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10.

Carl hatte bereits Tage der düstersten Seelenstimmung. Hundertmal hatte sich ihm ein Schimmer des Bewußtseins aufgedrängt, daß er der willenlose Spielball seines Weibes. Es hatte auch Scenen zwischen ihnen gegeben, aber er hatte den Kürzeren dabei gezogen und war, eh' der Abend kam, zu der Einsicht bereit, ihr Unrecht gethan zu haben.

Das Gefühl blieb ihm allerdings, daß er der Gesellschaft gegenüber eine unwürdige Rolle spiele, aber welche Waffen besitzt der Mann, wenn ihm von Anfang die moralische Kraft fehlt, des Weibes oft so unselige Instinkte zu meistern, zu bändigen? Und wie oft reicht selbst diese Kraft aus? An sie geschmiedet durch den Spruch der Kirche, fühlt er den eisernen Druck der Kette, mit der ihr Leichtsinn spielt; sein Name trägt den Fluch der Lächerlichkeit, der ihm anhaftend bleibt, wenn er die Kette zerreißt. Sein Name, seine Ehre sind selbst noch die Opfer eines einzigen thörichten Schrittes zum Altar so lange bis es den Untersuchungen, den Formalitäten, dem Befinden und den endlichen Beschlüssen der Gerichte gefällt, jenes Band wieder aufzulösen, das die Kirche gesegnet. Straflos häuft sie während dieser Formalitäten, die oft endlos, aus Haß und Rachsucht noch den Koth auf seinen Namen und wird derselbe ihr für die Zukunft abgesprochen, bleibt nicht dennoch an ihm der Fluch der Lächerlichkeit?

Carl ging so weit nicht in seinen Erwägungen, denn er hatte nicht einmal den Muth des Gedankens an die Trennung von einem Weibe, das er liebte, dem er einmal grollte und zehnmal vergab, von dessen wirklicher Schuld er nicht einmal eine Ahnung hatte, da sie seine Kurzsichtigkeit immer zu täuschen verstanden.

Er hatte auch nicht den Muth, diese Schuld für möglich zu halten. Stella war leicht, war eitel, vergnügungssüchtig in seinen Augen; er machte sich selbst den Vorwurf der Schwerfälligkeit und Trägheit, in der er dem Drange, dem Fluge ihres leichtlebigen Herzens nicht zu folgen vermochte; er suchte Entschuldigung für sich selbst, wenn ihm so Manches lästig, was ihr ein Bedürfniß, und wenn seine Stimmung dennoch oft eine so gedrückte ward, daß es ihm war, als umschlichen ihn unsichtbare Dämonen, die ihn am Haar, an den Füßen zerrten, ihm das Herz zu unruhigen Schlägen aufjagten, wenn er allein, wenn Stella sich ihres Lebens freute, so geschah das, weil er sich düstere Vorstellungen von der Zukunft machte, denn selbst die Gegenwart gehörte ihm nicht einmal.

Es war seiner fernen Mutter Stimme, die er zuweilen zu hören meinte, wie sie rief: Carl, Carl, es kann nicht so fortgehen! Was Du besitzest, gewann der Fleiß, das Genie deines so früh dahingeschiedenen Vaters, und du giebst es hin, gedankenlos, sinnlos! Kehre heim! Sieh, die großen und schönen Räume, in denen du der Welt zeigen wolltest, daß deines Vaters Geist auch in dir, sie stehen verödet, deine Leute haben sie aus Ueberdruß verlassen und andere Stellungen gesucht, und was soll aus dir werden, wenn du nicht zu erwerben verstehst!

Oft dachte er also daran, heim zu reisen. Aber er wagte es nicht, Stella zu beunruhigen, die von ganz anderen Zielen sprach. Er wagte es auch nicht, ihrer Verschwendung eine Mahnung entgegen zu setzen, denn er selbst hatte große Summen vergeudet, ohne eine Befriedigung davon zu haben, und Stella konnte ihm denselben Vorwurf machen.

So ließ er's gehen in seiner Trägheit, bis sie ihn zu seiner Freude mit dem Verlangen der Weiterreise überraschte. Sie wollte die Berge sehen, die da drüben herüber ragten; es mußte dort schöner sein als hier.

Und Stella begann jetzt, mit ihm die Cantone zu durchziehen. Sie hatte keine Ruhe. Nur als ihr in einem der Thäler Hermann Greif, derselbe junge Maler begegnete, dessen Atelier sie daheim öfter besucht, um ihm zu seinem Bilde »die Königin von Arabien« Modell zu stehen, fühlte sie sich aufgefordert zu bleiben.

