Helbingen. Er war ernster als sonst, ich ebenfalls, ich hatte noch meinen letzten Entschluß im Herzen und wich stolz jeder Auseinandersetzung über den Doktor aus.

»Maria,« sagte er bei Tisch, »Sie kehren also mit Frau Brandt nach K. zurück?«

»Nein, Herr Geheimrat, ich gehe nach Petersburg und erbitte mir bei dem Unterrichtsminister eine neue Anstellung in einer andern Stadt. Das habe ich Ihnen ja schon vor 8 Tagen gesagt.«

»Aber Maria, Sie sollen ja so verwöhnt sein, Ihre Verwandten haben sich, im Vergleich zur Familie Brandt, so wenig um Sie bekümmert, wollen Sie nicht doch lieber mit Frau Brandt reisen? Man muß Sie noch eine Zeit hindurch nachsichtig und liebevoll behandeln, Sie können noch nicht sogleich ganz allein in die Welt hineinsausen. – – Der Onkel Staatsrat freilich, der geschrieben hat, bei dem möchte ich Sie eigentlich am liebsten wissen; er ist Arzt, ich kann ihn instruieren; aber wie wollen Sie allein nach T.? Das ist ja wohl nahe am Ural?«

»Ohne Sorge, Herr Geheimrat!« erwiderte ich, »wenn die Familie Brandt mich als Kranke allein nach Deutschland reisen lassen konnte, so werde ich jetzt, als Genesene, wohl auch allein wieder nach Rußland zurückkönnen, ohne Frau Brandts Begleitung.«

Innerlich stellte ich Betrachtungen über die ›liebevolle Behandlung‹ an, die mir von Frau Brandt zu teil geworden.

»Ferner, Herr Geheimrat,« fuhr ich fort, »Sie wissen, daß ich in den K.er Verhältnissen erkrankt bin, sollte es wirklich so geboten und geraten sein, gerade dorthin zurückzukehren? – Meinen Verwandten werde ich bestrebt sein so kurze Zeit, als irgend möglich zur Last zu fallen, und der Bruder meines Vaters, der selbst als jüngstes Kind zum Teil durch meinen Vater Bildung und Erziehung erhalten hat, kann mich gut einige Monate bei sich aufnehmen, wozu er ja auch freundlichst die Hand bietet.«

»Das Mädle hat recht!« rief er, und klopfte mir auf die Schulter. »Ja, das ist wieder meine logisch denkende Maria! So thun Sie also, wie Sie wollen, mein liebes Kind, und wenn Sie von Ihrer kleinen Rundreise mit Frau Brandt zurückkehren, so sind Sie in Helbingen noch einige Tage mein lieber Gast. Und was die Zukunft bringt, Mariale, das wollen wir auch noch sehen!«

In Helbingen! dachte ich, wird das noch dasselbe sein? Ach, scherzen, lachen, fröhlich sein! Der Ernst kommt ja mit Riesenschritten, warum der Gegenwart nicht alle Blüten abfordern, die sie bietet! – –

So lange der Geheimrat ausruhte, schrieb ich Briefe: ich bescheinigte den Empfang des mir von der Gymnasialdirektion übersandten Geldes, schrieb meinem Direktor und meldete mich in Petersburg, sowie bei meinem Onkel, Staatsrat Prätorius an. Dankte auch Herrn Brandt für seinen freundlichen Brief, in dem er mich dringend nach K. zurückrief, mir mitteilte, daß die Privat-Anstalt, in der er außer dem Gymnasium Stunden erteilt, und ebenso meine besten Privatschüler, Kinder eines K.er Millionärs, bei dem Herr Brandt geschäftlich zu thun hatte, auf meine Rückkehr warteten; dankte ihm also für alle seine freundschaftliche Fürsorge, die er mir während meiner Krankheit erwiesen und teilte ihm meinen Entschluß mit, daß ich nicht mehr nach Südrußland, sondern nach dem Norden zurückzukehren gedächte.

