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Dreizehntes Kapitel

Bischof Mauricius weiht und die Juden taufen

Bevor Bischof Mauricius die Kirche weihte, trug Josepha ihren Dornenkranz, mit einem Tuche bedeckt, im Morgengrauen der Mutter Gottes hin.

Viele Kränze waren von den Frauen und Jungfrauen in die Kirche getragen worden – am hellen Tage und im offenen Triumph. Das Bild der Himmelskönigin stieg wie aus einem Garten auf, selbst aus ihrem heiligen Leibe schienen Mairosen und Lilien zu sprießen. Diese Spenden mußten Maria wohlgefälliger sein als Josephas heimlich dargebrachtes dunkles Geflecht.

Sie wußte nicht, wie sie über alle die Blüten zur Mutter Gottes hingelangen sollte, stand hilflos mit ihrem Kranze da und schaute zur heiligen Jungfrau hinüber, mit einem Blicke, welcher dieser hätte wie ein Dorn ins Herz dringen sollen. Aber obgleich Maria ihr Herz gleich einem Strauß, groß und rot, vor die Brust gesteckt trug, verzog sie doch bei Josephas tottraurigem Blick keine Miene.

Diese mußte sich durch die Blumen zu dem Bilde einen Pfad bahnen, den sie, um keine Blüte zu zerdrücken, vorsichtig ging. Mit flehender Gebärde drückte sie ihren Kranz in die göttlichen Hände, die sich zu keinem Segen für sie regten. Es war, als habe sie einem Leichnam etwas in die Hand gelegt.

Sie sank nieder und preßte ihre Stirn gegen Marias Füße.

Maria hatte ihr das Blut beschert, nun sollte Maria ihr auch die Tränen geben. Denn seitdem Josepha das Blut unter die Hostie gehalten, war sie so elend geworden, daß sie nicht einmal mehr zu weinen vermochte. Und ohne Tränen war der Zauber nicht zu brauen, und ohne den Zaubertrank erwarb sie sich nicht die Liebe ihres Mannes, und ohne die Liebe ihres Mannes konnte sie nicht länger mehr leben.

Sie betete bis der Tag anbrach. Als sie sich erhob, stand die Schmerzensreiche im vollen Sonnenglanz da; aber dieses Frauenbild begann nicht zu singen und zu klingen wie jener Felsenleib in der Wüste.

Damit niemand ihr begegne, ging Josepha nicht durch das Dorf, sondern machte einen weiten Umweg durch den Wald. Aber gerade hier traf sie einen, der, seinem Aussehen nach, die Nacht auch nicht in süßem Schlafe zugebracht hatte. Bei seinem Anblick zuckte Josepha zusammen, als habe sie auf eine Schlange getreten; da sie indessen nicht fliehen konnte, trat sie beiseite, ihn vorbei zu lassen, und um ihn nicht ansehen zu müssen, schloß sie die Augen.

»Wo kommst du her, Josepha?« fragte Stefan Dozana mit einer Stimme, wie er sonst zu niemanden sprach.

Josepha deutete mit dem Kopfe nach der Richtung, woher sie gekommen war.

»Und wo willst du hin?«

Josepha deutete nach dem Dorf zu.

»Warum gehst du durch den Wald nach Hause?«

Josepha machte eine leidenschaftliche ablehnende Gebärde.

»Weil dich niemand sehen soll?« Josepha nickte heftig.

»So scheust du dich vor den Menschen?«

Sie stand da ohne Bewegung, ohne Laut.

»So scheust du dich vor den Menschen?« wiederholte Stefan Dozana und setzte hinzu: »Weil du dich ein einzigesmal hast von mir auf die Wangen küssen lassen?«

Josepha blieb stumm und regungslos; auch die Augen öffnete sie nicht.

Da küßte er sie auf den Mund.

