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Sechzehntes Kapitel

Piatra excommunicata

Der Bischof war fort, aber sein finsterer, feindseliger Geist war geblieben. Er ging in Piatra um und verödete die Gassen; er drang in die Häuser und machte sie unwohnlich; er schlich sich in die Herzen und erfüllte sie mit Grausen

Gleich einer schwarzen, gespenstischen Gewitterwolke, die sich tiefer und tiefer senkte, lag über Piatra der Kirchenbann. Die Menschen, die unter der Acht lebten, vermochten nicht zu atmen; sie glaubten ersticken zu müssen. Es drückte auf sie herab wie der Deckel eines Sarges: sie fühlten sich lebendig begraben.

Alle waren sie geächtet: Männer, Frauen, Kinder – –

Alle waren sie ausgeschlossen von der Wohltat der heiligen Sakramente. Alle waren sie ausgeschlossen von der Gnade Gottes.

Ihr Priester Stefan Dozana durfte seines Amtes nicht walten; ihn und Michael Cibula traf der große und schwere Bann.

Ausgeschlossen von der Gnade Gottes, ausgeschlossen von den Sakramenten, geächtet und priesterlos würden die Bauern von Piatra mit ihren Weibern und Kindern bleiben, bis sie der Kirche und dem Bischof Gehorsam leisteten, bis sie ihrer Rechte und Freiheiten sich entäußerten, bis sie Pakt und Wort brachen – bis sie die Juden vertrieben.

So sollten sie gezwungen werden: nicht durch die Gewalt des Staates, sondern durch den Zorn der Kirche; nicht durch die Gesetze der Welt, sondern durch die Gebote des Himmels.

Aber die Bauern von Piatra ließen sich nicht zwingen.

Der Bann traf sie, als schlüge sie die Hand Gottes; aber zwingen ließen sie sich nicht.

Es war, als sei in dem Walddorf ein großes, gräßliches Sterben, als sei in Piatra die Pest ausgebrochen. Auch die Glocke der neuen Kirche war verstummt. Wortlos und scheuen Blickes schlichen die Waldleute aneinander vorüber. Sie arbeiteten nur so viel, als für ihren Lebensunterhalt notwendig war, und das kaum. Nichts taten sie mit Lust und Freude, alles gleichsam mit gebundenen Händen. Die meisten der Männer befanden sich tagsüber im Walde und im Gebirge, rührten jedoch kaum eine Arbeit an, sondern verbrachten die Stunden in dumpfem Grübeln und Brüten. Die Frauen füllten von früh bis spät beide Kirchen, wo sie weinend und ächzend vor den Altären und den Heiligenbildern auf den Knien lagen und wild den Himmel anschrien. Sie kümmerten sich weder um Haus noch Herd, weder um Mann noch Kind; und kehrten die Bauern spät abends heim, so fanden sie den Tisch ungedeckt, die Speisen gar nicht oder schlecht bereitet, so empfingen sie finstere Mienen, feindselige Blicke, wilde Worte. Es kam für Piatra eine Zeit, wo die Augen der Männer hohl und ihre Wangen fahl wurden. Aber zwingen ließen sie sich nicht.

Wurde ein Kind geboren, so durfte es nicht getauft werden; rang einer mit dem Tode, so durften ihm die Sterbesakramente nicht gereicht werden. Eine schwangere Frau glich jetzt in Piatra einer Mänade: schon im Mutterleibe war ihr Kind verflucht! Und hatte die Frau unter Qualen das Verfluchte zur Welt gebracht, so hätte sie es am liebsten erwürgt. Wer sich dem Tode nahe fühlte, litt noch lebend alle Martern des Verdammten. Gräßlich war dann das Geschrei der Angehörigen nach dem Priester, herzzerreißend das Flehen des Sterbenden um den letzten Trost, herzzerreißend der Jammer der Seinen.

