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Neunzehntes Kapitel

Der letzte Tag im Hause Cibula

Michael Cibula wunderte sich, daß er genau ebenso anfing wie alle anderen Tage. Um von diesem letzten Tage keine Minute zu verlieren, stand er schon beim Morgengrauen auf und ging in den Wald.

Die Sterne erblaßten. Um alle Dinge webte sich grauer Nebelschein, wie solcher über den Wassern gelegen haben mochte, ehe der Geist Gottes das Licht von der Finsternis schied. Zuerst streifte ein göttlicher Hauch den Himmel. Ein Schimmer zitterte darüber hin, der von Minute zu Minute mehr zu einem hellen Glanze wurde. Vom Himmel stieg es dann zur Erde nieder.

Als unwiderstehlicher Sieger kam der Tag. Er berührte mit seinem Flammenstabe die Alpengipfel, daß diese auflohten. Es empfingen die Täler das Feuersignal; sie sollten sich vorbereiten: bald würden aus ihnen die Schatten entweichen.

Nun regten sich drunten geschäftig die Nebel. Der Morgenwind jagte die Dünste auf, trieb sie aus den Schluchten, riß sie von den Klippen. Plötzlich erstrahlte es über dem Kryvan, als bräche aus seinem Felsenhaupt eine Quelle glühenden Goldes hervor. Sie stieg und stieg – die Sonne.

Daß die Sonne an dem letzten Tage, da im alten Hause der Cibula Söhne dieses Geschlechtes wohnten, genau ebenso aufging wie an tausend anderen Tagen!

Michael Cibula sah alles, wie er es tausendmal gesehen hatte, aber er begriff nicht recht, daß er es genau ebenso sah. Dann versuchte er, sich vorzustellen, wie es sein würde, wenn er nicht mehr da war? Alles würde sein, als lebten er und sein Sohn ruhig im Hause der Cibula weiter. Nach hundert Jahren, wenn es in der Verrös längst kein Piatra mehr gab; nach tausend Jahren, wenn im schwarzen Grunde vielleicht kein Cibula mehr lebte – immer würde es hier bleiben, wie es heute war, Geschlechter kamen und Geschlechter gingen, aber die Natur blieb dieselbe: ein vergehendes Menschengeschlecht vermochte ihr Antlitz so wenig zu verändern wie ein verwelkendes Blatt. – – Und Michael Cibula fühlte, wie ein Schauer ihn überlief. Sein Geist empfing an diesem letzten Tage die Ahnung dessen, was Ewigkeit sei.

Dann kehrte er zurück. Er ging die Pfade durch den Wald und das öde Gestein mit der Empfindung, als gäbe es für ihn keine Möglichkeit, sie je noch einmal wieder zu gehen, als sei er der letzte Mensch, der hier schreite. Mit bedeutsamem Blick betrachtete er diesen und jenen ihm wohl bekannten Baum oder Fels, beinahe mit der sichern Gewißheit: Baum und Fels wüßten, daß Michael Cibula an ihnen vorbeiging und niemals wieder vorbeigehen würde.

Als er dann sein Haus vor sich sah, von der Sonne beschienen, von Herbstblumen umblüht, mit der wirtlichen Rauchwolke über dem Dache, erschrak er, als stünde er plötzlich einem Menschen gegenüber, den er heute noch ermorden wollte.

Da fiel ihm ein, daß sein Weib noch von gar nichts wußte; denn er hatte die Häupter der Gemeinde gebeten, über sein Vorhaben bis zum Morgen zu schweigen. Vielleicht hatte Urs geplaudert. Aber wie hätte Josepha aus dem Geschwätz des Knaben die Wahrheit erkennen können? Und er – er hatte ihr nichts verraten von dem, was seine Seele bewegte. Angstvoll hütete er vor seinem Weibe, was seine Seele barg, damit ja keine der vielen Hüllen, die er sorgsam über sein Inneres gebreitet hielt, von einem Windstoß der Erregung aufgeweht würde und Josepha plötzlich hätte erblicken können, was er an Heimlichem und Heiligem in sich trug. Je wilder es in seinem Gemüte tobte, um so stummer lebte er neben jener dahin, eher den Feind in seinem Innern lesen lassend, als seinem Weibe gönnend, mit ihm zu leiden.

