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Vierzehntes Kapitel

Was Stefan Dozana und Michael Cibula dazu sagten

Bischof Mauritius befand sich mit Stefan Dozana in des Priesters Zimmer, das dem hohen Gaste zur Herberge eingeräumt worden. Der hohe Würdenträger der Kirche saß in einem altertümlichen, mit einem Bärenfell ausgelegten Lehnsessel an dem mächtigen Tische, den allerlei vergilbte Schriftstücke bedeckten. Stefan Dozana stand vor ihm.

Durch das geöffnete Fenster schien die volle Morgensonne ins Gemach, so daß die mit Arvenholz getäfelten Wände in rötlichem Glanze schimmerten. Ein Busch weißen Flieders streckte durch das Fenster einige seiner Blütenzweige herein und drängte, gleich einem strengen Wächter, Goldregen und Rotdorn zurück, als hätten diese die Absicht zu lauschen. Doch Goldregen und Rotdorn dachten nicht daran, Goldregen und Rotdorn ließen sich von der Morgenluft anwehen, ließen sich von Schmetterlingen umgaukeln, von Käfern und Bienen umschwirren und fanden, daß das viel schöner sei, als den Gesprächen zweier feindlicher Priester zuzuhören.

»Die Rechte und Freiheiten, die sich die Bauern von Piatra seit alten Zeiten und für alle Zeiten anmaßen, sind im Laufe der Jahre null und nichtig geworden. Demnach fehlt den Bauern von Piatra jegliches Recht, in ihre Gemeinde vertriebene Juden aufzunehmen und siedeln zu lassen.«

»Und wen hätten die Bauern von Piatra fragen sollen?«

»Den Bischof.«

»Und wenn sie den Bischof gefragt hätten –  –«

»So hätte der Bischof ihnen den Verkauf des Berges Kryvan zum Zweck der Ansiedlung einer Judengemeinde untersagt.«

»Dann war es besser, daß sie nicht fragten.«

»Ihr hättet euch dem Willen des Bischofs widersetzt?«

»Wir hätten unsere Rechte und Freiheiten vor dem Bischof behauptet – wir behaupten sie auch vor Kaiser und Papst.«

»Das wagt Ihr mir ins Gesicht zu sagen, Euerm Oberhaupt?«

»Käme der Sohn Gottes nach Piatra und wollte den Bauern von Piatra ihre Rechte absprechen und ihre Freiheiten nehmen, so würde ich dasselbe unserm Herrn und Heiland ins Gesicht sagen.«

Sprachlos starrte Bischof Mauricius seinen Gegner an. Stefan Dozana stand indessen so gelassen vor ihm, wie er gelassen gesprochen hatte; aber über seinen Augen traten die Adern gleich einer Geschwulst hervor.

»Dennoch werden die Juden fort müssen,« rief Bischof Mauricius.

»Die Juden werden bleiben müssen,« erwiderte Stefan Dozana, machte eine Pause und fuhr in demselben Tone fort: »Und zwar müssen die Juden bleiben auf Grund eben jener Rechte und Freiheiten, welche wir uns nach bischöflicher Ansicht anmaßen, und kraft deren wir die Juden bei uns wohnen ließen und ansässig machten, ohne deswegen den Bischof zu fragen. Es müssen die Juden bei uns bleiben, weil an diese Rechte und Freiheiten nicht gerührt werden darf. Denn diese Rechte und Freiheiten sind unser seit langer Zeit, werden unser bleiben für alle Zeiten und kann keine neue Zeit daran ändern.«

»Ihr redet wie ein Bauer, Stefan Dozana,« rief der Bischof mit bösem Spott.

»Ich bin eines Bauern Sohn,« entgegnete der Verhöhnte mit einer Stimme und in einem Tone, als sagte er: ich bin der Sohn eines Königs.

»So höre ich denn den Vater sprechen, der ein Bauer war. Daß Ihr außer eines Bauern Sohn auch Priester und Diener der Kirche seid, läßt sich aus Eurem Reden und Gebaren nicht erkennen. Um Euch als Priester zu kennzeichnen, bedarf es Eures priesterlichen Kleides. Noch erscheint dasselbe auf Eurem Körper mehr als Mummerei, denn als Euch zugehöriges Gewand.«

Dabei deutete er auf Stefan Dozanas Tonsur, die der üppige Lockenwuchs fast überwucherte und die der Priester selbst für des Bischofs Kommen nicht hatte scheren lassen. Auch im Zimmer sah Bischof Mauricius sich um, namentlich die Jagdtrophäen und Büchsen scharf ins Auge fassend.

Stefan Dozana bemerkte den Blick; fast, daß er gelächelt hätte.

