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Fünftes Kapitel

Und sie bauten!

Und sie bauten! Zunächst für sich selbst. Statt der Hütten aus Zweigen und Moos bauten sie Häuser aus Balken und Stein. Sie bauten so wohl und so fest, als ob nicht allein sie, sondern auch ihre Nachkommen die Häuser bewohnen sollten – bis ins sechste und siebente Glied.

Die Waldleute hätten Einsprache dagegen erheben können, namentlich, was das Fällen der Bäume anbetraf, ließen sich indessen genügen, darüber zu erstaunen. Sie spotteten auch wohl, daß die Juden sich für das eine Jahr so große Mühseligkeiten bereiteten; und da Steine brechen und Steine tragen ihre liebste Lebensbeschäftigung zu sein schien, verachteten sie sie nur um so mehr.

Nur dem Priester Stefan Dozana wollten ihre Anstalten bedenklich erscheinen; als er jedoch gewahrte, mit welchen wütenden Blicken Michael Cibula nach dem schönen Kryvan hinüberblickte, schwieg er dazu.

Der Winter blieb überaus mild und beinahe schneefrei, so daß die Juden die ganze Zeit hindurch für sich Steine brechen und ausmauern konnten. Wieder halfen Weiber und Kinder, und wieder war die Arbeit ein Fest, waren die Mühseligkeiten Freuden. Die herrliche Dozia indessen schienen die Steine schwerer zu drücken als im vergangenen Sommer, wo sie doch als Magd der Christen getragen: trauervoll schritt sie in ihrem düsteren Gewande dahin. Ihre Kinder und die Stammgenossen verstanden dieses verwandelte Wesen nicht und empfanden Scheu vor Dozias dunklem Ernst.

Als die Milde der Witterung auch nach Weihnachten anhielt, sandten die Waldleute nach dem Kryvan hinüber: die Ebräer möchten mit dem Bau der Kirche beginnen! Doch ließen die Juden zurücksagen: es sei beschlossen und besprochen worden, daß sie erst nach Ostern anfangen sollten. Das hatte seine Richtigkeit. Bei der allgemeinen Aufregung, die über den stolzen Kirchenbau und die nochmalige Unterjochung der Fremden in Piatra herrschte, hatte man bei dem Abkommen, welches die Christen mit den Juden getroffen, nicht genug den Anfangstermin beachtet, den der weise Baruch Kolon auf die christlichen Ostern gesetzt. Freilich lag um diese Zeit gewöhnlich noch tiefer Schnee in der Verrös.

So mußten sich die Waldleute gedulden; es wurde ihnen schwer genug. Denn seit dem Herbst träumten und sannen sie nichts anderes, als ihre Kirche fertig zu sehen, und wäre es nur, um auf der Tafel, die der schwebende Engel hielt, lesen zu können, von wem das herrliche Heiligtum gebaut worden und wem »zum ewigen Gedenken!«

Aber in ihren Gedanken setzten alle an Stelle des Wortes: Gedenken etwas anderes und alle lasen: zum ewigen Dank!

Nach Weihnachten waren die Bauten der Ebräer auf den Abhängen des Kryvan bereits so weit fortgeschritten, daß die Juden Arbeiter entbehren konnten. Unter den Ältesten fanden viele Beratungen statt, worauf die Entbehrlichen die Kolonie verließen und hinab in die bewohnten Täler zogen, und weiter in die Ebenen und Städte. Nach einigen Wochen kamen sie wieder zurück, ihrer mehr, als gegangen waren. Sie brachten hochbeladene Maultiere mit, Zugvieh, allerlei Geräte, Sämereien und sonst viel Nützliches.

Die Waldleute gewahrten alles und freuten sich; denn sie meinten, daß alles für den Bau ihrer Kirche geschähe. Und als Baruch Kolon mit seinem Sohne zu ihnen herüberkam, sich tief vor ihnen neigte und bat, die Bauern von Piatra möchten den Juden von Tar gewähren, die Wiesen, welche ihre Hütten umgaben, bis zur Grenze des Waldes mit Gemüsen und anderen Früchten des Feldes bestellen zu dürfen, damit sie sich mit ihren Weibern und Kindern bei der harten Arbeit des Sommers kräftig nähren könnten – als der Weise vom Berge Kryvan voller Demut so sprach, gewährten die Leute vom Walde, um was man sie bat. Aber es sollten nur solche Feldfrüchte sein, die im Frühling gepflanzt wurden und im Herbst geerntet sein mußten.

