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15.

Etwa vierzehn Tage später sah Juliane zu ihrem Erstaunen Marion bei sich eintreten. Die Letztere war in schlichtem schwarzem Kleide, sie war bleich, von kränklicher Gesichtsfarbe, müde in ihrem Wesen; ihr Auge war trübe, ihre Brust eingesunken. Nichts verrieth an ihr das frühere, so frische und gefallsüchtige Mädchen. Sie trat mit merkbarer Unsicherheit, fast mit Scheu herein. Juliane, die eben ihr Haar machte, blickte verwundert auf sie.

»Ei, Du!« rief sie. »Wie komme ich zu der Ehre!«

Marion hörte nicht darauf. Sie ließ sich, erschöpft vom Treppensteigen, auf einen Stuhl nieder und legte die Hand auf die Brust. Juliane that, als sei die Schwester gar nicht da, und blieb mit sich beschäftigt.

»Ich mußte Dich sprechen«, sagte Marion hüstelnd. »Du erzähltest mir, als wir uns neulich begegneten, Stella sei wieder hier.«

»Allerdings! Und sie wohnt ganz in der Nähe, ist erst vor einigen Tagen aus diesem Hause ausgezogen. Willst Du etwas mit ihr?« Sie ließ sich nicht in der Toilette stören.

»Du weißt, ich bin seit Kurzem in dem Martins-Hospital, einstweilen zur Aushülfe.«

»Wo Du es hoffentlich besser haben wirst als in dem elenden Magdalenen-Stift! Mir sagte kürzlich eine Deiner dortigen Kolleginnen, Du seist zweimal aus dem Hause fortgelaufen, aber doch immer wieder gekommen. Es mußte das doch seinen eigenen Reiz haben!«

»Sprich nicht davon! Es ist mir ganz lieb, daß ich es gethan. Man gewöhnt sich so schwer an ein strenges, arbeitsames Leben, wenn man überhaupt eine ernste Arbeit nie gekannt hat. Es gehört ein starker Wille dazu, aber der Ekel an einer ehrlosen, zu allem Elend führenden Existenz gab ihn mir ein, und ich hoffe jetzt Gott sei Dank, fest in diesem Willen zu bleiben.«

Juliane biß sich auf die Lippe, daß das Blut herausdrang; der Kamm, mit dem sie durch das Haar fuhr, saß fest in der Epidermis; sie schlug mit dem Fuß auf den Boden und bemeisterte sich mit Mühe.

»Hör' auf mit Deinem Geschwätz!« rief sie aus. »Erst hat sie geholfen, mich schlecht zu machen, und jetzt will sie mir die Heilige vorspielen!« Dann sich höhnisch halb zu der Schwester wendend: » Mir brauchst Du doch nichts vorzumachen!« Sie fuhr mit einem langen Strich wieder durch's Haar, warf dann den Kamm vor sich hin und legte die Hände in den Schooß, die Augen in den Spiegel bohrend. »Ich sehe mich noch, wie ich Dich in dem Stift einmal aufsuchte«, rief sie, der Erinnerung stolz. »Ich wollte mich doch einmal überzeugen und fuhr in einem hübschen Einspänner hinaus, denn es ging mir damals gerade gut. Ich suchte an dem ganzen sandigen Canal-Ufer entlang und konnte mich dabei natürlich nur als vornehme Dame aufspielen. Endlich fand ich das Stift. Ich stieg aus vor der kleinen mit Epheu bewachsenen Thür und fühlte mich so recht vornehm, denn da mußte man wirklich Kaninchen oder Giraffe sein. Eine Schwester öffnete mir ...« Sie blickte im Spiegel auf die Schwester, um sich des Eindrucks zu versichern. »Ich gab mir ein Air und fragte nach Marion Christel. Die Schwester hielt mich für eine vornehme Dame und führte mich in ein kleines Zimmer, in dem wahrscheinlich die Büßerinnen empfangen werden wenn sie anklopfen. Danach ward ich zu der Oberin geführt, die mich empfing, ein blankes Kreuz auf der Brust. Ich mußte mich wirklich zusammen nehmen, denn mir war's, als sei ich in einem kalten Fegefeuer, wie sie mich so vornehm examinirend anschaute. Zum Glück hatte ich die Karte einer reichen Dame in der Tasche, der ich früher einmal Probe hatte stehen müssen. Ich reichte ihr die, und das wirkte. Eine Schwester mußte mich zu Dir führen ...«

Juliane machte eine Triumph-Pause. Marion saß da, das Kinn auf die Brust gesenkt.