»Die Priester von Piatra müssen sich gegen Bären und Wölfe wehren können. Wenn ich einem Hirten, der in den Felsen verunglückt ist, das heilige Öl spenden will, muß ich die Büchse mit mir führen, sonst könnte es geschehen, daß der Arme ohne Sakrament in den Tod gehen müßte. Es ist bei uns manches anders als an anderen Orten, und weil wir in einer Wildnis hausen, herrschen bei uns besondere Bräuche, die man uns – wenn ich als Priester reden und raten darf – lassen möge. Denn es sind wir Waldleute vergleichbar den Eis- und Schneefeldern auf unseren Bergen im Frühling: ein Schuß bringt sie ins Rollen und Stürzen. Zuerst nur ein Stücklein, wächst es und wächst, bis die Lawine ein ganzes Tal verheert.«

Bischof Mauricius sah auf. »Der Schuß soll getan werden! Ich sage Euch noch einmal und zum letztenmal: Was die Bauern von Piatra ihre Rechte und Freiheiten nennen, ist vor dem Gesetz Schall und Schaum.«

»Das sollte der Bischof den Bauern selbst sagen. Er würde dann hören, ob die Bauern von Piatra seine Sprache verstehen.«

»Ich werde eine Sprache zu ihnen reden, die ihnen verständlich sein soll.«

»Da sie Bauern sind, sind sie zu ungelehrig, eine andere als ihre eigene Sprache, oder das, was Wald und Fels oder der Himmel zu ihnen spricht, zu verstehen. Darauf hören sie, das verstehen sie, dem folgen sie. Es reden aber Wald und Fels und Himmel in der Verrös immer ein- und dieselbe Sprache, und diese – um sie dem Bischof zu deuten – heißt: Fürchte Gott und scheue niemand. Deshalb rate und warne ich zum letzten Male: Was die Bauern von Piatra einmal erfaßt haben, das halten sie fest.«

»Da Ihr dem Bischof Gehorsam weigert, wird Euch die Kirche zur Unterwerfung zwingen, Stefan Dozana!« drohte der Bischof dem Priester. »Gedenkt Ihr und Eure Bauern Euch auch der Kirche zu widersetzen?«

»Wenn die Kirche uns unsere Rechte und Freiheiten nehmen will, so ist auch die Kirche unser Feind, und gegen die Angriffe seines Feindes muß man sich wehren. Wir sind gläubige Katholiken. Was fordert die Kirche mehr von uns?«

»Jetzt die Austreibung der Juden.«

»Die Juden haben mit uns einen Pakt geschlossen; die Juden müssen bleiben.«

»Seid Ihr von Sinnen, Mann, eine solche Sprache gegen Euren Bischof zu führen?!«

»Ich spreche zum Bischof, wie ich zu Gott sprechen würde.«

Bischof Mauricius schritt mit heftigen Schritten auf und ab; Stefan Dozana blieb ruhig auf seinem Platze stehen. Sein Blick fiel durch das Fenster über die Blüten hinweg auf den Wald und die Berge seiner Heimat, als deren Sohn er sich in diesem Augenblick in allen seinen Empfindungen fühlte.

Plötzlich blieb der Bischof vor ihm stehen und rief ihm zu:

»Kommt zur Besinnung, Dozana! Kommt zur Vernunft, Mann! Euer Wahnsinn könnte von schlimmen Folgen sein. Es darf die Kirche einen widersetzlichen Priester nicht ungestraft lassen. Schon allein was ich in den Bildwerken der neuen Kirchentüre von Eurem zügellosen und gänzlich unpriesterlichem Sinne erkannt habe, würde genügen, Euch zur Verantwortung zu ziehen. Hütet Euch, Stefan Dozana! Wenn Euch das Heil Eurer Heimat am Herzen liegt, so hütet Euch. Wenn Ihr Euch und den Bauern von Piatra die Macht erhalten wollt, die der Priester von Piatra über sie ausübt, so demütigt Euch jetzt vor Eurem Bischof und Herrn. Es hatten bisher die Bauern von Piatra nur Priester aus ihrer eigenen Gemeinde – das ist ein Aberwitz! Ich müßte Sorge tragen, daß die Bauern von Piatra fortan nur diejenigen Geistlichen erhalten, welche der Bischof ihnen bestimmt; ich müßte Stefan Dozana –  –«

Betroffen von der Wirkung seiner Worte, brach Bischof Mauricius mitten im Satze ab: Stefan Dozana schien seinen Sinn ändern zu wollen. Fast furchtbar anzusehen war die Wandlung seiner Mienen. Noch niemals hatte der Bischof ein Gesicht gesehen, darin sich eine solche Verstörtheit, ein so wütender Seelenkampf abspiegelte.