Sie stieß einen dumpfen Wehlaut aus und brach vor ihm zusammen, als hätte er sie mit einem Messer ins Herz getroffen. Mit fahlem Gesicht, zuckenden Lippen, mit Blicken wütender Leidenschaft beugte er sich zu ihr herab, faßte sie an der Schulter und rüttelte sie.

»Josepha!« schrie er sie an, »Josepha!«

Sie antwortete nicht.

»Ist es die Furcht vor der Sünde?«

Ihr Körper bebte unter seinen wilden Händen, daß es sie wie Fieberfrost schüttelte. Da raunte er ihr zu:

»Ich bin ein Priester, ich kann Sünden bestrafen und Sünden vergeben – ich kann es im Namen Gottes. Aber deine Sünde vergebe ich dir nicht, so wenig, wie ich mir die meine vergebe. Ich will dich durch eine Sünde an mich binden wie mit glühenden Ketten! Wir wollen miteinander Sünden begehen, zahllos wie Sand am Meer! Wir wollen um unserer Sünden willen miteinander verdammt werden – miteinander ewige Qualen erdulden. Du bist mein, du gehörst mir, als ob du des Satans wärest und der Hölle gehörtest!«

Erbarmen! Erbarmen! Erbarmen! schrie es in ihrer Seele auf, aber über ihre Lippen kam kein Laut.

»Höre!« flüsterte Stefan Dozana. »Ich habe eine wilde Nacht gehabt, in der ich mit Leib und Leben dem Bösen verfallen. Bleibst du so liegen, so reiße ich dich auf und schleppe dich, wenn heute der Bischof die Kirche weiht, vor den Altar, küsse dich vor allem Volk, zeihe uns vor allem Volk der Sünde und lasse uns vor allem Volk vom Bischof verdammen. Er ist ja doch nur gekommen, um mich zu verderben. Wenn dann Michael Cibula hört, daß sein Weib –«

Er verstummte, Josepha hatte bei dem Namen ihres Mannes die Augen aufgeschlagen und ihn angesehen; und vor diesem Blick verstummte Stefan Dozana.

Sie ist verrückt geworden, dachte er, vergebens gegen ein furchtbares Grausen kämpfend.

Ihre Blicke auf ihn geheftet, erhob sie sich, stand sie vor ihm. Da ließ Stefan Dozana vor ihr ab, da floh er vor ihr.

Hätte die Muttergottes auch Josephas Gebet erhört und ihr in ihrer Not Tränen gespendet – trotz des geweihten Judenblutes und trotz der Tränen, »vergossen in Jammer und Schmerz,« hätte sie den Zaubertrank nicht brauen können: war doch Michael Cibulas Weib von den wilden Lippen Dozanas jetzt auch auf den Mund geküßt worden.

Daß ihr jetzt selbst der Zaubertrank nimmer helfen würde, ihres Mannes Liebe zu gewinnen, das war es gewesen, was Josepha plötzlich eingefallen war, als sie ihre Augen aufgeschlagen und Stefan Dozana angesehen hatte mit einem Blick, daß dieser glaubte, sie sei von Sinnen gekommen.

*

Mit dem Morgen begann in Piatra das festliche Leben. Den Mittelpunkt des fröhlichen Treibens bildete die neue Kirche, deren Anblick die Waldleute wie auch die Fremden keine Stunde missen wollten. So gedachte man denn auch, das Mahl, bei dem alle Gäste der Gemeinde waren, am Rande des Waldes unter den Bäumen einzunehmen.

Nur der Bischof und die Geistlichen sollten an einer Tafel speisen. Sie wurde unter den dichtesten Baumkronen aufgeschlagen; in den Zweigen hingen die Jünglinge Blumengeflechte auf, so dicht und bunt wie nur möglich. Indem man die Gewinde miteinander verschlang, stellte man rings um die Tafel ein in den Lüften schwebendes Gehege dar.

Für die übrigen war der Erdboden Tafel und Stuhl zugleich; Moos und Rasen bildeten das Tischtuch.

Von dem Platz des Bischofs aus erblickte man, über die neue Kirche hinweg, den Gipfel des Kryvan.