Aber zu der Mutter, die ihr Kind nicht taufen lassen, zu dem Sterbenden, der sich nicht mit Gott versöhnen konnte, kam Stefan Dozana; und obgleich er den Bauernrock trug und sein Haar über der Tonsur wachsen ließ, obgleich er äußerlich den Priester ganz und gar von sich getan, war er doch niemals mehr Priester und Seelsorger gewesen, als in dieser Zeit der Prüfung und Not. Mächtig klang seine Rede vor den Verzagenden und Verzweifelnden. Aber sie wollten nicht auf ihn hören, sie wandten sich ab von ihm; in dem Augenblick, da ihr Priester zum erstenmal in seinem Herzen sich ihnen näherte, kehrten die Verzagenden und Verzweifelnden ihm den Rücken, und manchen Weibes letztes Wort war eine Verwünschung gegen Stefan Dozana.

Er las nicht mehr die Messe; aber er fuhr fort seiner Gemeinde zu predigen: statt in der Kirche, außerhalb derselben. Es waren auch dort nur wenige, die willig waren, ihn anzuhören. Aber auch für die wenigen zu reden, war er stets bereit, und niemals hatte seine Stimme einen volleren Klang gehabt. Sie drang weit hinaus in den Wald, und das Echo der Schlucht sprach seine Worte nach. Und niemals hatte Stefan Dozana den Waldleuten so viel von der Gnade des Himmels und der Ungerechtigkeit der Welt, von schweren Prüfungen und von der Kraft, diese zu überwinden, zu sagen gewußt, und es war nicht seine Schuld, daß die Gemeinde auf die Rede eines anderen lauschte.

Denn Michael Cibula sprach auch – predigte auch. Nur daß er es nicht vor der Kirche tat, sondern im Gemeindehause, oder auf der Gasse, in den Häusern, im Walde, überall, wo er sah, daß ein starkes Menschenwort not tat.

Seit seinen großen Worten vor dem Bischof klang seine Rede den Waldleuten wie der Donner der Lawinen, wie das Brausen des Sturms. Aber kein Lawinendonner und Sturmesbrausen in seiner Rede konnte die Bauern zu dem einen bewegen, wovon seine ganze Seele voll war: ihr Heimatsdorf zu verlassen und in den schwarzen Grund überzusiedeln, fern von den Juden.

Und doch sah er das einzige Heil für Piatra darin, daß Piatra aufhörte zu sein und ein neues Piatra entstand.

Indessen solche großen und kühnen Gedanken fanden in dem Hirn der Waldleute keinen Raum. Auch hafteten ihre Seelen an der düstern und wilden Schlucht wie die Wurzeln der Tannen an dem Felsengrunde. Aber Michael Cibula liebte seine Heimatserde auch – nichts auf der Welt liebte er mehr – und dennoch hatte er sie verlassen wollen. Da er nun aber sah, daß niemand seinem Drängen Gehör gab, entschloß auch er sich zu bleiben; wenigstens so lange, bis die Not vorüber war, bis die Prüfung überstanden.

Freiwillig hatte Stefan Dozana die Herrschaft über Piatra in die Hände eines Stärkeren gelegt und damit seinem Feinde überlassen, was so lange den Stolz seines Lebens ausgemacht hatte: mit freiem Willen und ohne sich voller Groll von den Menschen zurückzuziehen. Nur daß er ging, wenn Michael Cibula kam, daß er schwieg, wenn jener sprach. Auch geschah es nicht wieder, daß Michael Cibula laut und fast flehend hinter sich herrufen hörte.

Aber hatte Stefan Dozana tagsüber sein Haupt vor allen hochgetragen, so war er nachts, oder wenn niemand ihn sah, ein zerbrochener, vernichteter Mensch. Dann floh er in die Wildnisse des Urwaldes, in die Öde des Felsengebirges, wo er sich ausraste, bis er mit zermalmtem Herzen dalag, wie er in jener Nacht in der neuen Kirche vor dem Hochaltar gelegen. So kämpfte und litt er darum, daß er seinem Todfeinde überließ, was einst sein gewesen, beides: Herrschaft und Weib.

