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Elftes Kapitel

Josepha betet an

Zwei volle Wochen mußten die Waldleute während der Abwesenheit Stefan Dozanas leben, ohne in die Messe zu gehen und ohne sich segnen zu lassen. In diesen vierzehn unchristlich hingebrachten Tagen hätte in Piatra kein Mensch sterben dürfen, oder Piatra wäre in Verzweiflung geraten.

Um sich in etwas schadlos zu halten, verbrauchten sie unerhörte Mengen Weihwassers, legten die Rosenkränze kaum aus den Händen und beteten, was sie beten konnten. Den ganzen Tag füllten sie die Kirche, den ganzen Tag beinahe läuteten die Glocken. Sich an den frommen Klängen erbauend, brachten sie zugleich den Heiligen dadurch nachdrücklich ihre Frömmigkeit in Erinnerung und gaben ihnen die Versicherung, daß ihrer in Piatra nach wie vor in Treuen gedacht werde. Den ganzen Tag mußten auf dem Pfad die Kinder ausspähen, ob ihr Priester noch immer nicht zurückkehrte.

Eines Abends endlich hieß es: er kommt! Und er kam, von einem ganzen Zuge von Männern und hochbeladenen Maultieren gefolgt.

Die Waldleute eilten ihrem heimkehrenden Seelenhirten voller Jubel entgegen, begrüßten ihn mit Freudengeschrei und führten ihn triumphierend ins Dorf. Vor der alten Kirche machte der Zug Halt und sogleich wurden die Maultiere abgeladen. Darauf ließ Stefan Dozana von den fremden Handwerkern, die er für die Ausschmückung der Kirche geworben, sämtliche Ballen und Kisten aufschnüren.

Die Waldleute standen mit ihren Kindern herum, selbst wie die Kinder. Auch der Würdevollste vergaß bei dem Anblick, der sich ihm bot, für einen Augenblick, daß er ein Bauer von Piatra sei, und freute sich wie ein ganz gewöhnliches Menschenkind. Was nun gar die Frauen anbetraf, so gebärdeten sich diese, als wäre es in Piatra niemals Brauch gewesen, daß die Bäuerinnen auf dem Kirchplatze in ehrerbietiger Entfernung von den Männern und schweigend dazustehen hatten. Sie drängten sich zu den ausgepackten Schätzen, als hätte Stefan Dozana von seiner Reise Kisten voller Ablaßzettel mitgebracht und nun alle die vergebenen Sünden auf den Rasen gestreut.

Da waren Schreine, Leuchter, Kirchengeräte, alles schön und flimmernd. Da waren seidene Fahnen mit bunten Bildnissen, Meßgewänder, purpurfarbene Behänge für Altäre und Wände. Ferner ein volles halbes Dutzend Heilige! Gleich Unkraut lagen künstliche Blumen zusammengeworfen. Ein Riesenbild der Himmelskönigin mit wächsernem Gesicht und flächsernem Haar! Wohin die Waldleute schauten, überall glänzte und gleißte es ihnen entgegen.

Wie ein Triumphator neben seiner Siegesbeute stand inmitten aller Herrlichkeiten Stefan Dozana, in diesem stolzen Augenblicke völlig vergessend, daß ein Bischof kommen werde, die Heiligtümer zu weihen, die er für das Gold und Silber der Juden erworben, gänzlich vergessend, daß dieser Bischof ihm Übles sann.

Die Sonne ging unter und hinter dem Kryvan stieg der Mond auf; ein gespenstisches Licht ergoß sich über die Kostbarkeiten, die bestimmt waren, die neue Kirche von Piatra zu schmücken. Es war, als hätten die Geister der Verrös, um die Waldleute anzulocken, alle die Schätze zusammengehäuft. Die Bauern besaßen so manche kräftige Mittel, sich vor bösen Gewalten zu schützen, und schließlich hatte es so geringer Mittel bedurft, um sie bösen Gewalten zu übergeben.

Allerdings war dazu ein Priester notwendig gewesen und eines Priesters Haß.

*

Gleich am nächsten Tage begannen die fremden Handwerker ihre Tätigkeit und erwiesen sich als tüchtige, geübte Künstler. Da war ein junger Maler, der die leeren Wände mit frommen, christlichen Gestalten füllen sollte, mit Märtyrern, Aposteln und Heiligen. Entzückt von der Schönheit der Waldleute, gedachte der Künstler seine Figuren nach ihnen zu malen – namentlich nach den Jungfrauen. Aber ein solcher Eifer für die heilige Kunst wäre dem Jünger Sankt Rafaels beinahe schlecht bekommen, indem den Waldleuten der Begriff eines Modells noch nicht aufgegangen war. Da der gute Jüngling das erste beste holdselige Mägdlein als sanfte Heilige abkonterfeien wollte – noch dazu aus schüchterner Ferne – rottete sich alsogleich ein Troß Bauern um den kunstbegeisterten Meister zusammen. Dieser, der nicht anders glaubte, als daß staunende Bewunderung für den Künstler und sein Werk die Zuschauer um seinen Sitz versammelte, begann sich als Träger höchster Kultur in der Wildnis zu fühlen und mischte und malte, was er nur mischen und malen konnte. Als er jedoch bei günstiger Gelegenheit umherschaute, sich an den verzückten Gesichtern des wilden Volkes zu erfreuen, da trafen ihn und sein Werk so finstere und drohende Blicke, daß er im ersten Augenblick glaubte, die katholische Kirche sollte einen Märtyrer mehr bekommen – im nächsten Augenblick hatte er Pinsel und Palette zusammengepackt.

