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Zwanzigstes Kapitel

Stefan Dozana kämpft im schwarzen Grunde mit bösen Geistern und Bären

Ehe sie am nächsten Morgen fortzogen, begab sich Josepha in die Messe, daß alle es sahen. Eine Neugeschaffene schritt sie im Festgewand zum letztenmal über die Schwelle des Hauses, in Michael Cibulas Augen mit einer Hoheit umkleidet, als trüge sie eine unsichtbare Krone.

Langsam wandelte sie durch das Dorf, jeden freundlich grüßend. In der Nähe der alten Kirche begegnete ihr Stefan Dozana, der aus seinem Hause kam, um sich mit den Häuptern der Gemeinde bei Michael Cibula zu versammeln. Scheu trat der Priester vor dem Weibe seines Feindes zur Seite: wenn Josepha ihm jetzt allein im einsamen Walde begegnet wäre, hatte Stefan Dozana auch dort voller Ehrfurcht sie an sich vorüber schreiten lassen.

Sie ging in die neue Kirche. Wie erstaunte sie, als sie ihren Dornenkranz in den Händen der Himmelskönigin voller Rosen sah, die über Nacht erblüht zu sein schienen. Irgend eine fromme Hand hatte früh am Morgen der Dornenkrone diesen Blütenschmuck gegeben, aber Josephas gläubige Seele empfand es als ein Wunder: die heilige Jungfrau selbst hatte für das schuldige Weib Fürbitte getan, daß dieses nun vor Gott und den Menschen eine Entsündigte geworden war.

Nachdem sie ihre heiße Andacht verrichtet, eilte sie nach Hause, wo man sie bereits erwartete. Michael Cibula hatte die in der Nacht ausgegrabenen Pflanzen in der Wiege verwahrt, und es erschien ihm dieses alte Familienstück das einzige Gerät zu sein, würdig, von seinem Weibe in die neue Heimat getragen zu werden. Er selbst half Josepha die Wiege auf das Haupt zu heben.

Dann brachen sie auf. Michael Cibula war der letzte, der das Haus verließ. Da er die Tür hinter sich zumachte und den Schlüssel umdrehte, war's ihm, als schlösse er einen Sarg. Er hatte das Gefühl, als stünde er an einem offenen Grabe und müßte dem toten Hause seiner Väter die Leichenrede halten:

»Im Glauben, daß du den Cibula Obdach und Wohnung gewähren würdest, so lange in der Verrös die Berge stehen, wurdest du von einem Cibula erbaut. Hoch über der Tiefe leuchtetest du durch den Wald und fröhlich spielten auf deiner Schwelle die Kinder der Ahnen. Winterstürme brausten um deine Wände, Lenzeslüfte tauten von deinem Dache den Schnee, Sonnenbrand bräunte dich. Die Kinder, die auf deiner Schwelle gespielt, saßen dort als Jünglinge und Jungfrauen, als Väter und Mütter, als Greise und Greisinnen – wurden über deine Schwelle ins Grab getragen. Und es war einer wie der andere: starr und stolz, trotzig und treu, fest im Glauben, heiß im Lieben und heiß im Hassen, wild in Worten, aber gerecht in Taten. So erbte der Geist der Cibula von Geschlecht zu Geschlecht.

Geschlecht auf Geschlecht, du Haus der Cibula, ward in deinen Kammern geboren, ward über deine Schwelle hinausgetragen – Geschlecht auf Geschlecht sollte noch in deinen Kammern geboren und über deine Schwelle hinausgetragen werden. Aber da kam einer, der verläßt deine Kammern und zieht von dir hinweg gleich einem vertriebenen und flüchtigen Mann.

Noch stehen die Berge der Verrös, aber nie wieder wird auf der Schwelle des Hauses der Cibula ein Kind der Cibula spielen – – –«

Und Michael Cibula war zu Mute, als müßten zu dem Begräbnis seines Vaterhauses die Glocken der alten Kirche läuten, als müßte er in das offene Grab Schollen hinabwerfen.

Krachend war die Tür des vereinsamten Hauses zugeschlagen, knarrend hatte in dem Schlosse der Schlüssel sich gedreht, den Michael Cibula jetzt herauszog und zu sich steckte; dann wandte er sich ab, seinem Weibe zu.