Diese Erlaubnis, auf dem Berge Kryvan zu säen und zu ernten, wurde den Ebräern nicht in Übereinstimmung aller erteilt, und es waren viele in Piatra, die laut dagegen murrten. Die Unzufriedenen mehrten sich, als man eines Tages eine stattliche Viehherde, Tiere von einer viel besseren Art, als die Bauern von Piatra sie besaßen, in das Judendorf eintreiben sah.

Da nun die Waldleute hinübersandten, um wegen der Herden Beschwerde zu führen, kam der ehrwürdige Baruch Kolon selbst, um seinen Stamm zu entschuldigen: die Kinder Israels hätten nach Milch geschrien. Ob sie die unschuldigen Kindlein hätten schreien lassen sollen?

Die Bauern beharrten bei ihrem Unwillen und wollten die Herden auf ihrem Berge nicht dulden. Aber diesesmal legten sich die Bäuerinnen ins Mittel, und das mit solchen kräftigen Stimmen für die Notdurft der jüdischen Kinder, daß die Männer wohl oder übel schweigen mußten. Auch waren die Heiden nun einmal da.

Es war aber durch die Fremden Streit und Unfrieden in die fromme Gemeinde gekommen, so daß in Piatra täglich gehadert wurde.

Schuld an diesem Unwesen trug die Erregung, die sich seit der Ankunft der Ebräer aller bemächtigt und die Gemüter aus ihrer Dumpfheit aufgerüttelt hatte. Es war nicht anders, als wären die Bauern von Piatra aus einem vielhundertjährigen Schlaf aufgewacht und wüßten nun nicht, was anfangen mit ihren Lebensregungen: ob sie stehen oder gehen, schweigen oder sprechen sollten. So taumelten und schrien sie dann und benahmen sich im Gefühl ihrer Kraft gleich ungebärdigen Knaben, die sich schon Männer dünken. Und schuld daran war der gegenseitige Haß der beiden mächtigsten Häuser des Walddorfes. Diese Leidenschaft, welche erst die Ankunft der Juden völlig entfesselt hatte, spaltete das Dorf in zwei feindliche Lager: hie Dozana, hie Cibula! Der Streitruf der Dozana war mächtiger, der der Cibula dagegen klang wilder. Doch war es, wie überall, auch hier die Macht, die entschied. Vielleicht, daß ohne den Bau der neuen Kirche die Partei Michael Cibulas zugenommen hätte; denn dem Christentum vieler Gemüter war durch die einmalige Demütigung der Juden und das Anbahnen der Himmelsstraße Genüge geschehen, so daß sie wohl auf fernere Triumphe über die Feinde Gottes und eine Pflasterung jenes überirdischen Weges verzichtet hätten. Aber die neue Kirche mit ihrem hohen Turme, ihrem schwebenden Engel, ihrer leuchtenden Gedenktafel, war das Danaergeschenk der Juden an die Christen.

Und sie bauten! – – Baruch Kolon war von früh bis spät auf dem Bauplatz. Wenn der Patriarch, die Rollen mit den Plänen in der Hand, auf dem Gestein saß, glich er in dem langen Gewande, mit dem schönen, gewaltigen Greisenantlitz und dem silberweißen Bart, der über die Brust herabwallte, einem der heiligen Erzväter seines Volkes. Genau, wie es auf dem Plane verzeichnet, gab er alles an, jedem seine Tätigkeit zuweisend. Während der Arbeit sprach er Worte der göttlichen Weisheit, so daß die Juden den Christen einen Tempel bauten, in dem sie andachtsvoll den Verkündigungen ihrer Propheten lauschten.

Mit dem Bauen übereilten sie sich nicht, führten noch keine Mauern auf, sondern glätteten vorerst die Steine, meißelten die Verzierungen aus, bildeten die Säulen, das Gebälk und den schwebenden Engel. Sie taten das alles mit solcher Kunst, daß die Waldleute, die nur weiches Holz zu behandeln vermochten, staunend zusahen und sich, wiewohl mit steigender Ungeduld, in den langsamen Fortschritt des Baues fügten.