Nach dem Kaffee begleiteten wir den Geheimrat bis zum G.er Kreuzweg, er wollte eine Strecke zu Fuß gehen und hatte die Equipage vorausgeschickt, und Karoline, der Verwalter und ich gingen gern noch ein Stück Weges mit ihm. Ich sah ihn noch, wie er, nachdem er Abschied genommen, auf dem Helbinger Wege dahinschritt: die hohe Gestalt, durch sein Fußleiden etwas nach vorne gebeugt, den weichen Filzhut auf dem Kopfe, in der Hand den ehrwürdigen Stock mit dem silbernen Knopf, sah, wie er unter den schwellenden Knospen der Obstbäume allmählich verschwand. Die Abendsonne schien, ein paar Vögelchen flogen eilig über uns hinweg, die ganze Natur duftete: Frühling! Frühling!

Gestern und heute! dachte ich, welcher Kontrast! – Mir traten Thränen in die Augen, und von Karolinens Arm umschlungen, kehrten wir auf die Ronneburg zurück. Der Verwalter schritt nebenher und ließ den Kopf hängen – – – der Abschied von der schönen russischen Germania schien ihm nahe gegangen zu sein.

* * *

Am andern Morgen erwachte ich früh und machte meine Fenster weit auf. Die Bäume hatten durch den nächtlichen Regen große Fortschritte gemacht und prangten in ihrem frischen Blättergewande, aber die Blättchen waren noch so frisch und jung, wie aus feiner, grüner Seide ausgeschnitten. Der Kuckuck rief aus dem Walde herüber und hoch, hoch droben im Blau, so hoch, daß man sie nicht mehr sah, trillerte eine Lerche. Vor mir erhob sich in der Ferne der Franzensberg bei Helbingen, näher der Johannesberg und die Kappe. –

Zum letzten Mal! dachte ich. Und so im Frühlingsschmuck steht noch jetzt die Ronneburg lichtumflossen in meiner Erinnerung.

* * *

»Fräulein Marie, bitte zum Kaffee!« rief Karoline, und nachdem ich diesen eingenommen und mich von allen Hausgenossen verabschiedet, setzte ich mich mit Karoline in den kleinen Einspänner, den sie selbst lenkte.

Welch ein gesunder, frischer, guter Mensch, diese Karoline!

»Das ist des Geheimrats Feld hier; sehen Sie, dort arbeiten viele von unsern Patienten! Holla Merkle! wie geht's?«

»Ordentlich, Fräulein Karoline!« war des Kranken Antwort. »Schaffen Sie uns nur auch was Rechtes zum Essen!«

Welch ein edles Werk, diese Anstalt, diese Kolonie Ronneburg! – Wie viele Hunderte sind hier vom geistigen Tode errettet worden!

Am X.er Bahnhof angekommen, richtete mir Karoline noch alles recht gemütlich im Coupé ein, und dann ging es im Fluge durch die sonnige Landschaft dahin, an den Bergen und Thälern vorüber nach Stuttgart.

Frau Brandt und die Kinder erwarteten mich richtig auf dem Bahnhof und nahmen mich zu ihren Stuttgarter Verwandten mit. Wir besuchten gemeinschaftlich alles Sehenswürdige der Stadt und fuhren dann weiter nach Heilbronn und Hall, wo ein Heer von neuen Eindrücken auf mich einstürmte und wo sich wieder meine ursprüngliche Genesungsstimmung, die keine Trauer vertrug, die alles mit sich und ihrer eignen Fröhlichkeit fortreißen wollte, geltend zu machen begann. Hatte sich doch während dieser Zeit meine ganze, seit dem achtzehnten Lebensjahre zurückgedämmte Jugend unwiderstehlich Bahn gebrochen, um, unabhängig von allem Leid der letzten Tage, gebieterisch ihr Recht zu fordern.

Vielleicht suchte ich mich auch durch meine Lustigkeit zu betäuben, suchte zu vergessen, daß mich die Liebe mit ihrem Zauber hatte umspinnen wollen.

Ich redete viel und lachte viel und alles lachte mit mir; ich besaß in jener Zeit eine merkwürdige Macht über die Gemüter andrer Personen.