*

Ein großes Geleit folgte den auswandernden Cibula in ihre neue Heimat; alle Häupter der Gemeinde und viele der jüngeren Männer. Sie trugen die Habe der Cibula und waren sämtlich mit Heiligtümern gegen die bösen Gewalten des schwarzen Grundes versehen. Auch Stefan Dozana ging mit, auch er trug einen Packen. Das übrige Gut war den Kühen aufgebunden worden.

Allen voraus ging Urs. Er mußte das heilige Madonnenbild der Cibula tragen, was dem Knaben jede Freude an dem Auszuge benahm; mit finsterem Gesicht hielt er in beiden Armen das verhaßte Bildnis steif vor sich hin. Die Weiber beteten laut, die Männer sprachen den Chorus, so daß der Auszug der Cibula einer Wallfahrt von ganz Piatra glich.

Wort, wo sie den letzten Blick auf das Dorf hatten, rasteten sie zum ersten Male; darauf sagte Michael Cibula zu den seinem Hause folgenden Weibern:

»Kehrt jetzt zurück und bittet die Heiligen, daß sie euch mit euern Männern und Kindern, mit euerm Vieh und Habe bald denselben Weg ziehen lassen.«

Da erhoben sämtliche Weiber von neuem ihr Jammergeschrei, umringten Josepha und beklagten ihr Schicksal, mit ihrem Manne in den verzauberten Grund ziehen zu müssen, unter Geister und Bären. Aber Josepha dankte den Frauen, tröstete sie und riet ihnen: »Tut, wie Michael Cibula euch sagt; denn er hat recht in allem und wird mit Hilfe der Heiligen alles zum besten wenden.«

Da schrien die Weiber über Josepha; es war nicht anders, als sähen sie diese bereits im Sarge. Und so, jammernd und wehklagend, traten sie den Heimweg an.

Unter tiefem Schweigen wurde die Reise fortgesetzt; man hörte nur das Rascheln des verdorrten Farrenkrautes unter den Füßen der Wanderer und das Rauschen der Wipfel. Zuweilen mußte dem Zuge mit der Axt der Weg gebahnt werden, zuweilen brüllte ein Rind auf, blökte kläglich ein Schaf; oder man vernahm plötzlich das schrille Murmeln Russkas, die zwei Mägde führten und die im Abbeten des Agnus nicht nachließ. Dann übertönte das Brausen des Wildbachs jedes andere Geräusch.

Den schwarzen Grund füllte der Glanz des herbstlichen Sonnentags. Der dunkle Wasserspiegel des trüben Blicks leuchtete auf, über die Wiesen hatte der scheidende Sommer seine letzten Blüten geschüttet, die herbstlichen Eschenwälder, die den ganzen Bergkessel umzogen, kränzten die düsteren Felsmassen mit gewaltigen goldiggelben und purpurroten Gewinden. Von allen Seiten wehten die Wasserfälle und Sturzbäche den Einziehenden entgegen und der Ozean der Luft schlug über den schimmernden Felsenkuppen mit azurnen Wellen zusammen.

So erblickten die Bauern von Piatra das gefürchtete Tal und schlugen das Kreuz gegen den Zauber. Stefan Dozana aber rief:

»Wahrlich, auch hier sind die Heiligen!«

Nun nahm Michael Cibula seinem Sohne die Muttergottes ab und zeigte dem Bild das schöne Tal; da faßten die Bauern von Piatra Mut und folgten dem Bildnis. Sie gingen zum See, umschritten das Wasserbecken, bis sie zu dem mit Eschen bewaldeten Hügel gelangten. Hier gebot Michael Cibula Halt und sprach laut und feierlich:

»Siehe, Maria, Gottesmutter, siehe die Stätte, wo stehen soll das neue Haus der Cibula, darin dein Name soll heilig gehalten werden, solange unter seinem Dache ein Cibula wohnt. Und hilf uns, Maria, Himmelskönigin, daß wir vor unseren Feinden, die deine Feinde sind, an dieser Stätte Ruhe gewinnen.«

Mit seinen starren, grausamen Augen schaute das Bildnis auf die blühende Wiese, den leuchtenden See, das schimmernde Gebirge. Dann stellte es Michael Cibula auf einen von den Fluten umspülten Felsen und Josepha legte von ihren Blumen davor nieder. So wurde der Heiligen in der neuen Heimat der Cibula der Altar bereitet.