Er ging und klagte Stefan Dozana seine Künstlernot. Aber auch der Priester zeigte ihm ein feindseliges Gesicht und wies den Maler mit seinem Begehr nach schönen weiblichen Modellen kurz ab.

Da half es denn nichts: die Heiligen mußten aus dem Gedächtnis gemalt werden und es erwies sich bei dieser Gelegenheit, daß der junge Künstler eine doppelte Art von Gedächtnis besaß: ein gutes und ein schlechtes, das schlechte für die Männlein, das gute für die Fräulein.

Ein anderer der Fremden vergoldete und versilberte, was in der neuen Kirche nur irgend zu vergolden und zu versilbern war. Dieser wackere Künstler ließ über dem Hochaltäre die mächtige goldene Sonne aufgehen und auf Silbergewölk die Engel schweben, welche das Kreuz zum Himmel emporhoben.

Ein dritter bildete an der Decke einen herrlichen Garten, so daß von dem Gewölbe Rosen und Lilien über den Häuptern der andächtigen Waldleute herabhingen. Ein vierter und fünfter belegte den Boden mit glatten, schimmernden Steinen und schloß die Fensterhöhlen mit bunten, leuchtenden Scheiben. Einer war mitgekommen, der setzte in der neuen Kirche ein Orgelspiel.

So waren alle eitel Eifer und Tätigkeit für das junge Heiligtum. Denn auch die Waldleute selbst verrichteten kaum mehr eine andere Arbeit: die Männer schnitzten, die Frauen stickten.

Die fremden Künstler, welche die Schnitzereien und Zeichnungen sahen, konnten Stefan Dozana nicht genug loben und drangen in ihn, daß er den Priesterrock an den Nagel hängen und dafür die viel lustigere Malerkutte anziehen sollte. Aber Stefan Dozana wies sie zornig zurück.

An schönen Tagen kamen die Frauen mit ihrer Arbeit vor der alten Kirche zusammen, oder sie vereinigten sich auf einem freien Platz im nahen Walde. Dann gestaltete sich das fromme Werk zu einer gehaltenen Lustbarkeit, daran zuweilen die Jünglinge von Piatra teilnahmen, so daß der Mantel der Himmelskönigin häufig zum Deckmantel für heimliche Liebe ward. Doch war anzunehmen, daß die heilige Jungfrau das schöne Federgewand deswegen nicht mit weniger Freude tragen würde.

Saßen sie im Kreise beisammen, so wählten die einen die Federn aus, die von den anderen zusammengelegt und von den geschicktesten auf goldgelber Seide in überaus zierlichen Mustern aufgenäht wurden. Um nicht müßig zu schwatzen und nicht nur mit den Händen, sondern auch mit den Lippen erbauliches zu verrichten, sang man Kirchenlieder und erzählte sich fromme Legenden, was nicht hinderte, daß dazwischen manches weltliche Wörtlein gesprochen oder gar geflüstert ward.

Während die Frauen vor der Kirchentür und am Waldessaum saßen, befand sich Josepha meistens einsam im Garten. Seit vielen Jahren war dort kein solches Blühen und Knospen gewesen. Der Rosmarin blaute wie ein Stücklein herabgefallenen Himmels zwischen den weißen Rosen: Josepha hatte zehn Dörfer mit Brautkränzen und Totenkronen versehen können; aber in diesem Jahr heirateten die Mädchen in Piatra mit Kronen, die andere Finger als die ihren geflochten, und erst kürzlich war eine Frau ohne Josephas weiße Rosen begraben worden.

Damit ihre Hände nicht ganz müßig im Dienst der Muttergottes blieben, wand Josepha für das neue Madonnenbild einen Dornenkranz. An den Dornen hing ihr Blut, und als der Kranz fertig war, sahen ihre Hände aus, als hätten sie Nadeln zusammengeflochten.

Häufig kam Russka zu Josepha geschlichen, kauerte im Sonnenschein, wärmte ihre knöchernen Hände und begann ihren Geistergesang. Noch sang sie jetzt nie mehr das Lied von der schönen Helja Scarpa, sondern stets die Romanze von der armen Elsa von Brabant, welche, um die verlorene Liebe ihres Eheherrn zu gewinnen, diesem einen Zaubertrank braute:

»Aus Tränen, so vergossen
In Jammer und Schmerz,
Aus Blut, so entflossen
Eines Judenkindes Herz.«

Die Tränen wollte Michael Cibulas Weib wohl herbeischaffen; aber den Zaubertrank würde sie doch niemals brauen können. Denn woher das Blut nehmen?! Ja, wenn es ihr eigenes hätte sein dürfen.