Und nun sollte er ihr den größten Schmerz seines Lebens enthüllen! Denn so viel ahnte er doch, daß sein Weib so blind nicht an seiner Seite dahin lebte, um nicht zu wissen, daß er sich selbst ins Herz traf, wenn er sich selbst von Piatra vertrieb. Aber er wollte Josepha ihre Auswanderung ankündigen, ohne dabei nur mit der Wimper zu zucken; er wollte ihr von seiner Selbstverbannung reden, als handle es sich um einen gleichgültigen Gang, von dem sie morgen zurückkommen würden. In ihr Gesicht wollte er dabei sehen! Von Stefan Dozanas Mienen hatte er gestern keinen Zug erkennen können; und hatte er gestern Stefan Dozanas Stimme freisprechen müssen, so wollte er heute über Josephas Stimme und Gesicht zu Gericht sitzen, und wehe ihr, mußte er über sie das Schuldig aussprechen.

Dann stand er im Garten unter Josephas Blumen und sah hinüber nach der Schwelle seines Hauses, wo gestern an der Seite seines Weibes das Judenweib kauerte. Aus den dunklen und doch so sanften Augen seiner Schwester Maria hatte die Vergangenheit ihn angestarrt, mit der tiefen und doch so weichen Stimme seiner Schwester Maria hatte sie zu ihm gesprochen, mahnend und flehend zugleich. Nach Frieden verlangend war diese Stimme ertönt; und in einem Seufzer über den ewigen Unfrieden, den er begehrte, war sie verklungen.

Aber in seiner Seele redete die verklungene Stimme noch immer. Sie sprach zu ihm von seinen Kinderzeiten, er hörte sie das Eiapopeia singen, mit dem er in Schlaf gewiegt worden war. Denn die Stimme seiner Mutter war in einem Liebesworte erstorben, da er mit einem Schrei zum Leben erwachte: die Stimme jener Maria war Schwester- und Mutterstimme zugleich für ihn gewesen. Und dieselbe Stimme flüsterte ihm von den Spielen, die das Kind auf den Knien dieser mütterlichen Schwester gespielt; sie raunte ihm von den Gebeten, die sie den Knaben gelehrt hatte; sie mahnte ihn daran, daß ihm einst der Name Maria als der Name zweier heiliger Wesen erschienen war: der Gottesmutter und seiner holdseligen Schwester! Dann aber wich die Vergangenheit von der Schwelle seines Hauses; und immer noch klagte er sich der Sünde an, daß er fast Mitleid gefühlt hatte, da er sie vertrieb.

*

Josepha war bereits zu Bett gewesen, als ihr Mann in der vergangenen Nacht nach Hause gekommen war. Zu Tode ermattet von der Gewalt des neuen Daseins, das sie seit kurzem führte, war sie in dem Augenblick, da sie Michael Cibulas Schritte vernahm, mit dem Bewußtsein seiner Nähe fest eingeschlafen. Als sie früh erwachte, verrichtete auch sie, anstatt wie sonst vor dem Bilde der Muttergottes, ihre Morgenandacht draußen vor dem Feuerbildnis der aufgehenden Sonne. Dann ging sie ins Haus, und ihr Mann trat zu ihr in die Kammer.

Stumm grüßte er, ließ sich seinen Morgenimbiß bringen und verzehrte ihn auf den letzten Bissen. Nachdem Josepha abgeräumt hatte, sagte er in seiner rohen Weise:

»Du mußt sogleich die Flachskammer räumen und dein Linnen zusammenpacken lassen, auch sonst allen Hausrat.«

Dabei beobachtete er sie scharf. Wie, wenn sie bei seinen nächsten Worten totenblaß würde oder gar laut aufschrie – – Er glaubte nicht recht zu verstehen, als Josepha ruhig erwiderte:

»Die Flachskammer habe ich schon gestern geräumt, auch alles Linnen gepackt. Mit dem Hausrat kann das heute geschehen, damit wir morgen fortkommen.«

»Fort – wohin?«

»Ich denke, in den schwarzen Grund.«

»So haben die Bauern also doch ihren Weibern geschwatzt.« rief Michael Cibula zornig.