Dicht zu dem Priester herantretend, flüsterte der Bischof ihm zu: »Laßt die Bauern von Piatra die Juden vom Kryvan vertreiben, weiht den durch die Feinde Gottes geschändeten Berg dem heiligen Mauritius und – –«

Wieder stockte der Bischof in seiner Rede, denn wieder war die Wirkung derselben eine schier übergewaltige.

»Ein Kloster auf dem Kryvan!« rief Stefan Dozana, »Sankt Mauricius in der Verrös ein Heiligtum gründen, Mönche über die Bauern von Piatra und über deren Priester gebietend – – Eher geben wir dieses Land dem Reiche und dem König von Ungarn, eher lassen wir den König von Ungarn für die widerspenstigen Bauern von Piatra auf den Bergen eine Fronveste erbauen.«

»Priester, daran sollst du gedenken!« rief der Bischof und schritt mit mühsam bewahrter Haltung der Türe zu. Dort wandte er sich noch einmal nach Stefan Dozana zurück.

»Die geistlichen Herren, die mit mir kamen, wußten mir viel von einem gewissen Michael Cibula zu erzählen, über den sie allerlei Seltsames vernommen hatten. Was ist das für ein Mann?«

»Auf eine Frage nach Michael Cibula vermag ich keine Antwort zu geben.«

»Er soll der einzige gewesen sein, der gegen den Bau der Kirche durch die Juden geredet hat.«

»Der einzige.«

»Und gegen ihre Ansiedelung auf dem Kryvan.«

»Er hat sich deswegen von uns losgesagt.«

»Von der Gemeinde?«

»Und von der Kirche.«

»So vernahm ich. – – Ihr seid sein Feind?«

»Wie er der meine ist.«

»Sein Weib war Euch einstmals verlobt, bevor Ihr zum Priester bestimmt wurdet. Er nahm sie Euch?«

»Ja!«

»Darum haßt Ihr ihn?«

»Darum. Und um anderer Dinge willen.«

»Ich werde zu ihm gehen.«

»Ich will bischöfliche Gnaden den Weg weisen.«

»Das ist unnötig. Wahrend ich mit Michael Cibula rede, ruft die Gemeinde zusammen.«

*

Als der Bischof das Zimmer verlassen hatte, bewegten sich die Zweige vor dem Fenster, und zwischen den weißen Fliederbüscheln erschien ein holdseliges, erschrockenes Mädchenantlitz, das gleich darauf in den Blüten wieder untertauchte.

Ilja hatte sich in den Garten geschlichen. Weil sie es gewesen, die den Judenknaben mit ihrem Leibe vor den Steinwürfen gedeckt hatte, sollte sie dem Bischof nicht vor die Augen kommen. Geduldig hatte sie sich in die Gefangenschaft gefügt und von den ganzen Festlichkeiten nur das Glockengeläut und den fröhlichen Lärm vernommen: durfte doch auch Urs Cibula nicht mit dabei sein! überdies war ihr verwundeter Arm immer noch lahm und mußte in einer Binde getragen werden. Aber trotz des strengen mütterlichen Verbotes hatte sich Ilja diesen Morgen in dem Garten versteckt; denn sie wollte den heiligen Bischof sehen, sie wollte ihn sogar um etwas bitten, und das recht herzlich. Obgleich sie damals, als er sie firmelte, Furcht vor ihm gefühlt, wie sie solche nicht einmal vor Michael Cibula und ihrem finsteren Priester-Ohm hatte, wollte sie Bischof Mauricius um etwas bitten.

Sie hörte des Ohms lautes und zorniges Sprechen, schlich hin und kauerte sich unter dem Fliederbaum nieder. Da ward ihr angst und bang. Plötzlich wurde es still über ihr. Nun faßte sie sich ein Herz, richtete sich auf, teilte behutsam die Zweige und sah ihren Ohm mitten im Zimmer stehen mit einem Gesicht – –. Erschrocken wich sie zurück und stand mit Tränen in den Augen unter den Goldregen und dem Rotdorn. Denn wenn der Bischof mit ihrem Ohm zornig war, würde er gewiß nicht tun, um was sie ihn bitten wollte.

Da kam er – gerade auf sie zu! Langsam ging er durch den Garten; einige Male blieb er stehen. Plötzlich leuchtete etwas vor ihm auf: Ilja Dozana stand am Wege mit einem großen Zweig Goldregen, den das Kind mühsam mit der einen gesunden Hand abgebrochen hatte. Es streckte die schöne Blütenfahne dem Bischof entgegen.