»Bete darum!« riet ihr Russka, die in ihrer Herrin Seele lesen zu können schien. »Bete du nur darum! Für die schöne Dornenkrone kann die Muttergottes dir etwas Hübsches bescheren; es brauchen nur drei Tropfen zu sein.«

Zuerst bekreuzte und segnete sich Josepha voller Entsetzen, dann lautete ihr Gebet: Führe uns nicht in Versuchung! zuletzt betete sie »darum«. Halbe Nächte lag sie auf den Knien.

*

Asarja quälte seine Schwester mit Fragen:

»Hast du ihm vergeben?«

Dann blitzte Makkabea statt aller Antwort ihn mit ihren schwarzen Augen an. Betrübt ging Asarja davon.

Trotz des strengen Verbotes, den Bach in der Schlucht zu überschreiten, kletterte Asarja, von einem mächtigen Drange getrieben, häufig die steilen Wände hinab. Wie eine Wildkatze schlüpfte er mit seinem schlanken Körper durch das Gebüsch und durch das in dem kühlen Grunde üppig wuchernde Pflanzenwerk. Er ging den Bach entlang, bis er an die Stelle kam, wo die Baumstämme des zerstörten Steges hängen geblieben waren. Dort glitt er über den Bach und klomm auf der anderen Seite wieder hinauf. Weit hinter der neuen Kirche gelangte er dann zu dem Pfad, der nach Piatra führte.

Nun schlich er durch den Wald dem Dorfe zu, bis zu der Arve, unter der ihm damals das schöne Christenmädchen erschienen. Hier wartete er stundenlang geduldig, ob er nicht in der Ferne Iljas zierliche Gestalt und leuchtendes Köpfchen erspähte. Asarja wußte, daß die Christenkinder ihn verhöhnen und beschimpfen würden, hätten sie ihn unter den Bäumen entdeckt; aber er wäre doch hingegangen, wenn er ihr, die seine Schwester gebeten, »ihm zu vergeben«, hätte zurufen können, daß »ihm« vergeben worden sei. Da er das nicht konnte, wagte er auch nicht, vor Ilja sich sehen zu lassen.

Eines Tages fand Asarja hoch im Gebirge Blumen, wie er so schöne niemals gesehen. Es waren große weiße, leuchtende Sterne, mit goldigem Kelch und wie Silber schimmernden Blättern. In hellem Entzücken pflückte er davon, soviel er tragen konnte, stieg eilig herab und sogleich nach Piatra hinüber. Vor Ungeduld zitternd wartete er hinter der Arve. Endlich sah er sie.

Sie kam mit vielen anderen Kindern auf dem Weg zur neuen Kirche gerade auf ihn zu. Die Knaben waren mit Tannengewinden beladen, die Mädchen trugen große Körbe voller Blumen. Damit wollten sie den Hochaltar schmücken, dessen Sonne vor einigen Tagen voller Glanz aufgegangen war und vor dem Stefan Dozana ein Gebet zu sprechen gedachte.

In einiger Entfernung folgte den Kindern Urs Cibula, der Ausgestoßene und Verfemte.

Einen Augenblick zauderte Asarja, nur einen Augenblick. Dann trat er mit seinen Blumen hinter der Arve vor, die Augen mit strahlendem Blick auf Ilja geheftet.

Kaum sahen die Dorfkinder den Judenknaben, als sie laut zu schreien und zu höhnen begannen. Asarja aber kam ruhig näher.

Unbeschreibliches ging bei dem Anblick des Judenknaben in der Seele Urs Cibulas vor; es geschah in einem Augenblick und ohne daß er sich dessen bewußt ward. Er sah einen des verhaßten Volkes, um dessentwillen seine Eltern in Schmach und Trübsal lebten, um dessentwillen er selbst den andern Kindern gleich einem Übeltäter nachschlich, er sah, daß dieser Judenknabe Ilja Dozana Blumen bringen wollte – – Im nächsten Augenblick stürzte er vor, raffte einen Stein auf, den ersten besten, warf den Stein. Der Stein traf nicht. Ein zweiter, ein dritter folgte. Der dritte Stein traf. Nun hoben alle Knaben Steine auf, nun flogen von allen Seiten Steine auf Asarja ein.

Dieser blieb stehen; er ließ weder die Blumen fallen, noch wandte er sich zur Flucht. Die Augen heftete er fest auf Ilja, doch war sein Blick unsäglich traurig geworden.

Schon blutete er aus mehreren Wunden.

Daß ihr Opfer so stumm blieb, erregte die jungen Christen zur höchsten Wut.

