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12.

Carl, der zur Hochzeitsreise bei Beginn des Sommers ausgereist, kam im Februar ohne Weib wieder heim.

Er war bleich, unsicher, schlaff, und erzählte Denen, die ihn fragten, seine Gattin habe in Folge schwerer Erkrankung noch in dem milden Klima bleiben müssen, er werde sie zurückholen, wenn der Sommer komme.

Die schönen Räume seiner Bureaux standen geschlossen und leer; eine trostlose Oede empfand er in der so luxuriös eingerichteten Wohnung, in die er bei der Rückkehr von der Hochzeitsreise sein junges Weib hatte führen wollen.

Das war das Eheglück, das er an ihrer Seite geträumt! Und, unglaublich genug, das Vermissen ließ ihn jetzt Alles, ganz wie Stella behauptet, in milderem Lichte betrachten! Ihm war Alles viel schlimmer erschienen, als es gewesen, hatte Stella ihm beim Abschied vorgeworfen; seine Eifersucht thue ihr schreiendes Unrecht, hatte sie in ihrem Unmuth so oft geklagt.

Er wäre unterwegs schon im Stande gewesen, umzukehren und ihr abzubitten, denn er hatte keine Beweise einer wirklichen Schuld. Er war ja zu träg, zu feig gewesen, diese zu suchen. Sie war eitel, wie jedes Weib, sie legte so viel Gewicht darauf, bewundert zu werden, und wie oft hatte sie ihm versichert, sie putze sich nur um seinetwillen, um recht schön als seine Gattin zu sein!

Selbst daß er sie einmal auf ihrem Lager vermißt, hatte sie ihm in guter Laune erklärt. Sie hatte im Garten die frische Luft gesucht, und das war Alles gewesen.

Aber er hatte vorwärts müssen. Die oberflächlichste Berechnung ergab eine klaffende Lücke in seinem Vermögen. Er hatte consumirt, was er zur Grundlage seines Geschäfts bestimmt; es standen noch große Summen hier und da, die er jetzt kündigen mußte. Er wollte neue Leute engagiren, sein Comtoir eröffnen, an die Börse gehen. Auch Stella brauchte Geld da draußen; er hatte ihr nur wenig zurücklassen können, und sie sollte nicht darben.

Er suchte seine Mutter auf, die sehr kränklich sein sollte; aber er mußte wie damals mit einer Unwahrheit vor sie treten, um zu motiviren, warum er allein zurückgekehrt. Der Mutter Auge sah durch den Schleier ihrer Thränen schon bei seinem Eintritt, was er ihr zu verhehlen kam. Dieses Auge weinte vor Freude und Kummer, als er sich über ihre Hand beugte, um sie zu küssen. Sie hatte Anfangs kein Wort, denn sie brachte keinen Vorwurf über das bekümmerte Herz; sie hatte kein Willkommen, denn er war ja gegangen, ohne ihr einen Abschied zu sagen – ungehorsam und trotzig.

Als Carl auf und in das verhärmte, bleiche Antlitz schaute, empfand er das, wogegen er gewappnet zu sein glaubte. Diesen Kummer, der in den müden vergrämten Zügen der alten Dame stand, hatte er bereitet.

Als sie seine Hand noch in der heißen ihrigen behielt, zuckte es ihm durch die Nerven, er senkte das Auge.

Frettchen, die bei seinem Eintreten wie damals zu den Füßen ihrer Herrin gesessen und ihn mit schwerer stummer Anklage empfangen, trug ihm einen Stuhl herbei. Er setzte sich neben die Mutter, um ihrem Blick nicht Rede zu stehen. Es sei alles so anders gekommen, er habe Krankheit halber nicht früher zurückkehren können, sagte er, aber er wagte nicht, zu erwähnen, wer krank gewesen.

»Du siehst auch kränklich aus!« kam die Mutter ihm liebreich entgegen. »Nicht wahr. Du wirst jetzt hier bleiben und Deine Pläne, von denen Du sprachst ...«

»O, ich habe ja auch unterwegs Anknüpfungen gesucht und gefunden, namentlich mit dem Hause Norton ...« Carl erröthete, als er die Lüge sprach. »Die Zeitverhältnisse waren bisher auch sehr ungünstig für den Beginn eines neuen Geschäfts.«

Die Mutter schwieg. Beiden war es versagt, ein Thema zu berühren, das die Ursache ihrer Entfremdung, das sie für immer trennte. Jenes fromme, heilige Vertrauen, das zwischen Mutter und Sohn geherrscht, war zerstört und die erstere sah mit Herzeleid, was ein Weib aus dem Sohne zu machen im Stande gewesen, in dessen gutherzigem Charakter sie den Trost für ihr Alter erhofft.