Stefan Dozana besuchte den Bau jeden Tag. Doch geschah es häufig, daß die weisen Lehren und frommen Sprüche des Patriarchen den Priester vertrieben. Dann blickten die Ebräer sich an, als habe der Gott der Juden über den Gott der Christen triumphiert, nicht bedenkend, daß da ist nur ein einziger, alleiniger und einiger Gott.

Zwei Tage in jeder Woche blieben die Ebräer auf ihrem Berge: am jüdischen Sabbath und am christlichen Sonntag. Im ersten Jahr ihrer Dienstzeit hatten sie auch an den Festtagen der Christen Steine brechen und tragen müssen, und die Bäuerinnen standen im Festschmuck auf der Gasse und höhnten und beschimpften die Juden lauter als an Wochentagen. Jetzt fingen die Bauern an zu befürchten, daß der Heiligkeit des Werkes Abbruch geschähe, und so ungeduldig sie auch waren, so sehr sie sich auch gebürdeten wie Kinder, die nicht erwarten können, bis sie das Begehrte bekommen, so baten sie doch schließlich Stefan Dozana, die Juden am Sonntage feiern zu lassen. Diesen Tag benutzten die Ebräer, um an ihren neuen Häusern und auf den neuen Feldern zu arbeiten, deren jungfräuliche Erde herrliche Früchte zu geben versprach.

Es waren in diesem Sommer nur die jüdischen Männer im Dienste der Christen. Als die Bauern sich darüber beklagten und auch die Arbeit der Frauen und Kinder verlangten, wurden sie mit ihrer Forderung kalt abgewiesen: Dieselbe sei unberechtigt! Nur mit den Juden sei der Vertrag geschlossen worden. Seit wann man Verträge mit Weibern und Kindern mache?

Aber die Weiber und Kinder hätten im vergangenen Sommer auch Steine getragen, antworteten die Christen.

Sie hätten aus freiem Willen den Männern geholfen.

So blieben denn die Frauen und Kinder zu Hause, gruben und pflanzten, säten und jäteten – ernteten! Die Waldleute sahen ihre schöne, grüne Halde bis zur Grenze des Waldes umgeackert und in Parzellen eingeteilt; sie sahen die üppig aufsprießende Frucht, sahen die ebräischen Frauen und Kinder mit froher Gartenarbeit beschäftigt und hatten darüber ihren stillen und lauten Ärger, den letzteren besonders die Frauen.

An schönen Abenden, wenn nach dem Untergang der Sonne die Stille des Tales noch stiller ward, vernahmen sie den Gesang der Juden. Es waren düstere, eintönige und feierliche Weisen; aber sie sangen doch, während die Waldleute schwiegen.

Selbst die Herdenglocken der jüdischen Gemeinde klangen viel froher als die von Piatra.

Gesang und Glockenläuten entflammten Michael Cibula zu hellem Zorn; aber am meisten reizte ihn der Juden Tätigkeit auf den Feldern. Er sah jene tun, was die Christen hätten tun sollen, und das schon vor einem halben Jahrtausend. Er hatte gemahnt und gemahnt und immer von neuem der Gemeinde vorgeschlagen, auf den sonnigen Abhängen des Kryvan Feldfrüchte zu bauen. Doch die weisen Häupter hatten zu allem den Kopf geschüttelt: Waldbauern wären sie, Waldbauern blieben sie! Hätte der Vater nicht Korn und Flachs gebaut, so sollte es auch der Sohn nicht tun. Nun, die Söhne taten es nicht, aber die Juden.

Blieb dieses Volk noch ein drittes Jahr in der Verrös, so würden im dritten Jahre die Juden auf der Christen Gebiet Weizen schneiden; für die Christen blieb die Spreu übrig. Und Michael Cibula lachte grell auf.