In dem trüben Blick spiegelte sich das fahle Antlitz des Byzantinerbildes; aber keiner gedachte des Fluches, der jeden, der hier in die Wellen schaute, seinem Spiegelbilde nach, in die Tiefe ziehen sollte.

Nun legten alle ihre Packen ab, das Gesinde überließ die Herde, die sich im schwarzen Grunde bereits heimisch zu fühlen schien, dem Hirten; alle rasteten und stärkten sich durch Speise und Trank. Darnach bestiegen die Männer den Hügel. Eine Wiese führte vom See sanft aufwärts zur Höhe, aber auf der anderen Seite gähnte ein schrecklicher Absturz, so daß Stefan Dozana, dicht an den Rand tretend, erschrocken zurückwich. Doch war der Platz herrlich, von Eschen beschattet, deren Stamme zwei Männer nur mit Mühe umspannen konnten, und deren Zweige bis zum Boden herabhingen: wer im Sonnenschein darunter stand, glaubte unter einer goldenen, mit Smaragden ausgelegten Kuppel zu stehen.

Und herrlich war von hier aus der Blick auf Tal und Gebirge, doch ward für Michael Cibula die schöne Rundsicht beinahe verdorben; denn dort, wo die Verrös lag, ragte ein graues, mächtiges Felsenhaupt auf: der Kryvan.

Als er den Kryvan sah, bedachte Michael Cibula, daß hier zwar für ihn und manchen anderen kein Platz sei, um heitere Umschau zu halten, wohl aber ein Ort, um angesichts jenes Berges dunklen Gedanken nachzuhängen und über finsteren Plänen zu brüten, und daß es gut sein würde, dem Platz eine Weihe zu geben. Zu Stefan Dozana tretend, sagte er zu seinem alten Feinde:

»Damit du meine Meinung kennst, so wisse: nicht eher werde ich ruhen, als bis auf diesem Platze den Bauern von Piatra eine Kirche gebaut worden, von Christenhänden und aus den Bäumen dieses Waldes; sei nun dein Wille, mich daran zu hindern oder mich darin zu fördern.«

Stefan Dozana las in Michael Cibulas Gesicht einen unerschütterlichen Entschluß. Er fragte:

»Was hast du vor?«

»Wenn du an diesem Platze eine Kirche weihest, wirst du es erfahren haben.«

Er wandte sich ab; der Priester sah ihm finster nach und dachte: Er will an Piatra sühnen, was ich an Piatra verbrochen habe. Niemals kann Friede sein zwischen uns.

Darauf machten sich die Männer daran, die für den Bau des Hauses nötigen Bäume zu bezeichnen. Doch Michael Cibula wehrte ihnen und erklärte: es sollte auf dem Hügel kein einziger Baum gefällt werden. Die Stämme für den Bau sollten an einer anderen Stelle genommen werden, deren Entfernung vom Ufer ziemlich beträchtlich war. Heftig wurde darüber hin und her gestritten. Als man schließlich Stefan Dozana nach seiner Meinung befragte, stimmte dieser Michael Cibula bei. Darauf geschah es so, wie letzterer gewollt hatte.

Michael Cibula und Stefan Dozana begannen zusammen auf dem Boden den Grundriß des Hauses aufzuzeichnen; die anderen errichteten unterdessen aus Zweigen drei Hütten: die eine für Cibula und den Hausrat, die zweite für die Bauleute und die dritte für das Gesinde. Am Abend war man damit fertig.

Den besten Teil der Arbeit dieses ersten Tages, sowie auch den besten Erfolg aber hatte Urs gehabt. Er hatte gefischt und gefangen: eine Forelle! Und war sie auch nicht grade so groß wie ein Schaf, so konnte sie doch so groß wie ein Lämmlein sein. Josepha sott den Fisch mit mancherlei Kräutern, übergoß ihn mit frischer geschmolzener Butter und trug dieses erste Mahl im schwarzen Grunde den Häuptern der Gemeinde auf. Man aß dazu Gerstenkuchen und trank Milch. Bald begaben sich alle zur Ruhe.

