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6.

La belle allemande machte allerdings unter der Bade-Gesellschaft in Trouville die Sensation, die sie erwartet. Stella hatte schnell einen Kreis von Damen gefunden, denen sie eine gelehrige Schülerin ward.

Wenn sie morgens am Strande erschien, empfingen die Kavaliere die graziöse Gestalt mit Entzücken, die Frauen mit Scheelsucht; indes sie hatte einen förmlichen Stab von Freundinnen um sich, die sie verwöhnten, eine Art Cultus mit dem jungen Weibe trieben, sich zu Aposteln ihrer Schönheit machten und mit einer gewissen Eifersucht sie in die lustige Flut begleiteten.

Stella galt als die Frau eines reichen Mannes; sie dankte alle ihr erwiesenen Aufmerksamkeiten mit verschwenderischer Hand. Carl bewohnte eins der bestmöblirten Häuschen des an sich so trostlos öden Badeorts, seine Gattin gab opulente Diners bald in diesem, bald in jenem Hôtel, zu denen sich anfangs die Kavaliere vergeblich drängten; sie machte Ausflüge auf das Meer, ließ die ganze Küche des Hôtels in die Schaluppe tragen und bewirthete in derselben wie eine Meereskönigin.

Sie ward, Dank Helminens Unterricht in Auershof, als eine der gewandtesten Schwimmerinnen bewundert, wenn sie sich angesichts all' der geladenen Gäste vom Bord des Fahrzeugs in die Flut stürzte und die Wellen mit den nackten weißen Armen, den makellosen Gliedern beherrschte; sie ließ sich in den Badestunden morgens vor den übrigen Badenden, auf dem Rücken liegend, von den Wellen weit hinaus und wieder zurück tragen und empfing mit dankbarem Lächeln die Komplimente der ihrer am Strande Harrenden, wenn sie die See verließ.

Man sagte ihr nicht allzu viel Geist nach, aber ihr Temperament wirkte so erfrischend, belebend auf Alle. Ob sie tugendhaft sei, darüber war man in den ersten acht Tagen noch nicht einig. Sie hatte noch keine Veranlassung gegeben, an das Gegentheil zu glauben, aber die Gleichgültigkeit, mit der sie ihren Gatten behandelte, gab den Zweiflern die beste Hoffnung.

Auch der Kreis, der sie umgab, war keineswegs wasserdicht in seinen Grundsätzen. Einzelne dieser Frauen wurden fast täglich Abends von ihren Männern besucht, die von Paris kamen nach Schluß ihrer Geschäfte. Andere, mehr oder weniger jung, trugen altaristokratische Titel und Namen; aber sie waren verarmt und was schlimmer, verschuldet. Sie wären gern bereit gewesen, der schönen jungen Fremden hülfreich Gelegenheit zu bereiten, aber sie selbst erriethen noch nicht, wie weit sie diese begehrte. Man wußte hinsichts ihres Herzens nicht, à quoi capable. Sie war ja reich, also konnt' es sich nur um das Bedürfniß ihres Herzens handeln.

Andere dieser Freundinnen hüteten sie wiederum mit sichtbarer Eifersucht; sie waren verliebt in diese anmuthigen Formen, genossen dieselben mit den Augen eines Mannes und drängten sich, ihr bei der Bade-Toilette die verliebtesten Dienste zu leisten.

Selbst die unerschrockensten Kavaliere der Bade-Gesellschaft wagten unter diesen Umständen noch nicht, den Wall zu durchbrechen, der sich so schnell um die schöne Deutsche gebildet, obgleich man doch in Frankreich Ursach hatte, ihre Nationalität zu verabscheuen.

»Eine schöne Frau gehört keiner Nation«, sagten ihre Aposteln.

Indeß schon als die zweite Woche verflossen, hatte Stella das Neue und Ungewohnte ihrer Situation ausgekostet. Ihr ward Alles schnell alt und gleichgültig. Sie begann, launisch zu werden. Jeder hatte alle ihre Toiletten schon gesehen, denn sie war nach der Badesitte täglich dreimal in anderer Garderobe erschienen.

Sie sandte neue Ordres nach Paris. Es waren Damen aufgetreten, die sie im Luxus zu überflügeln drohten, da sie nichts Neues mehr zu zeigen hatte.

Sie ward mittheilsamer gegen ihren Gatten, der hier gar nichts von ihr hatte, denn selbst die Nächte hindurch mußte er mit ihr auf Soiréen, Bällen, Picknicks, sogar gemeinschaftlichen Ausflügen auf das Meer verbringen, um die Mondnacht auf dem Wasser zu genießen.

