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Neuntes Kapitel

Die Juden vom Berge Kryvan

Nachdem die Juden im Gemeindehause den Pakt geschlossen und die Kaufsumme aufgezählt hatten, begaben sie sich sogleich nach ihrem Dorfe zurück, den Weg in die Schlucht hinab, den fortan Gras überwuchern sollte.

Bei der Dunkelheit mußten sie des jäh abfallenden Pfades achten und den Patriarchen leiten, so daß sie nur wenig miteinander reden konnten.

»Jehovas Wille ist geschehen.«

»Erfüllt ist, was uns verheißen ward.«

»Unser ist das Land, das der Herr uns gewiesen.«

Ein vierter aber sprach nichts; er dachte nur: das Geschäft ist gemacht.

Auch Jehuda blieb stumm.

Dann gelangten sie auf den Grund der Schlucht und schritten über den Steg – zum letztenmal!

Droben erwartete alles Volk die Abgesandten in tiefem Schweigen. Und Baruch trat mitten unter sie und verkündete seiner Gemeinde:

»Ihr seid die Juden vom Berge Kryvan.«

Alle streckten die Arme auf, lobten und dankten Gott mit lauter Stimme. Darauf eilten die Weiber in ihre Häuser, um noch, zur Nacht ihr Haus und sich selber zu schmücken und in Eile ein Festmahl zu richten.

Dozia hatte nicht unter den harrenden Frauen gestanden, sondern war in ihrer Kammer geblieben. Sie hörte das Freudengeschrei der Ihren; und als Jehuda nach Haus kam, trat ihm sein Weib als eine Trauernde entgegen. Auch er sprach: »Wir sind die Juden vom Berge Kryvan geworden.« Er sagte es leise, als ob er seinem Weibe ein großes Unglück verkünde, Dozia sah ihn kummervoll an und erwiderte:

»Wie benahmen sich die Christen?«

»Gierig nach Silber und Gold, wie man sagt, daß nur die Juden wären.«

»Und der Bruder meiner Mutter Mirjam?«

»Michael Cibula kam in mächtigem Zorne und predigte wider uns, gleich einem Erzengel. Seine Worte fielen auf mein Haupt wie Feuer; denn er sagte, daß wir sie verderben würden, und daß es besser sei, Wölfe und Bären als Nachbarn zu haben, als uns: wo wir hinkämen, säeten wir Unheil, und Unheil würden sie ernten.«

Dozia faßte nach ihres Mannes Hand und hielt sie fest in der ihren. Sie fragte:

»Und dann ließen die Christen uns doch die Juden vom Berge Kryvan werden?«

»Weil ihr Priester es wollte.«

»Warum sagst du das in solchem Tone? Ein Priester bist auch du.«

»Als ich heute diesen Priester der Christen zu seinem Volke reden hörte, überfiel mich eine wilde Angst, weil auch ich ein Priester bin, in dessen Mund Gottes Wort gelegt worden, es dem Volke zu predigen. Denn furchtbar ist, wie Gottes Wort in eines Priesters Munde entstellt und Gottes Name mißbraucht werden kann.«

Dozia fragte nicht mehr.

*

Einige Tage darauf feierten die Juden das Laubhüttenfest; es geschah zum erstenmal, seitdem sie in der Verrös waren. Denn der Patriarch hatte ihnen befohlen, die heiligen Tage nicht eher zu begehen, als bis sie es auf ihrem eigenen Grund und Boden vermöchten. Vier Jahre hatten sie harren und darben müssen, jetzt ergriff sie ein Freudentaumel. Es war nicht anders, als hätten sie die vier Jahre in der Wüste zugebracht und nun plötzlich eine Oase gefunden mit Dattelpalmen und frischen Quellen.

Kaum war die Festwoche zu Ende, so begannen sie auf ihrem Besitztum eine starke Tätigkeit zu entfalten. Von neuem wurde der Kryvan nach allen Richtungen hin durchforscht, ausgemessen und die Eigenschaften seines Bodens, seiner Wälder, seines Gesteines und Gewässers einer scharfen Prüfung unterzogen. Es wurden Pläne gemacht, Bestimmungen getroffen und Gesetze gegeben; es wurde der Bau eines Gemeindehauses und eines Tempels beschlossen. Magazine sollten angelegt, Quellen eingefaßt, Brunnen ausgemauert werden. Man wollte die Herden vergrößern. Schon im nächsten Frühjahr gedachte man eine Straße in den Fels zu sprengen und Schächte in den Kryvan zu führen.