In der Nacht trat Josepha aus der Hütte. Sie ging zum See, auf dessen dunklen Fluten der Sternenhimmel ruhte, und warf eine Opfergabe für die unheimlichen Gewalten des Sees in das stille Gewässer hinab. Es war das mit Asarjas Blut getränkte Edelweiß, das Josepha so lange aufgehoben hatte: aber das Weib Michael Cibulas bedurfte keines Zaubertrankes mehr.

*

Genau nach dem Plan des alten Hauses der Cibula ward das neue Haus aufgebaut: genau so lang und so breit, keine Türe, kein Fenster anders; dieselben Kammern, dieselben Umgänge unter dem Dache. Zu einer einzigen Neuerung entschloß sich Michael Cibula und das lediglich seinem Weibe zuliebe: das war eine Halle vor dem Hause nach dem See zu. Stefan Dozana riet, sie mit bunten Farben zu bemalen, und Michael Cibula wollte im Frühjahr Kresse, Waldrebe und Geißblatt dort pflanzen. Auch Sonnenblumen und Stockrosen sollten davor blühen, Josephas Rosmarin, ihre weißen Rosen und roten Nelken.

Während die einen das Haus zimmerten, bauten die anderen den Stall. Michael Cibula aber, nachdem er lange geprüft und gewählt, grub ein Stück Wiese zu Ackerland um und säete das neue Feld an; womit, das wußte nur Josepha.

Schnell stieg bei dem ununterbrochen schönen Herbstwetter der Balkenbau in die Höhe. Man hatte den Eschenstämmen die Rinde gelassen, so daß sie im Sonnenschein glänzten, als seien sie mit Silber beschlagen. Alle waren tätig, aber niemand arbeitete so eifrig wie Stefan Dozana. Er schaffte für zwei, als wäre ihm das lang entbehrte Zimmern höchste Lust, als wäre er glückselig, endlich einmal die Kraft seiner Muskeln und Sehnen prüfen zu können und das an den stärksten Stämmen, an den wuchtigsten Balken. Man konnte dem Manne ansehen, wie die harte Arbeit ihm gut tat, wie der geächtete Priester mit der Axt am Baume sich von Brevier und Agnus erholte. Mit Freuden blickte Michael Cibula auf den starken und stattlichen Mann, von jedem Argwohn befreit, derselbe könnte auch seines Weibes Wohlgefallen erregen.

Aber trotz seiner fast wilden Lust an der Arbeit hatte Stefan Dozana während dieses strahlenden Herbstes die dunkelsten Tage seines Lebens; es waren Tage, in denen seine Seele von neuem allen bösen Gewalten der Hölle verfiel. Auch er war in seinem Innersten verwandelt. Seitdem er wie ein Simson seine Locken wachsen ließ und den Rock des Priesters mit dem Kleide der Bauern vertauscht hatte, seitdem er als Priester geächtet worden, war Stefan Dozana als Mensch wiedergeboren. Und mit der Wiedergeburt kam die Erkenntnis. Er erkannte, daß er nur durch Soutane und Stola, nur durch Messen und Brevier seine Natur jeden Tag von neuem hatte in Banden halten können. Dann hatte er eines Weibes Kuß auf seinem Mund gefühlt, dann war jener Bischof gekommen. Nicht länger bußfertigen Sündern die Beichte abnehmend, hätte er selbst seine Sünden beichten mögen; nicht länger das Allerheiligste der Kirche in Händen haltend, hätte er das Allerheiligste des Lebens an seine Brust reißen mögen. Das Blut des Heilands nicht mehr trinkend, hätte er den Kelch des Glückes an seine Lippen setzen und an seinem Herzen die wunderbare Wandlung vollziehen lassen mögen. Seitdem er nicht mehr lieben durfte, hatte er herrschen wollen und hatte er geherrscht; nun er nicht mehr herrschen konnte, hätte er um eines Weibes willen, vor dem er jetzt die Augen zu Boden schlagen mußte, am liebsten Knechtdienste getan.

