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7.

Erwin hatte ihr verschwiegen, daß der Aufenthalt des Prinzen nur auf wenige Tage berechnet sei. Er überraschte sie erst in der Stunde der Abreise durch diese Mittheilung. Der Prinz gehe nach der Schweiz und werde den Winter in Italien verbringen.

»Ich folge nach!« antwortete ihm Stella mit mehr Gleichgültigkeit, als er erwarten konnte. »Ich will auch in die Schweiz, obgleich dieses Land mir keine angenehme Erinnerung ist. Wir begegnen uns wohl jenseits der Alpen, denn ich gestehe, ich habe wenig Lust, nach Deutschland zurückzukehren.«

Sie trennten sich. Stella war enttäuscht. Der Prinz hatte am Strande nur flüchtig Notiz von ihr genommen und so seltsam gelächelt, als er ihr in ihrem Bade-Kostüm begegnet und mit ihr gesprochen.

Die Gesellschaft hatte sie mehrmals mit Erwin gesehen, Carl nicht, denn der spielte im Club Baccarat, das ihn ganz und gar in Anspruch nahm. Man hatte sie aber auch mit einem Anderen gesehen, einem hochgewachsenen hübschen Blondin mit wasserblauen Augen, Henry Norton, der hier sehr bekannt war, weil er von drüben den Kanal mit seiner Dampfjacht zu befahren pflegte, und seitdem war ihr Erwin gleichgültiger geworden.

Norton war der Sohn des Hauses, in dessen Comtoir Carl in London untergebracht worden. Er hatte sich mit letzterem früher nie viel beschäftigt, sich aber kürzlich an ihn geschlossen, als er die schöne junge Frau an seiner Seite gesehen, und er auch war es gewesen, der ihr die Frage zu stellen gewagt, wie sie einen so einfältigen Menschen habe heirathen können.

Stella hatte sich dadurch keineswegs beleidigt gefühlt; sie hatte Norton also auch nicht gezürnt, auch seine Huldigungen, die er ihr insgeheim brachte, nur sehr lau zurückgewiesen, während sie Carl gerade vor den anderen Freunden gewarnt hatte.

Jetzt war ihr Norton wieder begegnet, als sie mit den Damen eben aus den Wellen stieg. Seine Jacht lag drüben; seine Matrosen, junge hübsche Bursche in Jersey-Jacken, ruderten den hohen, interessanten Mann mit dem im Winde flatternden langen, sonnig blonden Bart, aufrecht stehend wie ein Lohengrin, an's Ufer und Norton, als er den Strand betrat, ward von den Kavalieren, die ihn kannten, mit einem Hurrah, von den Damen, die sich nur zum Theil in den weichen, wollenen Haïk gehüllt, mit großer Neugier empfangen.

Als er Stella unter diesen erkannte, wie sie, eine noch vom Salzwasser triefende Najade, auf ihn schaute, trat er freudig überrascht heran. Er sagte ihr in deutscher Sprache die größten Artigkeiten, welche die Anderen nicht verstanden, während sein warmes blaues Auge an ihren Conturen hinabglitt. Er fragte nicht nach ihrem Gatten und schaute ihr so vertraut in's Antlitz, als sei zwischen ihnen drüben jenseits des Kanals etwas ungesprochen geblieben.

Es war, als verständen sich die Beiden ohne Frage, ohne Antwort, als sei er nur gekommen, um zu begehren was sie gewähre.

Und Stella's Auge leugnete ihm nichts. Sie schaute ihn an mit unwillkürlich in ihrem Antlitz aufflammender Verheißung. Sie trennten sich, um sich wieder zu finden.

Als Erwin ihr an demselben Tage seinen Abschiedsgruß brachte, war sie zufrieden, daß er ging. Sie dachte an Norton, wie heute sein Fahrzeug so stolz zwischen den Sandbänken hindurch steuerte und, mit gellendem Pfiff den Dampf ausströmend, den Anker warf; wie dann die schlanke imponirende Gestalt im Capitäns-Kostüm mit den hohen über das Knie reichenden Wasserstiefeln in das herabgelassene Boot stieg und hoch aufgerichtet von seinen Theerjacken an's Ufer gerudert wurde. All' das hatte etwas grotesk Schönes, das ihre Sinne bestach.

Norton war seit heut Morgen in ihrem Herzen. Er hatte ihr schon drüben gefallen; hier – sie hatte das eifersüchtig beobachtet – war er der gewohnte Liebling der Damen, der Ritter des Strandes, und sie bildete sich ein, er sei nur um ihretwillen gekommen, mindestens habe ihn eine Ahnung von ihrer Nähe hierhergeführt, um sie vor der Langenweile zu retten ...

Die Sonne ging höher, eine erfrischende Brise strich vom Meer herüber. Stella saß auf dem Balkon unter dem Zeltdach und schaute hinaus auf die Wellen, wie diese mit den weißen Schaumkämmen so majestätisch an den Strand rollten.

Es war Alles still, denn es schliefen Die gebadet hatten, auch die, welche die Nacht in geräuschvoller Soirée verbracht. Auf den Dielen war kein Leben, die grünen Fensterläden waren geschlossen.

Stella blickte mit Sehnsucht auf Nortons zierliche Jacht hinaus, sie folgte zerstreut den weißen Segeln der Fischerböte und der Dampfer draußen auf den blauen Wellen.

Er durfte kommen und warum kam er nicht? Ihr Gatte hatte mit den Ehemännern, die in ihre Comtoire oder Büreaux zurückgefahren, den Zug nach Paris genommen. Er hatte Geschäfte dort; sie errieth dieselben.

