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Zweites Kapitel

Ein Jude bleibt

Spät abends kam Michael Cibula von seinem Ausgange heim. Es war so finster, daß das Felsengebirge als eine einzige ungeheure schwarze Masse in den sternenlosen Himmel hineinwuchs. Im Walde war es dumpf wie in einem Gewölbe. Aber unbeirrt setzte Michael Cibula seinen Weg fort, so mit dem Orte vertraut, daß er kaum auf den Weg zu achten brauchte. In tiefem Sinnen schritt er dahin; denn in der Einsamkeit verlor sich dieser Mann stets in einem Labyrinth von Gedanken. Vollends in dieser Frühlingsnacht glich Michael Cibulas Geist dem mit dichtem Gewölk überzogenen Firmament: auch in seiner Brust waren, gleichwie am Himmel die Sterne, alle leuchtenden Gedanken ausgelöscht.

Er näherte sich dem bereits in tiefem Schweigen ruhenden Dorfe, als plötzlich hart am Wege eine dunkle Gestalt sich erhob, wie wenn sie dem Boden entstiege.

Michael Cibula, der als echter Waldmann so gut wie jeder andere Bauer von Piatra seinen unerschütterlichen Geister- und Teufelsglauben hatte, beeilte sich, drei Kreuze zu schlagen und den üblichen Spruch zu murmeln. Solchermaßen gegen jede Anfechtung des Bösen und alle Gefahren einer nächtlichen Geisterbegegnung gefeit, blieb er vor der unheimlichen Gestalt stehen, vollkommen darauf gefaßt, von dem Spuke angeredet zu werden, und bereit, eine derbe Antwort zu erteilen, eine echte Cibulaantwort.

»Michael Cibula!«

Das Gespenst kannte seinen Namen! Dennoch mußte es ihn schlecht kennen, sonst hätte es schwerlich die Sprechweise eines Ebräers angenommen. Das war gerade der rechte Ton, um Michael Cibula in Versuchung zu führen!

In jedem Falle war es ein dummes Gespenst.

»He, du da! Wer bist du und was willst du?«

Demütig erwiderte das Gespenst: »Ein Jude bin ich und ein Geschäft will ich mit dem Bauern Michael Cibula machen.«

Aber der fuhr drei Schritte vor dem eifrigen Geschäftsmann zurück. Einen Juden hatte er für ein ehrliches Gespenst gehalten, vor einem Juden hatte er drei Kreuze geschlagen und sogar den Geisterbann gesprochen! Für einen solchen Unhold hätte ein Fluch und ein Fußtritt genügt.

In Hellem Zorne schnaubte Michael Cibula den Ebräer an:

»Du ein Geschäft mit mir machen! Mache du dein Geschäft mit dem Teufel oder mit der verdammten Seele eures Judas Ischarioth oder sonst mit jedem, der ein Geschäft mit einem räudigen Hund machen will.«

»Das sollt Ihr tun,« flehte der würdige Sohn Israels.

»Fort, Jude!«

Michael Cibula schrie es, als ob er Apage Satanas! riefe.

Aber der Jude war beharrlicher, als der Teufel: der Jude blieb.

»Ich bin ein ehrlicher Jude und es ist ein ehrliches Geschäft,« versicherte er mit weinerlicher Stimme, seinen langen hagern Leib windend. »Ist auch ein gutes Geschäft,« setzte er hinzu, rühmend und lockend zugleich.

»Daß du mit deiner ehrlichen Schächerseele und deinem guten Wuchergeschäft vermaledeit seiest!« schrie Michael Cibula und hatte nun wenigstens den Fluch von der Seele.

Doch wäre für den Juden der Christ ohne den Fluch kein rechter Christ gewesen; deshalb sagte der Händler mit neuem Mute und neuer Hoffnung im besten Lockton:

»Es sind die reichen Juden von Tar, welche machen wollen mit den Bauern von Piatra das Geschäft. Es ist ein großes Geschäft!«

»So ködre die Bauern von Piatra, du jüdischer Kuppler! Vielleicht, daß sie dieses Geschäft mit euch machen!« versetzte Michael Cibula mit bitterem Hohne, der ihm selbst in die Seele schnitt.