Nun war Bischof Mauricius kein Herr, der die Kindlein zu sich kommen ließ, obgleich sie in Scharen zu ihm kamen und er oft über den Text zu predigen hatte: »Lasset die Kindlein zu mir kommen.«

Vollends an diesem Morgen war er mit gar zornigem Herzen der Stellvertreter des Herrn, So wollte er denn an Ilja vorbeigehen, unfreundlich die Blumen abweisend; aber das Kind hatte ein so holdseliges Gesicht, sah ihn mit großen, leuchtenden Augen so bittend an, daß er unwillkürlich stehen blieb.

»Wer bist du, Kind?«

»Ilja Dozana,«

»Bist du die Tochter – Maura Dozanas?«

Beinahe, daß der Bischof das Mädchen gefragt, ob es die Tochter Stefan Dozanas wäre. Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte er hastig hinzu:

»Hast du einen kranken Arm, kleine Ilja?«

Ilja hätte gern den Kopf geschüttelt; aber da der Arm nun einmal krank war, so nickte sie – nur ein ganz klein wenig.

»Bist du gefallen? Nein? Was ist dir sonst geschehen? So antworte doch, wenn du gefragt wirst.«

»Ach, der Stein! Aber er hat gar nicht nach mir werfen wollen.«

»Wer wollte nicht nach dir werfen und hat es doch getan?«

Ilja zauderte zu antworten. Dann leise, ganz leise:

»Urs Cibula,«

»Ist das der Sohn von Michael Cibula? Und der hat mit einem Stein nach dir geworfen?«

»Nach Asarja, dem Judenknaben; dabei hat er mich getroffen. Bitte, schelte ihn darum nicht. Und sage ihm, bitte, daß er auch die Judenknaben nicht mehr mit Steinen werfen soll – nicht den Asarja und nicht die anderen. Er hat mir ja nur Blumen bringen wollen.«

»Der Judenknabe dir?«

Ilja nickte.

»Ganz still hat er dagestanden und sich von allen mit Steinen werfen lassen. Er war nicht einmal böse, und sie haben ihn doch halb tot geworfen. Ach, wie er geblutet hat!«

Der Bischof reimte sich die Sache zusammen.

»Komm mit mir, kleine Ilja. Du sollst mir zeigen, wo Urs Cibulas Vater wohnt.«

Ilja war sogleich bereit, mit ihrem Goldregenzweig in der Hand schritt sie neben dem Bischof hin. Unterwegs klagte sie ihm, daß Michael Cibula die Juden totschlagen wollte, daß auch Urs das wollte, sobald er erst groß geworden.

In strengem Tone verwies der Bischof Ilja ihr Mitleid mit den Juden und unterrichtete sie in der Lehre des Hasses. Aber das Kind verstand nicht viel davon.

Auf der Gasse lief jung und alt zusammen, den Bischof zu begrüßen und sich von ihm segnen zu lassen. Doch fiel es dem Bischof auf, daß die Männer sich heute von ihm zurückhielten. Mit dunkler Miene berührte er flüchtig die Stirnen der Knienden, ihnen beinahe heftig seine Hand entziehend, die alle küssen wollten.

Michael Cibula saß in seiner Schnitzkammer, als Russka hereinschrie:

»Der Bischof kommt vorbei!«

Darauf schleppte sich die Alte eilig hinaus, um sich auf der Gasse vor dem Bischof niederzuwerfen.

Michael Cibula erhob sich. Konnte der Bischof ihn in seiner Kammer auch nicht sehen, so wollte er doch ehrfurchtsvoll dastehen, wenn der heilige Mann vorbeiging. Den gestrigen ganzen Tag und die ganze Nacht hatte er schwer mit sich gekämpft, ob er nicht den Bischof anflehen sollte, ihm und seinem Weibe die Beichte abzunehmen. Aber was nur eine demütige Bitte war, hätte leicht wie eine heimliche Verleumdung Stefan Dozanas aussehen, leicht zu einer offenen Anklage seines Feindes führen können.

So ging Michael Cibula denn nicht zum Bischof.

Jetzt stand er am Kammerfenster, sah den Bischof, dem ein Schwarm von Weibern und Kindern folgte, die Gasse herauf, grade auf sein Haus zukommen und hatte das Gefühl, als ginge an seinem Hause das Heil vorbei. Da trat er, wie in Furcht, plötzlich von einer großen Seelenschwäche befallen zu werden, vom Fenster zurück, setzte sich an die Schnitzbank, griff zur Arbeit und begann eifrig an dem Dornenkranz zu schnitzen, den die Muttergottes in Händen hielt. Und das Holzbild sagte zu ihm:

»Geh hinaus, lade den Bischof ein, in dein Haus zu treten, und beschuldige Stefan Dozana.«

Aber er erwiderte:

»Das kann ich nicht.«

Darauf das Holzbild:

»Du wirst noch ganz andere Dinge vollbringen müssen.«

In diesem Augenblick ward die Kammertür geöffnet und Josephas bleiches Gesicht schaute herein.

