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Fünfundzwanzigstes Kapitel

»Selig, die im Herrn sterben«

Er scheuchte alle von der Leiche hinweg, schloß die Kammertüre und setzte sich auf eine Truhe neben dem Bette. Nun war es ihm, als seien er und die Tote die einzigen Menschen auf der Welt.

Dieses einzige Menschenpaar war aus dem Paradiese vertrieben, war von dem ewigen Leben ausgeschlossen, war der ewigen Verdammnis überantwortet. Denn Michael Cibula fühlte sich auch noch im Tode eins mit seinem Weibe, er fühlte sich so sehr als ein Leib und eine Seele mit dieser Gestorbenen, daß ihm deuchte, auch er läge tot, auch er sollte begraben werden. Wer aber würde sie begraben, da nur er und sie noch auf der Welt waren, zwei einsame Tote?!

Während er auf das Begräbnis wartete, kamen ihm allerlei Gedanken – Gedanken, die am Himmel und an Gottes Gerechtigkeit rüttelten.

Indem sie dem Leben die Opfergabe des Weibes darbrachte, in des Weibes höchster Liebestat war sie dahingegangen, und sie sagten, daß es in die Verdammnis sei. Denn so stand es geschrieben, so ward es verkündigt, so ward es geglaubt: Wer in seinen Sünden dahinfuhr, ohne das letzte Sakrament empfangen zu haben, der konnte nicht eingehen ins Paradies.

So glaubte es auch Michael Cibula, Er hatte nie einen Christen gesehen, oder von einem Christen gehört, der es nicht geglaubt hätte. Freilich wußte er, daß es Menschen gab, die es nicht glaubten; aber das waren Ungläubige, das waren Juden.

In Flammen leiden – –

So stand es geschrieben, so ward es verkündigt, so ward auch das von ihm geglaubt. Er war noch ein Kind, als er bereits für die armen Seelen, die in Flammen litten, beten mußte. Alle Cibula hatten in Flammen gelitten, aber nur kurze Zeit, dann waren sie eingegangen in das Paradies; denn alle Cibula waren gestorben, versehen mit dem letzten Sakrament und mit Gott versöhnt. Diese Tote war die erste seines Namens, die in ihren Sünden dahingefahren, unversöhnt mit Gott, und diese erste war sein Weib!

War sie wirklich die erste?

Maria Cibula, die das Weib des Juden geworden, mußte die ewige Verdammnis erleiden. Nie hatte ein Cibula für ihre Seele gebetet, nie würde ein Cibula für ihre Seele beten, in Ewigkeit war Maria Cibula verdammt!

In Ewigkeit war Josepha Cibula verdammt.

Aber es gab ja Gebete für die armen Seelen, es gab Messen für sie, es gab vielerlei, das die armen Seelen von Qualen erlösen konnte: es gab Hoffnung für sie!

Freilich, lange würde es dauern, viele Gebete mußten gesprochen, viele Messen gelesen werden. Er wollte beten, alle sollten beten: Urs, Russka, Stefan Dozana – alle! Und wozu waren die Heiligen da? Zur Fürbitte! Und Maria, die schmerzensreiche Gottesgebärerin?

»Töte sie!« hatte sie einstmals zu ihm gesagt.

Es war, als stünde das Holzbild in der Kammer neben ihm, am Bette der Toten. Deutlich vernahm er die harte, gellende Stimme: »Töte sie!« Ganz laut erwiderte er:

»Sieh doch hin, ich habe sie ja getötet! Nicht durch meinen Haß, meine Liebe hat es getan; aber getötet habe ich sie doch. Sieh hin! Dein Wille ist geschehen.«

Und Michael Cibula sprang auf, als wollte er die Heilige der Cibula von der Toten fortjagen. Nein, nicht Maria wollte er anrufen, für seines Weibes verdammte Seele Fürbitte zu tun.