Der Ebräer schlich hinter ihm her.

»Ich sag's dem Michael Cibula. Der Michael Cibula soll machen das große Geschäft mit den reichen und ehrlichen Juden von Tar.«

Da löste sich Michael Cibula auch der Fußtritt vom Herzen. In weitem Bogen flog das Jüdlein zu Boden, mitten in das Dickicht und Dornengestrüpp. Er lag und wimmerte kläglich. Tief aufatmend, ohne einen Augenblick stehen zu bleiben und umzuschauen, setzte Michael Cibula seinen Weg fort. Er war jedoch noch keine hundert Schritte gegangen, als er es schon wieder hinter sich drein huschen hörte.

»Die Juden von Tar lassen melden dem Bauern Michael Cibula – – «

»Daß dich der Teufel hole, du Höllenbrut,« brauste Michael Cibula auf. »Wer sind diese Bestien von Juden von Tar, die dem Michael Cibula durch ein solches Tier etwas melden lassen?«

»Er heißt Michael Cibula und kennt nicht die Juden von Tar!« kreischte der Jude voll höchsten Erstaunens.

Und er fuhr fort, sich über die Unwissenheit des Bauern zu wundern. »Kennt nicht die Juden von Tar und es hat doch ein Jude von Tar Mirjam Cibula zum Weibe genommen, Leben doch ihre Nachkommen noch heute und lassen es sich Wohlergehen vor dem Gott unserer Väter.«

Es war ein Glück für den Juden, daß Wut und Grimm Michael Cibula für einen Augenblick übermannten, sonst wäre die lange Rede des geschwätzigen Mannes vielleicht seine letzte gewesen. Nachdem der Bauer einen Augenblick regungslos wie gelähmt dagestanden, ging er mit schweren Gliedern langsam weiter und es kostete ihn Anstrengung, zu reden.

»Sage mir, Jude, was ist es, das die Juden von Tar mir durch dich melden lassen?«

Sogleich war es dicht neben ihm; er hörte es in seine Ohren flüstern, als zischelte eine Schlange ihm zu:

»Die Juden von Tar sind weise. Sie wissen viele Dinge; sie wissen, daß die Felsen der Verrös Silber bergen und die Bäche über Gold hinfließen. Und es wissen die weisen Juden von Tar, daß die Bauern von Piatra nicht anrühren dürfen dieses Silber und nicht nehmen können dieses Gold. Denn die weisen Männer, die ihre Väter waren, erließen ein Verbot, den Felsen der Verrös ihr Silber zu rauben, und sie gaben ihrem Stamme den Befehl, den Bächen zu lassen ihr Gold. Und die Bauern von Piatra halten dieses Gesetz ihrer Väter heilig, gleich einem Gebot ihres Gottes.«

Noch immer hielt sich Michael Cibula in Gewalt: er mußte von dem Juden noch mehr in Erfahrung bringen. »Von wem erfuhren die Juden von Tar alle diese Dinge?« murmelte er und konnte die Worte kaum aussprechen.

»Von Mirjam Cibula.«

Michael Cibula griff um sich, in die Luft hinein. Der ganze mächtige Mann zitterte, er würgte die Worte hervor:

»Und weil Mirjam – –« Er bekam den Namen nicht über die Lippen. »Und weil das Weib alle diese Dinge den Juden von Tar verraten hat, schicken die Juden zu mir, auf daß ich das Gebot brechen und das Gesetz umstoßen solle?«

In seiner Stimme klang es wie Grollen und Rollen, als ob ein Gewitter sich in seiner Seele zusammenzöge, und wie vor einem Gewitter bei schwüler Luft ward dem Juden zumute. Langsam wich er zurück vor der gewaltigen Gestalt des Bauern, sich krümmend, als wollte er sich in seinen eigenen Leib verkriechen.

