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XII.

Mein Herz ist wie die Sonne
So flammend anzusehn
Und in ein Meer von Wonne
Versinkt es groß und schön.

H. Heine.

Am nächsten Tage begleitete uns der Verwalter auf einer Fahrt nach dem Hohenzollern, und er strahlte vor Freude, der schönen Frau Brandt gegenüber sitzen zu dürfen; auch sie war bedeutend angeregter, bedeutend liebenswürdiger, als am Tage vorher.

Im Hechinger Hotel, wo wir ausruhten, schrieben wir allen unsern Bekannten Grüße auf bunten Postkarten. Auch der Geheimrat bekam eine mit Grüßen an Max und Moritz.

Im Schloß hörte ich vom Kastellan zum erstenmal wieder das breite Norddeutsch reden: »Ziehen Sie sich man Filzschuhe über die Stiebel, sonst verkratzen Sie mir meinen ganzen Boden!«

Und wir fuhren gehorsam jeder in ein Paar von dem ganzen Regiment von Filzschuhen, die im Vestibül standen und schlurrten, nachdem wir auf diese Art die ›Stiebel‹ unschädlich gemacht, durch alle die blitzblanken Säle.

Schließlich fürchteten wir uns, den Zug zu versäumen, mit dem wir nach Brunau, zu Steidels, wollten, wo wir bis zum Sonntag zu bleiben gedachten.

Aber unser Preuße beruhigte uns: »Seien Sie man ruhig,« sagte er, »Sie kommen noch richtig hin.«

Als wir zum Thor hinausfuhren, begrüßten uns einige preußische Soldaten mit »Guten Tag!«.

Es berührte mich fremd; ich war jetzt an das süddeutsche: »Grüß Gott!« gewöhnt.

Von der Station aus sollte der Verwalter mit dem Kutscher zurückfahren, aber es gefiel ihm so gut in unsrer Gesellschaft, daß er uns mit der Eisenbahn noch mehrere Stationen begleitete und Pferde und Kutscher allein nach Hause schickte.

Unser fremdklingendes Deutsch war es wahrscheinlich, das unsre Mitreisenden veranlaßte, uns so unverwandt anzustarren. Wir kamen uns wie die Wundertiere vor, und aus Rache mokierten wir uns über unsre christlichen Brüder und Schwestern in russischer Sprache.

In Brunau machten wir verschiedene neue Bekanntschaften, darunter auch die eines Herrn, dem Frau Brandt aus irgend einer Laune plötzlich meine Photographie schenkte, die ich aber entschieden zurückverlangte und schließlich auch erhielt.

Wir unternahmen mehrere Ausfahrten und Spaziergänge und traten am Sonntagmorgen unsre Rückfahrt an.

Das Intermezzo mit der Photographie hatte in mir den entschiedenen Vorsatz zur Reife gebracht, Dr. Tondern mein Bild zu geben.

Zu Mittag, bei hellstem Sonnenschein, waren wir wieder auf der Ronneburg und um drei Uhr fuhren wir wieder nach Helbingen, nachdem ich Vera und Frau Brandt noch recht kleidend frisiert und ersterer ihr hübsches weißes Kleidchen mit aprikosenfarbener Schärpe angezogen.

Irmas kleine Freundinnen waren schon da, und Dr. Tondern empfing mich mit dem Vorwurf, daß ich so sehr spät käme.

Ich hatte mich den ganzen Weg auf ihn gefreut und war auch jetzt glücklich, ihn zu sehen, doch hatte ich so viel mit Arrangements zu thun, besonders mit der Stellung des Bildes, daß ich auf seine freundlichen Fragen und kleinen Neckereien nicht eingehen konnte. Ich hörte nur, wie Frau Brandt von den vielen ›neuen Eindrücken‹ sprach, die Fräulein Prätorius gehabt hätte und sah, daß mir der Doktor einen besorgten Blick nachsandte.

Endlich war alles erledigt, und ich konnte mich zu den übrigen an den Kaffeetisch setzen.

Links von mir saß Dr. Tondern, vis-à-vis Frau Brandt, neben ihr Frau Geheimrat Felser und an den andern Tischen einige Patienten und Patientinnen, darunter auch Ella und Ida, sowie die Söhne des Geheimrats.

Kaum hatte ich Platz genommen, so zog Dr. Tondern eine reizende, duftende Rose aus der Brusttasche und überreichte sie mir vor allen.