Dann saß er wieder da, starrte auf das fahle, stille Gesicht, grübelte über das Mysterium des Todes und tastete mit seinen armen Begriffen an dem Ungeheuern, Unfaßlichen herum wie ein Blinder, der auf einem hohen Berge steht, nichts von der Weite um ihn her erkennen kann und nur den Stein am Wege fühlt, den er mit seinem Stabe betastet.

Er grollte mit Josepha, daß sie gestorben war, ohne seinen Willen zu erfüllen, ohne gewartet zu haben, wie er ihr geboten. Etwas von seinem alten Haß gegen sie fühlte er in sich aufsteigen: so stumm, wie sie jetzt vor ihm lag, war sie zwölf Jahre lang an seiner Seite dahingegangen. Tote waren so trotzig, so stolz! Keinen Laut konnte man ihnen abbetteln, keinen Laut ihren Lippen entreißen, die im Leben überströmen konnten von Liebesworten. Ein Toter war viel stolzer, trotziger und unerbittlicher als selbst Michael Cibula.

Dann ging die Sonne auf.

»Josepha, du mußt aufstehen!«

Als gestern die Sonne aufging, da war sie aufgestanden und hinausgetreten in den leuchtenden Tag, da war alles so gewesen, wie es nicht anders sein konnte. Wenn morgen die Sonne aufging, würde es sein, wie es heute war, heute und fortan alle Tage: Josepha stand nie wieder auf.

Aber heute beschien die Sonne noch ihr Antlitz, welches sie von morgen an nie wieder bescheinen würde; heute war noch ein glücklicher Tag.

Er stand auf und öffnete das Fenster. Die Sonne schien ihm so grell ins Gesicht, daß er die Augen schließen mußte.

*

Später wurde ihm gesagt, daß die Jüdin gekommen sei. Als er sie zum letzten Male gesehen, hatte sie neben seinem Weibe auf der Schwelle gesessen und Josepha hielt sie freundlich umfaßt. Deshalb sollte die Jüdin die einzige sein, welche die Tote anrühren durfte.

Er öffnete die Tür und trat auf die Schwelle. Da waren alle versammelt und alle wichen vor seinem Anblick zurück. Stefan Dozana erhob sich und verließ leise das Zimmer.

Die Tür zur nächsten Kammer stand offen. Ein neugeborenes Kind wimmerte dort und eine fremde, weiche Frauenstimme suchte es zu beschwichtigen. Michael Cibula sagte:

»Die Jüdin soll zur Bäuerin kommen.«

Dann ging er wieder in das Sterbezimmer.

Nach einer Weile trat Dozia ein. Sie sprach kein Wort, stand ruhig da, aber Michael Cibula ward plötzlich zu Mute, als legte sich eine kühle Hand auf seine glühende Stirn. Ohne sich zu ihr zu wenden, redete er Dozia an:

»Du bist zu meinem Weibe gekommen, aber sie ist schon tot. Vielleicht erweisest du der Toten den letzten Liebesdienst, obschon du eine Jüdin bist.«

»In dieser Kammer bin ich keine Jüdin,« entgegnete Dozia, »sondern nur ein Weib. Den Liebesdienst, den du mich der Toten erweisen lässest, erweisest du mir.«

Und wieder war es Michael Cibula, als fühlte er die weiche, kühle Hand auf seiner Stirn. Dann ließ er die Jüdin mit seinem Weibe allein.

Draußen gebot er dem Gesinde: »Bedient die Frau, die in der Kammer bei der Bäuerin ist, und seid ihr in allem gehorsam. Wer das nicht will, der kann auch aufhören, mir zu gehorchen.«

Er ging in seine Schnitzkammer, wo das Holzbild stand, nahm dieses, trug es hinüber in Russkas Kammer und stellte es über der Wiege auf, darin das Neugeborene lag. Es wimmerte kläglich. Michael Cibula mochte das Kind nicht ansehen, denn auf der Welt war ihm nichts so verhaßt wie dieses Kind.