»Rede, Jude: warum schicken die Juden von Tar zu mir?«

»Darum: wenn Michael Cibula den Juden von Tar helfen will, daß sie eingelassen werden in die Verrös und ihnen zugewiesen werden die Felsen, welche bergen das Silber, und die Bäche, welche dahinfließen über das Gold – wenn Michael Cibula ihnen zu solchem verhelfen will, wollen sie ihn machen zum mächtigsten und reichsten Mann der Erde.«

»Warum gerade mich?« fragte Michael Cibula, seine Lippen blutig beißend und nach Atem ringend, als ersticke er.

»Weil die Juden von Tar Macht und Reichtum zuwenden wollen dem Hause, daraus einst einer ihres Stammes sich ein Weib nahm.«

Zugleich sprang der Mann behende zur Seite, denn er gewahrte, wie der Bauer zu einem gewaltigen Schlage den Arm hob.

Es war unmöglich, bei der Finsternis den Fliehenden zu verfolgen. In ohnmächtiger, sinnloser Wut rüttelte Michael Cibula an dem Stamm, hinter dem der Ebräer verschwunden, als fasse und zermalme er den Leib des Mannes. Bis in den Wipfel erbebte der Baum.

Da vernahm Michael Cibula aus der Ferne den höhnenden Ruf: »Wenn der Bruder der Mirjam Cibula nicht will werden der reichste und mächtigste Mann, so fragen die Juden von Tar einen anderen. Wenn der Bauer zu dumm ist, wird weise sein ein anderer.«

Michael Cibula schrie auf und stürzte blindlings nach der Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Ein gellendes Gelächter, ein Rascheln und Brechen in den Gebüschen, und die Nacht wurde wieder so still wie sie dunkel war.

*

Am nächsten Morgen nach einer schlaflos verbrachten Nacht begab sich Michael Cibula zur Wohnung Stefan Dozanas. Er ging aber nicht hinein, sondern wartete vor dem Hause, bis der Priester herauskam, um die Messe zu lesen; dann trat er ihm in den Weg, und da Stefan Dozana noch vor der Kirche stand, auch seinen Bauernmantel und noch nicht den Priesterrock anhatte, fühlte Michael Cibula sich nicht veranlaßt, ihn zu grüßen.

»Höre, Stefan Dozana,« begann er in seinem rauhsten Ton, mit einem seiner finstersten Blicke. »Höre, ich habe mit dir zu reden.«

»So komm nachmittags in mein Haus.«

»Ich habe jetzt mit dir zu reden.«

»Dann sprich schnell, denn ich habe nicht lange Zeit dich anzuhören.«

»So lange ich hier mit dir rede, wirst du Zeit haben, mich anzuhören.« Sie sahen sich an und der Haß loderte beiden Männern gleich heiß aus den Augen. Dann fragte der Priester den Bauern:

»Was hast du mir zu sagen?«

»Als ich gestern nach Hause kam, spät abends,

um den Juden nicht zu begegnen, lauerte mir ein Jude auf. Er war aus der Judenstadt Tar und begehrte ein Geschäft mit mir zu machen. Da ich nun mit Juden keine Geschäfte mache, drohte der Mann, zu dir zu gehen. War er bei dir?«

»Weshalb willst du das wissen?«

»Weil ich es wissen will.«

»Ist das alles, was du mir zu sagen hast?«

»Ich weiß, daß der Jude bei dir war.«

»Dann brauchst du mich nicht zu fragen.«

»Er kam in der Nacht zu dir.«

»Da du es weißt, brauche ich es dir nicht erst zu sagen.«

»Sagte er dir, daß er mit mir das Geschäft habe machen wollen?«

»Wenn er es mit mir machen wollte, würde er mir schwerlich gesagt haben, daß du das Geschäft abgewiesen hast.«

»Hast du es angenommen?«

»Und wenn ich es angenommen hätte?«

»Dann,« entgegnete Michael Cibula, und er sprach plötzlich ganz ruhig und gelassen, »dann würde ich dich töten müssen.«

Wieder sahen sich beide an in unversöhnlicher Feindschaft.