»Es ist die erste, die an Ihrem Aprilrosenstock erblüht ist,« fügte er lächelnd hinzu, »stecken Sie sie, bitte, heute an, Fräulein Prätorius!«

Ich war glücklich und der einzige bittere Tropfen war Frau Brandts spöttische Miene; – doch allzusehr ließ ich sie mir nicht zu Herzen gehen. Was kümmerten mich alle Frau Brandts der Welt – ich liebte und wurde geliebt; – mehr brauchte ich nicht.

Unsre junge Welt war anfangs steif und verlegen und taute erst sehr nach und nach auf. Der Hauptgrund der Verlegenheit war jedenfalls darin zu finden, daß Rudolf Felser aus T. gekommen war, wo er jetzt studierte, und einige Studenten mitgebracht hatte, die sich viel zu wichtig dünkten, um mit den Backfischen zu spielen oder zu tanzen, und um einen Tisch gelagert, mit Brillen und Pincenez bewaffnet, blasiert zusahen, was die Kinder trieben.

Als mir die Sache zu langweilig wurde, ging ich bis an ihren Tisch, wo jetzt auch unsre Doktoren Platz genommen hatten und bat sie, die Backfische doch nicht so lange schmachten zu lassen. Aber alle schüttelten vornehm die Köpfe, wie nach Takt und Signal und »zeigten sich gänzlich abgeneigt«.

Da wandte ich mich an Dr. Tondern: »Lieber Onkel Moritz,« sagte ich scherzend, »Sie werden uns doch nicht so den Spaß verderben wollen und werden begreifen, wie sehr sich die junge Welt geniert fühlen muß, sich unausgesetzt von solchen alten Häusern mit den Brillen auf den Nasen beobachtet zu sehen.«

Und »Onkel Moritz«, der einzige, der keine Brille trug, sprang auf und brachte alle Welt in die munterste Stimmung; nun war es auch keine »Kinderei« mehr, denn unser lieber Doktor nahm ja mit teil.

Und wie freundlich verstand er es, mit den Kindern umzugehen: Vera Brandt verglich er für ihr schnelles und graziöses Laufen mit einem Reh, was ihr sichtlich schmeichelte. Ella Seidel holte er stets aus dem Winkel heraus, in den sie sich zurückzuziehen liebte, und führte sie ritterlich am Arm herbei. Und als wir das Spiel »nach dem Auge erraten« spielten, setzte er sich selbst, nach Entfernung des zum Erraten bestimmten jungen Mädchens auf den Stuhl und ließ sich von Frau Brandt, die mir bei der Leitung der Spiele half, wie eine Mumie einpacken, ein Tuch über den Kopf legen und rollte das eine Auge, das ihm Frau Brandt nur frei ließ, derart vor Martha N., daß sie zu aller Ergötzen ganz ängstlich zurückwich und auf alle andern riet, nur nicht auf den Doktor, bis dieser endlich ganz erhitzt aus den Hüllen hervorsprang und seine hübschen blonden Haare schüttelte.

Hier hatte sogar Frau Brandt einen freundlichen Blick für ihn.

Bei einem der Spiele hatten wir einen Gummiball gebraucht und in einer Pause brachte ihn mir der Doktor.

»Wozu?« fragte ich.

»Wissen Sie denn nichts mehr von Vetter Moritzens Herzen?«

Jetzt besann ich mich, daß ich die eine Cousine des Vetters Herz mit einem »defekten Gummiball« hatte vergleichen lassen, nahm den Ball lachend aus seinen Händen und spielte mit ihm.

»So behandeln Sie das arme Herz?« sagte er, »und es ist doch nicht defekt, ich habe es Ihnen heil und ganz übergeben,« fügte er, ernst werdend, hinzu.

Durch eine unvorsichtige Bewegung glitt der Ball mir aus der Hand und rollte weithin über den Saal unter die Füße der andern, wo ihn jemand aufhob und weiter fort in eine Ecke warf.

Aber wir achteten nicht mehr auf den Ball, unsre Hände ruhten ineinander. – – Da begann die Musik, und ich hörte nicht deutlich, was er sagte, es schien mir als sei es: »Wenn wir auch noch warten müssen,« gewesen.

Er verbeugte sich vor mir, um mich zum Tanz einzuladen, aber ich wurde plötzlich gewahr, daß niemand sich noch zum Walzer entschlossen und bat ihn, mit den jungen Mädchen zu tanzen, ich würde selbst als Herr tanzen, da die Herren Studenten sich noch immer nicht rührten.