Nun mußte er daran denken, den Sarg zu zimmern, und ging in den Schuppen, darin er das Holz verwahrte, aus dem er die Gottesgebärerinnen schnitzte. Lange wählte er unter den Stämmen. Endlich entschied er sich für eine Esche, deren Wipfel im letzten Herbst, bald nach ihrer Ankunft im schwarzen Grunde, der Blitz zersplittert hatte. Diese Esche wollte er zu vier Brettern zersägen.

Es war eine Arbeit, die er nicht allein vollbringen konnte; doch mochte er sich dabei von keinem Knechte an die Hand gehen lassen. So suchte er denn Stefan Dozana auf, den er bat, ihm die Bretter zum Sarg zerschneiden zu helfen. Schweigend folgte der Gerufene. Sie sägten den Baum in der Mitte durch, klemmten den unteren Teil des Stammes ein und schnitten die Bretter, ohne ein Wort zu sprechen. Dann ging Michael Cibula, um zum Sarge das Maß zu nehmen.

Dozia war bei der Toten, die in ein Linnen gehüllt dalag. Josephas Haare waren gelöst und über sie gebreitet; die langen, lichten Strähne reichten ihr bis zu den Füßen, so daß Michael Cibulas Weib wie von Strahlen bedeckt dalag.

Als er eintrat, stand Dozia auf und ging leise hinaus. Er nahm das Maß; er nahm es möglichst groß.

Leise kam Dozia zurück und sagte:

»Dein Weib hat sich ihr Kind geholt. Ich werde es der Mutter an die Brust legen.«

»Tu das,« erwiderte er und ging hinaus. Er empfand über den Tod des Kindes eine Befriedigung, wie sie ein strenger, aber gerechter Richter über den Tod eines Mörders empfinden mag: die Vergeltung hatte den Totschläger ereilt, übrigens wußte er, daß es die Augen der Heiligen gewesen, die das Kind getötet hatten; schon am Morgen hatte er gewußt, daß das Kind sterben würde.

An Josephas Lieblingsplatz im Garten trug er die Bretter: zum Felsen, wo die Stockrosen und Sonnenblumen blühten. Dort begann er den Sarg zusammenzuschlagen. Urs kam geschlichen, setzte sich auf den Stein unter den Blumen und sah dem Vater zu. Der aber kümmerte sich nicht um den Knaben, dessen Augen vom Weinen geschwollen waren, und der von Zeit zu Zeit krampfhaft aufschluchzte. Es war, als wäre das Kind eine Waise geworden.

Mit jedem Hammerschlage, den Michael Cibula tat, führte er einen Schlag gegen sein Leben so daß, als der Sarg fertig gezimmert war, Michael Cibulas Leben in Stücke zertrümmert lag. Dann stellte er den Sarg mitten in die Sonne. »Das ist nun dein letztes Haus im schwarzen Grunde! Nicht Sonne noch Mond scheinen hinein, du hörst darin nicht Regen noch Wind. Still ist's in deinem letzten Hause, und über deinem Haupte liegt die schwere Erde. Als Kind spieltest du damit, später pflanztest du Blumen hinein, und nun hast du gar dein Haupt darunter gebettet: zu Erde wirst du selbst. Und in der Erde, die auf dein Haupt drückt, schlummern zugleich mit dir tausend Keime, haften tausend Wurzeln, ist tausendfältiges Leben eingesargt. Es regt sich, es sprießt hervor, es wachst und blüht! Du bleibst stille im Dunkeln. Es gönnt uns der Himmel nur für eine kurze Weile sein Licht, Aber der tote Leib in der dunkeln und stillen Erde hat es besser als die Seele, die in Sünden dahinfahrt in die Verdammnis.

Es wird Abend, Josepha.

Gestern um diese Zeit, da schoß ich den Geier, der über dem gefallenen Rind kreiste; den Maulwurf, der sich zu dir hingräbt, muß ich ruhig graben und wühlen lassen.