»Keine hat mir etwas gesagt.«

»Dann hat der Bube geplaudert.«

»Urs verriet mir: er wisse etwas, aber er dürfe nichts sagen.«

»Woher weißt du es denn?«

Er wandte sich von ihr ab und machte sich am Tisch zu tun. Leise sagte Josepha:

»Ich weiß es längst.« Und grade als wollte sie sich entschuldigen, setzte sie noch leiser hinzu:

»Es war nicht schwer, es zu wissen.«

»Es war nicht schwer, es zu wissen?« stieß Michael Cibula hervor. Aber er fragte nicht, weshalb es ihr nicht schwer gewesen, zu wissen, was in seiner tiefsten Seele vorging. Sich ein Herz fassend, gestand sie:

»Lange Zeit wartete ich, daß du kommen und es mir sagen würdest. Beinahe hätte ich dich schon im Frühling gebeten, von hier fortzugehen; denn eher gewinnen wir doch keinen Frieden! Aber da kam der Bischof und ächtete uns, und da mußtest du bleiben. Nun aber wird es wohl nötig sein, fort zu gehen.«

Als Michael Cibula sie mit solchen klaren Worten aussprechen hörte, was er ihr so sorgfältig zu verheimlichen gesucht; als er vernahm, daß sie schon längst seine Vertraute gewesen, die sein Leiden gekannt, von seinen Kämpfen gewußt hatte; als es sich enthüllte, daß eine Andere – die Mutter seines Sohnes! – lange Zeit schweigend mit ihm zusammen gekämpft und gelitten hatte und vielleicht noch elender gewesen war als er selbst: da ging eine gewaltige Erschütterung durch den Mann. So mußte es einem zu Mute sein, der bei dichter Finsternis in ungeheurer Einsamkeit zu wandeln vermeint und sich auf einmal vertraulich bei der Hand gefaßt fühlt. Kaum, daß Michael Cibula zu murmeln vermochte:

»Gehst du so gern von hier fort, daß du die Zeit nicht erwarten kannst?«

Josepha schwieg.

»So antworte doch!« fuhr er auf.

Doch Josepha antwortete nicht. Da mußte er wohl oder übel aufschauen – um sich sogleich wieder abzuwenden. Denn mit welchem Blick sah sein Weib ihn an, Gott im Himmel, mit welchem Blick! Sein Herz begann zu klopfen, daß es ihm den Atem benahm, gegen seine Schläfen pochte das Blut. Ein Schwindel ergriff ihn. Vor seinen Augen wirbelte ein Heer goldiger Punkte auf – – Er kannte seine eigene Stimme nicht mehr, als er sagte: »Nun ja – ich weiß – du bist – –« Er wollte sagen: Du bist mein geliebtes Weib! sagte aber: »Ich weiß, du bist nicht so, wie andere Frauen sind.«

Wie sie niemals, auch vor ihrem Sündenfalle nicht, gewagt hatte, zu ihrem Manne zu reden, so redete Josepha jetzt zu ihm.

»Es ist gewiß so am besten – du wirst gewiß wissen, weshalb es so am besten ist. Wir ziehen fort und bauen uns ein neues Haus: im schwarzen Grund, oder wo es auch sei. Du bist überall der Michael Cibula von Piatra, und ich kann überall stolz auf dich sein, – wie im Frühling, als der Bischof da war und du dir und den Bauern von ihm kein Unrecht zufügen lassen wolltest. Damals war ich so stolz auf dich, daß ich umfiel, als ich dich kommen sah – vor lauter Stolz und Freude! So stolz werde ich auch im schwarzen Grunde auf dich sein, was immer du tun und treiben wirst. Denn alles, was du tust, wird gut und zum besten sein.«

»Meinst du?«

»Ja,« antwortete Josepha feierlich, als würde sie vor dem Altar gefragt, ob sie an Gott glaubte.