Es konnte nicht ausbleiben, daß man in Reï-mi-Bal das Drama von Piatra Szene für Szene erfuhr. Weil die Christen ihres Bischofs Geboten den Gehorsam versagten und sich weigerten, die Juden auszutreiben, waren sie gebannt und verflucht: Männer, Weiber, Kinder – –

Als sie im Hause der Kolon davon vernahmen, verhüllte der Patriarch sein Haupt und Jehuda schrie laut auf. Dozia aber zerriß das schöne Gewand, das sie trug, und saß mit starren, tränenlosen Augen, während das ganze Haus Jammer und Wehklagen erfüllte, als wäre dem Hause Kolon der Sohn und Erbe gestorben.

So kam auch für Reï-mi-Bal eine Zeit der Not und der Prüfung.

Lange berieten die Juden; dann schickten sie eine Deputation nach Piatra hinüber, um den Christen ihren Dank zu bringen. Der Patriarch selber wankte am Stabe mit und wollte nicht dulden, daß man ihn auf dem beschwerlichen Wege trug oder nur stützte. Tief wollte er sich mit seinem Sohne und vor allen den großmütigen Christen neigen; am liebsten hätte er seine Knie vor ihnen gebeugt. Doch die Häupter der Bauern und Michael Cibula ließen die Juden gar nicht vor sich. Einen ganzen Tag und eine halbe Nacht warteten die Ebräer vor dem Dorfe; dann kehrten sie trauernd um.

Am nächsten Tage saßen sie und berieten von neuem, was sie an den Christen für ihre Großmut tun könnten, damit diese nicht zu erdrückend auf ihnen laste. Nach langem Sinnen und Reden diktierte Baruch Kolon im Namen der Judengemeinde von Reï-mi-Bal seinem Sohne ein Schreiben an Stefan Dozana, darin wurde den geächteten Bauern unter anderem gesagt:

»Eine Kirche bauten die Juden für euch und euern Gott, und tief drückten die Steine die Häupter der Kinder Israels nieder – gebt uns, unseren Weibern und Kindern Felsen zu tragen, damit Israel sein Haupt wieder aufrichten darf! Viel Böses und Unrechtes mußten die Juden von den Christen erleiden, aber eurer Missetaten erfüllten unsere Seelen mit Freude und Dank gegen Jehova – sehet uns an, wie wir jetzt dastehen vor euch, erdrückt von eurer Großmut, murrend wider den Gott unserer Väter und die Herzen voll Trübsals.

Aber gedacht soll es werden von uns bis in das vierzehnte Glied, daß die Juden vom Berge Kryvan gelitten unter der Großmut der Bauern von Piatra.

Seit es Juden gibt und Christen, haben die Juden nicht erfahren von Christen, was wir von euch erfuhren.

Nun ermesset selbst, was ihr an uns, unseren Weibern und Kindern getan –  –«

Auf solche Worte voller leidenschaftlichem Pathos ließen die Bauern von Piatra durch Stefan Dozana der Judengemeinde vom Berge Kryvan erwidern:

»Nicht um der Juden willen haben wir die Juden nicht vertrieben, sondern um unseret- und um unserer Väter willen. Folglich brauchen die Juden so wenig unter der Großmut der Christen zu leiden, wie diese unter ihrer Dankbarkeit zu leiden wünschen.«

Und wiederum gab es im Hause der Kolon einen Tag der Trauer und der Klage, und wiederum berieten die Juden die halbe Nacht hindurch, fanden nichts und wollten eben schweren Herzens auseinandergehen, als die Türe sich öffnete und Dozia hereintrat, bleich, mit tief umschatteten Augen. Die Männer sahen sich betroffen an; denn streng blieben die Weiber von ihren Versammlungen geschieden und von ihrem Rate ausgeschlossen, Baruch Kolon fuhr zornig auf, und Jehuda trat zu seinem Weibe, als müsse er es schützen.