Waren sein priesterliches Kleid und sein priesterlicher Fanatismus für ihn das gewesen, was für einen reißenden Strom Dämme und Böschungen sind – wie mußte es ihm ergehen, da man ihm plötzlich nahm, was die Gewalten seiner Natur so lange mühsam gebändigt hatte?

Täglich lebte er mit Josepha, die zu den Frauen gehörte, welche Mütter sind und Jungfrauen zu sein scheinen. Wenn Stefan Dozana sie ansah, gewahrte er nur an dem tiefen Glanz ihrer Augen und an der feierlichen Ruhe, die jetzt stets über ihrem Wesen lag, daß sie nicht mehr achtzehn Jahre alt sei, während er sich fühlte, als sei er wieder zwanzigjährig geworden. Für jeden hatte sie ein liebreiches Wort, einen freundlichen Blick; gleich einem guten Geiste waltete sie im Lager, alle Dämonen des Ortes verscheuchend. Nur an ihm ging sie fremd und kalt vorüber, nur ihm versagte sie Wort und Blick; und sah sie ihn einmal an, so ruhten ihre Augen streng auf dem Mann, der in böser Stunde mit dem Kelch in der Hand als Versucher zu ihr getreten, und den sie nicht nur für ihres Mannes, sondern auch für ihren ärgsten Feind ansah. Mit Empfindungen, wie sie selbst seinem wilden Geiste bisher fremd geblieben, gewahrte Stefan Dozana, daß Michael Cibula plötzlich mit seinem Weibe verkehrte gleich einem heimlich Liebenden, den die zärtlichste Neigung beglückte. Bei den von Leidenschaft trunkenen Blicken, die er Michael Cibula auf sein Weib werfen sah, ward ihm zu Mute, wie einem Verdammten, der die Seligen sieht. Dann erinnerte er sich der Rechte, die er einst auf Josepha besessen und aus welcher Ursache sie das Weib des andern geworden; dann erinnerte er sich, diese blühenden, lebenswarmen Lippen einmal geküßt, diese zärtliche Gestalt einmal an seinem Herzen gehalten zu haben. Und er erinnerte sich, daß Michael Cibula noch immer sein Feind sei, und daß er noch immer die Rache in seiner Hand hielt. Wie, wenn er jetzt die Rache aus seiner Hand entließ, Michael Cibula mitten in seinem Bräutigamsglück ins Gesicht schlug: siehe, dein Weib verachtet mich zwar, aber sie hat mich einmal – –

Aber Stefan Dozana erinnerte sich, wie dieser Mann im Gemeindehause vor dem Bischof neben ihm gestanden, und Stefan Dozana schwieg. Doch darüber hatte er keine Macht, daß der reißende Strom in ihm jeden Tag mehr und mehr anschwoll, Frühlingsfluten gleich, die brausend gegen die Dämme donnern. Wollten sie sich gar nicht mehr zurückdrängen lassen, so konnte der wilden Natur nur die wilde Natur helfen. Dann wich er von den Menschen in die Einsamkeiten des schwarzen Grundes. Nach der harten Tagesarbeit suchte er noch spät abends Ermüdung und Ermattung als Jäger zu finden. Die Büchse über der Schulter, klomm er in der Dämmerung pfadlos durch das unbekannte Gebirge. Oft ging er an Abgründen entlang, die alles überboten, was er an Schrecken der Alpenwelt bis dahin gesehen hatte. Aber nie strauchelte er. Oft konnte er weder vorwärts noch zurück; er mußte den Schimmer der Sterne oder den Schein des jungen Mondes abwarten, bis er versuchen konnte, weiter zu gelangen. Dann stand er in der Dunkelheit zwischen den Schlünden wie zwischen offenen Grüften und hatte die Wahl, in welches Grab er hinabstürzen wollte. Wenn er so zwischen Himmel und Erde schwebte, über sich Gletscher und Fels, unter sich Gletscher und Fels; dann konnte er die Welt für eben erst erschaffen, noch nicht von Menschen bewohnt und sich selbst für einen Geist halten, der nicht wußte: sollte er zum Himmel hinauf oder zur Erde hinab. Aber da erschuf Gott das Weib – –

Und es konnte geschehen, daß er plötzlich, der Abgründe und der Finsternis nicht achtend, gleich einem Rasenden niederstieg ins Tal zum Seegestade. Drunten umschlich er die Hütte der Cibula, mit Mörderblicken um sich spähend, fühlend, wie sein Gesicht sich verzerrte und kalter Schweiß aus der Stirn brach. Jetzt sah er etwas – Michael Cibula sein Weib umschlingend! Jetzt hörte er etwas – leise Worte wie Liebesgeflüster! Dann stand er und lauschte darauf.