Die Mädchen warfen ihre Körbe hin und flohen schreiend dem Dorfe zu. Nur Ilja Dozana blieb. Urs gebärdete sich wie ein Rasender. Aber plötzlich stieß er einen Schreckensruf aus, die Hand, die soeben einen Stein schleudern wollte, sinken lassend: Ilja Dozana war von seinem Steine getroffen wurden. Sie hatte sich über das Opfer geworfen, dieses mit ihrem Leibe zu schützen.

Asarja fand noch die Kraft, seiner Retterin zuzulächeln und mit einer matten Bewegung seines blutenden Hauptes auf die Blumen zu deuten: »Nimm!«

Dann ward er bewußtlos. Aber auch Ilja sank über ihn hin.

Als die Kinder die beiden niederstürzen sahen, entsetzten sie sich vor dem, was sie getan. Bis auf Urs ergriffen alle die Flucht.

Ilja kam bald wieder zu sich, doch blieb sie am Boden neben dem Besinnungslosen kauern und starte auf das blasse Antlitz und das rinnende Blut. Sie selbst fühlte gar keinen Schmerz.

»Ich bin schuld, daß sie ihn getötet haben,« klagte das Kind. »Er wollte mir Blumen bringen und ihr habt ihn totgeschlagen.«

»Es ist ein Judenjunge!« rief Michael Cibulas junger Sohn verächtlich.

»Aber er blutet doch auch,« sagte Ilja leise, wie in tiefem Erstaunen, und ihre Tränen begannen zu fließen.

»Du sollst nicht um den Judenjungen weinen!« schrie Urs und wollte sie von Asarja fortreißen. Dabei faßte er sie zornig an der Schulter, wo sein Stein sie getroffen hatte, daß sie laut aufwimmerte.

Sogleich ließ er von ihr ab und stand mit einem Gesicht neben ihr, als ob er sie gemordet hätte.

Jetzt kamen sie aus dem Dorfe herbei, Männer und Frauen, unter den letzteren befand sich Josepha.

Die Kinder hatten vor ihrem Hause geschrien: »Urs Cibula hat einen Judenjungen totgeschlagen!«

Die alte Russka war zu ihr gewankt gekommen und hatte ihr mit gellender Stimme zugerufen:

»Das hat dir die Muttergottes zum Dank für deine Krone beschert. Lauf hin und hol dir das Blut.«

Und Josepha war hingelaufen.

Hatte Urs den Judenknaben wirklich totgeschlagen, so war nicht ihr Sohn der Mörder, sondern dessen Mutter mit ihrem Gebet um Blut. Grausen packte sie.

Sie kam zur neuen Kirche. Dort lag der Boden voller Blumen und Tannengewinde und dort lag der Judenknabe. Seine Brust war mit Edelweiß bedeckt und unter den hellen Blumen quoll Blut auf.

Das ist sein Herzblut! dachte Josepha und sah ihren Sohn an, der mit dem Blicke eines Mörders dabei stand.

Ihr zweiter Gedanke war: sein Vater wird ihn töten wollen und er ist doch gar nicht schuld daran. Ich trage die Schuld, ich habe aus ihm einen Mörder gemacht, ich, mit meinem Gebete. Mich müßte sein Vater töten.

Zwei junge Bauern schickten sich indessen an, Asarja auf einer Bahre hinüber zu seinen Eltern zu tragen. »Es ist der Sohn des Priesters.«

Sie sagten es so gleichgültig, als handle es sich nicht um ein Kind menschlicher Eltern. Auch die Frauen zeigten kein Mitleid; am wenigsten die, welche selbst Mütter waren.

Manche traten zu Josepha und redeten sie an – zum erstenmal seit langer Zeit. Es war, als sei der Bann, der auf dem Weibe Michael Cibulas lag, plötzlich von ihr genommen. Aber Josephas Grausen wuchs und prägte sich derartig ihrem Gesichte auf, daß es die Frauen von ihr fortscheuchte.

Sie wollte durchaus mit den Männern nach dem Kryvan hinüber; dasselbe wollte Ilja.

Als sie Asarja aufhoben, fielen von seiner verwundeten Brust die Blumen herab. Ilja sammelte die Blüten sorgfältig und trug sie in die Kirche, wo sie dieselben wie eine Opfergabe vor den Hochaltar niederlegte. Dann setzte sich der kleine Zug in Bewegung. Urs schlich hinterdrein.

Um den Verwundeten, der kein Lebenszeichen von sich gab, über die Schlucht bringen zu können, mußten die Männer den weiten Umweg bis zu dem herabgeschwemmten Stege machen, so daß es, als sie in dem Judendorfe ankamen, Nacht geworden war. Die Gassen lagen bereits still und öde. Ohne jemandem zu begegnen, gelangten sie zu dem Hause Jehudas, vor dem die Träger die Bahre niedersetzten, heftig pochten und sich darauf eilig entfernten. Josepha und Ilja blieben, und in einiger Entfernung vom Hause des Rabbiners drückte sich Urs gegen eine Mauer.