»Weil deine Schwester Maria den Juden von Tar den Gold- und Silberreichtum der Verrös verraten hat, würdest du mich töten müssen, wenn ich den Juden behilflich wäre, zu dem Gold und Silber zu gelangen?«

»Dann würde ich dich töten müssen,« wiederholte Michael Cibula mit eisiger Ruhe. »Meine Schwester – die verflucht sei in alle Ewigkeit – soll keinen Bauern von Piatra dazu bringen, die alten Gesetze und Verbote unserer Väter umzustoßen.«

»Michael Cibula!«

»Ich frage dich: was hast du den Juden von Tar durch ihren Boten antworten lassen?«

»Und du glaubst, daß ich dir das sage?«

»Wenn ich das nicht glaubte, hätte ich dich nicht hier gefragt, sondern hätte dich vor die Gemeinde gefordert, mir dort Rede zu stehen. Welche Antwort gabst du den Juden von Tar?«

Stefan Dozana erhob seine rechte Hand.

»Siehe meine Hand an.«

Es war eine mächtige Hand, deren Schlag einen Menschen hatte töten können.

»Was ist mit deiner Hand?«

»Damit gab ich dem Boten meine Antwort.«

Michael Cibula nickte voll düsterer Befriedigung.

»Das dachte ich von dir.«

Aber zugleich regte sich in ihm ein Gefühl wie Neid.

»Übrigens konntest du den Juden von Tar gar keine andere Antwort erteilen; es lebt in Piatra niemand, der die Stelle kennt, wo die alten Bauern von Piatra ihre Schätze gesammelt. Als unsere Väter das Gesetz verfaßten, trugen sie zugleich Sorge, daß es nicht umgestoßen werden konnte; denn sie verschütteten die Gruben und vernichteten jede Spur. Selbst den Bächen gaben sie ein anderes Bett. Und wie auch die Bauern im geheimen nach Gold suchten, hat doch keiner jemals eine Spur davon wieder aufgefunden.«

»So konntest du freilich leicht verschmähen, der reichste und mächtigste Mann der Erde zu werden,« entgegnete Stefan Dozana mit einem höhnischen Lächeln.

Michael Cibula wollte auffahren; in demselben Augenblicke begann die Glocke zur Messe zu läuten; er verstummte, und Stefan Dozana begab sich in die Kirche.

Mit jenen fabelhaften Schätzen der ehemaligen Bewohner Piatras, mit dem Verschütten der Gruben und dem Ableiten der Bäche, deren Wasser über reines Gold geflossen sein sollte, verhielt es sich einer Sage nach – und bekanntlich war in Piatra Sage soviel wie Historie – folgendermaßen:

Irgend ein fabelhafter Fürst aus Polen hatte von großen Schätzen vernommen, die in einem wilden Tale der Karpathen von Bauern gesammelt worden waren. Goldgierig sandte der Fürst viele Krieger hin, den Ort auszukundschaften. Aber die Bauern von Piatra rollten von ihren Felsen große Steinblöcke auf die Andringenden herab und versperrten mit ihren Leibern den Eingang der Schlucht, die zu ihrem Tale führte. Viele der Bauern wurden erschlagen, der Polen aber noch mehr.

Diese mußten unverrichteter Sache wieder abziehen.

Da kam der Fürst selbst mit einem großen Heere. Furchtbar war die Schlacht. Fast alle Waldleute verloren das Leben, ihre Schätze wurden eine Beute des Feindes. Und die Polen blieben in der Verrös als Herren.

Dreißig Krieger ließen sie als Besatzung zurück, und die dreißig Krieger wurden in einer Nacht von den Weibern der Getöteten erschlagen.