Das Sprechen fiel Michael Cibula immer noch schwer; jedes Wort kam wie aus einer wunden Brust über seine Lippen.

»Der schwarze Grund ist verrufen. Es sollen Geister dort umgehen und Bären darin hausen, so viele wie Murmeltiere.«

Er wußte, was sie darauf antworten würde, wollte es jedoch von ihr hören und lauschte mit angehaltenem Atem. Als Josepha ihm erwiderte, daß sie die Geister und Bären nicht scheute, mußte er an Urs denken, und was der Knabe ihm damals über die Mutter gesagt: daß sie überall hingehen würde, wo der Vater hinginge. Was der Bube alles wußte, manches sogar besser als sein Vater! Dann wurde Michael Cibula beredt: »Du wirst sehen, es ist schön droben: Weide und Wald wie nirgend wo anders. Und so viel Sonnenschein! 's ist ein See droben mit Forellen, so groß – wahrhaftig so groß wie bei uns die Lämmer.

»Wie die Lämmer?!«

Und Josepha lachte. So leise es gewesen war, so hatte sie doch gelacht. Michael Cibula hätte beinahe laut aufgeschluchzt. Kein Wort konnte er mehr sagen.

»Wir bauen uns im schwarzen Grunde ein neues Haus,« plante Josepha. »Der Stall muß aber größer sein als der unsere hier. Denn wenn es dort droben so gute Weide gibt, so können wir mehr Vieh halten als hier unten. Dann ziehe ich alle unsere Kälber auf. Und einen Heuschuppen müssen wir bauen, auch einen kleinen Hühnerstall. Hier hat es das liebe Federvieh gar zu erbärmlich gehabt; das lief so herum, die Hühner konnten legen, wohin sie wollten. Das schickt sich nicht.«

»Das schickt sich gar nicht!« rief Michael Cibula aufgebracht und über Josephas vagabundierendes Federvieh mit lebhaftem Unwillen den Kopf schüttelnd, als wäre das eine Sache, die eigentlich vor die Gemeinde müßte.

»Unsere Bienen nehmen wir doch auch mit?« fragte Josepha, bedachte sich und meinte etwas niedergeschlagen: »Es wird dort keine Blumen geben.«

»Alles steht voll von Blumen,« versicherte Michael Cibula mit strahlender Miene.

»Dann werden wir gleich diesen Herbst zwei neue Stöcke herrichten müssen. Wie freue ich mich!«

Nun vertraute er ihr an, wobei er sich zu ihr hinbeugte – ganz nah!

»Wir bekommen auch einen Acker. Was meinst du, sollen wir darauf bauen? Diesen Herbst noch.«

»Weizen.«

Da freute sich auch Michael Cibula.

*

Eine Stunde später wußte ganz Piatra: Michael Cibula geht in den schwarzen Grund! Und ganz Piatra wußte: die Juden haben es Michael Cibula mit dem bösen Blick angetan; uns werden sie es auch noch antun, uns werden sie auch noch aus unseren Häusern vertreiben.

Ganz Piatra lief vor dem Hause der Cibula zusammen, klagend, als ob darin ein Sterbender sei. Am meisten lamentierten die Weiber über Josepha, weil diese so heiter tat: das könne nicht mit rechten Dingen zugehen!

Im geheimen freuten sich die meisten über das Auswandern der Cibula; denn nun hofften sie, und zwar womöglich sogleich, von ihren Männern zu erreichen, daß die Juden vertrieben würden, damit sie wo möglich am nächsten Sonntag wieder zur Messe würden gehen können.

Das Gesinde zeigte verstörte Mienen. Der Bauer hatte jedem freigestellt, mit ihm zu gehen oder zu bleiben. Nun wußten die Leute nicht, was tun. Da trat Josepha zu den Schwankenden, sprach sie freundlich an, doch ohne ihnen zuzureden. Endlich entschlossen sich alle, Michael Cibula in den schwarzen Grund zu begleiten.

Vollkommen gleichgültig nahm Russka die große Nachricht von der Übersiedlung auf. Wenn man nur an einen Ort zog, wo es sich beten ließ. Und da sie das überall konnte, nur im Grabe nicht, so war ihr jeder Ort recht, der nicht das Grab war.