Als der Hirte mir sagte, daß das Rind abgestürzt sei, meinte ich, mir könnte nichts Ärgeres geschehen. Das war gestern. Heute habe ich dir deinen Sarg zimmern müssen. Ob mir wohl noch Arges im Leben geschehen kann?«

Er ging zu den weißen Rosen und pflückte davon. Es geschah zum erstenmal in seinem Leben, daß er Blumen brach; mühsam genug ging es ihm von der Hand, Hatte er einige Zweige gebrochen, so legte er sie behutsam in den Sarg, Er nahm nur solche Rosen, von denen er annehmen konnte, daß sie gestern noch nicht aufgeblüht gewesen. Als der Boden des Sarges mit Knospen bedeckt war, trug ei ihn in die Totenkammer.

Ganz allein legte er Josepha hinein. Um das tote Kind kümmerte er sich nicht.

Dozia blieb bei der Leiche zurück und er begab sich mit Stefan Dozana in die Halle, wo er mit dem Gesinde zu Nacht aß. Der Sitz neben ihm war leer. Fortan würde er für ihn immer leer bleiben, auch dann, wenn ein anderer dort saß.

Bei jedem Löffel Milch, bei jedem Bissen Brot war es ihm, als müßte Josepha Hunger leiden. Es schmeckte ihm vortrefflich, er hätte ihr gar zu gern von dem guten Essen gegönnt. Zugleich geriet er in ein dumpfes Staunen darüber, daß er es sich schmecken lassen konnte.

Doch ward ihm um vieles besser zu Mut: als würde ihm ein Kleid von Eisen abgenommen. Dem Gesinde kündigte er an, daß morgen Feiertag sei und daß sie morgen die Bäuerin begraben würden. Zu Stefan Dozana sagte er:

»Es ist nun doch alles gleich! Da du ihr nicht mehr das Sakrament reichen konntest, sollst du auch nicht ihre Leiche einsegnen. Aber weil du einmal da bist, so bleibe nur. Morgen gehst du dann und nimmst ihren Buben mit und behältst ihn während des Sommers bei dir. Er ist noch immer nicht gefirmelt. Da magst du ihn einstweilen zu dir in die Christenlehre nehmen. Was kümmert's mich, daß du ein Geächteter bist.«

Urs, der das mit angehört, lief zu Russka und flüsterte ihr mit wichtiger Miene zu:

»Morgen wird die Mutter begraben; dann nimmt Stefan Dozana mich nach Piatra mit, dort ist Ilja Dozana, und in die Christenlehre darf ich auch gehen.«

*

Ganz allein hielt Michael Cibula Leichenwache. Er hatte den Sarg auf einem weißen Linnen mitten in der Kammer niedergestellt und zu Häupten der Toten eine Kerze angezündet. Der Deckel lag daneben, ebenso die Heiligtümer, die Stefan Dozana für die Sterbende mitgebracht hatte. Durch das offene Fenster schimmerten die Sterne, die kühle Nachtluft wehte herein. Große silbergraue Falter kamen, vom Lichte angezogen, in die Totenkammer geflogen. Sie schwirrten um die Flammen und um Josephas goldiges Haar; ein schöner Nachtschmetterling setzte sich auf der Gestorbenen Stirn, als wäre es eine weiße Blüte.

Das Gesinde hatte aufbleiben wollen, um für die Seele der Bäuerin zu beten; aber Michael Cibula hatte alle zu Bett geschickt und dabei in dumpfer Verzweiflung die Worte wiederholt, die er am Abend zu Stefan Dozana gesagt: »Es ist nun doch alles gleich!« So waren denn nur Russka und die Jüdin wach geblieben. Michael Cibula hörte die eine in ihrer Kammer murmeln und ächzen, die andere saß in der Halle, als ob sie darauf wartete, gerufen zu werden. Der vierte aber, der in dieser Nacht kein Auge zutat, stand im Garten und sah nach dem Lichtschein, der aus dem Fenster der Totenkammer über die Blumen fiel. In der Ferne da zu stehen und auf diesen schwachen Schimmer zu blicken, war das einzige, was bei Josephas nächtlicher Totenfeier auf Stefan Dozanas Teil kam.