»Der Bischof bleibt vor unserem Hause stehen. Ich glaube, er will zu uns,« meldete sie leise und angstvoll.

Michael Cibula erblaßte: Der Bischof hatte an seinem Hause vorübergehen wollen; da gab ihm die heilige Jungfrau den Gedanken ein, hereinzukommen; aber – und er setzte das Holzbild heftig hin – aber darin bin ich dir doch nicht zu Willen! dachte er und warf dem Bilde einen finsteren Blick zu.

»Warum will die heilige Jungfrau, daß der Bischof in unser Haus komme?« fragte Josepha und begann zu zittern.

»Damit ich Stefan Dozana bei dem Bischof verklage.«

»O Maria, Gottesmutter!« schrie Josepha auf.

Es war ein furchtbarer Blick, den Michael Cibula seinem Weibe zuwarf. Sie machte eine Bewegung, als wollte sie sich vor ihm niederwerfen; aber er stieß sie zurück, daß sie gegen die Wand taumelte. Dann ging er hart an ihr vorbei aus der Kammer dem Bischof entgegen. Wankend folgte Josepha.

Am liebsten hätte sie sich in Verzweiflung hingeworfen. Aber mitten in ihrem Jammer fiel ihr ein, daß der Bischof im Vorbeischreiten über ihr das Kreuz schlagen würde, und daß diese segnende Berührung der heiligen Hand ihr in allen ihren Sünden zum Heile gereichen könnte.

Der Bischof erstaunte, als er Michael Cibula, von dessen wildem Sinn er so viel übles vernommen, neben seinem Weibe auf der Schwelle seines Hauses fand: kniend, mit tief gesenktem Haupte, wie ein im Innersten zerknirschter und zermalmter Büßer.

Voller Salbung sprach er den Gruß; aber den Segen verweigerte er noch. Es war ihm, als hörte er das Weib einen leisen Wehelaut ausstoßen.

Nun erhoben sich die beiden und wichen zurück, um den Bischof eintreten zu lassen. Dieser wandte sich zu der Frau:

»Ich habe mit deinem Manne zu reden.«

Er winkte Josepha, zurückzubleiben. Dann trat er ins Haus.

Zum ersten Male in seinem Leben überkam Michael Cibula das dumpfe Gefühl, als könnte der Mensch reicher wohnen. Bekümmert sah er sich in dem niedrigen und düsteren Gemache nach einem der Heiligkeit seines Besuches einigermaßen würdigen Sitze um. Am liebsten hatte er sein und seines Weibes Festkleider genommen und diese unter die Füße des Bischofs gebreitet.

Mit einer zagenden Gebärde bot er dem Kirchenfürsten den Sessel an, der unter dem Muttergottesbilde stand und der von Josepha sowie von Michael Cibula selbst als Betschemel benutzt ward. Höchste Andacht und tiefste Inbrunst, die Ausbrüche eines flammenden Glaubens, zusammen mit Empfindungen wilden Jammers und Herzeleids, hatten dem schlechten Sessel eine Weihe gegeben, wie solche kein Bischofsstuhl oder Thronsessel besaß. Wäre der Heiland selbst in dieses Haus gekommen, er hätte, auf diesem Stuhle zu Gericht sitzend, Michael Cibula und seinem Weibe vieles vergeben.

Bischof Mauricius nahm Platz; demütig stand der mächtige Mann vor ihm.

»Michael Cibula,« begann der Bischof in strengem Ton, »ich bin gekommen, Euch zu ermahnen und scharf zu Eurem Gewissen zu reden. Denn es sollt Ihr und Euer Weib der Gemeinde ein unchristliches Beispiel geben. Ist es wahr, daß ihr beide nicht mehr die heilige Messe besucht, zu keiner Predigt geht, seit langem nicht gebeichtet, also auch seit langem nicht kommuniziert habt? Michael Cibula, antwortet mir: ist, was man mir über solchen Lebenswandel von Euch und Eurem Weibe berichtet hat, die Wahrheit?«

»Es ist die Wahrheit,« antwortete der Gefragte mit einem tiefen Seufzer.

Josepha vernahm draußen vor der Tür den Schmerzenslaut ihres Mannes, sank in die Knie und barg ihr Gesicht in den Händen.

Es kam Michael Cibula hart an, die Frage zu tun, und er vermochte nur mit Anstrengung zu sagen: »Vergebt, hochwürdiger Herr Bischof, von wem erfuhret Ihr solche unchristliche Dinge über mich und mein Weib?«

»Die die Wahrheit sind,« schaltete der Bischof ein.