Carl schied von ihr, ohne daß ein Wort jener altgewohnten Innigkeit und Zutraulichkeit, die der Knabe für die Mutter gehabt, über seine Zunge gekommen, und mit demselben naß verschleierten Auge, mit welchem sie ihn empfangen, schaute sie ihm nach. Frettchen nahm mit einem Seufzer wieder ihren Platz zu ihren Füßen und ihre Stricknadeln klirrten heftiger als sonst auf einander. Sie wußte ja Alles!

Er hatte versprochen, bald und oft wieder zu kommen, wenn er nur die ersten Lasten seines Geschäfts überwunden. Als er hinaus, wälzte sich ihm eine andere Last auf's Gewissen: er empfand erst jetzt, wie sündig er, fortgerissen von seiner Leidenschaft, gegen das Mutterherz gehandelt. Ein Schamgefühl aber, das er sich selbst nicht bekennen wollte, hinderte ihn zu begreifen, daß dieses Herz auch jetzt noch das einmal Geschehene zu vergeben bereit gewesen sein würde, wenn es hätte hoffen können, damit das Glück des Sohnes zu retten. Und endlich ein anderes Ahnungsgefühl, gegen das er selber unbewußt ankämpfte, sagte ihm, daß selbst die Vergebung der Mutter dieses Glück nicht zurückzubringen im Stande sei, wenn es ihm nicht gelinge, ein Verständniß mit seinem Weibe wieder herzustellen.

Ihm war's, als er von der Mutter kam und durch die Straßen schritt, als sei er zehn Jahre fort gewesen. Die Mutter war so alt geworden, und so alt, so müde war auch sein eigen Herz.

Sein Empfinden war so schwerfällig und grau; er meinte, er sei diese zehn Jahre mit seiner Gattin in der Welt umhergezogen, es sei hier Dieses, dort Jenes vorgefallen, und vergebens suchte er nach erlebten freudigen Momenten, denn die allerersten nach seiner Vermählung die lagen in seiner Erinnerung schon so weit zurück, daß sie längst verblaßt waren.

Nur die Bekannten, die ihm begegneten, seine Schulfreunde, gemahnten ihn mit ihren Fragen, daß kaum ein Sommer, und noch kein Winter über seine Ehe dahingegangen. Auf die Frage nach seiner Gattin hatte er für Jeden eine Ausrede, eine Unwahrheit, wie für sich selbst, wenn er sich einredete, es werde ja Alles doch wieder gut werden.

Er ging an seine Geschäfte, aber er wußte nicht, wie und was beginnen. Stella hatte ihn oft empfinden lassen, er sei ja nur ein Kaufmann, und er war selbst das nicht einmal! Er hatte nichts gelernt. Die großen Contobücher lagen bestaubt auf den Pulten, wie sie seine Leute zurückgelassen, als sie, des Nichtsthuns müde, andere Engagements angenommen. Es stand nichts darin als das ihn beschämende Datum seiner Geschäftseröffnung. Es waren lauter leere große Blätter, die ihn angähnten.

Er dachte zurück an die Zeit, da er neben Blume, seinem Meister, saß, und doch nichts lernte, denn nach seiner Idee damals bewegte sich das große Industrie-Werk seines Vaters von selbst vorwärts wie der Wind, wie das Wasser eine Mühle treiben, und er brauchte, wenn er mündig, nur an der Spitze zu stehen, um die Anderen arbeiten zu sehen.

Blume ... Der Name ergrimmte ihn wieder. Blume hatte ihn um Alles gebracht, hatte sich auf seinen Schultern zu einer großen Stellung, zu Reichthum verholfen. Blume habe sich auch verheirathet, die Aerzte aber hätten ihn in ein wärmeres Klima geschickt; es sei ihm schlecht bekommen, daß er auf seine alten Tage noch ein Mädchen von zweifelhaftem Ruf geheirathet, so sprach man auch hier, und mit so ironischem Lächeln. Das war die Nutzanwendung von Blume's eigenen Lehren; er selbst trug jetzt die Folgen davon.

Carl fühlte sich unheimlich in den todten Räumen; nicht minder aber in seiner daranstoßenden Wohnung. Er hatte den Nerv verloren, hatte ihn vielmehr niemals gehabt. Man hatte ihm einen neuen Buchhalter empfohlen, und den zu engagiren ging er aus.

