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4.

Die schönste Sommersonne leuchtete einem lustigen Schmetterlingspaar, das über den Kanal zurück nach Frankreich flatterte, zwei glücklichen Neuvermählten, die drüben sich vor einem leicht zugängigen Altar ewige Treue geschworen und heimwärts zogen mit der Absicht, die Honigzeit in Paris zu kosten.

Stella hatte von der Stadt so viel gehört und gelesen, sie war ganz in der Laune, sich in das große Getriebe zu stürzen.

Sie fühlte auch wirklich eine Anwandlung liebevoller Dankbarkeit für diesen Gatten, der ihr in Allem so zu Willen gewesen und ihr auf der Reise jede Unbequemlichkeit mit sorglicher Hingebung aus dem Wege geräumt hatte.

Das war ein Gatte so ganz nach ihrem Bedürfniß. Der las jeden ihrer Wünsche in ihren Augen, war ihr Gemahl, Reisemarschall, Kassirer und selbstloser Begleiter in ihren ausschweifendsten Zerstreuungen.

Carl hatte nie ein Bedenken; er fand Alles recht, was sie wollte, was sie that; ja er war nicht einmal eifersüchtig gewesen, als sie einzelne seiner Freunde in London, denen er sein schönes Weib gezeigt, recht liebenswürdig gefunden, wenn sie ihr, wie sie behauptete, aus Freundschaft für ihn so viel Artigkeiten erwiesen.

Carl sprach wohl von der Notwendigkeit, daheim jetzt seine Geschäfte beginnen zu müssen; indeß er ward nicht lästig damit und meinte es auch nicht mehr so ernst, als sie in Paris das grand Hôtel bezogen.

Das Unglück mußte es wollen, daß sie hier schon nach den ersten Tagen Erwin in der Loge eines Boulevard-Theaters erblickte. Er saß da mit einem anderen jungen Hofkavalier und einigen hübschen Damen, die sehr lebhaft mit der Bühne korrespondirten.

Stella ward unruhig; aber er sollte sehen, wie sie, ganz zufrieden mit ihrem Gatten, keine Notiz von ihm nehme. Sie wollte ihn nicht beachten, auch Carl nicht auf ihn aufmerksam machen. Und doch beobachtete sie mit Genugthuung, wie ihr Anblick ihn überraschte.

Aber wer am unruhigsten von ihnen Beiden, das war doch sie selbst. Sie mußte heimlich hinüber schauen und gewahren, wie er unaufmerksamer gegen seine Damen wurde, aber auch, wie er ihre scheinbare Gleichgültigkeit ebenso zurück gab, und das verletzte sie. Sie wechselte oft die Farbe, zerdrückte den Fächer in den Händen, hörte nicht, was Carl zu ihr sprach und zeigte diesem endlich rücksichtslos ihre Verstimmung.

»Das Stück ist zu dumm! Laß uns gehen! Ich fühle mich nicht wohl ... Es ist so heiß hier!«

Damit zog sie im nächsten Zwischenact Carl hinaus in das Foyer. Dann, als sie hier nicht gefunden was sie suchte, wollte sie soupiren; sie habe Appetit; es sei ihr zu heiß im Theater.

Carl folgte ihr, ohne Fürth bemerkt zu haben.

Draußen vor dem Theater ward sie wieder unschlüssig, sie überlegte und bestieg den Fiaker. Sie begehrte, in ein Restaurant geführt zu werden, wo es recht lustig zugehe.

Carl führte sie in's Café anglais. Hier verlangte sie, daß die Thür ihres Kabinets offen bleibe; sie wollte die Damen mit ihren Kavalieren vorüber kommen sehen; sie sei ja in Paris, um das Leben hier kennen zu lernen, und hier sei das eigentliche pariser Leben.

Es ward Mitternacht. Stella aß wenig, aber sie trank viel Champagner. Es kamen um diese Zeit ganze Züge lustiger Soupeusen mit ihren Begleitern vorüber; es ward lebendig um sie her in den anstoßenden Kabinets und endlich zog auch Erwin mit seiner Gesellschaft vorüber.