»Die die lautere Wahrheit sind. Wer berichtete sie bischöfliche Gnaden?«

»Genug, sie wurden mir berichtet,«

»Das ist freilich genug,« sagte Michael Cibula langsam und schwerfällig, kaum wissend, was er sagte; denn gerade dachte er: Stefan Dozana hat mich bei dem Bischof verklagt, das hat mir wiederum Stefan Dozana angetan! Aber – und er sah nach dem Holzbild der Muttergottes hinauf – aber darin bin ich dir doch nicht zu Willen!

Und wieder antworteten ihm die Augen der Heiligen mit einem bösen Blick: Du wirst noch ganz anderes nach meinem Willen vollbringen, du und dein Sohn!

Plötzlich trat Michael Cibula dem Bischöfe näher, neigte sich zu ihm herab und sagte mit gedämpfter Stimme, als verrate er ein Geheimnis:

»An dem unchristlichen Lebenswandel, den ich und mein Weib führe, trage ich allein Schuld; denn ich verbot ihr, zu tun, was auch ich nicht tue, und da sie ein folgsames Weib ist, gehorsamt sie mir. – Eure bischöflichen Gnaden kann ihrem Gesicht ansehen, mit welchem Jammer.«

»Warum laßt Ihr das Weib in dem Jammer und entreißt sie der Gnade des Himmels?«

Auf diese Frage war Michael Cibula nicht gefaßt gewesen. Warum ließ er sein Weib in dem Jammer, darin sie vor seinen Augen zugrunde ging? Weil er Stefan Dozana haßte, und weil sie Stefan Dozana –  –

Wenn das wahr wäre, dann wollte er sie ja töten. Besser, er tat es, als sie langsam an ihrem Jammer zugrunde gehen zu lassen.

Er konnte dem Bischof auf seine Frage nicht antworten.

»Vielleicht nimmt bischöfliche Gnaden dem Weibe die Beichte ab,« stammelte er und sah fast flehend den Bischof an, »Es würde ihr in ihren Sünden zum Heile gereichen.«

»Sendet Euer Weib zu dem Priester, zu dessen Gemeinde sie gehört.«

»Zu Stefan Dozana!«

Alles, was Michael Cibula dem Bischof verschweigen wollte, sprach er, schrie er mit dem Namen aus. Selbst der Bischof, der doch mit allen Schattierungen des Hasses vertraut war wie ein Sänger mit den Tönen, entsetzte sich über den Haß, der in des Mannes Augen auffunkelte. Aber er wollte die Flamme nur anfachen, sie nicht aufschlagen lassen; deshalb suchte er das Gespräch von solchen wilden Empfindungen abzulenken, anderen dunkeln Regungen zu: auch einem Haß, aber einem Gott wohlgefälligerem und den Zwecken des Bischofs besser dienendem Haß: dem Haß gegen die Juden. Da mochten die Flammen lodern!

»Lassen wir das Weib; aber Ihr, Michael Cibula, warum verleugnet Ihr den Herrn?«

Michael Cibula hätte nur den Namen Stefan Dozanas zu nennen brauchen; er schwieg jedoch.

Der Bischof zürnte: »Gott läßt sich nicht ungestraft versuchen! Oder wähnt Ihr, daß Gott Euch suchen wird? Wie wollt Ihr mit Euern Sünden einstmals vor ihm bestehen?«

Michael Cibula wußte es auch nicht; er wußte nicht, was tun. Sollte er den Bischof anrufen: Gebt uns einen anderen Priester! Dieser ist der Sünden wider den heiligen Geist so voll, daß er keine Sünden vergeben kann. Sollte er sagen, in welchem wilden Kampfe gegen Gott er sein Leben verbrachte und wie er manche Nacht wachend vor dem Marienbilde lag in halber Zerrüttung seiner Sinne? Sollte er sprechen, sollte er anklagen?

Er schwieg.

Der Bischof war betroffen; bei so großer Demut solcher Starrsinn! Was sollte er von einem Manne denken, der als zerknirschter Sünder vor ihm stand und doch gänzlich unbußfertig erschien?

Er mußte einen andern Weg einschlagen, wollte er durch dieses Mannes Leidenschaften erreichen, was zu erreichen er sich vorgenommen. Es war ja nicht Michael Cibulas und dessen Weibes Seelenheil, das ihm bei diesem Besuche am Herzen lag. So begann er denn von neuem:

»Auch vernahm ich, daß Ihr Euch dem Bau der neuen Kirche widersetztet.«

Da richtete Michael Cibula sein gebeugtes Haupt empor.

»Ja, hochwürdiger Herr Bischof, ich widersetzte mich.«

»Warum?«

»Weil die Juden die Kirche erbauen sollten.«

Und in seinem Auge lohte die Glut, die der Bischof lodern lassen wollte, wie ein Blitzstrahl auf.