Es dauerte lange, indessen endlich kam es so weit: sämtliche zum Bau der Kirche nötigen Steine lagen behauen und geglättet. Sie glänzten und gleißten im Sonnenschein; aber ringsum war die Erde aufgewühlt, der Rasen zertreten, so daß es keinen frohen Anblick gewährte. Die Säulen und das Gebälk jedoch waren im Schatten des Waldes selbst gezimmert und hergerichtet worden und bedeckten den dunkeln Moosgrund wie die Trümmer eines Tempels, darüber der wilde Wald aufgeschossen. Der Engel stand an einem Platze, den Heckenrosen und Efeu überspannen. Auf Kopf und Schultern des Seraphs setzten sich die Vögel und sangen dem schönen blassen Steinbilde alle ihre Lieder, als wollten sie den glänzenden Marmor zum Leben erwecken.

Auf die Tafel, darauf noch keine vielbedeutenden Lettern eingegraben standen, malte die Sonne geheimnisvolle goldene Chiffern, eine strahlende Runenschrift, welche die Menschen nicht zu deuten vermochten. Und doch gab auch sie »Gott die Ehre.«

Während der schöne Cherubim, der die Bauern von Piatra an der Schwelle ihres Gotteshauses zu ewigem Gedenken mahnen sollte, noch voll göttlicher Ruhe auf das Weben des Waldes zu lauschen schien, ergriff immer heftigere Ungeduld die Bauern. Sie ließen ihre Arbeit im Stich und liefen aus den Häusern, um die Steine zu ihrer Kirche im Sonnenschein leuchten zu sehen. Endlich – es war Hochsommer geworden – wurde der Grundstein gelegt.

An diesem Tage durfte kein Jude über die Schlucht, Piatra feierte den Tag als glänzendes Fest. Die Partei der Cibula hielt sich grollend zurück; doch sie wurden immer kleiner, und mit jedem Baustein, der in der Sonne aufglänzte, gewannen die Dozana einen neuen Genossen. Sie taten sich mächtig hervor und empfingen die Ehren des Tages, daß es fast war, als würde nicht zu einem Hause Gottes, sondern zu einem Tempel der Dozana der Grundstein gelegt.

Noch stand dort, wo sich das Heiligtum erheben sollte, der Wald, auch ein Tempel, mit düstern Riesensäulen, dunkeln Hallen und dämmerungsvollen Kuppeln. Feierliche Stimmen füllten die schönen Wölbungen: Waldesweben, Windessausen und Sturmgebraus. Auch der Altäre waren viele: für alle Götter! Sammetweiche Moosdecken bekleideten sie, das Himmelswasser des Taues glänzte darauf und die Erde opferte dafür ihre Blumen und Früchte. Den schallenden Chorgesang ließen die Vögel ertönen; aber Betende und Priesterin zugleich war die Natur. Wenn diese göttliche Verkünderin der Herrlichkeiten des Himmels bei dem großen Hochamt des Frühlings das Allerheiligste enthüllte und sich das Mysterium der Wiedergeburt vollzog, ging ein Beben durch den Tempel, als durchströme ihn der lebendige Odem Gottes.

Doch die Menschen bauten ein anderes Heiligtum zu anderem Gottesdienst; und als der Grundstein dieses Sanktuariums in die Tiefe sank, ging es wiederum durch den Wald wie ein großes Erschauern. Aber nicht der Hauch Gottes war davon die Ursache, sondern die Hand des Menschen, die an den Stamm, der dort stand, wo der Altar sich erheben sollte, die Axt anlegte. Es war eine gewaltige Zirbenkiefer, und als sie krachend stürzte, lief ein Seufzen durch die Wipfel, daß es schier schaurig klang.

Auf der andern Seite der Schlucht lauschten die Juden den dumpf dröhnenden Schlägen, die das Echo wie in wildem Hohne nachhallte; und als der erste Stamm fiel, begegneten sich die Blicke der Kinder Israels. Es war Sabbath, so daß auch die Juden den großen Festtag der Christen heiligten. Nur die schöne Dozia blieb in ihrem Trauergewand, das sie doch sonst an jedem Feiertage gegen ein glänzendes Kleid vertauschte, Michael Cibula aber, der von seinem Gärtchen aus den Wipfel des stolzen Baumes Wanken, sich neigen und sinken sah, ging voll schmerzlichen Ingrimms in sein Haus und in des Hauses entlegenste Kammer.