Schon in früher Morgenstunde prasselten am Waldesrande die Feuer, daran die Mägde und Hausfrauen mit Zubereitung der Speisen beschäftigt waren, die festliche Arbeit in Festtracht verrichtend. Zwischen den Herdstellen und dem Torfe liefen die Kinder hin und wieder, schleppten die Fische und das Geflügel, die Schinken und Speckseiten herbei, brachten die fetten Hammel, die Ziegen und Zicklein, brachten das geschlachtete Rind, die Kälber und Schweine, brachten alles, was in Pfannen und Töpfen gesotten, gedampft und geschmort oder auf Spießen über dem Feuer gebraten werden sollte. Herrlich war das Festgebräu und das Festgebäck geraten, so daß die wackeren Frauen in ihrer Freude über die langen Reihen köstlich duftender Brote, Wecken und Kuchen ihres Kummers über die fehlenden Gewürze völlig vergaßen.

Die Leute von Piatra wollten den Fremden zeigen, daß man bei ihnen zu leben wisse. Auch der geringste und kleinste dieser kleinen Waldesfürsten schritt heute stolz einher; was die großen anbetraf, so trugen diese ihren Rücken schon für gewöhnlich so steif, daß sie in dieser Hinsicht beim besten Willen nichts Außergewöhnliches mehr zu leisten vermochten.

Während die Dorfleute wie ein aufgestörter Ameisenhaufe durcheinander wimmelten, betrachtete der Bischof schon am frühen Morgen mit den geistlichen Herren scharfen Blickes die Gegend. Doch immer von neuem wandten sich seine Augen der dem Dorfe genüberliegenden Seite der Schlucht und dem Kryvan zu; und immer von neuem verdunkelte sich das strenge Gesicht beim Anblick des Judendorfes, seiner Wälder, Wiesen und Felder. Heftige Gedanken stiegen in ihm auf und wurden, kaum gedacht, zu leidenschaftlichen Wünschen. Wenn aber ein ehrgeiziger und mächtiger Mann Wünsche hegt, so Pflegt diesen leidenschaftliches Verlangen zu folgen. Und hier hegte ein Priester die Wünsche, hier galt das Verlangen dem Glanz und der Macht der katholischen Kirche.

Heute vermochten die Einsichtsvolleren die düstere Schrift auf dem Antlitz des Kirchenfürsten besser zu deuten; und einer, der sich auf solche geistlichen Hieroglyphen ganz besonders verstand, faßte sich das Herz, die Gedanken seines Herrn von dessen Mienen abzulesen. Zum Bischof tretend, sprach er mit nicht allzulauter Stimme und möglichst vorsichtiger Gebärde:

»Was für ein schöner Platz wäre dort drüben den Juden abzugewinnen, um darauf ein Kloster zu erbauen.«

»Was soll der Kirche in dieser Wildnis ein Kloster?« versetzte Bischof Mauricius scharf und kehrte in tiefem Unmut dem Einsichtsvollen den Rücken.

Da wußte der, daß er recht gelesen hatte, und dachte: wir sind zu spät zu diesen Waldleuten gekommen! Und der einsichtsvolle Mann überlegte: sollte es wirklich zu spät sein?

Er wollte dafür die Heiligen und den Bischof sorgen lassen.

Dann war es Zeit, ins Dorf zurückzukehren, um sich für den Gottesdienst vorzubereiten. Der Bischof begab sich in das Haus seines Wirtes und legte den goldschimmernden Ornat an, aber seine zornmütigen Gedanken und seine Wünsche behielt er: auch sie waren ein priesterlicher Schmuck, von ihm angetan Gott zu Ehren und den Heiligen zum Wohlgefallen.

Jetzt erscholl Geläut.