Aber sogleich machte sich die Gemeinde daran, ringsum den Wald auszuroden. Nur die Arven und Tannen, welche in dichtem Kranze die Niederlassung auf der Bergseite umstanden, durften nicht gefällt werden; und es wurden die Bäume vom Patriarchen heilig gesprochen: wer an den Bannwald, der das Dorf vor den Lawinen des Kryvan schützte, die Axt anlegte, sollte gleich einem Mörder geächtet werden und des Todes schuldig sein.

Denn gewaltig waren die Schneemassen, die jedes Jahr vom Kryvan herabstürzten, und schrecklich die Verheerungen, die sie anrichteten. Ohne das schützende Bollwerk des Waldes wäre die schöne Halde, auf welcher das Judendorf sich erhob, sehr bald eine wilde Trümmerstätte geworden.

Überall waren die Juden tätig, nur auf dem Felde nicht: ihr Feld hatten sie bereits gedüngt, gepflügt und gesäet, bevor das Abkommen mit den Bauern von Piatra geschlossen worden. Sie hatten es des Nachts getan und trockenes Reisig über den Acker geworfen, damit die Waldleute das Bestellen der Felder nicht gewahr werden sollten.

Die Bauern von Piatra, die sich um ihre Nachbarn nicht zu kümmern gedachten, ärgerten sich über jeden Axthieb, der laut zu ihnen herüberschallte; sie ärgerten sich über jeden Baum, den sie stürzen hörten.

Obgleich es sie nichts mehr anging, schauten sie scharf hinüber auf alles, was die Nachbarn taten und trieben; und da sie diesen beinahe in die Fenster hineinsehen konnten, nahmen in Piatra Verdruß und Aufregungen kein Ende: warum lebten die Juden nicht so ernsthaft, ruhig und bedächtig wie die Christen? Allein die steinernen Häuser der Ebräer, darüber die Waldleute früher nur verwundert oder spottend den Kopf geschüttelt, wurden jetzt zu Steinen des Anstoßes für sie. Denn wie durften Juden besser wohnen als Christen?!

Bald sahen die Bauern ihre Nachbarn Anstalten treffen, um neue Häuser zu errichten, sie sahen den Grund ausgraben für einen großen Bau: hart am Rande der Schlucht, der neuen Kirche von Piatra gerade gegenüber. Mächtige Steine wurden von Ochsen auf den Platz geführt. Und die Waldleute erfuhren, daß die Juden im Sinne hatten, sich aus diesen Steinen einen prächtigen Tempel zu bauen – ihrer Kirche gerade gegenüber!

Sollten sie das dulden?

Sie schickten Boten hinab in die Schlucht; und obgleich der Steg noch nicht abgebrochen war und die Männer also hätten hinüber gelangen können, schrien sie vom Rande der Schlucht aus den Juden zu, herabzukommen und sie anzuhören. Das taten die Juden, den Steg zwischen sich, verhandelten die beiden Parteien miteinander über das wilde Wasser hinüber. Um sich bei dem Tosen des Bergbachs verstehen zu können, mußten sie aus vollem Halse schreien.

»Einen Tempel wollt ihr bauen?«

»Das wollen wir.«

»Unserer Kirche gerade gegenüber?«

»Ja.«

»Das erlauben wir nicht.«

»Ihr habt uns nichts zu verbieten und nichts zu erlauben.«

»Baut euern Tempel an einem anderen Ort.«

»Wir bauen ihn dort, wo es uns gefällt.«

»Seid nicht so frech!«

»Seid nicht so töricht.«

»Wartet, wir wollen euch – –«

Und die törichten Waldleute wären beinahe über den Steg gelaufen, um die frechen Juden, die nicht tun wollten, was die Christen von ihnen begehrten, zu züchtigen. Aber Stefan Dozana erinnerte noch rechtzeitig an den geschlossenen Vertrag und mahnte zum Frieden. Da wandten die Bauern von Piatra den Juden vom Berge Kryvan den Rücken.