Nach einer Weile kam Jehuda und öffnete, eine Leuchte in der Hand, die Tür. Josepha deutete auf die Bahre und sagte:

»Jude, mein Gebet hat deinen Sohn umgebracht.«

Aber Urs rief herüber:

»Wir haben ihn gesteinigt, weil er ein Jude ist!«

Jehuda, ohne ein Wort zu sagen oder einen Laut zu tun, beugte sich zu seinem Sohne herab, beleuchtete sein Gesicht, untersuchte seine Wunden, richtete sich auf:

»Er lebt.«

Josepha begann an allen Gliedern zu beben, Ilja schluchzte auf. »Ich muß seine Mutter rufen,« sagte Asarjas Vater leise, setzte die Leuchte auf den Boden neben der Bahre, aber so, daß sie des Verwundeten Gesicht nicht beschien, und ging ins Haus.

Bald darauf trat er mit seinem Weibe wieder heraus. Dozia sah in ihrem langen dunklen Gewände so schön und in ihrem Schmerz so feierlich aus, daß Josepha vor der hohen Gestalt scheu zurückwich.

Lange blieb Dozia über ihren Knaben gebeugt dann verkündete auch sie: »Er lebt!«

Sie erhob sich.

»Wer seid Ihr, die Ihr unserem Knaben das Geleit gabt?«

Josepha antwortete nicht, Jehuda wollte sein Weib ins Haus führen, aber Dozia wehrte ihn ab. So ging denn der Rabbiner, um Belebungsmittel zu holen.

Dozia redete Josepha von neuem an:

»Wollt Ihr nicht bei uns eintreten, Euch ausruhen und uns dann melden, wie es zuging, daß man unserem sanften, guten Knaben solches antun konnte?«

Das sprach Dozia mild und gütig. Sie hatte sich wieder über die Bahre gebeugt und suchte mit ihren Tüchern das Blut zu stillen.

Josepha schüttelte heftig abweisend den Kopf; aber Ilja schluchzte:

»Er wollte mir Blumen bringen, da haben sie ihn mit Steinen geworfen, weil er ein Jude ist.«

Dozia nahm das Licht vom Boden auf, trat zu dem Kinde, leuchtete in dessen Gesicht und betrachtete es mit einem langen staunenden Blicke.

»Wer bist du, der unser Knabe Asarja Blumen bringt?«

Verwirrt durch die Hoheit der Jüdin, erschreckt durch den großen und glanzvollen Blick, mit dem die Mutter Asarjas sie ansah, vermochte Ilja nichts zu erwidern, Urs tat es für sie. Er kam vor und sagte:

»Wenn der Judenknabe Ilja Dozana noch einmal Blumen bringt, wird er noch einmal gesteinigt. Aber dann schlage ich ihn tot.«

»Urs! Urs!« rief Josepha mit ausbrechendem Jammer.

Entsetzt sah Dozia auf den Knaben.

»Du hast unserem Sohn das angetan, du – Urs Cibula!« Sie wandte sich zu Josepha. »Bist du seine Mutter?«

»Ich bin Josepha Cibula.«

Es war, als wollte Dozia zu ihr gehen, als wollte sie ihr etwas sagen; dem Ausdruck ihres Gesichtes nach mußte es etwas Furchtbares sein. Aber in diesem Augenblick ertönte im Hause Makkabeas lautes Jammergeschrei, Makkabea stürzte heraus und warf sich wehklagend über den Bruder hin. Jetzt kam Jehuda mit Leinwand und Salben, und auf der Schwelle erschien die ehrwürdige Greisengestalt Baruch Kolons, hinter der sich die Mägde drängten.

Bei dem Anblick des blutigen, regungslosen Asarja heulten sie auf. Auch die Nachbarn liefen herzu, erhoben ein Zetergeschrei, und bald war der ganze Ort in wilder Aufregung vor dem Hause des Rabbiners versammelt. Aber Jehuda winkte allen, zurückzutreten, hob seinen Sohn auf und trug ihn hinein.

Noch einmal wandte sich Dozia mit milder Rede an Josepha: »Wollt Ihr bei uns eintreten, so sollt Ihr uns willkommen sein.«

Vergeblich wartete sie auf Antwort. Mit einem Seufzer folgte sie ihrem Manne, die Türe vor den Andrängenden schließend.

Sie hatten Asarja entkleidet und in der Kammer seiner Mutter niedergelegt. Die jammernden Mägde mußten sich entfernen, nur die Seinen blieben bei ihm. Dozia wusch des Knaben Stirn mit starken Essenzen, wusch die Wunden und legte Balsam darauf.

Als Asarja zur Besinnung kam, waren seine ersten Worte: »Vergebt ihnen!«

Dabei sah er Makkabea an, die ihm mit dem Antlitz einer jungen Rachegöttin gegenüberstand.