Er sah sie nicht, denn sie saßen Beide so still.

Stella war's bei seinem Anblick, als bohre sich ihr ein Stich in's Herz. Diesem Mann hatte sie Alles geopfert, zweimal, denn auch er nur war Schuld, daß sie es mit Richter so weit getrieben. Sie hatte jetzt Ursache, sich glücklich, wenigstens zufrieden zu fühlen, und dennoch war's ihr eben, wie er vorüber strich, als hätte sie auf ihn zuspringen und ihn ... Sie wußte allerdings nicht, was sie mit ihm wollte.

Der Lärm umher nahm zu. Man plauderte, man sang, man lachte; es kamen der Frauen so viele. Die Garçons liefen hin und her, um die Gäste zu bedienen.

Carl that, was er vermochte, sie zu unterhalten, aber sie hörte ihn kaum. Einmal wollte sie fort, dann wieder wollte sie bleiben. Das sei ja das eigentliche Paris, was hier um sie her, wiederholte sie eifrig. Man lebe hier nur in den Nächten, sagte sie immer unruhiger und seinen Blick vermeidend.

Aber ihre Stimmung ward eine aufreibende; ihre Nerven schmerzten. Da sitze sie nun mit diesem Manne allein, meinte sie, während sich umher Alles freue ... Wie kann man mit dem eigenen Gatten sich unterhalten, was sich sagen als Alltägliches, Gleichgültiges! Nur Leute, die nicht mit einander verheirathet, können sich gegenseitig unterhalten.

Sie hatte sich mit dieser Heirath übereilt! Aus alberner Rücksicht gegen die Welt! Was fragte sie nach ihr, und was fragten die Alle hier umher, die so lustig waren, nach der Welt!

Carl war geistlos. Was er sprach, hatte keinen Esprit, keinen Schwung, keinen Duft. Frauen haben immer so viel Geist wie sie brauchen, wenn der Mann ihn nur an's Licht zu fördern versteht. Aber dazu muß man selbst Licht sein, wenigstens haben. Ein dummer Mann ist freilich bequem, aber er ist ja doch nur dumm, um bequem zu sein. Mit welchem Recht war Carl so unbequem?

Sie waren erst seit vier Wochen verheirathet. Heut Abend dünkte es Stella plötzlich, als seien schon vier Jahre verstrichen, denn sie kannte Carl ja schon seit so langer, langer Zeit! Sie erinnerte sich: wie er sie damals als Sabinerin geraubt, hatte er sie an sich gedrückt wie ein Bär, der ein Kind vom Bauernhof gestohlen.

Vom Kavalier hatte er überhaupt nie eine Faser in oder an sich gehabt, während sie doch nahe daran gewesen, durch Fürth hoffähig zu werden, mit demselben, der soeben wieder in ihrer unmittelbaren Nähe ...

Sie warf Carl einen verdrossenen Blick zu, wie er dasaß, so stupid eine Birne schälte und von dem Stück im Theater sprach ... Wie eine so schöne, aufgeweckte Frau einen Tropf wie den Holstein habe heirathen können, hatte ihr schon in London unter vier Augen einer von Carl's Freunden gesagt.

Sie wollte nach Hause, sich zu Bette legen. Das Lachen umher that ihren Nerven weh. Sie hatte auch im Theater von dem Stück eigentlich gar nichts als die Kostüme der Damen gesehen, nur Aufmerksamkeit für das Publikum, für die Frauen namentlich und für die Toiletten gehabt.

Carl war in London unbesonnen genug gewesen, die sociale Stellung der Damen, mit denen die Freunde seine Frau in Berührung brachten, nicht genauer zu prüfen; Stella selbst hatte noch weniger danach gefragt; sie war jenseits des Kanals noch etwas unbeholfen in der Sprache gewesen, aber der eigenthümliche Chic dieser Damen hatte ihr gefallen.