Der Buchhalter setzte sich auch hinter die leeren Contobücher. Er begann mit seinem Chef lange Unterredungen über die Art und Weise der Geschäfte, die zu beginnen. Carl gab ihm seine Vollmachten; der Mann erschien ihm brauchbar, denn er sprach sehr ungünstig über Blume, von dessen Geschäftsführung man ein den hochgespannten Erwartungen so wenig entsprechendes Resultat voraussehe, daß Moritzsohn sich herausgezogen und Nowinkow schon darauf laure, die übrigen Aktien für einen Spottpreis aufkaufen zu können.

In den Wirthshäusern suchte er seine alten Freunde auf. Er sprach zu ihnen mit Enthusiasmus von seiner kranken Frau, von der er fast täglich zärtliche Briefe erhalte, und man hörte ihn schweigend an. Zuweilen begegnete er dabei wohl einem ungläubig oder mitleidig fragenden Blick, denn seine Heirath mit Stella hatte während seiner Abwesenheit manches zur Sprache gebracht.

Er hörte von Lenning, ihrem Vater sprechen. Der Unglückliche war wirklich abermals in eine Criminal-Untersuchung verwickelt. Er glaubte jetzt Stella's Abneigung gegen die Rückkehr zu verstehen. Es war ja immerhin ihr Vater!

Er begegnete Herrn von Fürth, der an ihm vorbeiritt, ihn wohl erkannte, aber nicht bemerken wollte. Stella hatte ihm auf der Reise von Turin nach Nizza anvertraut, dieser Fürth habe sich in der Schweiz Vertraulichkeiten gegen sie erlaubt, als er, Carl, sie immer allein gelassen und in den Spielsälen gesessen. Sie habe ihn mit Entrüstung von sich gewiesen.

Er besuchte seinen Freund, den Sohn von Auers Nachbarhof, der jetzt seines Vaters Gut verwaltete. Dieser empfing ihn ziemlich kühl; er sei im Begriff, in die Stadt zu fahren. Er sah bei dieser Gelegenheit Helmine von Auer in ihrem Garten stehen. Sie erkannte ihn nicht und dankte seinem Gruß aus der Ferne sehr gleichgültig. Der alte Major von Auer sollte noch immer kränklich sein.

Er traf Juliane auf der Promenade. Sie war nicht mehr in so großer Toilette. Sie erzählte ihm, ihre Verlobung habe sich zerschlagen, da die Eltern ihres Geliebten gegen diese Heirath gewesen. Sie suche jetzt ein neues Engagement, was so schwierig, und müsse inzwischen verkaufen, was sie habe. Sie habe Stella noch vor ihrer Rückreise bei dem großen Wettrennen gesehen. Dieselbe habe eine Reise nach Rom und Neapel vorgehabt.

»Ihr müßt jetzt eine recht glückliche Ehe führen!« lachte sie. »Wenn Du Dich übrigens langweilst, besuche mich einmal; aber Du darfst nur Nachmittags kommen.«

Carl hatte während der verstrichenen Wochen kein Zeichen von Stella erhalten, selbst nicht, als er ihr das gewünschte Geld gesandt. Diese Nachricht von ihr beunruhigte ihn von Neuem.

Seine Mutter hatte mehrmals nach ihm gesandt und er war auch gekommen. Die alte Frau hatte sich umsonst bemüht, sich sein Herz wieder zu erschließen. Er kam mit Unruhe und schied mit derselben. Seine Geschäfte gingen gut, hatte er sie getröstet.

Dieselbe Unruhe begleitete ihn überall. Sie wuchs in seinem Gemüth, sie raubte ihm den Schlaf, machte ihn unfähig, auch das geringste Geschäft in seinem Kopf zurechtzulegen. Die Aufregung, in der ihn seine Ehe hin und her geschleudert, war ihm ein Bedürfniß geworden.

Das Alleinsein folterte ihn, die Kühle, mit der man ihn überall behandelte, machte ihn menschenscheu. Er vermied es endlich sogar, seinem Buchhalter Rede zu stehen, machte ihm in seiner steten Fieberstimmung Vorwürfe, wenn ein Geschäft fehl schlug, sprach über die kaufmännisch widersinnigsten Dinge und nahm endlich mit innerer Zufriedenheit sein Entlassungsgesuch an.

Der Mann war ihm schon lästig geworden; er schien ihm durchaus nicht so befähigt wie er sich selber glaubte; er konnte nur einen ganz ausgezeichneten Procuristen mit weitem und sicherem Blick gebrauchen, sonst gar keinen.