»Und wie sah ich Dich? Marion, meine Schwester, in einem elenden, verwaschenen Calico-Kleid, einen groben Strumpf flickend, umgeben von ordinären Dirnen, denen die Gemeinheit auf den Gesichtern stand! ... Du erschrakst, als Du mich erkanntest; aber Du hattest Fassung genug, mein Incognito nicht zu verrathen. Und da kam ich in Verlegenheit. Ich wußte nicht, was ich mit Dir eigentlich wollte. Die Schwester führte uns in ein Zimmer der Aufseherinnen; sie ließ uns allein, weil sie glaubte, ich sei eine Beschützerin, die Dir Moral reden wolle. Und wie wir da ungestört beisammen saßen, war's mir, als trügen wir Beide eine falsche Nase, Du als Büßerin, ich als ... Na, sprechen wir nicht mehr davon! Ein paar Tage später warst Du dem Stift wieder entlaufen ... Aber was willst Du denn jetzt, nachdem sie Dich wieder eingefangen haben?«

Marion hatte sie kalt angehört. Sie gedachte ihrer Mission.

»Ich komme von dem Sterbebette der Mutter unserer armen Stella, die ich zu pflegen habe.«

»Du? Ei das ist ja interessant! ... Aber sag' mir doch, was ist aus Deinem Kinde geworden?«

»Die selige Frau Holstein hat es in eine Bewahr-Anstalt gebracht. Ich bin der edlen Frau so viel Dank schuldig.«

»Das ist Geschmackssache! Also was ist denn mit Deiner Pflegebefohlenen, von der Du sprachst?«

»Sie ist ein armes, unglückliches Weib, das lebensmüde und unheilbar krank in unsere Anstalt gebracht wurde. Sie muß viel erduldet haben, denn sie spricht in ihren Fieber-Phantasien oft furchtbare Sachen, die auf Laster und Mißhandlungen, ja Verbrechen schließen lassen, die von Anderen an ihr verübt worden, während sie sich durch das Leben schlagen mußte. Wenn sie bei klarem Bewußtsein ist, weint sie fortwährend, sie klagt sich selber an, sie habe ihr Schicksal verdient, sie sei eine elende, verworfene Kreatur, die keiner Barmherzigkeit werth. Dann jammert sie verlangend um ihr Kind, dem sie eine strafbar gewissenlose Mutter gewesen. Sie weiß nicht, daß ich sie seit meiner ersten Jugend kenne; ich habe ihr auch nicht gesagt, wer ich sei; ich selber habe sie ja auch nicht gleich erkannt, als sie ins Hospital gebracht wurde. Ich habe ihr nun aber versprochen, ihre Tochter zu ihr zu führen, und seitdem verlangt sie, ich solle mein Wort halten. Heute nun steht es sehr schlimm mit ihr; der Arzt hat ihr nur bis zum Abend Frist gegeben. Sie selber fühlt, daß es mit ihr zu Ende gehe, und so entschloß ich mich denn, Stella aufzusuchen.«

»Hm, bei der wirst Du wohl einen schweren Stand haben! Ich glaube nicht, daß sie große Lust hat, jetzt noch eine Mutter zu sehen, der sie, wie wir ja Beide wissen, stets eine Last gewesen. Es ist recht freundlich von den Eltern, wenn sie sich erst auf dem Sterbebette um ihre Kinder bekümmern aus Furcht, drüben ihre gerechte Strafe zu erhalten.«

»Der Wunsch einer Sterbenden ist heilig, selbst wenn sie schuldig ist.«

»Man hört Dir wirklich das Magdalenenstift an! Aber geh' zu Stella hinüber und versuche, sie zu überreden. Sie hat auch schon mitunter ihre melancholischen Anwandlungen, wenn's ihr einmal nicht nach Wunsch geht, treibt's aber danach immer desto toller. So hat sie vorgestern, als es bei einem Souper recht lustig zuging, dem Baron von Fürth, der sich Unarten gegen sie erlaubte, ein Champagnerglas an den Kopf geworfen, daß er blutend und bewußtlos nach Hause getragen wurde und an einer Gehirnentzündung schwer danieder liegen soll. Sie lachte, als er fortgetragen wurde, und meinte, das sei eine Rache, die sie ihm schon längst zugedacht habe. Es steigen ihr zuweilen die vornehmen Launen noch in den Kopf. Sie kann die reiche Frau Holstein nicht vergessen, wenn sie mit früheren Bekannten zusammen geräth. Wenn Fürth stirbt, kann ihr das aber doch schlecht bekommen.«

»Ich will zu ihr gehen! Sie wird ja so viel Herz noch besitzen.« ...