Sie war mit ihnen, begleitet von den jungen Männern, im Hydepark spazieren geritten, hatte mit dieser heiteren Gesellschaft soupirt und es sehr originell gefunden, daß sie im Champagner den Männern sogar überlegen waren. Und der half ihr auch heute, da sie sich in Paris so isolirt fühlte, über den Abend hinweg. Sie trank, als sie mit Carl so einsilbig und verstimmt inmitten der Heiterkeit um sie her dasaß.

Und dabei war's ihr, als stiegen seltsame Reminiscenzen in ihr auf. Gerade so hatte sie es gethan an den einsamen Abenden, die ihrer Trennung von Richter vorangingen. Damals war sie so ganz allein gewesen, bis auf jenen letzten verhängnißvollen Abend; jetzt war sie mit Carl zusammen und ... auch wieder allein!

Sie war Schuld, daß er mit seiner inneren Leere sich heute einen Rausch antrank, und in dem war er ihr schon mehrmals drüben in London unausstehlich erschienen. Er ward sentimental, wenn er etwas im Kopf hatte; er pflegte dann sie mit Thränen in den Augen zu umarmen.

»Geh, Du bist widerwärtig, wenn Du getrunken hast!« rief sie, als er, angefeuert durch die Lustigkeit umher, den Arm um ihren Leib schlang und ihre Lippen suchte. »Es lohnt nicht mehr, die Thür zu schließen; wir wollen gehen. Bestelle die Rechnung.«

Sie drückte ihn fast mit Widerwillen auf seinen Sessel zurück. Carl schaute sie mit seinen weinerlichen, nassen Augen so vorwurfsvoll an, er stützte unsicher die Stirn in die Hand, in das Glas schauend und tiefsinnig den aussteigenden Schaumperlen folgend.

Stella führte das Taschentuch an den Mund. Dann ward's ihr zu heiß. Sie erhob sich, trat einige Schritte zur offenen Thür des Kabinets, dessen Luft ihr unerträglich, horchte verlangend hinaus mit Sehnsucht nach allem Anderen, starrte aber zurück, denn vor der Thür erschien Erwin plötzlich, sie mit seinen großen wilden Augen anstarrend.

Beider Blicke begegneten sich wie zwei feindliche Pole. Stella, entrüstet über sein Erscheinen, stand dennoch wie festgebannt. Ihr Herzschlag jagte, ihre Brust arbeitete, ihr Antlitz brannte, aber bleich wie die Glut des Magnesium.

Erwin lächelte sie an, seine Lippen sprachen stumme Worte, diese Lippen, die wie keine anderen sprechen konnten. Aber ihre Entrüstung stieg. Er, dessen Organ sie deutlich drüben in der Unterhaltung mit trunkenen Frauenstimmen unterschieden, er wagte es, nachdem ...

»Carl!« rief sie, sich entschlossen zurückwendend, den Gatten auf, der mit dem Rücken zur Thür gewandt dasaß.

Aber beschämt sah sie, als die Stirn desselben eben auf den Arm sank, daß sie wirklich allein in seiner Gegenwart ...

Sich aufrichtend, vor dem Schlafenden stehend, als wolle sie ihre Demüthigung verstecken, aber schwerer noch verletzt in ihrem Stolz durch die Schwäche des Gatten als durch die Verwegenheit dieses Mannes, verunglückend in einer imponirenden Pose, deren Lächerlichkeit sie selbst empfinden mußte, erniedrigt in dem Gedanken, sich des gewählten Gatten schämen zu müssen, blickte sie vor sich hin.

Ihre Hände zerrten an dem Taschentuch, daß es mitten durchriß, ihre Lippen preßten sich auf einander. Sie sah nichts, sie hörte nur die schweren Athemzüge des Schlafenden und die jagten ihr Furcht in's Herz angesichts einer Gefahr, deren sie sich nur allzu sehr bewußt.

Sie wollte nicht so dastehen, sie war nicht im Stande, dieses immer heftigere Aufklopfen des Herzens zu ertragen; sie rang nach Athem, hob beide Arme und bedeckte, von aufsteigendem Schwindel erfaßt, die Augen.