Bis nach Mitternacht saß Michael Cibula, ohne sich zu regen, ohne seine Augen von dem stillen Antlitz zu wenden. Manchmal durchzuckte sein Gehirn der Gedanke: wenn ich sie noch lange so ansehe, muß sie bald die Augen aufschlagen. Was wird sie mir dann sagen? Daß ihre Seele im Fegfeuer sei und daß die Flammen fürchterlich brennen? Oder sie wird mir sagen, wie lange die Ewigkeit währt. Oder, daß ihr Geist ohne den Priester nicht zur Ruhe kommen kann. Was mag es sein, was Tote, wenn sie aufwachen und reden könnten, den Lebendigen sagen würden – – Ob der Mensch es anzuhören vermag, ohne dabei von Sinnen zu kommen?

Da sie ihn nicht ansehen wollte, beging er etwas Grausiges. Er kniete hin und hob mit beiden Händen die beiden starren Augenlider der Toten auf. Da traf ihn Josephas letzter Blick erloschen und gespenstisch – – Gräßliches ist es, was die Blicke der Toten den Lebendigen erzählen.

Michael Cibula grauste es. Er kam sich vor, als habe er Josephas Leiche geschändet; ihm schien, als wäre an seinen Händen von der Toten etwas haften geblieben: sie waren schwer und eisigkalt. Eine Weile kämpfte er mit dem Grauen; dann ging er, um Russka zu rufen. Als er den Rücken wendete, war's ihm, als stünde Josepha hinter ihm; doch schaute er nicht zurück.

Dozia kam ihm entgegen. Er sagte ihr nichts, aber er kehrte sogleich um, ließ die Türe hinter sich offen und setzte sich an seinen alten Platz. Die Jüdin ging ihm leise nach und ließ sich, auf einen Schemel hinter ihm nieder.

Eine Stunde und mehr verging, ohne daß eines der beiden ein Wort sprach.

Plötzlich fragte Michael Cibula: »Sage, Jüdin, welchen Todes starb deine Mutter Maria, die eine Christin gewesen ist?«

»Ich war noch ein Kind, da meine Mutter starb.«

»Und haben deine Leute dir nie von dem Tode deiner Mutter gesprochen?«

»Das haben sie.«

»Nun? Nu weißt doch, daß deine Mutter von den Ihren verflucht ward?«

»So sagte man mir.«

»Also muß sie eines unchristlichen Todes gestorben sein.«

»Wenn du damit meinst: eines jüdischen Todes, so hast du recht.«

»Ich meine: sie ist eines Todes gestorben ohne Sakrament und Ölung, Sie ist ohne Vergebung und Versöhnung in ihren Sünden dahingefahren. Sie ist mit ihren Sünden in alle Ewigkeit verdammt. Nie hat ein Christ für ihre Seele gebetet, nie wurde für sie eine Messe gelesen, ihre Seele schmachtet im Fegefeuer,«

»Die Seele meiner Mutter ist im Paradiese.«

»Im Paradiese?! Die Seele der Verfluchten, die ohne Sakrament und Ölung gestorben, für die niemals gebetet und gebüßt worden, für die kein Heiliger Fürbitte getan – –«

Aber Dozia wiederholte:

»Die Seele meiner Mutter ist im Paradiese, wo jetzt die Seele deines toten Weibes ist. Beide begegnen sich und grüßen sich jetzt.«

»Auch meines Weibes Seele ist ja im Fegefeuer,« murmelte Michael Cibula, ein Stöhnen erstickend. »Auch meines Weibes Seele leidet jetzt Qualen. Sie ist gestorben als eine Exkommunizierte, ohne Sakrament und Ölung, ohne Vergebung ihrer Sünden empfangen zu haben; sie ist gestorben, wie deine Mutter Mirjam starb.«