Marion erhob sich. Sie ging, ohne der Schwester die Hand zu reichen ... Stella empfing sie mit einigem Erstaunen.

»Bist Du in ein Kloster gegangen? Du siehst ja so nonnenhaft aus?« lachte sie. »Ich bin eben im Begriff, auszugehen.«

»Ich habe nur einige Worte!« Marion sagte ihr von dem Zustand ihrer Mutter.

»Ist sie hier?« fragte Stella gleichgültig. »Und im Hospital also? Ich habe seit hundert Jahren nicht mehr von ihr gehört, auch seit lange nicht mehr gewußt, daß ich eine Mutter habe ... Hat sie Dich etwa geschickt?«

»Sie verlangt nach Dir! Sie hat nur noch wenige Stunden zu leben!«

»Und da thut sie, was sie so viele Jahre hätte thun können?«

»Es ist die Bitte einer Sterbenden! Sie bereut was Du ihr soeben vorwirfst.«

»Und was soll ich bei ihr? Etwa mit ihr bereuen, daß sie im Hospital liegt, daß mein Vater eben aus dem Zuchthaus gekommen und ich, ihr Kind, auf der Straße bin? Das könnte ein schönes Lamento werden!«

Marion war auf diese Antwort gefaßt gewesen; sie bat, beschwor sie um ihres eigenen Seelenheils willen. Stella willigte endlich gezwungen ein. Unterwegs versicherte sie, sie habe einen grenzenlosen Abscheu gegen alle Hospitäler und war mehrmals auf dem Punkt, wieder umzukehren. Und mit diesem Abscheu betrat sie das Lazareth und die Zelle, in welcher die Sterbende bereits ohne Regung, die abgezehrten Hände über die Decke gestreckt, den Mund geöffnet, die Augen starr nach oben gerichtet, dalag.

Stella wagte nicht, hinzuschauen. Nichts regte sich in ihr von dem, was eine Kindesbrust in solchen höchsten Momenten bewegen kann. Dieses Weib, das da vor ihr, war ihr eine Fremde, war es ihr immer gewesen, und gab es einen Zusammenhang zwischen ihnen, so war ihr derselbe nur eine Aufforderung zur Anklage.

Marion errieth was in ihr vorging. Sie erfaßte ihre Hand. Mit stummer Bitte beschwörend zog sie Stella an das Lager, und diese folgte störrisch, widerwillig.

»Ihre Tochter ist hier!« rief Marion, sich über die Sterbende beugend, Stella's Hand fester umschlingend. Erschreckend fuhr die Unglückliche, die vor Marion's Rückkehr in heftiger Agonie gelegen, bei diesem Ruf zusammen. Sie hob die Hände und tastete nach einer anderen Hand, ohne sie zu finden; sie wandte das Antlitz, starrte mit ihren halbtodten Augen die Tochter an, die grauend die ihrigen senkte. Sie stieß heiserne, unverständliche Worte aus, mühsam die fast bleifarbenen Lippen bewegend.

Marion sah das brennende Verlangen der Sterbenden; sie legte drängend den Arm um Stella's Leib, zerrte ihre Hand auf das Bette. Und die Sterbende haschte danach mit Krampfgewalt, zog sie herab, richtete sich an ihr auf, packte die Schulter der sich Sträubenden, riß sie an sich und drückte mit den kalten Lippen einen Kuß auf ihre Stirn, der Stella einen Angstlaut erpreßte.