Einer Schulanekdote, die man mich mehrmals zu wiederholen bat und die nachher noch in mein Schicksal hineinklingen sollte, erinnere ich mich noch gut. Dieses Nachklangs wegen schreibe ich sie hier nieder:

Einer meiner deutschen Kollegen hatte seinen Jungen im Gymnasium einen Aufsatz über ›die Katze‹ aufgegeben und hatte unter andern auch folgende ausführliche Beschreibung bekommen:

» Der Katz

»Der Katz ist verschieden: mal ist er Katz, mal ist er Kater; wie sich's trifft, mal so, mal so. Mal ist er schwarz, mal ist er weiß, mal ist er bunt; mal so, mal so wie sich's trifft. Mal kriegt er fünf Junge, mal kriegt er sieben; wie sich's trifft; mal so, mal so.« –

Wohin ich kam, verbrachten wir die Zeit auf die munterste Weise. Frau Brandt war sehr gut und herzlich gegen mich; von Dr. Tondern war nicht mehr die Rede.

Von unsrer Rundreise nach Stuttgart zurückgekehrt, besorgten wir mit Frau Brandt zusammen noch einige Einkäufe, als es mir in den Sinn kam, daß ich allen in Helbingen irgend ein Andenken geschenkt, außer Dr. Tondern. Sogar Dr. Mai hatte ich auf eine scherzhafte Art eine Cigarrenspitze zu schenken gewußt; aber ihm – wie? und was? –

Endlich hatte ich's: ich kaufte einen türkischen Fez; der konnte ein Symbol für die sieben Lieben und für den ›Scherz‹ sein, den er mit mir getrieben.

Es war, als sei ich seit der Auseinandersetzung mit Frau Brandt plötzlich wieder um vier Wochen in meiner Reaktion nach der Krankheit zurückgesetzt. Ich erwog nicht, daß wir längst über die Zeit der Neckerei hinaus waren und daß in den letzten Tagen unsres Beisammenseins schon groß und leuchtend die Liebe in unser beider Herzen gestanden.

Nachdem wir noch auf dem russischen Konsulat uns von dem sehr liebenswürdigen Grafen L. unsre Pässe hatten ausfertigen lassen, packte ich meine Sachen und verabschiedete mich von Frau Brandt. Sie redete kein Wort mehr gegen meinen Entschluß, nach Nordrußland zu gehen.

Auf dem X.er Bahnhof erwartete mich der mächtige Helbinger Landauer, mit dem wir alle unsre unvergeßlichen Fahrten gemacht, und Fräulein Franz stand zur Bewillkommung auf dem Perron.

Sie erzählte mir, daß sie einer Augenentzündung wegen von der Ronneburg nach Helbingen übergesiedelt sei und daß wir beide außerhalb der Anstalt in dem Häuschen einlogiert wären, wo Albert und Rudolf Felser während der Ferien wohnten.

So war es, und nun hatten wir eine im studentischen Geschmack eingerichtete Wohnung, überall Rapiere, Fechthandschuhe, lange Pfeifen etc. – wir hätten uns für ein paar Studiosen halten können.

Ich legte meine Sachen ab und eilte, mich dem Geheimrat vorzustellen. Mein Herz schlug mir bis an den Hals hinauf, denn ich mußte an Dr. Tonderns Fenstern vorüber.

An der Pforte des Schloßgartens standen der Geheimrat und Dr. Mai.

»Guten Abend, meine Herren!«

»Sieh da! unsre Ausreißerin; nun willkommen! willkommen!« rief der Geheimrat. »Und wie gut sie aussieht. Sehen Sie sie nur an, Doktor!« und dabei schlang er einen Arm um mich und zog meinen Kopf an seine mächtige Schulter.

In dieser Stellung reichte ich Dr. Mai lächelnd die Hand.

Aber ich begegnete einem schneeweißen, mit roten Flecken bedeckten Gesicht, der Hut wurde gelüftet und nach einem barschen: ›Guten Abend!‹ eilte er fort.