Es war die Stimme der neuen Glocke, über die der Bischof gestern abend den Segen gesprochen und welche die Bauern von Piatra zum ersten Male in ihre neue Kirche rief. Ihr Ton war hart und gellend. Mit diesen harten, gellenden Tönen sollten die Waldleute fortan zur Taufe und zum Grabe getragen werden; diese harten, gellenden Töne sollten sie fortan jeden Tag an den Himmel mahnen; sie sollten ihr Leben in der Wildnis begleiten, von Stunde zu Stunde; sie sollten ihnen ihr höchstes Glück und ihr tiefstes Weh verkünden. Und was sie an Freude genossen, an Leid erlitten, würde die harte, gellende Glockenstimme um keinen Ton milder machen. Die Sonne mochte scheinen oder nicht, es mochten Winterstürme brausen oder Lenzeslüfte wehen, Blumen im Tale erblühen oder verwelken – nichts in der Natur und nichts im Menschenleben würde den harten, gellenden Tönen jemals einen weicheren Klang geben.

Michael Cibula, der mit Weib und Kind und einigen wenigen Getreuen in seinem Hause saß, sprach, als er den Schall der neuen Glocke vernahm, laut und feierlich: »Hört, sie läuten sich selbst den Unfrieden ein! Ich sage euch: nicht eher wird wieder Frieden werden, als bis keine Hand mehr an den Glockenstrang rührt.«

Dabei hatte Michael Cibula etwas Weissagendes in seinem Blicke, als ob er der Sohn des alten Baruch Kolon wäre.

Die alte Glocke schwieg heute – seit vielen hundert Jahren zum erstenmal! Der vertraute Ton, der bis dahin wie die Stimme einer Mutter zu den Waldleuten gesprochen hatte; in Trübsal mit ihnen klagend, im Glück sich mit ihnen freuend, erklang nicht mehr. Da hatten auch sie das dumpfe Gefühl, als laute die neue Glocke eine neue Zeit für sie ein.

Stefan Dozana schritt hinter dem Bischof drein wie einer, der einen großen Sieg erfochten und in seinem eigenen Triumphzug als Gefangener, mit Ketten belastet, einherziehen muß.

Sechs Priester trugen den Baldachin über Bischof Mauricius, als dieser durch das geschmückte Dorf und die Reihen des knienden Volks der Kirche zuzog. Vor und hinter ihm flatterten in der sonnigen Luft die Fahnen und Banner, mächtige, mit blühendem Rosmarin umwundene Kerzen flammten um den Leib des gekreuzigten Erlösers, Weihrauch braute auf, daß die Gestalt der Muttergottes, von welcher der Federmantel wie ein aus Juwelen und Perlen gewebtes Gewand niederfloß, in Wolken zu schweben schien. Dann drängte alles dem Bischof nach in die von Orgelton durchbrauste, von Sonnenschein und Lichterglanz erfüllte Kirche.

Das Geläute verklang. Neben den Feuern am Waldessaum standen die Mägde und lauschten auf Orgelspiel und Gesang. Dann ward es still.

Und Bischof Mauricius heiligte und weihte die Stätte. – – In der Wildnis erhob sich die Kirche; ein Haus des Herrn und der Heiligen, aber zugleich ein Denkmal des Sieges der Christen über die Juden. Als solches sollte es dastehen unter den Gipfeln des Felsengebirges, unter den Wipfeln des Urwaldes, hoch und hehr über dem Abgrund; als solches sollten seine Steine predigen von der ewigen Feindschaft und dem ewigen Hasse zwischen der Gemeinde Christi und den Kindern des Stammes, der Christus gemartert und gekreuzigt hatte.

Ja, zum »Gedenken« war diese Kirche erbaut worden.

Der Mensch soll gedenken, daß er ein Sünder ist von Mutterleib an. Er soll gedenken, daß er in seinen Sünden dahinfahren muß in die ewige Verdammnis. Gedenken soll der Mensch des Zornes Gottes, und daß da keine andere Gnade ist, als bei Gott, keine andere Hoffnung, die Gnade zu erwerben, als zeitlebens seiner Sünden eingedenk zu sein.