Dozia sagte:

»Meine Stimme, die euch in dieses Tal geführt, soll euch jetzt mahnen, dieses Tal wieder zu verlassen. Geächtet und verflucht sind die Christen; sie sind es, weil sie uns nicht vertreiben wollten – lasset uns selbst von diesem Tale scheiden, auf daß der Fluch wieder genommen werde von den Christen und von uns. Höret auf meine Stimme! Es ist nur die Stimme eines unverständigen und angstvollen Weibes; aber vielleicht ist es Gott, der heute durch meine Stimme zu euch redet.«

Sie schwieg. Finster schauten die Juden auf die mutige Frau; aber Baruch Kolon winkte seinem Sohne gebieterisch, sein Weib hinauszuführen. Nachdem Dozia die Halle verlassen, redete Baruch Kolon:

»Wahrlich, eines unverständigen Weibes Mund hat soeben gesprochen in diesem Saale, wo nur ertönen sollen Worte der Weisheit. Wahrlich, nicht Gott hat durch dieses Weibes Mund soeben zu uns geredet. Denn Gott ist Weisheit! Und Gottes Weisheit und Gottes Wille ist es gewesen, welcher unser Volk hierher geführt. Es hieße Gott versuchen, wenn wir seine Weisheit und seinen Willen mißachten wollten und fortgehen von da, wo wir soeben erst gebaut unsere Häuser, soeben erst gepflügt unsere Äcker, soeben erst Heimat und Frieden gefunden haben. Freveln hieße es gegen Gottes Weisheit und Willen, wenn wir selbst uns vertreiben wollten aus dem Lande, das uns und unseren Nachkommen bestimmt worden ist. Denn es ist gegen Gottes Weisheit und Willen, daß wir von neuem sollen wandern und irren, von neuem sollen sein flüchtig und unstät auf Erden.

Aber hört, was ich rate, womit wir den Christen ihre Großmut vergelten können. Vielleicht ist es mein Mund, durch welchen heute Gott zu euch redet.

Viel des Silbers und Goldes ward den Christen von uns für den Berg Kryvan gezahlt; aber viel des Silbers und Goldes, so dachten wir, würden die Felsen und die Bache des Berges Kryvan uns wiedergeben. Gesucht haben wir lange, aber gefunden haben wir nichts! Wohl: lasset uns suchen von neuem! Lasset uns suchen, bis wir gefunden haben. Dann lasset uns wiederum vor die Christen treten, dann lasset uns den Christen sagen: »Unser ist nur dieses Berges Gestein, aber nicht dieses Berges Silber und Gold. Nehmet denn, was euer ist.«

Also der Weise.

Lange berieten die Juden. Dann gingen sie auseinander, leichteren Herzens, als sie gekommen waren. Nur Dozia wollte sich nicht trösten lassen.

Mehrere Wochen trug Jehuda es mit sich herum, ehe er davon zu seinem Weibe sprach. Das geschah eines Sabbathabends.

Die Kemenate der schönen Dozia strahlte im Glanze vieler Wachskerzen, die auf hohen silbernen Leuchtern flammten; um die Lichter schwebte bläulicher Dunst verbrannter Spezereien, sich wie ein feiner Nebel in dem Gemach verbreitend, das die Wohlgerüche Arabiens erfüllten. Die Teppiche, welche Wände und Decke bedeckten, schimmerten mit ihrem Goldgrunde, darein amarantfarbene Arabesken eingewebt waren, wie der Baldachin eines orientalischen Fürsten, Alpenblumen waren auf den Boden gestreut.

In einem Gewande von silbergrauem Damast, ein gelbes Seidentuch um das Haupt geschlungen, ruhte Dozia ans ihrem Lager, das mit dem Fell eines schwarzen Löwen bedeckt war. Nur ihre Kinder befanden sich bei ihr.

Den ganzen Abend hatte Asarja sie gequält, ihm von der Großmutter Mirjam zu erzählen. Dozia hätte es nicht getan, aber Asarja war kaum von seinen Wunden genesen und bat mit solcher Herzlichkeit, daß es seine Mutter ängstigte. Um den Knaben nicht noch mehr aufzuregen, erzählte sie:

»Sie fürchtete Gott und liebte die Menschen, obgleich die Menschen ihr Übles getan. Sie soll gewesen sein holdselig anzusehen, schlank wie eine Lilie des Feldes, mit Augen wie eine Hindin und Haar, das war – –«

Hier wurde Dozia heftig von Makkabea unterbrochen:

»Das weiß ich, Mutter! Großmutter Mirjams Haar war wie meines ist, Judith sagt: Großmutter Mirjams Haar sei wie gesponnen Gold gewesen; aber Rebekka meint: wie loderndes Feuer. Ich möchte Haar haben wie Feuer!«

Mit einem seltsamen, tief erschrockenen Blick sah Dozia auf ihr leidenschaftliches Kind, das vom Boden aufgesprungen war und mit blitzenden Augen dastand, Asarja erhob sich leise, ging zur Mutter, schmiegte sich an sie und schaute ängstlich nach seiner Schwester hinüber.