Zwei andere Hände zogen leise und bittend die ihrigen vom Antlitz, und sie ließ es wehrlos geschehen. Ein Arm legte sich um ihre Hüfte und sie wehrte auch dem nicht; sie wandte nur, sinnberauscht, am ganzen Körper erzitternd, das bleiche, blutlose Antlitz über die Schulter zurück. Ihr Gehirn schwindelte, ihre Augen waren geblendet, Haut und Herz waren kalt und ihre Pulse hämmerten.

Sie vernahm ihren Namen mit einem Klang, der sie schon so oft berauscht. Sie wand sich in denselben Armen, die wiederholt sie so treulos von sich gelassen, aber sie war ja willenlos. Sie hatte keine Antwort auf das, was ihr sein Athem in's Ohr flüsterte, und es bedurfte einer solchen nicht; des Gatten Schlummer aber war so schwer, daß ihn ein Posaunenstoß kaum geweckt haben würde ...

Carl beging in diesem kritischen Moment ein Verbrechen gegen sie. – So war ihre Ueberzeugung.

Der Unglückliche erwachte erst, als zwei kleine kalte Hände mit krampfhaftem Druck gewaltsam seine Stirn aufrichteten.

Er schaute auf, blickte schlaftrunken in ein bleiches verstörtes Antlitz und sein noch schlafendes Auge fragte erstaunt, wo er sei.

»Du schläfst, läßt mich allein inmitten dieser fremden Leute!« vernahm er die rauhe Stimme seiner Gattin, die bereits ihre Sortie über Schultern und Kopf gelegt und damit absichtlich ihre Coiffure verdeckte.

Ein Mann kann nie häßlicher sein als in dem Zustand. Stella brauchte nicht das erst zu empfinden; sie empfand nur was eben in und mit ihr vorgegangen.

Carl schaute mit glasigen Augen umher.

»Ah, verzeih, Stella!« rief er, sich erinnernd. »Ich begreife selbst nicht! Ich habe doch nicht lange ...?«

Stella antwortete nicht. Sie hüllte sich tiefer in die Sortie. Es fröstelte sie auf Brust und Schultern.

»Geh und zahle die Rechnung! Es ist spät!«

Sie wagte nicht, ihn anzuschauen. Mit kalter Mißachtung aber blickte sie ihm nach, als er sich aufrichtend die Thür öffnete und hinaus taumelte.

Ihr Herz war übersättigt, ihre Nerven erschlafften bis zu furchtbarer Nüchternheit, ihre Glieder waren so frostig und müde, und der Morgen war schon nahe.

Die herabhangend gefalteten fieberfeuchten Hände krampfhaft in einander geklammert, die Augen halb geschlossen, nervös erzitternd vor jedem Geräusch, stand sie da.

Es war nicht die Reue, nur die Frage, wie das Versprechen erfüllen, das Erwin ihr in ihrer Verwirrung abgenommen. Ihr fehlte noch die Schule der Sünde, obgleich sie in derselben doch kein Neuling mehr. Hier auf dem großen, ihr noch ungewohnten Theater derselben war ihr Alles so fremd und was ihr Erwin von demselben zugeflüstert, hatte sie verwirrt.

Morgen! ... fiel es ihr auf's Herz. Aber sie athmete auf. Carl wollte sie morgen nach Charentou hinaus führen, wo er in einer Fabrik Geschäfte anzuknüpfen beabsichtigte. Er konnte ja allein dahinaus fahren; sie fühlte, daß sie morgen sehr abgespannt sein werde.

»Wir wollen gehen! Du wirst auch müde sein, arme Stella!« Damit trat Carl wieder ein.

Sie antwortete nicht. Sie sprach auch nicht mit ihm, als sie um zwei Uhr morgens ihre Wohnung erreichten. Erst als sie sich ausgekleidet, rief sie ihm aus dem Bette zu:

»Du wirst morgen allein Deine Geschäfte abmachen. Ich werde sehr lange schlafen und froh sein, nicht gestört zu werden« ...

* * *


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