»So ist sie eines seligen Todes gestorben.«

Michael Cibula wendete sich jäh um und stammelte:

»Wie kann die Verfluchte eines seligen Todes gestorben sein?«

»Sie starb in dem Herrn, ihrem Gott, Und es steht geschrieben: Selig sind, die im Herrn sterben; denn sie sollen das ewige Leben haben.«

»Wo steht das geschrieben?«

»Es ist ein Wort Gottes.«

»Aber was heißt das: selig im Herrn sterben?«

»Sieh dein Weib an!«

»Mein Weib –  –«

Und Michael Cibula begann am ganzen Leibe zu zittern. Dozia fuhr fort: »Kein Mensch kann schöner im Herrn sterben, als dein Weib im Herrn gestorben ist; kein Mensch kann sicherer das ewige Leben erhalten, als dein Weib es erhalten wird. Selig die Toten, denn ihnen ist das Reich Gottes. Selig, selig, selig dein Weib!«

Sprachlos starrte Michael Cibula die Jüdin an. Es war nicht allein der Sinn der Worte, die ihn im Innersten der Seele erschütterten, sondern vielmehr der Ton ihrer Stimme, ihr feierliches Wesen, die ganze Hoheit der jungen Frau, die vor ihm stand, wie aus einer anderen Welt zu ihm gekommen. Endlich brachte er hervor: »Woher willst du wissen, daß mein armes Weib im Herrn gestorben ist, wie du es nennst?«

Wieder sagte sie nichts als: »Sieh doch dein Weib an!«

Gehorsam ihren Worten, als habe er sein Weib wirklich noch nicht angeblickt, wendete sich Michael Cibula dem Sarge zu. Da schien auf dem Gesicht der Toten ein Frieden und ein Schimmer zu ruhen, von dem er bis dahin nichts gesehen hatte.

Noch stand er und betrachtete die Verklärte, als Dozia leise neben ihn trat.

»Weißt du, welchen Gruß dein Weib mir geschickt hat?«

»Mein Weib – dir einen Gruß?«

»Durch den Priester Stefan Dozana.«

»Wann hat sie dir den Gruß geschickt?«

»Sie trug schon dein Kind unter dem Herzen.«

»Und da ließ sie dir durch den Priester sagen – –«

»Sie habe die Erlösung empfangen.«

Da empfing die Erlösung auch Michael Cibula.

*

Bis der Morgen anbrach, beredete sich Michael Cibula an der Leiche Josephas mit der Tochter seiner Schwester Maria, Frieden nehmend und Frieden gebend. Dann ging er, holte ein Grabscheit und bedachte, wo das Grab hinkommen, wo der Kirchhof des neuen Piatra liegen sollte. Er entschied sich für eine schönen, friedlichen Platz unter dem Hügel, dort, wo derselbe jählings abfiel. Ringsum wuchsen Haselnußbüsche, Ginster und wilde Rosen. Unmittelbar am Felsen stach Michael Cibula den Rasen aus und begann eifrig zu graben.

– – Das ist nun das erste Grab. Wann wird das zweite daneben kommen, und für wen wird dieses zweite gegraben werden? Wird es auch um den nächsten Toten einen solchen Jammer geben? Und wird auch dieser selig im Herrn dahingehen? Wer weiß, wie lange Josepha mutterseelenallein zwischen den Ginster- und den Haselnußbüschen liegen muß. Wenn erst auf dem Hügel eine Kirche steht und von oben die Glocken her abklingen, dann werden viele zu ihr kommen, dann ruhen viele neben ihr aus. Viel Herzeleid wird dereinst mit Herzeleid hier zur Ruhe gebracht werden, viel Jammer, wohl auch viele Sunden, viel Schuld und Ungerechtigkeit, Aber das grüne Gras wird über alle Gräber wachsen, dieselbe Sonne sie alle bescheinen, und allen Toten wird Gott dermaleinst gnädig sein.