Bald darauf verfiel er in Fieberphantasien. Sein Leib wurde von glühenden Pfeilen durchbohrt, es regnete Feuerbrände auf ihn. Dabei heulten gräßliche Stimmen: Vergib uns, Jude! So vergib uns doch! Und je mehr er ihnen vergab, um so mehr quälten sie ihn, bis sein Leib eine einzige blutende Wunde war und aus seinem Haupte eine Flamme aufstieg. Plötzlich war's ihm, als würden seine zermarterten Glieder verklärt, als bette er sein glühendes Antlitz auf taufrischen weißen Lilien. Es ward licht um ihn wie ewiger Tag. Himmlischer Gesang erschallte. Und da er wieder um sich blicken konnte, sah er neben sich einen wunderschönen Engel im Strahlenkleide, eine leuchtende Blumenkrone auf seinem Sonnenhaar. Der Engel lächelte ihn an und sagte mit leiser, süßer Stimme:

»Ich bin die Vergebung, die zu Christen kommt und zu Juden.«

Da lächelte auch Asarja, und lächelnd verstummte er, lächelnd schlief er ein.

Makkabea wurde zu Bett geschickt, die Eltern und Baruch Kolon hielten Wache. Flüsternd besprachen sie sich.

»Sie vererben ihren Haß den Kindern,« meinte Jehuda traurig, »In ihren Kindern wird ihr Haß von neuem geboren; ihre Kinder werden die unseren immer wieder von neuem steinigen. So lebt der Fluch fort, von Geschlecht zu Geschlecht – er lebt in Ewigkeit.«

Sein Seherantlitz erhebend, entgegnete der Patriarch:

»Es werden kommen Geschlechter der Christen, welchen der Haß gegen unser Volk nichtig sein wird gleich dem Worte, das geschrieben steht im Sande des Meeres, darüber eine mächtige Wasserflut hinweggeht.«

Aber Jehuda klagte:

»Viele Wellen werden darüber hinweggehen müssen, bis sie das Wort des Hasses auslöschen; zu tief steht es eingegraben, nicht in Sand, sondern in Fels. Es wurde auch nicht mit einem Stift geschrieben, sondern mit dem Schwerte eingehauen. Und so tief drang der Schwertschlag, daß aus dem Felsen eine Quelle hervorbrach. Man kann hingehen und schöpfen aus dem Wort.«

»Blut,« murmelte Dozia dumpf, »Judenblut.«

Und sie blickte auf die Wunden am Haupt ihres Sohnes.

»Es wird ausgelöscht werden und verwehen alles,« murmelte der Weise, »denn da ist nichts, was besteht, außer was Gottes ist. Es werden auch vergehen die Spuren des Blutes, welches geflossen aus den Wunden unseres Volkes. Denn da wird kommen ein gewaltiger Sturm, der fährt vom Himmel nieder zur Erde, hin über die Länder und wieder zum Himmel empor. Deshalb sollen wir nicht trauern, sondern hoffen.«

»Und harren,« fügte Jehuda düster hinzu.

Dozia wandte ihr kummervolles, Gesicht nach dem Greise hin.

»Wird dieser Knabe die Zeit erleben, auf die wir hoffen und harren sollen?«

Aber Baruch Kolon weigerte der angstvoll wartenden Mutter die Antwort.

Als der Tag graute, verließ Baruch Kolon die trauernden Eltern. Da flüsterte Dozia ihrem Manne zu, wessen Haß ihrem Sohn die Wunden geschlagen, und Jehuda verbarg sein Gesicht in den Händen.

*

Erst gegen Mitternacht kamen Josepha und Urs nach Hause, Josepha hatte in einem fort vor sich hingemurmelt und geseufzt, aber ihrem Sohn noch immer kein Wort des Vorwurfs gesagt. Urs hätte sie lieber gegen sich toben sehen, als sie so murmeln und seufzen hören.

In Michael Cibulas Schnitzkammer brannte noch Licht, Josepha wollte vorerst allein hineingehen und Urs sollte im Garten bleiben, bis sie ihn rufen würde. Aber Urs stellte sich vor sie hin und rief heftig:

»Du sollst nicht für mich bitten!«

Nun begann Josepha bitterlich zu weinen, was auf den Knaben eine solche Wirkung hatte, daß er, ohne ein weiteres Wort zu sagen, in den Garten schlich und die Mutter allein zum Vater gehen ließ.

Mit wankenden Knien näherte sich Josepha der Kammertür, drückte sie mit Anstrengung auf und schob sich hinein. An der Tür blieb sie stehen, Michael Cibula saß und schnitzte; er hörte sein Weib kommen, sah aber nicht auf.

Mit kaum vernehmlicher Stimme bot Josepha ihrem Mann den Abendgruß. »Ich war drüben auf dem Kryvan,« begann sie zagend und stockte.

»Ist der Bube tot?«

Und er schnitzte gelassen weiter. Die jungen Männer, die Asarja zu seinen Eltern hinüber getragen, hatten nicht gleichgültiger von dem Knaben gesprochen.