Sie kletterten den Weg, über den das Gras wachsen sollte, wieder empor, nicht ohne um eine Erkenntnis reicher geworden zu sein: die Juden konnten in der Tat tun und lassen, was sie wollten, und die Christen durften dem zusehen.

Es mußten demnach die Waldleute wohl oder übel sich darein ergeben, daß, wenn sie zur Kirche beten gingen, die Juden drüben dasselbe taten, oder doch tun konnten; und mancher in Piatra hegte großes Bedenken, was zu diesem unheiligen Gegenüber die Heiligen sagen würden. Auch konnte es der himmlischen Jungfrau kaum angenehm sein, durch den Anblick des jüdischen Tempels jederzeit an ihre Herkunft erinnert zu werden.

Immer dringlicher wurden also für die Waldleute die Gründe, ihre neue Kirche mit möglichster Pracht auszuschmücken.

Auch in diesem Jahre trat der Winter ziemlich milde auf, so daß die Juden ihre Arbeiten im Freien fast ununterbrochen fortsetzen konnten. Wieder halfen Frauen und Kinder und wieder konnten Asarja und Makkabea ihre schöne Mutter Steine tragen sehen.

Zum Frühjahr wurde der Bau der Straße in Angriff genommen: so breit, daß darauf ein mit drei Ochsen bespannter Wagen fahren konnte. Die Straße durchschnitt das ganze Gebiet der Waldleute jenseits der Schlucht und gab in Piatra neues Ärgernis, welches neue, fruchtlose Beschwerden zur Folge hatte. Noch stand im Vertrage die Gewährung der Straße mit klaren Worten verzeichnet und die Waldleute mußten zugeben, daß die Juden sich in ihrem Rechte befanden. Ihr Verdruß wurde dadurch nicht vermindert.

Auch erregte es sie höchlich, daß die Fremden sich mit der nächsten Gemeinde in Verbindung setzten, von der sie die Erlaubnis erhielten, ihre Straße weiter durch deren Gebiet führen zu dürfen.

Stefan Dozana stieg selbst zu dem Nachbarorte herab. Es war auf dem unwegsamen Pfade eine mühselige Wanderung, von welcher der Priester voller Unmut zurückkehrte. In der Gemeinde bildete diese Reise ihres Priesters und dessen Ohnmacht, den Juden zu wehren, den Gegenstand hitziger Reden.

Auch mißfiel den Waldleuten, daß die Judengemeinde beinahe wöchentlich sich vergrößerte. Die Ankommenden brachten ihr Gesinde und ihr Vieh mit. Aber auch das mußten jene sich gefallen lassen. Denn waren sie gleich die Bauern von Piatra, so waren die anderen doch die Juden vom Kryvan und frei, nach ihrem Gefallen zu tun.

Wie der Haß der Waldleute gegen die Juden von Jahr zu Jahr wuchs, das hatten von Jahr zu Jahr mehr die jüdischen Händler zu erfahren. Es blieb während des Tauschgeschäftes nicht mehr bei finsteren und feindseligen Blicken, es fielen auch wilde Worte, es wäre fast zu wilden Taten gekommen. Die Juden erschraken, schlossen den Handel eiliger ab und zogen schon des Nachmittags wieder davon. Aber obschon in diesem Jahre die jüdischen Händler bereit gewesen wären, sich den Waldleuten zuliebe zu geschlagenen Männern zu machen, hatten die Bäuerinnen doch noch niemals so viel Ursache gehabt, über das schlechte Gedächtnis ihrer Hausherren Klage zu führen. An Gewürze und Bandwerk hatten die Männer überhaupt nicht gedacht. Und nicht einmal, daß die guten Frauen in der Frühlingsnacht dieses Jahres über die erlittene Unbill bei ihren Eheherren ihre Herzen erleichtern durften. So war der Unfrieden denn auch in die Häuser gezogen.

Einige Anhänger Michael Cibulas sprachen laut aus: man müsse fortan gemeinsam in die Ebene und die Städte hinabziehen, um selbst die Lebensbedürfnisse gegen die Landesprodukte einzutauschen.