Und es soll der Mensch nicht gedenken, seine Feinde zu lieben und wohlzutun denen, die ihm übles getan, und Gutes zu erweisen, denen, die ihn hassen und verfolgen – sobald es Juden sind! Er soll auch nicht gedenken, zu vergeben, wie Christus am Kreuze vergab – sobald es Juden sind!

Das Gedenken der Menschen immer auf das zu lenken, was Gott wohlgefällig, ist die heiligste der vielen heiligen Pflichten eines Priesters. Aber Gott wohlgefällig ist, die Juden zu hassen, zu verfolgen und ihnen Böses anzutun, wo man nur kann, wie man nur kann:

»Darum gedenket!«

Und Bischof Mauricius sprach weiter.

Er sprach vom Berge Kryvan und den Juden; und wie die Waldleute den täglichen und stündlichen Anblick ihrer Feinde sich auferlegt hätten, um sich täglich und stündlich mahnen zu lassen: zu gedenken, was sie Christi vergossenem Blute schuldig wären. Er sprach von den gottbegeisterten Christenkindern, die den Judenknaben gesteinigt, und wie diese Kinder ihren Eltern ein Vorbild gegeben hätten:

»Darum gedenket!«

Und die Waldleute gedachten. Sie gedachten, wie sie die Juden gedemütigt, wie sie sich von den Juden die Kirche hatten erbauen lassen; sie gedachten, wie sie den Juden den Kryvan, ihres Tales »Sonnenschein«, verhandelt hatten – alles zur größeren Ehre Gottes und sich selber zum Ruhm, alles, weil sie täglich und stündlich ihrer Sünden eingedenk waren, deren Bestrafung und deren Vergebung. Und sie gedachten, daß sie los und ledig wären aller Schuld.

Und Bischof Mauricius schloß seine donnernde Rede:

»Alles, was ich euch sonst noch sagen könnte, stehet mit flammenden Buchstaben geschrieben auf den Mauern dieser Kirche, ein leuchtendes Menetekel. Leset! Ihr Bauern von Piatra, leset die göttliche Schrift: Erhoffet nicht eher Vergebung eurer Sünden, als bis ihr meine Feinde, die ihr vor mein Haus gesetzt, wieder aus der Nähe meines Hauses vertrieben! Daß diese Schrift nicht nur auf den Mauern eurer Kirche, sondern täglich und stündlich in euren Herzen brenne, solches sei vor Gott in diesem Hause mein erstes Gebet. Amen!«

Wie ein einziger tiefer Seufzer ging es durch die Kirche. – – An dieser aber war die Weihe vollzogen worden, anstatt mit einem Segen mit einem Fluch.

Beinahe wild drängten die Waldleute hinaus, um draußen aufzuatmen, als wären sie einem Kerker entronnen. Ihr Tal und ihr Gebirge schien ihnen verwandelt. Selbst das Rauschen ihres herrlichen Waldes klang ihnen fremd und unheilvoll. Mit Augen, darin etwas von dem Neid des Bischofs, von dem Hasse Michael Cibulas aufblitzte, sahen sie zu ihren Nachbarn hinüber. Jener einsichtsvolle Priester aber, der am Morgen die scharfe Widerrede des Bischofs erfahren hatte, dachte:

Es wird nicht zu spät sein.

Und in seinem priesterlichen Geiste sah er bereits auf dem Berge jenseits der Schlucht zwischen Wiesen und Feldern die Mauern eines stattlichen Klosters sich erheben, hörte er bereits einen hellen, Ton: den Klang reinen Goldes.

In der Kirche blieben nur die Fremden zurück. Sie drängten sich betend um die Altäre und Heiligenbilder und behängten die Gestalt der Muttergottes mit kleinen wächsernen Gliedmaßen. – – So wurde die neue Kirche von Piatra an diesem Tage zum zweiten Male geweiht: vom Volke zu einem Wallfahrtsort, dessen Muttergottesbild von diesem Tage an Wunder bewirkte.