»Was haben Judith und Rebekka, denen ich verboten, mit euch über eure Großmutter zu reden, dir sonst noch von dieser gesagt?« fragte Dozia. Ihre Stimme bebte.

»Sie haben mir gesagt, Großmutter Mirjam sei eine Christin gewesen!« rief Makkabea mit erstickter Stimme, warf sich nieder, schluchzte und weinte, daß es sie schüttelte wie ein Krampf.

Voller Weh hielt Dozia ihr Kind umfaßt. Während sie die Zuckungen der zarten Glieder mehr als eigene Schmerzen fühlte, gedachte sie der Weissagung des Patriarchen von der wilden Seele ihres Kindes, die ihm innewohne und es einst zerstören würde.

Aber Asarja stand da mit einem glückseligen Lächeln auf den blassen Lippen: seine Großmutter Mirjam war eine Christin gewesen!

Endlich wurde Makkabea still und lag in ihrer Mutter Armen, blaß und regungslos, als wäre sie tot. Asarja sollte eine der Mägde rufen, um der Mutter zu helfen, das Kind zu Bett zu bringen. Da schlug Makkabea die Augen auf, sah Dozia mit einem unbeschreiblichen Blicke an und bat:

»Erzähle von Großmutter Mirjam.«

Dozia wollte nicht; doch als sie eine Bewegung machte, sich zu erheben, zuckte Makkabea so schmerzhaft zusammen, daß Dozia blieb und nun über ihre Tochter gebeugt, leise zu erzählen begann. Asarja kniete neben der Mutter nieder und wagte nicht, Atem zu holen.

»Es waren einmal Christen, die wohnten in einem finsteren, wilden Wald. Sie fürchteten Gott und liebten niemand; aber die Juden haßten sie. Wenn diesen Christen in ihrem Walde ein böser Geist begegnete, so machten sie ein Zeichen, welches so mächtig war, daß der böse Geist von ihnen weichen mußte. Dasselbe Zeichen machten sie vor einem Juden.

In dem Dorfe war eine junge Christin, gar holdselig anzusehen, schlank wie die Lilien auf dem Felde, mit Augen wie eine Hindin und Haaren, die verglichen die einen mit gesponnenem Gold, die anderen mit lodernden Flammen. Diese junge, liebliche Christin fürchtete Gott und liebte die Menschen; vor den bösen Geistern machte sie das heilige Zeichen, daß diese ihr nichts anhaben konnten. Und sie machte dasselbe Zeichen vor den Juden, die jedes Jahr, wenn auf den hohen Bergen und in den finsteren Wäldern der Schnee schmolz, zu den Christen gezogen kamen. Die Jungfrau hieß Maria, Maria aber bedeutet bei den Christen dasselbe, was Mirjam bei den Juden bedeutet.

Eines Jahres waren die Juden wieder gekommen und wieder fortgezogen. Am Abend ging Maria allein durch den wilden Wald; da hörte sie jammervoll seufzen. Sie dachte, es sei ein böser Geist, der sie versuchen wollte, stand und schlug das Kreuz. Doch sie hörte wieder die jammernde Stimme, so daß sie meinte, es sei ein Mensch, dem ein Unheil widerfahren, und mutigen Herzens hinging. Es war aber ein Jude. Er war von einem hohen Felsen herabgestürzt und hatte sich das Bein zerschmettert.