Er war so unterhaltend, und wenn Carl zu faul, zog sie allein mit ihm auf die Berge – es war ja der Führer dabei und also keine Gefahr.

Was der junge Künstler zeichnete, sah so ganz anders aus als was Helmine damals hier geleistet; er malte sie selbst im Touristen-Costüm und gab ihr einige Aquarellen, in denen sie die Hauptfigur spielte.

Greif zog heimwärts; er hatte ihr erzählt von all den Schönheiten der Natur, die dort im Süden vor ihr lagen. Sie wollte sie sehen, immer in demselben unruhigen Drange.

So kam sie eines Tages in ein groteskes Alpenthal, in dem schäumend der Gebirgsbach sich über Klüfte, Schründe und Felsstufen herabgoß. Hier wollte sie verweilen, wollte ausruhen in den traulichen Hütten und dann den Weg über die Alpen nehmen, denn der Herbst kam bereits.

Carl fühlte sich ermüdet, verstimmt; das rastlose Umherziehen ward ihm lästig. Er suchte nichts, sie Alles. Die Riesenberge umher erdrückten ihn; er kam sich so klein vor und sein Herz war immer so bange erregt; er fürchtete, daß Stella sich langweile, denn sie fühlte wieder ihre Nerven. Sie bestieg eines Morgens allein, nur von dem Führer begleitet, eine der hohen Matten, von der die Aussicht so herrlich sein sollte.

Bequemer sollte der Aufstieg von dem jenseits der Alpe gelegenen Dörfchen sein, doch Stella kannte keine Hindernisse; der Umweg durch das schmale Felsenthal war ihr zu weit.

Nach stundenlangem Klettern stand sie oben vor einer Sennhütte. Sie schaute umher, überrascht, mit wildem Auge und pochendem Herzen.

Das Alles erschien ihr so bekannt; das Alles mahnte sie an eine vergangene Zeit. Jener schroffe Fels, jene gabelförmigen Zacken, zwischen denen sie auf der schmalen Matte schon einmal die Ziegen hatte umherklettern gesehen, und diese Hütte vor ihr, und dahinter auf ansteigendem Bergrücken die Alpenrosen ...

Sie legte die Hand an die heiße Stirn, während der Führer abseits auf einem Felsblock saß und sein Frühstück verzehrte. Sie schaute hierhin und dorthin. Ein Frösteln durchwehte ihr Herz. Das war offenbar der scharfe Wind, der über die Matte blies, sich in ihren Kleidern verfing, ihre Glieder kältete, und doch war's auch in ihr so bewegt.

Plötzlich vernahm sie Stimmen. Von der entgegengesetzten Seite sah sie einen Herrn mit einem Führer auf dem Plateau erscheinen ... Ein Alpengespenst, das die Erinnerung ihr vorspiegelte! ... Und es stieg doch weiter herauf mit langem Schatten vor sich ...

»Erwin!« rief sie erschreckend, erzitternd. »Er und gerade hier

Sie stand wie erstarrt. Der Wind spielte mit ihren Kleidern, ihrem Haar. Dann plötzlich, bleich, mit fröstelndem Herzen und eiskalter Haut, eilte sie, einer unwillkürlichen Eingebung folgend, auf ihn zu. Ohne ihn zu begrüßen erfaßte sie seine Hand, die er überrascht, erschreckt, ihr zu wehren Miene machte.

»Erwin!« rief sie heiser und so wild erregt, daß er sie betroffen anschaute. »Erwin, Du! ...«

Sie blickte scheu umher, sah, wie der andere Führer sich gleichgültig zu dem ihrigen gesellte, packte dann fest Erwins Hand und zerrte ihn gewaltsam mit sich vor die Sennhütte.

»Erwin!« wiederholte sie, während er, noch erschöpft vom Aufstieg, seine Hand so eisig umklammert fühlte und betroffen durch ihre Heftigkeit, mechanisch sich hatte fortziehen lassen. »Erwin, kennst Du diese Stätte

Sie ließ seinem Gedächtniß Muße, sich zurückzurufen was sich so jäh und vernichtend dem ihrigen aufgedrängt; sie glaubte, auch ihm müsse die Erinnerung wie ein Donnerschlag kommen. Und als er, zwar verwirrt, überrumpelt durch ihr stürmisches Thun, aber empfindungslos dastand, empfindungslos auf die Hütte schaute, wie er jeden andern ihm gleichgültigen Gegenstand angeschaut haben würde, dann plötzlich lauschend und besorgt sich abwandte, als habe er Wichtigeres zu thun als diese elende Baracke anzublicken, preßte sie, seine Absicht mißverstehend, seine Hand, zerrte an seinem Arm und schüttelte ihn heftig.