Ich sah den Geheimrat fragend an.

»Er hat wahrscheinlich zu thun,« sagte er.

Dann fielen unwillkürlich meine Blicke auf die gegenüberliegenden Fenster Dr. Tonderns. – Mir begann es vor den Augen zu flimmern; aber ich raffte mich rasch zusammen, grüßte den Geheimrat und eilte nach oben, um mich mit den übrigen zu begrüßen.

Es waren im ganzen fast drei Wochen, daß ich aus Helbingen fort war, und in wenigen Tagen sollte ich es auf immer verlassen. Jetzt war ich hier wahrhaft ein Gast, die Anstaltsdisziplin brauchte mich nichts mehr zu kümmern, ich schickte mich an, als freier, selbständiger Mensch ins Leben zurückzukehren; den Paß hatte ich schon in der Tasche.

Mir war ganz sonderbar zu Mute, als ich am andern Morgen wieder auf dem Fenstertritt, auf dem alten Platz saß, als die Ärzte zur Visite kamen.

Dr. Tondern war sehr ernst, fast traurig.

»Warum so mißmutig?« fragte ich ihn.

Er schrak bei dem Ton meiner Stimme zusammen.

»Jetzt ist für mich die Zeit der Melancholie,« sagte er dann.

»Ach, das steht Ihnen gar nicht, bitte, lachen Sie doch wieder!«

»Sie haben mir mein Lachen und meine Studentenhaftigkeit oft genug vorgeworfen,« – –

»Herr Dr. Tondern!« rief plötzlich Fräulein Hannchen, »bitte, kommen Sie zur Neuangekommenen Patientin, sie ist sehr unruhig.«

Er ging, und ich eilte in mein Zimmer, um meinen Fez zu holen. Als ich damit zurückkam, traf ich ihn im Korridor.

»Ich habe Ihnen auch etwas mitgebracht,« sagte ich.

»Wirklich?«

»Im Gesellschaftszimmer sollen Sie es bekommen.« Wir traten zusammen ein, ich zog das Papier fort und überreichte ihm sein Geschenk.

Er setzte es lächelnd auf den Kopf und sah darin sehr hübsch aus. Alle bewunderten ihn und lächelten ebenfalls.

Dann jedoch traten sie zusammen, um über eine Zeitungsaffaire zu sprechen.

Dr. Tondern blieb vor mir stehen und blickte mich an.

»Ich knüpfte manche zarte Bande – –«

summte ich leise und erwiderte seinen Blick. Er riß den Fez vom Kopfe und sah mich finster an. –

Wie anders wäre dieses Wiedersehen gewesen, hätte Frau Brandt mir nichts von dem ›Scherz‹ gesprochen! –

Da wandte sich der Pfarrer, der wie auch sonst des Dienstags die Doktoren begleitete, zu uns und sagte zu mir: »Aber ein allerliebstes Geschenk, ein ganz sinniges Geschenk; es erinnert an eine Häuslichkeit.«

»Ja,« erwiderte ich, »an eine türkische.« –

»Fräulein Marie, wann bekomme ich Ihr Bild?« fragte mich Dr. Mai.

»Mein Bild? Sie? – Sie haben ja gar nicht darum gebeten.«

»Im Gegenteil, ich sagte damals doch sogleich ...«

»Also sofort!« unterbrach ich ihn, »ich geb's Ihnen gleich! Bitte! da ist es!«

Dr. Tondern errötete und wandte sich ab.

»Haben Sie Kollege Tondern auch Ihr Bild gegeben?« fragte mich leise Dr. Mai.

»Ja, schon lange.«

»Guten Morgen! Guten Morgen allerseits!« rief nun der Geheimrat, und die Ärzte gingen mit dem Pfarrer in eine andre Abteilung.

»Ist denn niemand da von meinen Lieben?« rief Fräulein Wundermann hinterdrein, und Dr. Mai, der etwas zurückgeblieben war, verbeugte sich und sagte:

»Ja, Fräulein Wundermann, ich bin da!«


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