Wenn er abends mit der Büchse davonging, sagte er, daß er jagen wollte; doch er rührte das Gewehr nicht an. Er ließ das Wild an sich vorüber, kaum aufschauend, wenn es vor ihm in den Kieferdickichten rauschte und zwischen den dunkeln Nadeln das mächtige Geweih eines Hirsches erschien. Es war grade, als ginge er einem anderen, edleren Wild nach. Das würde er dann, sobald es ihm schußgerecht kam, treffen – mitten ins Herz.

Einmal stieß er auf Michael Cibula. Dieser stand am Rande eines Abgrundes, spähte hinab, regte sich nicht, sah nicht den Feind.

Vor Stefan Dozanas Augen breitete sich plötzlich ein blutroter Schimmer. Seine Hand griff nach der Büchse, seine Finger zuckten nach dem Hahn. Da warf er sich hin, drückte das Gesicht auf den felsigen Boden und stöhnte vor Qual. Er blieb so lange liegen, klammerte sich so lange an dem Felsen fest, bis Michael Cibula gegangen war. Dann sprang er auf. Aber Blut mußte er sehen; und das noch heute, das gleich!

Er wußte das Lager eines Bären. Dahin ging Stefan Dozana.

Als er vor der Höhle anlangte, war die Nacht angebrochen. Er trat dicht vor den Eingang und schoß seine Büchse ab. Beim Blitze seines Schusses sah er eine schwarze zottige Gestalt aus der Finsternis auftauchen. Der Bär war getroffen und stieß ein dumpfes Wutgebrüll aus. Kaum hatte Stefan Dozana sein Gewehr wieder geladen, als er die Augen des Ungetüms glühen sah – dicht vor sich! Dennoch fehlte er diesesmal.

Nun entspann sich in der Dunkelheit zwischen Mensch und Tier ein grausiger Kampf. Da er nicht mehr die Zeit hatte zu laden, schmetterte er den Kolben seiner Büchse auf den Kopf des Bären nieder. Ein Wutgeheul folgte dem Schlag. Stefan Dozana fühlte sich von zwei gewaltigen Armen gepackt und wie in einen Schraubstock an einen weichen, heißen, zottigen Körper gepreßt; er fühlte den schnaubenden Atem des Ungetüms in seinem Gesicht und sein Gesicht von Blut überrieselt. Aber es gelang ihm, den Arm so weit zu bewegen, daß er sein Jagdmesser ziehen konnte.

Ohne zu sehen, blindlings stach und stieß er um sich. Immer fester und entsetzlicher umschlang ihn der Bär, seine Rippen krachten, die Krallen zerfetzten sein Fleisch, ihm war's, als wälzte sich ein Fels auf seine Brust, als würde er mit Feuer übergossen. Er hörte sein eigenes Röcheln, doch empfand er weder Schmerzen noch Furcht, sondern nur eine rasende Blutgier. Er fühlte, wie ihm das Blut der Bestie in den Mund floß, und trank das Blut; er hätte am liebsten seine Zähne in die Brust des Untiers geschlagen, wäre am liebsten selbst zur Bestie geworden. Dann dachte er noch: jetzt wird Michael Cibula die neue Kirche von Piatra bauen! Dann schien ihm die Nacht eine schwarze, zottige Masse zu sein, die ihn erdrückte; dann wußte er nichts mehr vom Leben.

Am anderen Morgen fand ihn Michael Cibula unter dem toten Bären. Er war furchtbar zugerichtet, doch lebte er noch. Der Körper des Bären hatte an fünfzig Stiche. Das Messer saß dem Untier im Herzen, die Klinge war abgebrochen.


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