Während des ganzen Winters waren die Waldleute für die Ausschmückung ihrer Kirche tätig gewesen. Stefan Dozana hatte Zeichnungen entworfen und nach diesen arbeiteten die Bauern ihre Schnitzereien, Kirchentüre und Chorstühle. Sie waren aus vielhundertjährigem Zirbenholz und versprachen Wunderwerke der Holzschneidekunst zu werden. Jedes Ornament war verschieden: fabelhaftes Getier wechselte mit Früchten, mit Blumen und herrlichem Gerank. An der Türe waren bekränzte Teufelsfratzen angebracht, Genien und Frauen, nackt und schön wie die Sünde. Zuerst nahmen die frommen und strengen Gemüter Piatras an diesen satanisch-schönen Leibern heftigen Anstoß; aber Stefan Dozana deutete ihnen seine Gestalten als der heiligen Schrift entnommen, so daß sie sich schließlich beruhigten. Durch diese Zeichnungen erwies sich, daß die Gemeinde einen Priester besaß, der zugleich ein großer Künstler war. Aber keiner wußte es, er selber am wenigsten.

Auch die Frauen von Piatra betrieben emsig und geheimnisvoll ein kunstreiches Werk: sie stickten dem Muttergottesbilde ihrer neuen Kirche aus dem seltensten und glänzendsten Gefieder der Verrös einen prächtigen Mantel.

Gar zu gern hätte die Gemeinde das große Muttergottesbild von Michael Cibula schnitzen lassen, dessen Madonnen hohen Ruhm genossen. Seitdem derselbe jedoch in seiner Rede vor dem Altar solche Feindseligen und unchristlichen Gesinnungen gegen Gott und die Heiligen bewiesen, hätte jedes Werk von seiner Hand Gott und die Heiligen beleidigen müssen.

Nachdem in diesem Frühjahr die jüdischen Händler dagewesen waren, rüstete sich Stefan Dozana für eine lange Reise in die Ebene und in die Städte. Vier Jünglinge begleiteten ihn. Sie trugen, in feste Ledersäcke verpackt, das Silber und Gold der Juden, den Kaufpreis für den Berg Kryvan.

Eine Schar Kinder mit ihren Eltern und Angehörigen geleiteten den Priester ein Stück Wegs. Alle drei Jahre an einem bestimmten Tage nach Ostern führte Stefan Dozana eine solche Kinderschar zu einer Kapelle, die zwei Tagemärsche von Piatra entfernt in einem schönen und heiteren Tale lag. Dort versammelten sich alle drei Jahre an einem bestimmten Tage die Priester entlegener Waldgemeinden, sämtlich von festlich gekleideten Kindern, Knaben und Mädchen, und deren Familien gefolgt. Vor der kleinen Kapelle schlugen die Wallfahrer ein Lager auf und harrten des hochwürdigsten Bischofs. Mit großem geistlichem Gefolge, mit Koch und Schenk rückte der Kirchenfürst an und ließ sich auf vier Tage bei der Kapelle häuslich nieder. Am ersten Tage war Beichte und Hochamt, am zweiten Firmelung der Kinder, am dritten erteilte der Bischof den jungen Christen das Sakrament, am vierten hörte er Beschwerden und Klagen an, schlichtete Streitigkeiten, versprach Abhilfe, strafte und lohnte, schalt und lobte, segnete und verwünschte und regierte mit einem Wort wie ein großer weltlicher Herr. Es kam aber aus seinem Munde mehr Strafe und Tadel als Belohnung und Lob.

Bevor der Bischof wieder fortzog, beichteten ihm auch die Priester der Walddörfer, und manchen unter ihnen nahm er streng ins Gebet. Dabei konnte es vorkommen, daß einem geistlichen Sünder die Absolution verweigert wurde, und die kleine freundliche Kapelle am Waldessaum wußte, was Bannspruch und Acht sei.

So war denn Bischof Mauricius ein strenges Oberhaupt der streitbaren Kirche, von allen gescheut, von vielen gefürchtet, von manchen gehaßt. Hinter seinem Rücken wurden die Mienen finster, aber vor seinem Angesicht wurden sie blaß, und es gab unter den Waldpriestern nur einen einzigen, dem man es ansah, wie schwer es ihm ward, sein Haupt vor dem zornmütigen Herrn zu neigen: Stefan Dozana. Es gefiel dem Bischof Mauricius gar nicht, daß dieser eine so wenig demütig vor ihm stand, und er sann schon lange darauf, wie er den Trotzigen beugen könnte. Und zwar gleich recht tief.