Ueberdrüssig stahl sie sich eines Morgens in ihrem Badekostüm aus der Gesellschaft fort, suchte eine einsame Stelle am Strand, hinter irgend einem bemoosten Felsblock, oder lagerte sich zwischen den Muscheln, dem Seetang und den Anemonen in den Sand, ließ ihren Leib von den in langer Front heranrollenden Wellen überspülen, schloß die Augen und träumte, während Carl sie vergeblich am ganzen Strande suchte.

Sie langweilte sich. Sie durchschaute die Absicht dieser Damen mit ihrer lästigen Freundschaft. Sie bezweckten offenbar nur, sie abzusperren, zu umzingeln wie eine gefährliche Rivalin, während sie selber sich doch, jede einzeln, von den Kavalieren den Hof machen ließen, die ihr doch mit so verlangenden Blicken begegneten. Sie wollte sie abschütteln ... Alle!

Erwin war Schuld daran gewesen, daß sie hierher gegangen. Er hatte kommen wollen mit dem Prinzen, der auch noch ein junger Mann war ... Auch ihre Mutter war von einem Prinzen geliebt worden ...

Erwin hielt niemals Wort. Aber es war gleichgültig, ob er oder ein Anderer ihr die Langeweile vertrieb.

Carl spielte seit einigen Tagen die ganze Nacht hindurch Baccarat; er glaubte sie so gut aufgehoben inmitten ihres Damenkreises und verlor offenbar viel Geld, denn er war so mürrisch und zerstreut.

Die Lage ward unerträglich. Gab es etwas Oederes, Nüchternes als dieses Ufer! Wasser und Sand und darüber ein so langweiliger Himmel, an dem der Vogel Rock seine weißen Fittiche ausspannte. Höchstens die Schiffe, die da draußen auf der Höhe wie die Möven vorüber zogen, die Dampfer, die einen so garstigen, dunklen Rauchstreifen hinter sich her zogen!

Es konnte ja aber anders sein! Fast täglich kamen die jungen englischen Lords in ihren Jachten über den Kanal an's Ufer. Sie wollte sich ihre Lebensweise anders einrichten. Ihre Freundinnen redeten ihr immer ein, sie sei eine Tugend; sie zeigten sie öffentlich als solche, weil die hier etwas Unbegehrtes.

Alle Damen hier hatten ihre Verehrer; wie konnte man glauben, daß sie mit einem solchen Gatten glücklich! ... Wenn Langeweile ein Zeichen der Tugend, so besaß sie diese. Durch Erwin hatte sie einen so ganz anderen Ton gelernt; Carl war nichts als ein gewöhnlicher Kaufmann und zum Gähnen war es, wenn er von Geschäften sprach.

Das waren ihre Gedanken, als sie so einsam morgens am Strande lag.

Heute mußte die neue Toilettensendung von Paris kommen ... Der Gedanke erfrischte sie. Langsam öffnete sie die Augen. Das Himmelslicht blendete. Ihr war's aber, als sie die Lider wieder sinken ließ, als falle ein Schatten über ihre Person. Sie öffnete die Augen wieder ... Man belauschte sie hier! ...

Erwin stand vor ihr, Erwin, der lächelnd auf sie, auf ihr Kostüm herabblickte, dann neben ihr in den Sand niederkniete, sich über sie beugte und den Arm unter ihr Haupt legte.

Sie war zu träg, um ihm zu wehren. Sie rief vorwurfsvoll seinen Namen und blickte ihn zürnend an, als sage sie: Du siehst, wie unglücklich ich hier bin; Du, der Du versprachst ...

»Wie fandest Du mich hier?« fragte sie, sich halb aufrichtend. »Niemand sah doch, daß ich mich fortstahl!«

»Mein Herz war mein Führer! Ich suchte Dich da drunten; ich sah endlich in dem vom Wasser bespühlten Sande zwei zierliche Fußtapfen, die nur Dir gehören konnten, und folgte ihnen. Du weißt, ich bin abhängig von den Befehlen des Prinzen! Unter uns gesagt, er ist neugierig. Dich zu sehen; auch meine Freunde haben ihm von Dir erzählt; gieb Acht, daß ich nicht eifersüchtig werde!«

Stella legte den Arm in den seinigen. Anstatt zurück zu kehren, führte sie ihn abseits zum Tafelland und erst als sie hier ein schattiges Plätzchen fand, ließ sie sich mit ihm nieder. Er sollte ihr von dem Prinzen erzählen. Es gab für sie nichts Interessanteres als einen Prinzen.

* * *


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