Das Letztere war ihm sogar am liebsten. Er bildete sich selbst ein, er suche einen neuen Buchhalter, fand aber keinen, weil er sich nicht darum bemühte.

Seine Räume verödeten wieder, die wenigen Bekannten, die ihn aufsuchten, fanden ihn nicht zu Hause. Die Geschäfte, die er gemacht, waren ohne nennenswertes Resultat, einzelne sogar mit Nachtheil abgewickelt. Carl saß jetzt stundenlang in seiner verschlossenen Wohnung, die Stirn in der Hand; er war nicht aufgelegt, sich mit Anderen zu unterhalten. Er fand keine Anknüpfung in der Gesellschaft, wollte sie auch nicht. Er besuchte Juliane mehrmals, fand keinen Geschmack an ihren Verführungskünsten, weil ihm Stella immer als das einzige begehrenswerthe Weib vorschwebte, ließ sich von ihr anborgen und kam nicht wieder, als er einmal Marion bei ihr begegnet, die ihm vorgeweint, sie sei das unglücklichste Geschöpf, da sie vor der ganzen Welt als Diebin dastehe. Seit auch Lenning, ihr einziger Freund und Helfer, wieder eingezogen worden, bleibe ihr nichts übrig, als auf die Straße zu gehen, aber auch das sei ihr unmöglich, da sie ihre Niederkunft erwarte.

Diese beiden Mädchen hatten ihn angeekelt, denn die streng sittsame Erziehung unter den Augen der Mutter hatte eine entschiedene Abneigung gegen alles Gemeine in ihn gelegt. Er hatte schon Stella nicht begriffen, daß diese an der Riviera sich mit Juliane eingelassen. Sie wolle ihm doch Manches von seiner Frau erzählen, hatte Juliane ihm bei seinem letzten Besuch gesagt. Aber er kam nicht wieder; er wollte sie von dieser feilen Person nicht verunglimpfen lassen ...

So ward es Frühling. Stella hatte durch den Telegraphen noch mehrmals Geld verlangt und erhalten. Von seinen Geschäften war keine Rede mehr; die Besuche bei seiner Mutter waren seltener geworden. Sie wartete schon seit Wochen auf ihn vergeblich.

Carl hatte keine Ruhe mehr. Der erste warme Sonnenschein machte ihm das Herz wieder groß und weit; er begrüßte ihn wie einen längst im Stillen ersehnten Boten, der ihn aus unerträglichem Bann erlöse. Sein Vermögen war flüssig gemacht und bei einer Bank deponirt. Es war sehr geschmolzen, aber es gewährte ihm noch immer die Mittel zu einer anständigen Existenz. Er war kein Kaufmann wie die anderen, die täglich nach dem Pfennig jagten; er hätte es nur sein können als Chef des großen Fabrikhauses, als welchen er sich als Kind schon gesehen, als Brodherr Tausender von Arbeitern, denen seine Buchhalter ihre Löhne auszahlten. Andere trugen die Verantwortung dafür, daß er es nicht geworden.

Er hatte seine Wohnung und Comtoir bereits gekündigt unter dem Vorgeben einer großen Geschäftsreise nach England. Eines Morgens also schrieb er seiner Mutter einen Brief in diesem Sinne, versprach in einigen Monaten zurück zu sein, und reiste ab mit frohem, erwartungsfreudigem Herzen. Die Mutter empfing den Brief ohne Ueberraschung. Sie hatte längst geahnt, was geschehen werde, denn sie wußte mehr, als Carl fürchtete. Juliane war Frettchen, ihrer Schwester, eines Tages begegnet und hatte dieser von Stella erzählt.

Frettchen hatte das tief im Herzen vergraben, aber nach und nach, brockenweise hatte das arme blutende Mutterherz es dennoch erfahren und Frau Holstein wußte also, wohin den unglücklichen Sohn sein Schicksal wieder fortreiße.

»Es ist eine räthselhafte, dämonische Gewalt, die das Weib über den Mann zu üben vermag,« seufzte sie, das Antlitz im Taschentuch bergend. »Die Feilheit einer Dirne ist oft im Stande, den Tempel des Familienglücks zu verschütten, an dem Generationen mit rastlosem Fleiß gebaut, und was die zärtlichste Mutterliebe in das Herz des Knaben gelegt, das zertritt ihr gottloser Fuß, ihn und die Seinen mit Schmach und Schande beladend.« ...

* * *


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