Das wußte Stefan Dozana.

Es war ein heiteres Bild, an dem sonnigen Frühlingsmorgen vor dem Priesterhause von Piatra die Kinder versammelt zu sehen. Alle trugen neue Kleider, und jedes Kind hatte eine Last auf dem Rücken: die Wanderkost! Munter tummelte sich das Völklein durcheinander, ungeduldig auf den Augenblick des Abzuges harrend, als ginge es statt der ernsthaften Firmelung einem lustigen Spiele entgegen.

Ebenfalls in Festtracht, ebenfalls einen Packen auf dem Rücken standen Väter und Mütter, Basen und Vettern, Gevatter und Gevatterinnen. Die Männer führten hohe dicke Stöcke von Erlenholz, die Frauen hielten ihren Rosenkranz zwischen den Fingern. Weil nun einmal die Jungen zwitschern, wie die Alten singen, ahmten Knaben und Mädchen ihren Eltern nach.

Wer nicht mitzog, war wenigstens gekommen, die anderen abziehen zu sehen. Da waren noch im letzten Augenblicke allerlei Aufträge zu erteilen oder noch einmal einzuprägen. Dieser wollte eine vom Bischof geweihte Kerze, jener ein Traktätlein, ein Heiligenbild oder ein Fläschchen wundertätigen Öles mitgebracht haben, das letztere heilsam für jedes Übel oder Leid, bei Mensch und Vieh.

In bitterem Neide standen von fern die Kinder, die erst das nächstemal, in drei Jahren, ausziehen sollten; stolz schauten die kleinen Reisenden auf jene herab. Wer aber schon zum zweiten Male mitzog, der gebürdete sich den Neulingen gegenüber wie der Wissende gegen den Laien.

Und voll bitteren Neides und Leides stand hinter einem blühenden Schlehdorn Urs Cibula und spähte durch die schimmernden Zweige traurig zu den fröhlichen Festkindern hinüber. Eigentlich hätte er diesen Frühling mit ausziehen müssen, aber sein Vater hatte ihn schon im vorigen Jahre aus der Christenlehre genommen und von einer Firmelung des Knaben war fürs erste nicht die Rede. Wie hatte Urs sich darauf gefreut, mit Ilja Dozana durch die Wälder zu ziehen, zur Kapelle und zu dem heiligen Bischof! Denn Ilja Dozana befand sich unter den Kindern, welche in diesem Jahre ihr Christentum bestätigen sollten.

Soeben trat sie mit ihrem Ohm und ihrer Mutter aus dem Hause, die reizendste von allen! Aber ihr liebliches Gesichtchen war traurig und sie hielt die Augen gesenkt. Jetzt sah sie auf und blickte umher. Sie schien jemand zu suchen und nicht zu finden. Da bewegten sich die Zweige des Schlehdorns heftig, als ginge ein Wind durch die Blüten, und Ilja wußte, wo der Gesuchte stand, Sie schlich zu dem Busche, brach ein Zweiglein ab und flüsterte in die Blüten hinein, daß sie am liebsten auch dableiben möchte, und daß er nicht so traurig sein sollte.

Ein Schluchzen antwortete ihr.

Das war ein fröhlicher Kirchgang durch Wald und Gebirg, über frühlingsgrüne Matten, an blumigen Hängen dahin. Eine Wanderung war's, auf der so häufig als möglich gerastet und so wenig als möglich gefastet ward. Zwar ließen die alten Christen es sich angelegen sein, den jungen Christen ernsthafte Mienen zu zeigen und sie erbauliche Reden hören zu lassen, oder die Kinder mußten geistliche Gesänge intonieren und lange Litaneien abbeten; aber Frühlingsluft und Sonnenschein gaben allzu großen Ernst und allzu eifrige Frömmigkeit nicht zu.