Davon vernahm irgend ein König von Ungarn, und dieser fabelhafte König belohnte die Weiber von Piatra königlich: er belehnte sie und ihre Nachkommen mit ewigen Rechten und ewigen Freiheiten, wie alles auf uralten Pergamenten zu lesen stand.

Die Bauern von Piatra gingen in die Messe! Sie gingen jeden Morgen in die Messe und jeden Abend auch; am liebsten wären sie auch jeden Mittag und Nachmittag gegangen; und es wäre ihnen als ein großes Unglück erschienen, hätten sie einmal nicht in die Kirche laufen können. Das kam indessen nur vor, wenn sie krank waren oder auf dem Sterbebette lagen, und dann kam die Kirche zu ihnen ins Haus; dann wurde das Sterbebett zum Altar, darauf ihre brechenden Augen das Allerheiligste gewahrten, ihrem sterbenden Munde der göttliche Leib gereicht ward, so daß gar mancher sein letztes Stündlein für das glücklichste und herrlichste seines Lebens hielt.

Auch an diesem Morgen füllten sie das kleine, dunkle Gotteshaus; sie überfüllten es. Die enge Halle, die vor einem halben Jahrtausend für die Väter gerade ausgereicht hatte, faßte nicht mehr die Söhne und Enkel. Sie knieten vor der Türe und auf dem Platze. Michael Cibula freilich meinte, daß sie auch im Walde knien könnten, unter Wipfeln und Felsen, und daß das grade für die Waldleute der rechte Platz sei.

Aber heute drängte auch er sich hinein; denn während er noch mit Stefan Dozana sprach, hatte er Josepha kommen und eintreten sehen. Sonst pflegte sie, wenn beide nicht zusammen kamen, auf ihren Mann vor der Kirchtür zu warten. Doch heute trat Josepha ohne ihn in die Kirche. Weshalb?

Und Michael Cibula drängte seinem Weibe nach, mit einer Hast, daß alle auf ihn sahen.

Da stand er nun unter den Männern, wollte beten und fand nicht die Andacht zum Gebet. Immer mußte er auf- und hinüberschauen, wo unter den Weibern Josepha kniete: keine hatte so reiches goldiges Haar wie sie, keiner stand das helle Gewand, der dunkle Granatschmuck und die schwarze Pelzhaube wie seinem Weibe. Ihre Augen konnte er nicht sehen, die hielt sie auf ihre gefalteten Hände gesenkt. Aber Michael Cibula wußte: keine hatte solche dunklen und solche – traurigen Augen wie sie.

Wenn sie den Priester ansah, leuchteten ihre Augen gewiß auf. Und während des ganzen Gottesdienstes spähte er, anstatt zu beten, zu Josepha hinüber, ob er ihre Augen nicht aufleuchten sähe.

Aber Josephas Kopf blieb gesenkt.

Da wies Stefan Dozana seiner Gemeinde das Allerheiligste.

Michael Cibula beugte sich in Demut und Zerknirschung so tief, daß seine Stirne fast den Boden berührte. Während er so dalag, fiel ihm ein: Jetzt sieht sie den Priester an! Jetzt können sie sich ansehen, ohne daß jemand es gewahrt. Wie ihre Augen sich jetzt herzen und küssen mögen!

Seine Zähne stießen knirschend zusammen; aber er richtete sich nicht auf; er blieb sogar länger am Boden liegen, als die anderen. Als er sich endlich erhob, war Josepha schon aufgestanden.

Die Gemeinde drängte sich zu dem Priester, alle ließen sich segnen. Nur Josepha blieb stehen, wo sie stand.

Hart an Michael Cibula vorüber schritt Stefan Dozana. Noch war er in diesem Augenblick für Michael Cibula nicht Stefan Dozana, sondern der Priester, der den Leib des Herrn austeilte, der das Blut des Heilandes trank, ein fast heiliger Mann. Und als er an ihm vorbeikam, neigte der Bauer sein Haupt und ließ sich segnen. Es schien, als ließe der Priester seine Hand auf der Stirn seines Feindes länger ruhen, als auf dem Haupte der anderen.