»Ich vernahm von Euerm Judenhaß und ich als Christ und als Bischof kann Euch nicht darum schelten. Man berichtete mir indessen: ein Weib Eures Stammes habe sich mit einem Juden vergangen. Demnach hätte Euer Haß seinen Ursprung nicht in dem lauteren Quell Eurer Gottesliebe, und nicht darin, daß Juden es waren, die unsern Herrn und Heiland an das Kreuz geschlagen, sondern es käme Euer Haß aus einem anderen, unreinen Born. Gott würde wohlgefälliger auf Euern Haß blicken, wenn Ihr solchen allein um seines gemarterten Sohnes willen empfändet. Denn was Eure persönlichen Feinde betrifft, so stehet geschrieben: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen. Als Euern persönlichen Feinden sollt Ihr den Juden vergeben, aber als die Feinde Gottes sollt Ihr sie hassen und verfolgen und übles an ihnen tun, Ihr und Euer ganzes Haus. – – Was habt Ihr mir darauf zu erwidern?«

Und Michael Cibula erwiderte:

»Hochwürdiger und heiliger Bischof. Wie Ihr vernommen habt, so ist es; ich kann von meinem Namen die ewige Schande nicht nehmen. Eine, die Maria Cibula hieß und meine leibliche Schwester war, wurde vom Teufel verblendet, daß ein junger und, wie sie sagen, schöner Jude Gewalt über ihre unsterbliche Seele gewann. Sie ging mit ihrem satanischen Buhlen davon und wird nach Gottes Willen eines schrecklichen Todes gestorben sein; denn sie wurde von den Ihren verflucht, daß sie ewige Flammenpein erleide, und nie wird eines Cibula Hand sich betend für sie erheben.

Mein Vater hat diese Tochter, die gar holdselig gewesen, im Herzen getragen wie sonst nichts auf der Welt. Dann aber hat er alle Liebe für sie getilgt und aus seinem Herzen gerissen und sein Herz so mit Haß gegen sie erfüllt, daß, wenn er einem Juden ins Gesicht sah, diesem war, als sei ihm ins Antlitz gespien worden. Und seht, hochwürdiger und heiliger Herr Bischof, diesen Blick hat mein Vater seinem Sohn, und ich habe ihn dem meinen vererbt, und mein Sohn wird ihn wiederum seinen Söhnen als Erbe hinterlassen.

Speie ich nun, so zu sagen, jedem Juden, den ich ansehe, ins Gesicht, weil ein Jude meine Schwester ins ewige Verderben gestürzt hat, so gibt mein Blick zugleich jedem Juden, so zu sagen, einen Faustschlag ins Gesicht, weil Juden unseren Herrn und Heiland gekreuzigt haben. Daraus mögt Ihr erkennen, welcher Art mein Haß ist. Niemals aber kam mir in den Sinn, daß mein Haß Gott wohlgefällig sein könnte. Denn auch ich kenne den Spruch, daß wir unsere Feinde lieben und vergeben sollen denen, die uns hassen und verfolgen, und Gutes tun solchen, die uns Böses erweisen. Und so dachte ich denn: Gott fordere von uns, auch die Juden zu lieben, und ich nahm schweren Herzens die Sünde auf mich, glaubend, daß mein Haß vor Gott eine mächtige Schuld sei.

Ähnliches habe ich schon einmal vor Stefan Dozana und der Gemeinde gesprochen; aber ich danke dem Himmel, daß er es mich heute vor dem hochwürdigen und heiligen Herrn Bischof sagen läßt. Denn das ist, als ob der Himmel selber mich hört.«

Eine Weile blieb es so still in der Kammer, daß Michael Cibula das erstickte Schluchzen Josephas draußen vor der Türe vernahm, ein Ton, der dem gewaltigen Menschen ans Herz griff. Er stand und lauschte darauf.

»Michael Cibula, Ihr habt viel gesündigt, aber – um Eures Hasses willen wird Euch viel vergeben weiden.«

Doch Michael Cibula sah nicht weniger sündenvoll aus. Nicht, daß er an des Bischofs Worten gezweifelt hätte, aber er verstand den Sinn der Worte nicht.

Der Bischof erhob sich .

»Die Juden müssen wieder fort.«

»Wenn das geschehen könnte.«

Und Michael Cibula machte ein Gesicht wie ein Verschmachtender, dem in der Wüste ein Quell gezeigt wird.

»Das wird geschehen.«

Doch der Glanz auf Michael Cibulas Zügen erlosch so schnell, wie er gekommen war.