Dr. Tondern tanzte mit wahrer Aufopferung, und als er genug geleistet zu haben glaubte, kam er wieder zu mir. Jetzt folgte ich ihm ohne Widerspruch.

Wie verschieden war dieser Tanz von unserm allerersten! Wir fühlten uns beide älter, vernünftiger und durchdrungen von jenem unbeschreiblichen Glück, das nur die Liebe dem Menschen geben kann. Dabei lebte in mir noch ein ganz besonderes Gefühl, eine ruhigere Schattierung der Liebe: ich wünschte ihm so von ganzem Herzen alles Gute, alles Glück der Welt.

O herrlicher, unvergeßlicher Tanz, o, letzter Tag des ungetrübten Glückes, wie bald bist du auf ewig versunken! Wie sollte es auch anders sein, – auf dem Höhepunkt des Glückes hat sich noch kein Mensch lange erhalten; selig, wer ihn einmal, wenn auch nur auf Sekunden, erreichte! Das Licht jener Stunde wird noch Jahre hindurch in sein ferneres Leben hineinstrahlen, manche dunkle Stunde erhellen und tröstend und beruhigend in seine müde Seele hineinleuchten, wenn sie verzagen will.

Es war der Schlußtanz gewesen, und nach demselben wurden die Blumen und Orden verteilt; wir überreichten die unsern einander selbst.

Da sah ich plötzlich Dr. Mai abseits und ganz allein stehen, das that mir leid.

»Soll ich Ihrem Kollegen nicht auch einen Orden bringen?« fragte ich Dr. Tondern.

»Thun Sie es!« war die Antwort.

Ich eilte hinüber und steckte ihm einen von den bunten Sternchen an den Rock.

»Mir als Nichttänzer?!« sagte er und sah mich lieb und freundlich an.

Ich erschrak etwas vor seinem Blick; aber dann zog wieder mein eignes Glück durch meine Seele, und ich hätte so gerne alle, alle um mich her ebenso glücklich gesehen.

Außer mir war es vielleicht noch einer, und das war Erich Felser, der sein junges siebenzehnjähriges Herz ganz an unsre Vera verloren zu haben schien. Sie sah aber auch aus wie eine kleine Fee und hatte einen Anstand, daß man ihr reichlich 15 Jahre hätte geben können.

Dann fand ein allgemeines Verabschieden statt.

»Leben Sie wohl, Herr Doktor!« sagte ich zu Dr. Tondern, »heute nehme ich von Ihnen für 8-10 Tage Abschied, da wir mit Frau Brandt nach Stuttgart, Hall und Heilbronn zu ihren Verwandten fahren, und dann – – geht's, nach kurzem Aufenthalt in Helbingen, wo ich noch das Letzte zu ordnen habe, ganz fort – – nach Rußland! Heute aber noch: auf Wiedersehen!«

Er behielt lange meine Hand in der seinen.

Als wir den Festsaal verlassen hatten, ließ sich Frau Brandt beim Geheimrat melden, um ihn allein zu sprechen, und ich stieg mit den Kindern nach oben und zeigte ihnen mein Zimmer, den Salon, das Gesellschaftszimmer und stellte sie Fräulein Hannchen vor.

Bei ihr ließ ich sie einige Augenblicke, eilte in mein Zimmer, schloß mein Bild in ein Couvert und schickte es Dr. Tondern.

Dann kam Frau Brandt zurück, ließ sich noch die mächtige Anstaltsküche und die Kirche zeigen, betrachtete ebenfalls Salon und Gesellschaftszimmer und blickte etwas mokant drein, als Fräulein Hannchen sagte: »Nun sind Sie gekommen, um uns unsern Sonnenstrahl fortzunehmen.« Dann fuhren wir auf die Ronneburg.

Vera und Fritz hatten viel mit dem Aufbewahren ihrer Tanzorden und Blumen zu thun, und Frau Brandt fragte mich, ob ich meine Rose nicht zu den andern Blumen ins Wasser stellen wolle.

»Nein!« sagte ich, »die bewahre ich so auf, wie ich sie bekommen habe.« Ich eilte damit in mein Zimmer, küßte die Blume und schlug sie in Seidenpapier.

So liegt sie noch heute und zeigt mir, daß alles gestorben ist, was damals duftete und blühte.


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