Josepha lehnte sich gegen die Wand. Sie erwartete etwas Entsetzliches.

»Wo ist Urs?«

»Du willst ihn töten!« Und sie trat wankend vor.

»Um des Judenknaben willen?!« fragte ihr Mann verächtlich.

»Er lebt!«

»Desto besser für ihn.«

Josephas Gedanken verwirrten sich.

»Du willst Urs nichts zuleide tun?« fragte sie, am ganzen Leibe zitternd, zwischen Furcht und Hoffnung schwankend.

Michael Cibula beugte sich tief auf seine Arbeit herab.

»Warum sollte ich dem Knaben etwas zuleide tun? Weil er sich frühzeitig darin übt, Juden totzuschlagen? Es ist besser, als übte er sich Katzen zu erwürgen.«

In solcher Weise hatte Josepha ihren Mann noch niemals reden hören. Als damals Urs dem Judenmädchen ins Gesicht geschlagen hatte, mußte er dessen Eltern Abbitte tun. Das war vor vier Jahren gewesen. Und jetzt hatte er einen Judenknaben gesteinigt und sein Vater fand Gefallen daran. So war sein Haß gewachsen in den vier Jahren. Was würde daraus werden in abermals vier Jahren?

Josepha entwich aus der Kammer, ging in den Garten, sagte Urs, daß sein Vater schrecklich zornig auf ihn sei, und daß er heute nacht bei seiner Mutter schlafen sollte.

Aber Michael Cibula hatte sich nicht nur gelassen gezeigt, er war auch gelassen und ruhig. Eifrig, mit fast fieberhafter Arbeitslust schnitzte er, nachdem Josepha gegangen, weiter an seinem Holzbilde, diesem wiederum tief in die starren Augen blickend. Und wiederum sprachen die unbarmherzigen Augen zu seinem Geiste. Indessen diese Nacht befahlen sie ihm nicht: »Töte sie – töte das Weib!« Diese Nacht befahlen sie ihm: »Töte sie – töte die Juden!«

Michael Cibula antwortete darauf:

»Entweder werde ich sie töten, ich oder mein Sohn. Denn weder ich noch mein Sohn haben den Juden Frieden geschworen.«

Und das Holzbild nickte ihm zu: »Es ist gut! Du oder dein Sohn!«

So besprachen sich die beiden miteinander.

*

Josepha fand keinen Schlaf. Auch zu des Weibes Seele redete ein Dämon, und auch ihre Seele hörte darauf.

Urs schlief so friedlich an seiner Mutter Seite, als hätte er tagsüber Blumen gepflückt und Schmetterlinge gejagt. Nachdem Josepha eine Weile auf seine tiefen Atemzüge gelauscht, stand sie auf und kleidete sich vollständig an. Dann besprengte sie sich mit Weihwasser, öffnete die Türe, schlich aus der Kammer und zum Hause hinaus.

Sie hatte schon zu Bett gelegen, als Russka noch einmal zu ihr gekommen war, um sie zu fragen: »Nahmst du das Blut, das die Muttergottes dir zum Dank für deine Krone beschert hat?«

Aber Josepha hatte, statt aller Antwort, laut zu beten begonnen. Russka jedoch war nicht vom Bette gewichen, hatte gemahnt und gescholten, hatte orakelt und geweissagt, Ihre letzten Worte waren gewesen:

»Braust du ihm den Trank, so gewinnt er dich lieb, daß er nimmer von dir lassen kann. Aber das Judenblut muß von einem Priester gesegnet und unter die Hostie gehalten werden. Stefan Dozana segnet es dir. Geh mit dem Blute zu Stefan Dozana.«

Damit war sie fort und Josepha lag wachend und dachte an das, was die Alte gesagt hatte; dann war sie aufgestanden und jetzt wollte sie das Judenblut holen.

Aber zu Stefan Dozana konnte sie damit nicht gehen, unter die Hostie konnte sie es nicht halten, sie, die kein Priester mehr segnete, der keine Hostie mehr gereicht wurde.

Aber der Trank würde nicht wirken, wenn er nicht gesegnet war.

Ach, und wenn sie für sich selbst die Hostie hätte empfangen können! Was hätte sie gegeben für ein Stückchen des göttlichen Leibes – –

Gott mochte ihrer armen hungernden Seele gnädig sein.

Wie ein ruheloser Geist glitt die Gestalt des unseligen Weibes durch die Nacht. Sie gelangte zu den letzten Häusern des Dorfes, sie gelangte zu der neuen Kirche. Schwarz lag das Heiligtum da. Nur über der Tür haftete ein bleicher Schimmer gleich einem Nebelstreif. Das war der schwebende Engel mit der Siegespalme und der Siegestafel.

Josepha trat ein.