*

Bis zum Abend währte das Festmahl, bei dem die Fremden es sich am wohlsten sein ließen; die Waldleute aßen, wie nur Waldleute zu essen vermögen; aber sie taten es ohne Freude, nur mit Stolz. Die meisten saßen mit Gesichtern da, als ob sie bei jedem Bissen des Festbratens, bei jedem Schluck des Festtrunkes im »Gedenken« sich übten, Bischof Mauritius schaute achtsamer auf den Kryvan und die Felder der Juden, als auf Schüsseln und Teller, jedes neue Gericht mit einem neuen Einfall und Entschluß würzend. Auf diese Art genoß er die kommenden Freuden mehr, als die gegenwärtigen: der Ehrenplatz, den die Waldleute dem Kirchenfürsten bereitet hatten, sollte sich für sie in eine Stätte bitterer Not verwandeln. Auch das war nicht gut, daß Stefan Dozana, als Priester von Piatra, die Ehre gebührte, zu Rechten des Bischofs zu sitzen. Schon bei der Predigt hatte Stefan Dozana dagesessen, als ob er jeden Augenblick aufspringen, hinstürzen und den anderen von der Kanzel herabreißen wollte.

Und so auch jetzt wieder. Er sah die Blicke des Bischofs, er las des Bischofs Gedanken, saß da und belauerte beides.

Das Ende des Festes bildete die allgemeine Trunkenheit der Fremden; ihr Geschrei und ihr Gesang durchhallte bis nach Mitternacht das Dorf. Ein Glück war es für sie, daß die Waldleute das Gastrecht so heilig hielten; sonst wäre mancher, welcher der heiligen Jungfrau zur Heilung seines kranken Leibes ein Wachsbild angehängt, nicht mit heilem Leibe von der Wallfahrt nach Piatra heimgekehrt. Aber die Bauern ertrugen das Ärgernis, als wäre der Mantel, darein sie sich hüllten, noch immer die Toga ihrer Ahnen.

Um so kräftiger äußerten die Bäuerinnen ihre Ansicht. Gewohnt, daß keine andere Meinung sich hervorwagte, wenn sie einmal die ihre abgegeben hatten, warteten sie auch diesmal tiefes Schweigen im Ehebette ab. Dieses trat auch ein – aber nach einem Fluche, wie solcher an jener frommen Stätte noch niemals vernommen worden. Da drückte manche tapfere Bäuerin, deren Ahnin vielleicht einen der dreißig Polen erschlagen, sich eng an den Rand der gewaltigen Lade und in die Tiefe der ungeheuren Federsäcke hinab, nicht sich rührend, wenn eine Erschütterung der mächtigen Bettpfosten der lauschenden Frau meldete, daß einer der Herrscher von Piatra sich schlaflos in schweren Regierungssorgen umher wälzte.

So verlief den Waldleuten dieser höchste Feiertag ihres Lebens.

*

Auch die Juden hatten am Morgen auf das Geläute der neuen Glocke geachtet. Als wäre es auch ihr Fest, stand die ganze Gemeinde um ihren Patriarchen versammelt. Baruch Kolon sprach: »Ihr Hohepriester ist gekommen, zu segnen das Werk unserer Hände. Lasset heute die Arbeit und verhaltet euch still in euren Häusern, auf daß wir ihnen an ihrem Fest kein Ärgernis geben; es schweige im Walde die Axt, es schweige auch im Kryvan das Poltern der Steine. Aber vernehmt, welchen Namen wir geben wollen an diesem Tage diesem Dorf, das segnen wird der Herr, damit es blühe und gedeihe und wachse zu einer Stätte, wo seinem Volke Friede und Freude werde auf Erden. Es soll heißen: Reii-mi-Bal.«

Reii mi Bal aber waren die Worte, welche Dozia damals bei ihrer Ankunft gesprochen, als sie den Stein aufgehoben und auf ihre Schulter gelegt. Alle, die es gesehen, hatten ihr nachgejubelt: Reii mi Bal – Sehet wie leicht!


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