Als Maria gewahrte, daß der Verunglückte ein Jude war, wollte sie zuerst flüchten. Aber sie wurde mit so sanfter und flehender Stimme angerufen, zu bleiben und zu helfen, daß sie sich ein Herz faßte und näher trat. Da sah sie, daß der Jude ein wunderschöner Jüngling war, und als sie das viele Blut erblickte, das von ihm geflossen war, schrie sie auf und vergaß in ihrer Angst gänzlich, das heilige Zeichen zu machen. – Da geschah es, daß, nach dem Glauben der Christen, der Jude Gewalt über ihre Seele gewann ...«

Dozia hielt inne. Leise wurde die Türe geöffnet, Jehuda trat ein. Erstaunt blickte er auf die Gruppe am Boden. Er wollte fragen, aber Dozia winkte ihm ernsthaft Schweigen zu. Dann fuhr sie fort zu erzählen:

»... Da warf sich Maria neben dem Juden nieder, in dessen quellendes Blut hinein, und jammerte laut. Der Jude wollte der Christin etwas sagen, doch die Augen fielen ihm plötzlich zu, sein Kopf sank zurück – nur daß er sie noch freundlich anlächeln konnte.

Maria glaubte, er wäre tot und fiel über ihn hin, als hätte der Tod eines verhaßten und verfluchten Juden die Christin ins Herz getroffen.

Sie blieb bei ihm die ganze Nacht. Am nächsten Morgen fanden die Waldleute beide, die Christin neben dem Juden. Sie hoben ihn auf – lieber hätten sie ihn liegen lassen! Aber der Vater der Jungfrau, der ein mächtiger Mann war, gebot ihnen, den Verwundeten in sein Haus zu schaffen, wo er bleiben sollte, bis er gesundet war.

Er blieb den ganzen Sommer.

Als er dann heil und gesund fortging – mitten in der Nacht – ging er nicht allein.

Denn es hatten der Jude und die Christin einander zu lieb, so daß sie nicht mehr voneinander lassen konnten.«

Dozia schwieg, aber Makkabea wollte noch mehr wissen. Asarja drängte sich ungestüm an seine Mutter und Jehuda nickte seinem Weibe freundlich zu. Da erzählte Dozia weiter.

»Sie konnten nicht mehr lassen voneinander, so daß die christliche Maria zu einer jüdischen Mirjam ward. Den Glauben ihrer Väter schwur sie ab und dem Glauben ihres Gatten schwur sie sich zu. Wo sie hätte hassen müssen, liebte sie, und dem Manne, vor dem sie das Zeichen zum Schutz der bösen Geister hätte machen sollen, gebar sie eine Tochter. – – Als ich noch ein Kind war, starb meine Mutter.«

Und Dozia drückte ihr Antlitz in tiefem Gram gegen den Kopf ihrer Tochter. Jehuda trat herzu, hob sein Weib vom Boden auf, küßte sie und sprach ihr liebreich zu.

Als Dozia Makkabea in die Kammer führen wollte, fühlte sie sich am Gewande festgehalten. Es war Asarja.

»Haben auch die Juden dem Großvater und der Großmutter geflucht, wie die Christen ihnen fluchten?« fragte der Knabe, und seine Augen hatten wieder den weiten, gespannten Blick, mit dem er Dinge zu schauen schien, die andere nicht sahen.

Dozia erwiderte:

»Die Juden haben dem Großvater nicht geflucht; es waren auch nicht die Juden, denen übles angetan wurde, sondern solches geschah den Christen – von einem Juden.«

Die Kinder lagen bereits zu Bett, als Makkabea noch einmal aufstand und zu ihrem Bruder schlich.

»Asarja!«

»Bist du's, Makkabea?«

»Ich bin's, Asarja.«

Und Makkabea drängte ihr Gesicht an das ihres Bruders; er fühlte ihren Atem an seiner Wange, als wie eine Flamme so heiß. Sie raunte ihm zu:

»Asarja, die Christen haben Großmutter Mirjam gemordet.«

»Die Juden haben den Christen Übles angetan,« erwiderte Asarja ebenso leise. »Ach, Makkabea, immer haben die Juden den Christen Übles angetan.«

»Haben die Christen dich nicht gesteinigt?«

»Mußten sie das nicht, wenn wir ihnen doch nur Böses erweisen?«

»Du bist gar kein rechter Jude!« rief Makkabea und ging von ihm fort, zornig wie eine beleidigte Königin.