»Hörtest Du, was ich Dich fragte?« rief sie, sich zu seinem Ohr erhebend. »Hörtest Du keine Mahnung in Deiner elenden Seele? Gellt Dir nicht der Sturm in den Ohren, der uns dort hinein jagte? Siehst Du nicht vor Dir jenes arglose, vertrauende Kind, das Schutz suchend und zitternd vor dem über diese Höhe tobenden Orkan Dir dort hinein folgte, das zagend und bebend, durchnäßt und frierend sich an Deiner Brust erwärmen ließ, an einem Herzen, das es treu und ehrlich glaubte?

... »Erwin!« Sie umklammerte mit steigender Heftigkeit seinen Arm, ihre Stimme drang aus gefolterter Seele, denn hier oben, angesichts dieser Hütte mahnte sie das Gewissen an die erste Schuld, es rief ihr in der feierlichen Stille, umringt von den majestätischen Offenbarungen der großen Gottesnatur, das Bewußtsein in die Seele, daß jener erste Fehltritt sie auf die Bahn der Sünde geführt, und ihre Angst vor diesem Erkenntniß suchte nach einer Rechtfertigung.

Und der Mann, um dessen Willen sie gefehlt, ihr Verderber, stand so fühllos neben ihr! Die Hand des Schicksals hatte Beide wieder an die Stätte geführt. Sie betrachtete sich nicht wie seine Mitschuldige, sie war sein Opfer gewesen. Die Angst in ihr stieg vom Herzen zum Gehirn, als sie ihn so stumpf, so gleichgültig sah.

»Erinnerst Du Dich,« rief sie mit von Blut gefüllten Augen, »erinnerst Du Dich des Geiers, als wir so glücklich drüben über die Berge kletterten, dem wir zuschauten, wie er in seinen gewaltigen Griffen ein Lamm auf jene Höhe trug und es vor unseren Augen zerfleischte? ... So thatest auch Du, als Du mich hier heraufschlepptest, obgleich der Sturm bereits drohte!« Dort in jener Hütte wolltest Du mir Schutz bereiten, so sagtest Du. Dort hinein aber schlepptest Du Dein Opfer! Du belogst es zum hundertsten Mal mit den heiligsten Schwüren ewiger Treue, Du lulltest es ein in falschen, wonnigen Glauben, und dann, als es ermattet und vertrauend in Deinen Armen lag, zerfleischtest Du es wie jener Geier! ...«

»Erwin, Elender!« schrie sie auf, als er sich überdrüssig von ihr los zu machen suchte und in steigender Unruhe seitwärts dahin schaute, wo er heraufgestiegen. »Gemahnt Dich hier nichts an die Bubenthat, mit der Du ein ganzes Menschenleben zertrümmertest? Du behandeltest mich drüben in Axenstein wie eine Dirne aus Furcht vor ihr; wer aber hatte das erste Recht, Dein Weib zu sein, sie oder ich? ...«

Erwin, in steigender Verwirrung, hatte sie kaum angehört. Sein Blick war abgewandt. Er machte sich plötzlich gewaltsam von ihr los. Er hatte Stimmen vernommen ganz in seiner Nähe, Stimmen, die ihn zur Gegenwehr aufriefen. Und auch Stella fuhr jetzt erbleichend zusammen vor einem lauten, über das Plateau hin gellenden Lachen, das vom Echo weiter getragen ward. Bleich wie eine Bildsäule stand sie da.

»Aber, Frau Holstein, Sie zermalmen mir ja meinen Mann mit der Lawine Ihres Zorns!« rief Hanna, die eben mit den beiden Hofherren hinter ihr auf der Alm erschienen war und wenige Schritte von ihr, sie lachend musternd, da stand, dann ihr verächtlich, ohne den Haß in ihren Augen zu würdigen, den Rücken wandte und dem aus der Fassung gerathenen Gatten einen gebietenden Wink gab.

Mit einem kalten: »ich bitte!« legte Hanna, ihren Arm in den seinen, führte ihn zurück an den Rand des Plateau und verschwand mit ihm und den Uebrigen.

Regungslos schaute Stella ihr nach. Ihr Auge war geblendet, sie sah die Gruppe nicht verschwinden, denn sie verdunstete vor ihr wie ein Nebelbild. Sie sah selbst Erwin's Führer nicht, wie er an ihr vorüber schritt und seiner Gesellschaft folgte. Minuten lang stand sie noch da. Dann bewegte sie sich schwankend zur Sennhütte, brach vor der morschen kleinen Bank zusammen, barg das Antlitz in den Händen und schluchzte ...