Nur Stefan Dozana schritt schweigsam in düsterem Sinnen an der Spitze des Zuges. Für ihn war der Frühling eine schlimme Zeit; denn für ihr was eine Zeit mächtig Sehnens und gewaltigen Lebens. Frühlingstürme durchbrausten seine Seele, Frühlingsfluten durchströmten sein Herz. Dann bedurfte es starker Dämme, dann war ein heißes Ringen nötig, dann tobte in ihm so lange der Mensch, bis dieser ermattet war und sich dem Priester ergab. Dann war der wilde Geist für eine kleine Weile still.

Gegen Abend des zweiten Tages gelangten die Wanderer zu einer weiten, schönen Wiese, an deren Saum ein Kirchlein stand, daneben eben eine Reihe von Bretterhütten aufgeschlagen wurde. Bereits waren die meisten Gemeinden angelangt und alle kamen, die Bauern von Piatra und deren Priester zu begrüßen. Noch ließ sich diesen Grüßen anmerken, daß die Leute aus der Verrös nirgends Freunde hatten. Alle wußten bereits von der neuen Kirche zu Piatra und von den Juden vom Berge Kryvan. Die geistlichen Herren umringten Stefan Dozana, fragten, hörten und staunten. Die einen bezeigten höchste Verwunderung, die anderen konnten ihren Neid nicht verbergen. Stefan Dozana nahm das eine wie das andere gelassen hin. Hatte er sich in früheren Jahren stolz gezeigt, so benahm er sich in diesem Frühlinge schier hochmütig; und wie ihr Priester tat, so taten die Bauern von Piatra.

Denn auch diese wurden umringt und ausgeforscht, auch diese angestaunt und beneidet. Ihr Ruhm verbreitete sich, sowohl um ihrer Kirche willen als auch wegen ihres Triumphes über die Juden, durch das ganze Lager.

Dann langte Bischof Mauricius an. Außer seinem Gefolge kamen mit ihm Krämer und Händler, Die einen zogen mit Getränken und süßem Backwerk herbei, die anderen mit Rosenkränzen, Heiligenbildern, Traktätlein und wundertätigen Mitteln. Es war wie auf einem Jahrmarkt.

Alle Priester huldigten dem Bischof, und alles Volk ließ sich kniend von ihm segnen. Die Kinder wurden nahe der heiligen Person des Kirchenfürsten aufgestellt. Stefan Dozana stand in den letzten Reihen, was sogleich von den scharfen Augen seines Vorgesetzten bemerkt wurde.

Bischof Mauritius war ein stattlicher Herr und sah aus, als ritte er lieber ein mutiges Streitroß als ein frommes Maultier. Seine Gesichtszüge waren hart und von einer leidenschaftlichen Willenskraft, Aber sein dunkler Blick hatte etwas Pfäffisches, und um den strengen Mund konnte ein böses Lächeln liegen. Wenn der Bischof diesen Blick und dieses Lächeln zeigte, warb es manchem, der sonst keine Furcht kannte, unheimlich zu Mute.

Der nächste Tag begann mit einem allgemeinen Gebete, dem der Bischof beiwohnte. Nach beendigter Andacht wurden die Kinder zu der Weihe geschmückt, die an ihnen vollzogen werden sollte. Sie liefen in den Wald und pflückten Blumen, aus denen Mütter und Gevatterinnen Kränze wanden; die Knaben bekamen mächtige Sträuße. Jetzt ward auch die Kapelle mit Blumen geziert und vor derselben unter einem hohen Baldachin von Blütenzweigen und grünem Laub ein großer Altar gebaut.

Es war ein feierlicher Gottesdienst unter freiem Himmel, und feierlich war's, als die Kinder im Chorus das Bekenntnis ihres christlichen Glaubens ablegten. Die großen Worte erhielten, von den kindlichen Lippen gesprochen, etwas unendlich Rührendes; aber beinahe schaurig klang von diesen selben unschuldigen Lippen das Bekenntnis an eine Erbsünde zu glauben, an eine ewige Schuld und ewige Verdammnis. Es war gut, daß die Kleinen nicht wußten, was sie sagten.

Dann traten sie einzeln vor den Bischof hin, um durch seinen Segen aufgenommen zu werden in die Gemeinde der in Zukunft Seligen oder Unseligen.

Als Ilja Dozana vor dem Bischof stand, dachte sie nicht an Gott und die Heiligen, sondern an Urs Cibula und dessen Sündhaftigkeit, so daß ihr die Tränen aus den Augen stürzten.