*

»Wir handelten nicht recht an unseren Kindern,« klagte Dozia. »Nun haben sie es aus fremdem Mund erfahren, die Mägde Rebekka und Judith waren ungetreu. Ihre Eltern hätten es ihnen sagen müssen. Aber sie schienen noch zu sehr Kinder zu sein; doch sie sind es nicht mehr. Hättest du den Blick Makkabeas gesehen und das Gesicht deines Sohnes! Das Mädchen wird ihr Haß verderben, den Knaben seine Liebe.

Dozia sprach, als wäre etwas von Baruch Kolons Sehergeist auf sie übergegangen. Aber welche Mutter sähe nicht zuweilen mit den Augen einer Kassandra in die Zukunft ihres Kindes?

Nachdem die Eltern das Ereignis und alle seine Wirkungen auf die Gemüter der Kinder besprochen und bedacht hatten, wie sie den mächtigen Eindruck möglichst zu mildern vermöchten, schickte sich Jehuda an, die schweren Gedanken, die ihn in den letzten Wochen bedrückt, von seiner Seele zu wälzen.

»Ohne den Cibula hätten die Christen auf ihren Bischof gehört und nach seinem Willen getan. Dem Manne aus dem Stamm deiner Mutter haben die Juden zu danken, daß sie nicht zum zweiten Male vertrieben wurden.«

»Ich kann es ihm nicht danken,« erwiderte Dozia. »Uns wäre besser, wenn durch des Cibula Worte die Juden zum zweiten Male vertrieben worden wären. Dieses Cibula Sohn war es, der gegen Asarja den ersten Stein aufhob, gegen den Blutsverwandten.«

»Was wußte der Knabe davon!« versuchte Jehuda die Tat zu entschuldigen.

»Hätte er davon gewußt, so wäre Asarja von ihm nicht nur gesteinigt, sondern auch gekreuzigt worden,« rief Dozia.

»Trotzdem bin ich der Meinung, daß Michael Cibula endlich erfahren muß, wer seinem Hause gegenüber wohnt.«

Dozia erschrak.

»Hast du deine Gedanken deinem Vater verraten?«

»Zuerst solltest du sie erfahren.«

»Ich danke dir.«

Jehuda schaute seinem Weibe mit tiefem Forschen in die Augen.

»Du scheinst zu befürchten, daß Unheil daraus entstehe?«

»Unheil ist aus dem Schweigen entstanden. Ich erwäge, was Gutes daraus entstehen könnte, und finde nichts.«

»Dennoch meine ich, daß wir es Michael Cibula wissen lassen müssen,« wiederholte Jehuda.

»Zu welchem Zweck?«

»Um größeres Unheil zu verhüten. Es ist das Blut seines Stammes, das in deinen und der Kinder Adern fließt, und schon ist von diesem Blut von seinem Stamme vergossen worden, – – Was sitzest du so versunken?«

»Ich denke, daß du recht haben kannst und daß Michael Cibula von uns wissen muß.«

»Wenn auch du das denkst, will ich morgen hinübergehen und es ihm sagen.«

Aber dagegen hatte Dozia Bedenken.

»Sein Geist ist wild, der deine ist sanft. Ihr dürft einander nicht begegnen. Sein Weib war bei uns, und wenn sie auch nicht in unser Haus kommen wollte, so kann doch ich bei ihr eintreten.«

»Du wolltest –  –«

»Ich will morgen zu ihr gehen und es ihr sagen. Da es sich dabei um eine Frau handelt, mögen wir Frauen mit einander reden; und obgleich Josepha Cibula eine Christin ist und ich eine Jüdin bin, werden wir uns doch verstehen.«

»Du bist mein liebes, weises Weib.«

»Und weißt du: ich werde unseren Knaben mit mir nehmen.«

»Warum nicht auch Makkabea?«

Aber Dozia wollte sich nur von ihrem Sohn nach dem exkommunizierten Piatra begleiten lassen.


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