Voll lauten Jubels war Urs, als habe er keine Heimat zu verlieren. Glückselig lief er bald zur Mutter, bald zum Vater und tat, als sähe er Ilja Dozana nicht, die seit dem Morgen scheu und traurig in der Ferne stand. Auch die anderen Kinder wagten sich heute nicht zu dem Knaben hin: die Auswanderung seines Vaters hatte Urs einen Nimbus verliehen, grade als wäre ihm Vater oder Mutter gestorben.

Später kamen die Häupter der Gemeinde und boten, dem Brauche gemäß, Michael Cibula nochmals mit aller Feierlichkeit an, ihm sein neues Haus zimmern zu helfen. Mit den üblichen feierlichen Worten dankte Michael Cibula. Josepha brachte Speisen und Getränk; und da von dem Vorgesetzten kein Bissen und kein Schluck übrig gelassen werden durfte und für jeden Mann so viel auf dem Tische stand, daß ihrer drei hätten satt werden können, so blieb zum Reden nicht viel Zeit.

Auch Stefan Dozana kam, auch ihm mußte Josepha die Hand reichen. Mit dem Blicke eines Tigers, der seine Beute belauert, spähte Michael Cibula aus einem Winkel des Zimmers nach dem Paare hinüber. Doch weil er nur Josepha ansah, entging ihm der geisterhafte Ausdruck auf Stefan Dozanas Gesicht.

Als die Dämmerung anbrach, ward im Hause der Cibula die letzte Habe verpackt. Josepha konnte sich beim Anblick der leeren Räume nicht mehr vorstellen, daß sie jemals wohnlich gewesen waren. Jeder Gegenstand hatte darin seinen bestimmten Platz gehabt, an dem er schon vor hundert und aberhundert Jahren gestanden, und der Enkel hatte ihn für ebenso unverrückbar gehalten wie der Ahn. Auch Michael Cibula blickte voll dumpfer Verwunderung auf die Verödung seines Vaterhauses. Schon wie es hatte geschehen können, daß die braunen gewaltigen Schränke, die mächtigen Bettladen, die wuchtigen Tische und Truhen auseinander genommen und als gewöhnliche Bretter über einander geschichtet wurden, allein das deuchte dem Cibula eine unerhörte Sache zu sein.

Wie um sich in diesem Wirrwarr zurecht zu finden und für Augen und Geist einen Anhalt zu gewinnen, klammerte sich sein Blick an das Marienbild. Denn dieses mit dem Tische darunter, war das einzige, was man für die Nacht noch an seiner Stelle gelassen. Höhnisch starrten die gespenstischen Augen des Holzbildes auf die leeren Räume herab, daß Cibula über den feindseligen Ausdruck auf dem Antlitz seines Idols erschrak: trug er doch seit dem Morgen das Bildnis seines leise auflachenden Weibes im Herzen.

Dann stand Josepha zum letzten Male in ihrem Garten. Zum letzten Male sah sie, wie aus der Schlucht die Dunkelheit heraufwuchs, höher und höher, mächtiger und mächtiger. Ein Heer schattenhafter Giganten krochen die Schatten den schönen Felsenleib des Kryvan hinauf; rings umher Finsternis verbreitend, verschlangen sie das Dorf der Juden, ihre Felder und Wälder, verschlangen sie das ganze Gebirge mit seinem letzten Tagesschein auf den Gipfeln, verschlangen sie den ganzen Himmel – –

Josepha war's, als wälzte sich der Tod herauf, und plötzlich empfand sie den Abschied von der Heimat, daß sie, wie in jähen körperlichen Schmerzen, leise aufstöhnte. Da funkelte über ihr der erste Stern, groß, still und leuchtend.

Als wollte das schöne Himmelslicht den Gedanken Josephas den Weg weisen, schwebte es langsam das Firmament empor.