Vor der Kirchentür wartete Michael Cibula auf Josepha, und als diese kam, schritten beide, wie immer, schweigend ihrem Hause zu. Sie gingen dicht nebeneinander, und doch lag ein Abgrund zwischen diesem Weibe und diesem Manne, wie er nicht tiefer zwischen den Felsen von Piatra und den Abhängen des Kryvan war, dem schönen Gebirge jenseits der Schlucht.

Als die beiden Gatten sich ihrem Hause näherten, sprang ihnen ihr kleiner Sohn entgegen, sich zwischen sie und an seine Mutter drängend. Aber Michael Cibula trieb den Knaben fort.

Während heute Stefan Dozana in der Kirche die Hand auf dem Haupte seines Feindes hatte ruhen lassen, mußte er daran denken, daß er die Rache in seiner Hand hielt. Er hielt sie in beiden Händen.

In der einen Hand hielt er die Rache als Mensch, in der andern als Priester. Seine Rache als Mensch ließ sich durch ein Weib vollführen, seine Rache als Priester durch sein Priestertum.

Er konnte das eine ober das andere, er konnte beides wählen.

Er konnte Michael Cibula zuraunen: Ich vermag dich von deinem Weibe zu scheiden. Und er konnte ihm zudonnern: Ich scheide dich von Gott! Und doch hatte seine segnende Hand heute schwer auf dem Kopfe seines Feindes geruht.

*

Der Bote der Juden kehrte inzwischen zu der Stadt Tar zurück und meldete:

»Sie wollen das Geschäft nicht machen.«

»Hast du gesprochen mit dem Bruder der Mirjam?« forschte der Patriarch der Juden, ein schöner, gewaltiger Greis, der ihn ausgeschickt hatte.

»Ich werde nicht wieder mit ihm sprechen zum zweitenmal.«

»Was sagte Michael Cibula?«

»Was soll er gesagt haben? Er stieß mit dem Fuß nach dem Juden wie nach einem räudigen Hund, und hätte den Juden am liebsten totgeschlagen wie einen räudigen Hund,« entgegnete der gekränkte Bote mit einer Jammermiene.

»Und der Priester?« forschte der Greis.

Der Jude machte ein Gesicht, als ob er greinen wollte, grinste jedoch nur. Dabei kniff er, wie im höchsten Entzücken, beide Augen ein, schnalzte mit der Zunge, als ob er eine Lieblingsspeise koste, und deutete auf sein Gesicht, dessen eine Wange eine seltsame Spur zeigte, fast wie das Merkmal eines gewaltigen Backenstreiches. Und er wimmerte:

»Was fragt mich Baruch Kolon nach der Antwort des Priesters, seht, wie des Priesters Antwort geschrieben steht auf meinem Gesicht. Aber – –« und der Jude dämpfte seine Stimme zum Flüstern, »aber ein Geschäft ließe sich machen mit ihm.«

Er riß plötzlich beide Augen auf und schielte dem Patriarchen verschmitzt in das ehrwürdige Antlitz. »Aber es müßte sein ein Geschäftchen.«

»Wie meinst du das?«

»Nu, das mein' ich.«

Als Baruch Kolon bald darauf dem Weibe seines Sohnes Jehuda begegnete, sagte er ihr:

»Ein Mann aus Tar ist in der Heimat deiner Mutter Mirjam gewesen und hat mit dem Bruder deiner Mütter gesprochen. Es ist dort ein Land, darin Milch und Honig fließt.«

Die schöne Jüdin war blaß geworden, ihre dunklen Augen füllte ein heißer Glanz; doch wagte sie nicht, den Patriarchen weiter zu fragen. Sie ging zu ihren Kindern, denen sie den ganzen Abend von der Heimat ihrer toten Mutter erzählte.

Dort war es schön!


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