Denn das weiß ich jetzt! –  –

Er ruhte aus. Die Vögel ringsum sangen dem Tage entgegen, und die nicht singen konnten, zwitscherten doch. So war's denn in dem jungen Licht ein Jubilieren, als hätten die Blätter an den Bäumen Stimmen bekommen. Andächtig hörte Michael Cibula zu.

Das ist ein Fink und das ein Goldhähnchen. Nun fangen die Amseln an. Das dort drüben am See ist eine Rohrdommel. Die Amsel lockt das Weibchen, jetzt antwortet dieses. Und jetzt sind beide zusammen! Gott segne euch den Tag!

Da die Sonne aufging, verstummten die Vögel; es ward stiller als in der Kirche vor dem Gottesdienst.

Aus den Büschen trat ein Reh, schaute dem grabenden Manne eine Weile zu, ging dann äsend zurück.

Auch ein Häschen lief über den Platz, blieb stehen, machte Männchen, hüpfte weiter.

In der Ferne stand Stefan Dozana und blickte sehnsüchtig herüber. Als Michael Cibula seiner ansichtig wurde, rief er ihn herbei, gab ihm schweigend das Grabscheit und ließ ihn das Grab fertig schaufeln. Er selbst setzte sich hin und sah jede Schaufel Erde, die aufgeworfen wurde, aufmerksam an. Von Zeit zu Zeit bückte er sich und las einen Stein auf oder einen Regenwurm.

Als die Grube tief genug geworden, säuberte Stefan Dozana den Grund und Michael Cibula bedeckte ihn mit Gras und Blättern. Darauf traten sie schweigend den Rückweg an.

Eine Stunde später wurde Josepha begraben.

In der Nacht zogen von allen Seiten Gewitter auf; grade über dem Tale stießen die Wolken zusammen und entluden sich. Es war, als stände der Himmel in Flammen, als stürzten die Berge ein. rechts und links, dicht neben ihm in den Boden.

Michael Cibula lag in tiefem Schlafe, daraus er erst erwachte, als auf dem Hügel in einen Baum der Blitz einschlug. Das Gesinde war aufgestanden, und saß jammernd und laut betend zusammen. Stefan Dozana und Dozia waren bereits fortgegangen.

Michael Cibulas erster Gedanke war: Wie würde Josepha sich jetzt fürchten! Gut, daß sie nichts von dem Unwetter hört. Dann ging er hinaus.

Der Baum auf dem Hügel stand in vollen Flammen. Die Knechte kamen mit Äxten, um ihn umzuhauen. Der Felsen unter Michael Cibula bebte, die Blitze kreuzten sich und schlugen rechts und links, dicht neben ihm, in den Boden.

Der Baum brannte vom Fuß bis zum Wipfel, eine mächtige und prächtige Feuersäule! Sie lohte dicht am Abgrund empor, unmittelbar über dem frischen Grabe. Doch da kein Sturm war und der nächste Baum weit entfernt stand, schickte Michael Cibula die Knechte wieder fort. Er blieb droben. Sobald es möglich war, sich dem brennenden Baume zu nähern, hieb er mit der Axt den Stamm tief ein, und zwar auf der Seite nach dem Berge zu, damit er beim Stürzen nicht auf das Grab fallen konnte. Es war der letzte Liebesdienst, den er seinem toten Weibe zu erweisen vermochte.

Plötzlich begann der Regen zu strömen.

Nun wird sie naß, dachte er und lief hinab zum Grabe. Da stand er und hätte, um die Stätte gegen den Regen zu schützen, sich am liebsten darüber hingeworfen. Ein namenloses Mitleid mit dem armen, hilflosen Grabe ergriff ihn. Er brach in Tränen aus.


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