Wunderbar getröstet ging Josepha ins Haus, um zum letztenmal das Lämpchen vor dem Muttergottesbild mit Öl zu versorgen und die letzte Abendmahlzeit zu rüsten. Keiner durfte ihr dabei helfen. Als alles bereit stand, rief sie ihren Mann, den sie in seiner ausgeräumten Schnitzkammer fand, wo er beim Schein der letzten geweihten Kerze an seine Schnitzarbeit die letzte Hand legte: ein Heiliger, welcher der Muttergottes sein blutendes Herz darbrachte. Das Herz des Heiligen schnitzte Michael Cibula als letzte Arbeit in seinem Hause; aber statt daß an dem Herzen Blut herabfloß, ließ er eine schöne, hohe Flamme daraus aufschlagen.

Ruhig wartend stand Josepha hinter ihm.

Nachdem die Flamme aus dem Herzen des Heiligen aufgegangen, sagte sie laut und feierlich:

»Komm und iß in diesem Hause das letzte Stück Brot und trinke in diesem Hause den letzten Schluck Milch – Gott der Herr gesegne dir beides.«

»Amen,« sprach Michael Cibula, stand auf, stellte den Heiligen nieder und legte das Schnitzmesser fort – aber nicht mehr an den alten Ort. Dann folgte er seinem Weibe.

Das Gesinde stand schon versammelt, auf den Bauern und die Bäuerin wartend; nur der Sohn des Hauses fehlte. Cibula schickte den Hirten, ihn zu suchen, aber nach einer Weile kam Mauro allein zurück. Josepha sah, wie ihr Mann die Stirn runzelte; sie glaubte zu wissen, wo der Knabe sei, und eilte hinaus, ihn zu holen.

Auf der Schwelle der alten Kirche, die Gras und Blumen überwucherten, saß Urs mit Ilja. Sie hielten sich fest umschlungen und hatten die Wangen aneinander gelehnt. Leise trat Josepha hinzu, legte wie zum Segen ihre Hand auf die Stirnen beider Kinder, küßte sie beide. Dann zog sie ihren Knaben sanft in die Höhe und führte ihn nach Hause.

Als sie alle beisammen waren, sprach Michael Cibula das Tischgebet; darauf setzten sie sich, kaum wagend, mit den Stühlen zu rücken und den Löffel zu heben. Das letzte Mahl im Hause der Cibula ward eingenommen, als säßen die Geister aller derer mit zu Tische, die in dem Hause, das die Enkel jetzt verlassen wollten, einst lebten und starben.

*

Dann kam die letzte Nacht im Hause der Cibula. Sie kam mit dunklem, feierlichem Weben, mit den heiligen, geheimnisvollen Schauern einer Brautnacht.

Ein Geist ging im Hause um. Aber es war nicht der ruhelose Schatten eines Cibula, sondern ein Seraph war's, ähnlich der Himmelsgestalt, die Asarja in seinen Fieberphantasien gesehen. Auf den Strahlen des Sternes, zu dem Josepha in ihrer Not aufgeblickt hatte, huschte es in das düstere Haus; es schlich durch die öden Kammern, und als es zu dem Bildnis der Muttergottes kam, hielt es mit stillem Lächeln die Hand über das Lämplein, damit die bösen Augen des Bildes nicht sahen, was nur gute Geister schauen durften.

Am frühen Morgen erwachte Michael Cibula. Ihm hatte geträumt, die Heilige sei aus dem Hause gewandelt; und so lebhaft war der Traum gewesen, daß er aufstehen wollte, um nachzusehen. Da fielen seine Augen auf das Gesicht seines Weibes neben ihm. Heller Sonnenschimmer verklärte es, daß Josepha aussah wie damals, als sie noch nicht Josepha Cibula hieß. Er konnte den Blick nicht davon abwenden und vergaß darüber den Traum und das Bildnis der Mutter Gottes.

Doch dann stand er leise auf, ging in den Garten und grub die Pflanzen aus, die er heimlich mitnehmen wollte: Josepha sollte in ihrer neuen Heimat unter ihren alten Blumen sitzen.

Vor allen anderen grub er Rosmarin aus; denn von Rosmarin ein Kranz hätte sein bräutliches Weib schmücken sollen an dem Abend vor der letzten Nacht, die Josepha im Hause ihres Gatten schlief.


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