Am Abend des zweiten Tages traf es sich, daß Stefan Dozana an entlegener Stelle dem Bischof begegnete. Er blieb stehen, um den Herrn an

sich vorüberschreiten zu lassen; denn es dünkte ihn, als ob auch der Bischof die Einsamkeit suchte.

Aber Bischof Mauricius redete ihn an. Er tat es wie einer, der an etwas ganz anderes denkt, als er sagte:

»Was ist das für ein Gerücht über eine neue Kirche in Piatra?«

»Die Bauern von Piatra haben sich eine neue Kirche erbauen lassen.«

Auch wenn Stefan Dozana mit einem Bischof sprach, klang seine Stimme nicht demütig, und die Ohren des Bischofs waren gewöhnt, demütige Stimmen zu vernehmen. Weshalb erwiderte denn auch er in einem ganz besonderen Tone: »Die Bauern von Piatra ließen sich eine Kirche erbauen? Sie ließen sich? Wer gestattete ihnen, sich eine Kirche bauen zu lassen?«

»Niemand, denn sie fragten niemand.«

Aber diese Antwort überhörte der Bischof, obgleich sie durchaus nicht leise gegeben worden.

»Von wem ließen sich die Bauern von Piatra eine Kirche bauen?«

»Von den Juden von Tar.«

»Was bedeutet das? Eine christliche Gemeinde läßt sich von Juden eine Kirche erbauen?«

»Es geschah zur größeren Ehre des Herrn,« erwiderte Stefan Dozana und holte tief Atem, wie einer, der sich Gewalt antun muß.

Bischof Mauricius überlegte: der Juden wegen konnte er den Priester nicht demütigen. Er hatte zu Genüge vernommen, welchen Triumph die Erniedrigung der Juden von Tar durch die Bauern von Piatra bei allen erregte. Auch war es ja wohl zur »größeren Ehre Gottes« geschehen.

Er mußte auf etwas anderes sinnen.

»Die Juden waren von Christen vertrieben worden. Ihr nahmt die Vertriebenen auf?«

»Damit sie uns dienen sollten.«

»Wo sind die Ebräer jetzt?«

»Jetzt?«

»So fragte ich.«

»Die Kirche ist noch nicht vollendet,« wich Stefan Dozana der Frage aus, und das Blut stieg ihm zu Kopf.

»Wann wird sie vollendet sein?«

»Nächstes Frühjahr.«

»Nächstes Frühjahr werde ich kommen, um die Kirche, welche die Juden für euch bauten, einzuweihen.«

Das ward verheißen wie eine ungeheure Gunst, wie eine Gnade des Himmels. Aber aus Stefan Dozanas Antlitz wich plötzlich alles Blut und er stand bleich vor dem Bischof. Er vermochte nicht einmal ein Wort des Dankes zu stammeln. Da war es, daß die Augen des Bischofs mit einem sonderbaren Blick in das Gesicht des Priesters spähten und ein Lächeln um seinen Mund sich legte.

»Bevor ich abziehe, spreche ich Euch noch – im Beichtstuhl.« Und mit einer Handbewegung, die nichts weniger als ein Segen war, ging Bischof Mauritius seines Weges.

Wilde Gedanken stiegen in Stefan Dozanas Seele auf, da er durch den einsamen Wald irrte, wilde Gedanken gegen den Mann, der von der Kirche als sein Oberhaupt eingesetzt worden, dem er morgen beichten, von dem er sich morgen seine Sünden vergeben lassen sollte. Was hatte der Bischof in der Verrös zu suchen?! Die Gemeinde von Piatra konnte in ihrer Kirche beten, ohne daß sie von einem Bischof geweiht worden wäre. In Piatra wollte Stefan Dozana sein Haupt auch vor einem Bischof nicht beugen; genug, daß er es vor Gott und den Heiligen tat.

Als Bischof Mauricius am letzten Tage vor der Kapelle die Priester der verschiedenen Waldgemeinden nach der Beichte kommunizierte, fehlte einer darunter: der Priester von Piatra!

Stefan Dozana waren seine Sünden nicht vergeben worden: um der Juden vom Berge Kryvan willen.


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