Aufgeschreckt von dem Geprassel, flogen ringsum die Vögel davon, so daß auf dem Platz, wo in Zukunft das Wort Gottes gepredigt werden sollte, ein langes banges Schweigen ward. Dann erhob der Priester seine Stimme. – –

*

Es war in diesem Jahre nicht mehr die Rede von dem Fortziehen der Ebräer; denn wer hätte dann die Kirche bauen sollen? Die Waldleute hatten vom Zusehen nicht das Bauen gelernt. So blieben denn die Juden ruhig in ihren festen Häusern auf dem Kryvan wohnen und keiner von ihnen tat, als könnte es anders sein.

Wahrend im Herbst die Männer anfingen, die Mauern der christlichen Kirche aufzuführen, beackerten die Frauen mit der Pflugschar die Felder. Wie eine Göttin in all ihrer Schönheit schritt als erste der Pflügerinnen Dozia hinter den Stieren her, kräftig den langen Stecken über den mächtig gehörnten Häuptern schwingend, Asarja und Makkabea lasen die Steine zwischen den schwarzen Schollen aus. Die heilige Feldfrucht, mit der die Juden diesen Herbst den ersten Acker ihrer neuen Heimat bestellten, war der Weizen.

Auch sonst hatten die Ebräer den Sommer für ihre junge Ansiedelung trefflich zu nutzen gewußt. Die Kinder der Waldleute suchten Blumen und Nester, fingen Käfer und Schmetterlinge, vergnügten sich mit Kiesel und Sand – die Judenkinder spielten ihrer Natur nach weniger des Vergnügens, als um des Nutzens willen. Sie erkletterten die Felsen des Kryvan, sammelten Gras und Kräuter, die sie nach Hause schafften und trockneten; sie stiegen in die Klüfte, suchten nach Kristallen und Erzen, sie dämmten die Bache ein und suchten nach – Gold.

Stefan Dozana wollte vor Ungeduld vergehen. Trotzdem die Erbauer Steine auf Steine schichteten, schienen die Wände der Kirche nicht höher aufzusteigen; es war fast, als wäre der weise Baruch Kolon auf die List der weisen Frau Penelope verfallen.

Frühzeitig trat Frost ein, das Bauen mußte eingestellt werden. Alsbald rüstete sich wieder eine Schar von Juden zum Auszug in die Ebene, und wieder kamen sie – diesesmal nach noch längerer Abwesenheit – mit neuen Stammgenossen, neuem Vieh und neuer Habe zurück; diesesmal verstohlen und bei Nacht.

Auch diesen dritten Winter verbrachte Dozia zum großen Teil am Webstuhl. Als das gehorsame Weib ihres Mannes tat sie, was Jehuda ihr zu tun hieß; sie schnitt die schwarzen Fäden vom Holze und füllte das Schifflein mit leuchtender Seide. Denn es sollte ein gar herrliches Gewand werden: auf purpurfarbenem Grund scharlachrote Arabesken. Jede Königin des Orients hätte sich in den prächtigen Stoff hüllen können, es sollte Dozias Festkleid werden, wenn die vertriebenen Juden von Tar den Tempel weihten, den sie sich in der neuen Heimat erbaut hatten.

Doch es schien, als wirkte Dozia sich ein Schmerzenskleid. Herzeleid war der Webstuhl, Harm das Schifflein und Sorgen der Einschlag; und wenn die Kinder die Mutter quälten, ihnen Geschichten zu erzählen und die alten Märchen wieder zu hören verlangten, seufzte Dozia und schwieg.

*

Und sie bauten!

Doch es waren keine heiligen Hallen, sondern ein Gebäude des Hasses, zu dem Stefan Dozana und Michael Cibula unablässig Stein auf Stein trugen.

Offen waren die Feindseligkeiten zwischen den beiden alten Gegnern ausgebrochen. Aber nach wie vor ließ Michael Cibula von dem Priester sich die Beichte abnehmen; tiefgebeugt lag er vor seinem Feind auf den Knien, diesem die geheimsten Regungen seines wilden Gemütes bekennend. Nur eine einzige Empfindung verhüllte er vor dem Priester: das war die unsinnige Liebe zu seinem Weibe, seine wütende Eifersucht auf einen anderen.

Und tief gebeugt bekannte er seinen Haß gegen den Mann, dem er es eingestand. Das geschah kurze Zeit, nachdem die Juden am Kryvan sich aus Zweigen Hütten gebaut hatten.