Als sie sich wieder erhob, zog sie den Hut trotzig tief über die Stirn und schritt über die Alm zurück, woher sie gekommen. Schweigend richtete sich der hinter seinem Felsblock ruhende Führer auf und folgte ihr ...

Dieser Tag, diese Begegnung ward der traurigste Markstein in dem Leben des verirrten Weibes. Das heilige Feuer eines besseren Gefühls, das bei dem unerwarteten Zusammentreffen mit Erwin an dieser Stätte noch einmal aufgelodert – vielleicht nur geschürt durch den eigenen Ueberdruß an einer so haltlosen Existenz, die ihr jeden Ruhepunkt zum glühenden Rost machte – die künstliche Flamme war erstickt, zertreten. Sie hatte den Mann nicht zu erwärmen vermocht, in dessen fühllosem Herzen sie höchstens noch Mitleid hätte erwecken können, und das Weib, gegen das sie einen Kampf hatte aufnehmen wollen, der schon verloren als sie, auf Erwin's Sinnlichkeit rechnend, ihn so thöricht begonnen, dieses Weibes Fußtritt hatte sie heute erdulden müssen angesichts ihres Gatten und der Kavaliere, die ihr mit gleicher Nichtachtung den Rücken gewendet ...

Unten im Thal fand sie Carl, der die Zeit verschlafen und sie vergeblich auf den Bergen gesucht hatte. Sie war in einem Humor, der ihn erschreckte. Sie fiel ihm um den Hals, liebkoste ihn, betheuerte ihm, er sei der liebste, beste Mensch auf der Welt, und fand kein Ende in ihrer Zärtlichkeit, bis sie sich befriedigt zurück auf das Lager streckte, die Hände unter dem Kopf faltete und erzählte, sie habe da oben mit dem Berggeist gesprochen; der habe ihr gesagt, das Leben der Menschen da im Thal sei so furchtbar dumm, daß es nicht lohne, sich auch nur eine Sekunde lang Sorge zu machen. Und das wolle sie auch nicht mehr.

»Aber wann hast Du denn Sorge?« fragte Carl erstaunt lachend.

»O doch! Ich denke zum Beispiel heimlich immer an Deine Geschäfte, zu denen Du gar nicht kommst.«

»Wer ist Schuld daran?«

»Ich sicher nicht! Hattest Du nicht mit Herrn Norton in London etwas Geschäftliches verabredet?«

»Allerdings, er wollte mir schreiben.«

»Das hat er auch gethan! In Axenstein langte ein Brief von ihm für Dich an. Er muß noch in einer meiner Roben stecken. Ich öffnete ihn für Dich und vergaß ihn dann, weil Du ja auf ihn böse warst.«

»Was schrieb er? Warum sollt' ich ihm böse sein? Du hast mir ja Alles erklärt.«

»Er gab Dir ein Rendezvous in Nizza, da er Dich in Trouville nicht antreffen konnte. Es hängt nun von Dir ab ...«

»Es liegt mir allerdings daran, mit einem so wichtigen Hause in Verbindung zu treten. Norton hat Comtoire in Indien und der Havana.«

»Darüber kann ich nicht urtheilen. Ich mußt' es Dir nur sagen. Wir finden ja den Brief noch.«

Stella's Gedanken waren wie eine Magnetnadel im Sturm herum gegangen. Sie suchte in der Oede ihres Bewußtseins nach einem neuen Halt.

Norton hatte ihr in Trouville gesagt, er werde in Nizza sein; sie hatte versprochen, ihn dort zu sehen. Der Herbst kam; der Wind war heute schon so scharf auf der Höhe gewesen. Sie lenkte also ihren Gatten an dem richtigen Gängelband dorthin – durch seine Geschäfte. Und Carl begann jetzt, auf's ernstlichste an diese zu denken.

Es war ihm wieder eine Beruhigung, wie damals allerlei Unternehmungen zu projectiren, und welchen Effect mußt' es in der Geschäftswelt machen, wenn er in so enger Beziehung zu dem Welthause Charles Norton & Comp. auftrat. Stella lachte heimlich, wenn sie ihn jetzt so grübeln sah. Wie leicht war dieser arme Mann zu täuschen! Noch einen Schritt weiter und sie hielt es nicht mehr für der Mühe Werth, ihn überhaupt noch zu hintergehen.

Die Collisionen, in die sie eine so fessellose Lebensweise mit der Gesellschaft brachte, ließen sie einsehen, daß sie schon außerhalb derselben stehe und daß sie damit auch ihren Gatten auf einen verlorenen Posten gedrängt. Was schreckte sie noch zurück, die Vortheile dieser Stellung auszubeuten!

* * *


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