Carl mußte sehr große Verluste im Spiel gehabt haben; er fuhr zu seinem Bankier und hatte zugleich einige Commissionen für sie mit übernommen.

Ihr war es eine Genugthuung, daß auch er verschwendete; er durfte ihr jetzt kein verdrießliches Gesicht mehr zeigen, wenn er die Rechnungen für ihre Toiletten auf seinem Tische fand. Lieber noch wär's ihr gewesen, wenn er sich einigen verliebten Ausschweifungen hingegeben, z. B. die Avancen angenommen hätte, die ihm die pikante Lodviska, die üppige junge Polin, machte, die fortwährend in Geldverlegenheit und ihren Gatten schon so lange erwartete, der aber wahrscheinlich niemals kam.

Lodviska hatte das schönste Rabenhaar und ein paar jeden in der Liebe nicht ganz streitbaren Mann erschreckende dunkle Augen, aber sie trug eine goldblonde Perrücke über dem schönen Haar und die stand so sonderbar zu der Nacht ihrer Augen.

Aber Carl war eben kein Kavalier, ein ganz gewöhnlicher Dutzendmensch, der es nicht gewagt hätte, einer Dame mit ausgesprochenen Absichten den Hof zu machen. Doch gleichviel, er war jetzt fort und kehrte vor dem Abend nicht zurück.

Norton konnte kommen. Es machte sie nervös, daß er säumte. Sie saß da, das schöne braune Haar ausgekämmt über dem halb entblößten Nacken, denn es ward ja heißer je höher die Sonne stieg.

Sie trug nichts als das gazedünne Hausgewand von indischem Gewebe, und das schmiegte sich so eng und vertraut an ihre Glieder, daß es jede Rundung derselben beschrieb. Sie hatte selbst die Strümpfe abgelegt, und wie sie da auf dem Balkon saß, in ihrer Ungeduld wechselnd ein Knie über das andere legend und die Pantöffelchen balancirend, hätte sie Vorübergehenden das schöne Fußgelenk verrathen ... Aber es ging ja Niemand da drunten, selbst Norton nicht.

Und was war überhaupt hier zu verrathen, wo jeder des Anderen körperliche Tugenden und Schwächen täglich am Strande sah!

Es ist ja immer so: man thut einen Vorhang über die bekanntesten Dinge und der macht daraus ein Geheimniß, von dem die Neugier selbst einen Schimmer zu erlauschen sich müht.

Es ward Mittag. Stella, des Wartens müde, trat in ihren kleinen Salon und streckte sich auf den Divan. Sie dachte an die neuen Toiletten, die der nächste Zug aus Paris bringen mußte. Norton sollte sie in der schönsten sehen. Alle waren sie jetzt für Norton.

Sie schloß die Augen und überlegte, wie schön sie sein werde.

Endlich knarrten die Stufen der Holztreppe. Stella vernahm fremde, wuchtige Tritte. Ihr Herz zitterte. Sie schloß die Augen fester, streckte die Glieder und legte die beiden nackten Arme über den Kopf. Sie wollte schlafend gefunden sein.

Sie hörte nicht, wie die Thür sich öffnete; ihre langen Wimpern bewegten sich nicht, sie verjagte selbst nicht die Wasserfliege, die sich auf ihre Stirn setzte, denn er stand vor ihr; sie wußte es.

Sie erwachte selbst nicht, als zwei Hände die ihrigen vom Haupte lösten und dieselben an einen bärtigen Mund führten; sie seufzte leise, als sich ein Arm unter ihren Leib drängte, und erst als derselbe Mund ihren Hals küßte, als er ihre Lippen suchte, öffnete sie erschreckt die Augen.

»Norton! ... Sie!« hauchte sie aus befriedigter Brust. »Ich bin ja allein; es sollte Niemand ...«

Er sprach nicht. Die frische salzige Meerbrise strich durch die offene Balkonthür und flüsterte in den Gardinen. Draußen rauschte des Meeres großes Orchester und in langen majestätischen Takten schlug die Brandung auf den Sand. Die Möven flatterten in heller Mittagsglut über die öde Uferstraße, der Seeadler zog hoch oben im blauen Aether seine weiten Kreise, die Delphine tummelten sich ungestört in der Nähe des verlassenen Strandes und draußen an der Uferspitze kräuselte sich der Dampf über Nortons Jacht, deren Deck eben klar gemacht wurde zu neuer Fahrt.

Stella hatte sich an seiner Hand erhoben.

»Ich kam, um Sie und Ihren Gatten zu einer Promenade auf meiner Jacht einzuladen. Die Damen hier lieben diese Excursionen namentlich ...« Norton blickte auf sie herab, ihre Hand behaltend und in der Ueberzeugung, aus ihrem Herzen zu sprechen.

»Carl ist nicht da ... er ist in Paris!« rief sie zerstreut und erschreckend vor einem Gedanken, der ihr das Blut aus den Wangen jagte.

Norton beugte sich zu ihr an's Ohr und flüsterte einige Worte in dasselbe. Er führte sie an's Fenster und deutete auf's Meer hinaus.

»Es ist Alles bereit an Bord!« sagte er, ihre Hand drückend. »Morgen werde ich leider in Honfleur erwartet.«

Das Blut kehrte in Stella's Wangen zurück; diese färbten sich hoch. Sie nickte, sich abwendend.

»In einer Stunde!« sagte sie leise und Norton drückte dankend ihre Hand an seine Lippen.

* * *


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