Aber der Priester konnte ihm die Sünde nicht vergeben: nicht der Sünde selbst wegen, sondern weil der Sünder unbußfertig in den Beichtstuhl gekommen.

So ging denn Michael Cibula in seinen Sünden herum und wollte nicht bereuen und verzehrte sich doch in Sehnsucht nach der Gemeinschaft mit Gott. Unsäglich war sein Hunger nach dem Labsal des göttlichen Fleisches, sein Durst nach dem göttlichen Blut, Ein volles Jahr hatte er die Qual getragen; dann kam er wieder zu Stefan Dozana, beichtete wieder, wurde unbußfertig befunden, wurde wieder zurückgewiesen von der Gemeinschaft, von der Vergebung, von dem Heile.

Das war geschehen, als die Juden schon im zweiten Jahre auf dem Kryvan wohnten, ihre Hütten in Häuser umwandelten, ihre Äcker bebauten, ihre Herden weideten.

Wilder und wilder wurde in Michael Cibulas Seele die Sehnsucht nach den ihm vorenthaltenen Gnadenmitteln des Himmels; wilder und wilder loderte in ihm sein Haß auf gegen Stefan Dozana.

Im dritten Jahre der Anwesenheit der Juden kam er zum dritten Male in den Beichtstuhl. Er war dem Verschmachten nahe.

Der Priester sprach zu ihm: »Bekenne deine Sünde.«

Darauf Michael Cibula: »Ich bekenne sie.«

Aber der Atem stockte in seiner Brust, Stefan Dozana mußte ihn mahnen.

»Wessen klagst du dich an vor Gott und mir, der ich eingesetzt bin in Gottes Namen, Sünden zu vergeben und Sünden zu strafen?«

»Ich klage mich an,« begann Michael Cibula mit heiserer Stimme, »ich klage mich an, daß ich einen wilden Haß in mir trage, und daß ich mit diesem Hasse in mir umhergehe wie ein rasendes Tier, das sich jeden Tag auf den Mann stürzen möchte, den ich hasse, mehr als die Sünde, ärger als den Bösen. Denn ich muß diesen Mann als meinen größten Feind erachten, der mir übles antut und mich zu verderben sucht. Aber vor allem hasse ich ihn, weil er diesem Dorfe den Frieden genommen. Und dieser Mann bist du selbst!«

Wohl niemals war eine ähnliche Beichte abgelegt. Blassen Angesichts sprach der Sünder, blassen Angesichts horchte der Priester.

Ein langes Schweigen folgte; dann vernahm Michael Cibula die gedämpfte Stimme Stefan Dozanas:

»Kommst du bußfertig mit deiner Sünde zu Gott?«

Keine Antwort, Stefan Dozana hörte nur den keuchenden Atem des Sünders. Lange harrte er; dann frug er wiederum:

»Bereust du?«

»Nein!«

Nein! Obgleich die gepeinigte Seele des Sünders vor Verlangen nach der Kommunion fast verging – nein! Obgleich Stefan Dozana, der Priester, die Rache in seinen Händen hielt – dennoch: nein!

Wiederum ein langes, langes Schweigen. Auch der Beichtiger rang mit Gott, und Gott war ihm barmherzig.

Also noch einmal, ein letztesmal:

»Bereust du deine Sünden?«

»Nein! Nein!«

»Du bereust deine Sünden nicht als Mensch; aber du bereust sie gewiß als Christ? Als Christ, der lechzt nach der Vergebung des Herrn, der verschmachtet nach dem Brunnen der göttlichen Gnade?«

Doch auch jetzt nur ein Stöhnen als Antwort.

»Gedenke des ewigen Heils deiner Seele!«

Mächtig klang der Ruf, warnend, drohend, gebieterisch.

Da, mehr ein Aufschluchzen als Worte:

»Ich bereue – als Christ – –«

»So sei dir als Christ im Namen Gottes vergeben. Ziehe hin in Frieden und sündige hinfort nicht mehr.«

Am nächsten Tage empfing Michael Cibula aus Stefan Dozanas Händen den Leib des Herrn, ging gespeist und getränkt von dannen und – sündigte weiter.


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