Die dunklen Gewölbe umfingen sie, als sei sie plötzlich in den Schoß der Erde gesunken. Geisterhaft hallte ihr Schritt in dem Räume. Dann kam das Grausen über sie. Sie fühlte ihre Glieder schwer werden, sie fühlte sich von glühenden Schauern überrieselt, von eisigem Frost geschüttelt. Ihr Haar schien zu Nadeln zu werden, die sich in ihr Fleisch bohrten und sich emporsträubten. Sie wollte die Heiligen anrufen, aber das Grausen erstickte ihre Stimme. Sie wollte fliehen, wollte hinsinken – – da dachte sie ihres Mannes, fühlte ihre Liebe für ihn, fühlte sie als eine Macht, die ihr Grausen überwand.

Sie blieb und tastete sich weiter.

Jetzt stieß ihr Fuß an eine Stufe. Das war der Hochaltar, vor dem Hochaltar mußten die mit dem Blute Asarjas getränkten Blumen liegen. – – Einen Schritt trat sie vor, und dann noch einen, Sie bückte sich, sie wollte fassen – – sie faßte – – ein menschliches Antlitz!

Schwer lag ihre Hand auf der glatten, kühlen feuchten Haut. Kein Laut kam über ihre Lippen. Dann zuckte ihre Hand zurück und sank nieder, als habe ein Schlag sie getroffen. Da fühlte ihre Hand etwas Weiches, die Blumen!

Unwillkürlich griff sie hinein, faßte sie, zog die Hand zurück. Es kostete sie Anstrengung, als ob sie etwas Fremdes, Hartes, Schweres aufhöbe statt des eigenen Armes.

Ihre Sinne drohten zu schwinden: zu ihren Füßen hörte sie Töne, Seufzer, Worte – – Zuerst war's ein Lallen und Stammeln wie von einem, den im Traum der Alp drückt, dann kam Zusammenhang in die wirren Laute, dann ward es zur Sprache – zu welcher Sprache! Zu der Rede eines Priesters, der in Ekstase und Verzückung vor dem Altar zusammengebrochen war – in Raserei.

Es war die Stimme Stefan Dozanas, die Michael Cibulas Weib dem Himmel ein Geständnis ablegen hörte, welches klang, als ob Lucifer, der gefallene Engel, Gott beichtete.

Aber ihre Sinne waren zu zerstört, um viel davon zu verstehen. Nur das eine verstand sie: daß dieser Priester sich eher hätte in einen Abgrund werfen sollen, wo er am tiefsten war, als in die Arme der Kirche.

Als Josepha wieder ihre Besinnung erlangte, fand sie sich vor ihrem Hause. Die Hand mit den Blumen darin hielt sie krampfhaft geschlossen.

Acht Tage lang irrte sie umher, die Welt und die Menschen ansehend, als wären sie Trugbilder ihrer kranken Seele. Acht Nächte lang wachte und betete sie. Auch dann kam sie zu keinem Entschlüsse, kaum zu einem rechten Gedanken. Aber etwas tat sie. Jede Nacht stand sie leise auf, schlich aus dem Hause, hin zu – Stefan Dozanas Haus. Vor seinem Hause wartete sie, bis der Morgen graute.

Eines Abends spät hatte Stefan Dozana noch etwas in der alten Kirche zu tun. Er nahm eine Leuchte und ging. Als er eintreten wollte, kauerte auf der Schwelle ein Weib, das sprach kein Wort, das sah ihn nur an.

Es war ein Blick, vor dem auch der Mann stumm blieb. Er öffnete die Kirchentüre, ging hinein und ließ hinter sich offen. Das Weib folgte wie gewaltsam dem Priester nachgezogen.

Dieser setzte die Leuchte nieder und ging zum Beichtstuhl. Das Weib folgte ihm.

Sie flüsterten lange zusammen.

Dann trat der Priester aus dem Beichtstuhl, begab sich in die Sakristei und kam wieder, in vollem Ornat, mit der Hostie in der Hand.

Er ging zum Hochaltar. Das Weib folgte ihm.

Sie wäre dem Priester in einen Abgrund gefolgt, hätte dieser sie mit der Hostie in einen Abgrund gewiesen.

Er stand vor ihr, hob die Hostie, sprach darüber hin, brach sie.

Das Weib war niedergesunken, daß ihr Kopf vor dem Manne am Boden lag. Wenn er den Fuß aufgehoben, hätte er ihn auf ihren Nacken setzen können.

Aber er zertrat nur ihre Seele.

»Dieses will ich dir reichen, wenn du vor mir niederfällst und mich anbetest.«

Stefan Dozana sprach die Worte nicht, die der Versucher auf dem Berge in der Wüste zu Jesum gesagt; aber es war, als ob er sie gesagt hätte; und das unselige Weib, das zu seinen Füßen hingesunken lag, Gott anzubeten, sprach nicht, was Christus zu dem Versucher gesprochen, sondern sie lag da und betete an.

Er reichte ihr die Hostie, und Josepha schob die blutgetränkten Blumen unter den göttlichen Leib, ließ diese und sich selbst segnen und glaubte ihre Seele gerettet zu haben.

Gott sei ihrer armen, verlorenen Seele gnädig!


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