»Wie könnte das geschehen?«

»Mit des Himmels Willen durch meine Hand. Hört: Eure Stimme hat einen starken Klang in der Gemeinde. Ihr müßt heute Eure Stimme mit der meinen gegen die Juden erheben,«

»Ich habe meine Stimme immer gegen die Juden erhoben und werde das immer tun. Aber um zu bewirken, die Juden aus diesem Tale zu vertreiben, dazu ist meine Stimme zu schwach. Das müßt Ihr, hochwürdiger Herr Bischof, mit des Himmels Hülfe allein vollbringen. Ihr werdet es, und ich werde Euch dafür danken; mehr, als hättet Ihr meinem Weibe und meinem Sohne das Leben gerettet,«

Und wieder sah er den Bischof an, so leuchtend und verklärt, als sei ihm Vergebung aller seiner Schuld verheißen worden. Dann sagte er noch einmal mit ernstem Glauben und vollem Vertrauen:

»Wie wollt Ihr es vollbringen? Die Juden sind in der Verrös ansässige Leute geworden.«

»Dasselbe sagte auch Stefan Dozana. Ich ließ mir von ihm die alten Dokumente vorlegen, auf welche hin der Pakt mit den Juden geschlossen worden. Nachdem ich die Urkunden geprüft, erkannte ich, daß sie längst hinfällig und ungültig geworden sind, daß demnach der Vertrag mit den Hebräern gesetzlich und rechtlich ungültig ist. Ihr seht, was ich vollbringen will, ist nicht schwer; denn ich habe das Recht auf meiner Seite. Trotzdem wäre mir lieb, die Sache mit Eurer Hülfe zu tun. Ihr werdet zu den Bauern in einer Sprache reden, die sie besser verstehen, als die meine. – – Warum seht Ihr mich so an?«

»Ich habe nicht verstanden,« murmelte Michael Cibula. »Der Pakt mit den Juden wäre ungültig, weil wir gar nicht das Recht hätten, mit ihnen einen Pakt zu schließen?«

»So ist es.«

»Was sagt Stefan Dozana dazu?«

»Die Juden müßten bleiben. Er ist weniger eifrig, Gott und der Kirche zu dienen, als Ihr; sein Haß gegen die Feinde des Herrn ist geringer als der Eure. Nie hätte er sonst geduldet, daß die Juden vom Kryvan Besitz ergriffen, nicht um alle ihre Schätze. Ich habe Grund, streng mit Eurem Priester ins Gericht zugehen. Doch was sagt Ihr dazu?«

»Dasselbe, was Stefan Dozana dazu sagte: die Juden müssen bleiben.«

Der Bischof glaubte nicht recht verstanden worden zu sein, überzeugte sich indessen bald eines anderen. Denn wie er die Sache auch begründete und auslegte, wie er auch mahnte und warnte, wie er schließlich auch zürnte und drohte – Michael Cibula blieb dabei, wie Stefan Dozana dabei geblieben war:

»Unsere Rechte lassen wir uns nicht nehmen. Die Juden wurden von uns aufgenommen, die Juden müssen bleiben; denn wir haben ihnen unser Wort verpfändet.«

Michael Cibula sah dabei nach dem Muttergottesbild auf und murmelte:

Töten könnte ich sie – ich oder mein Sohn; denn ich und mein Sohn, wir haben ihnen nicht Frieden gelobt. Laut setzte er hinzu:

»Aber die Bauern von Piatra müssen die Juden in Frieden auf dem Kryvan leben lassen.«

»Ist das Euer letztes Wort? – – Wolltet Ihr nicht, daß ich Eurem Weibe die Beichte abnähme und ihr die Hostie reichen sollte? Hört, wie sie vor der Türe in ihrem Jammer sich windet.«

»Wenn Ihr das tun würdet – –«

»Ich weigerte mich vorhin; indessen – vielleicht besinne ich mich eines anderen. Vielleicht besinnt auch Ihr Euch eines anderen und besseren. Während ich mit Euch sprach, hat Stefan Dozana die Gemeinde zusammenrufen lassen, vielleicht – –« Da wurde Michael Cibulas Gesicht zu dem Antlitz eines Menschen, für den es keine Hoffnung mehr gibt, weder auf Erden noch im Himmel. Ein ungeheurer Schmerz zuckte in seinen Augen auf. Dann trat er ehrerbietig zur Seite, um den Bischof, der sich bereits nach der Tür gewendet hatte, vorbeischreiten zu lassen.

Ohne zu segnen, wie er gekommen war, entfernte sich Bischof Mauricius. Er ging hart an Josepha vorbei, die immer noch hingesunken am Boden lag. Sie wollte nach dem heiligen Gewande haschen, aber ein Blick ihres Mannes untersagte es ihr.


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