»Mein Kind!« röchelte sie, Stella fester umklammernd ... »Vergieb, so wird auch mir vergeben werden!«

Mit eisig durchschauderten Gliedern und geschlossenen Augen, machtlos hatte Stella sich der Gewalt der Sterbenden überlassen; ihr Kuß, wie kalt er war, hatte ihre Stirn wie ein glühendes Eisen berührt. Jetzt aber wichen die Bande von ihr, die Sterbende sank, an ihr herabgleitend, mit einem lauten Röcheln zurück. Doch noch im Tode ihr Kind nicht lassend, verwickelte sich ihr Haar in den Knöpfen an Stella's Brust; sie zerrte die Tochter mit sich hinab und mit vor Angst und Schaudern fliegenden Händen suchte Stella sich zu befreien.

»Marion, hilf!« schrie sie auf. Diese sprang herzu, löste das Haar und beugte sich über die Unglückliche.

»Sie ist todt!« sprach sie, die Hände faltend.

Stella hörte sie kaum. Sie hatte beide Hände vor das Antlitz gelegt. Sich abwendend suchte sie die Thür, schwankte wie im Taumel hinaus und athmete erst unten in der Straße wieder auf. Marion war ihr besorgt gefolgt. Sie hatte mit Erschrecken ihr todbleiches Antlitz, ihr Zittern am ganzen Körper beobachtet und reichte ihr vor der Pforte des Hospitals die Hand, um sie zu stützen. Stella war ihrer Glieder nicht mächtig; ihre Füße versagten ihr den Dienst; sie lehnte sich gegen die Mauer des Hauses.

»Wie furchtbar! Wie entsetzlich!« stöhnte sie. »O, das war ein Zeichen von schrecklicher Vorbedeutung! An ihrem Haar noch wollte sie mich mit sich zerren in das schaurige Grab. Und das trifft immer zu! O Gott, mein Gott, was habe ich denn gethan, daß ich ihr jetzt folgen muß, die sich doch nie um mich gekümmert!«

Marion suchte sie zu trösten, bat sie, nicht so abergläubisch zu sein. Stella nahm keine Vernunftgründe an. Sie wandte schaudernd Marion den Rücken und schritt wie sinnberaubt die Straße entlang. In ihrer Wohnung warf sie sich auf das Bett und brach in lautes Weinen aus. So lag sie eine Stunde, bis sie endlich den Eindruck dieser grauenhaften Scene überwunden.

»Wenn ich denn doch bald sterben muß, so ist mir jetzt Alles egal!« rief sie, wie aus wüstem Traum aufspringend. »Und sterben muß ich, denn dieses Zeichen ist stets untrüglich! ... Heute soll man mich lustig sehen!« ...

Juliane fand sie in ihrer Aufregung.

»Was ist Dir? Hast Du auch schon gehört?« fragte sie. »Es sind tolle Geschichten, die da passiren!«

Stella schaute sie verwirrt fragend an, in ihrer Fieberstimmung aus alles gefaßt.

»Moritzsohn ist in Hamburg erwischt worden, als er eben auf das Schiff gehen wollte. Deine Freundin Frau Blume ist heut als Giftmischerin eingebracht worden und mit ihr ihre Gesellschafterin, die berüchtigte Baronin von Wolffen. Sie sollen Beide schon eingestanden haben.«

Stella hörte zerstreut. Sie antwortete nicht.

»Und dann ist noch was passirt. Fürth ist heute Morgen gestorben. Einer seiner Freunde erzählte es mir. Aber mach' Dir keine Angst! Seine Frau will die Geschichte nicht bekannt haben. Um den öffentlichen Skandal zu vermeiden hat sie aussprengen lassen, ihr Mann sei mit dem Pferde gestürzt. Todt ist er ja einmal, und glücklich sollen die Beiden auch nicht mit einander gelebt haben, denn er hat ihr schon den größten Theil ihres Vermögens durchgebracht!«

Stella war erschüttert, aber sie empfand keine Reue, viel eher eine boshafte Genugthuung. Fürth war todt ... und durch ihre Hand! Das war die gerechte Strafe des Himmels! ... Und Constanze als Mörderin ihres Gatten eingebracht ... O, die war immer schlecht gewesen! ... Auch sie hatte ihre Strafe! ... Aber ihr ward's doch bange; ihr war's, als gehe es da an eine Abrechnung, in der auch an sie die Reihe kommen könne.

»Geh nur, geh! Wir finden uns heut Abend!« rief sie mit fieberhaftem Aufeinanderschlagen der Zähne, und kaum war Juliane fort, als sie sich hastig auszog und sich vor dem Schicksal wieder im Bett versteckte.

* * *


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