Richard Voß
Brutus, auch Du!
Richard Voß

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Siebzehntes Kapitel

Wann reisen Sie?«

»Ich bleibe.«

»Reisen Sie; reisen Sie bald!«

»Ich bleibe.«

»Das dürfte für Sie sehr bald unmöglich sein.«

»Weshalb unmöglich? Und gerade unmöglich für mich?«

»Unmöglich für jeden Deutschen in Italien.«

»Italien bleibt – neutral.«

»Reisen Sie! Reisen Sie!«

Rudolf Müller blieb. Aber seine alte Schwester sollte reisen und das sogleich. Tante Minchen wollte bleiben, wo ihr Bruder blieb und lehnte seinen mit aller Bestimmtheit ausgesprochenen Wunsch voller Entrüstung ab. Was sollten sie in Naumburg von ihr denken, wenn sie dort allein ankam? Schämen müßte sie sich vor ganz Naumburg. Bei so hartnäckigem Widerstand mußte ihr Bruder seine Zuflucht zu einer List nehmen. Also sagte er:

»Weißt du, liebes Minchen, du reisest nur voraus. Und du reisest nur deshalb voraus, um in Naumburg alles einzurichten und für uns zwei Alten in der Heimat es recht behaglich zu machen. Du kennst ja meine Schwäche, gern gleich in ein warmes Nest zu kriechen. Das wirst du wundervoll besorgen. Also mir zu liebe –«

Er bat so eindringlich, mit so heiterem Gesicht, daß sie ihm glaubte und ihre baldige Abreise beschloß: ihrem Bruder zuliebe. Dieser versuchte, die Getreue vollends zu beruhigen:

»Filomena bleibt. Du hast gesehen, eine wie ganz andere Filomena sie geworden ist, seitdem ihre Landsleute – Wir wollen davon nicht reden. Sie zeigt jetzt ihre wahre Natur, und diese ist eitel Ehrenhaftigkeit und Anhänglichkeit. Und ihr Risotto, ihre Makkaroni, alle ihre andern lukullischen Gerichte sind wirklich Meisterwerke römischer Kochkunst. Freilich, das mit unsrer armen Romana, und dem hübschen Lumpen – Aber nicht davon reden! Genug, du kannst dich darauf verlassen, daß Filomena für mich sorgen wird wie eine Amme für ihren Säugling ... Jetzt lachst du! So ist's recht! Es ist allerdings mehr als ein komischer Säugling an der Brust dieser Milchspenderin. Also reise und baue uns am Rand der Saale die Hütte. Wir werden darin unsre letzten Tage verleben.«

Da aber wurde Tante Minchen böse:

»Was fällt dir ein? Du wolltest ja doch durchaus in deinem lieben Rom bei der Cestiuspyramide begraben werden, möglichst nahe bei Goethes Sohn, der selbst im Tode nicht er selbst geworden, sondern Goethes Sohn geblieben ist. Ich verlasse euch beide, nämlich dich und deine seelengute Frau – auch dort nicht.«

»Du hast recht. Ich will durchaus bei der Cestiuspyramide in meinem lieben Rom begraben werden, und was der Mensch will –«

Tante Minchen reiste. Gute Bekannte nahmen sie mit, ihr Bruder und Filomena begleiteten sie zur Bahn. Filomena schluchzte herzbrechend, als müßte sie von ihrer liebsten Freundin auf ewig scheiden. Die alten Geschwister nickten einander zu, lächelten sich an. Im Augenblick vor der Abfahrt schob Dame Filomena unter einem Tränenstrom vor Tante Minchens Füße einen gewaltigen Eßkorb, gefüllt mit den herrlichsten aller römischen Leckerbissen. Obenauf lag ein Zettel, darauf stand geschrieben:

»Die Gottesmutter möge mir in Gnaden verzeihen. Was für eine arge Sünderin bin ich gewesen! Und verzeihen möge mir in ihrer großen Güte das liebe, liebe Fräulein! Auf meinen Herrn will ich acht geben wie der heilige Michael, der den Drachen getötet hat.« Da Dame Filomena der Kunst des Schreibens unkundig war, so hatte sie diesen Ausbruch ihres bösen Gewissens einem der öffentlichen Schreiber auf Piazza Montanara, tief gerührt über sich selbst, in die Feder diktiert.

Also waren Tochter und Schwester fort ... Als der Professor, auch jetzt noch von seinem Glauben an Italien nicht lassend, durch die aufgestellten Truppen nach seinem verödeten Heim zurückkehrte, erwarteten ihn vor der Türe liebe bekannte Gesichter, gute Freunde: Freunde aus Olevano! Es waren der Sindakus nebst der Frau Sindacessa, der wackern Sora Pia. Der Herr Bürgermeister war mit einem Riesenfiasco seines besten Weines erschienen, die Frau Bürgermeisterin mit einem ebenso umfangreichen Korb voll Eier, getrockneten Pilzen, eingemachten Artischocken, Oliven, Feigen und einem lebendigen fetten Puter, alles vom Vetturin vor dem Hause abgeladen: Gastgeschenke gehörten nun einmal zu jedem Besuche des italienischen Landvolks.

In seiner bewegten Stimmung freute sich Rudolf Müller über die vertrauten Gestalten, daß ihm die Tränen in die Augen traten: es gab eben doch noch Treue auf der Welt, auch in Italien! »Kommt hinauf! Schnell mit euch beiden hinauf! Nein, welche Freude! Wäre mein gutes Minchen doch einen Tag länger geblieben, um noch diese große Freude zu erleben. Ihr lieben, lieben Menschen, ihr treuen Menschen! ... Was sagst du dazu, Filomena? Welche Überraschung! Und sie bringen uns Gaben, als ob Weihnachten wäre! Das ist zu viel; viel zu viel! Aber ich freue mich, ganz unsäglich freue ich mich! Schnell, Filomena! Gleich gebraten und gebacken, was du nur braten und backen kannst. Biete deine ganze Kochkunst auf, als wäre ein Königspaar zu Besuch gekommen. Nein, kein Königspaar, sondern liebe, liebe Freunde aus Olevano! . . Solche Schönheit, solcher Frieden! Ich spreche von Olevano. Gibt es daß noch auf Erden? ... Ach, meine Freunde, mein Deutschland, mein Vaterland! Still davon. Seid tausendmal willkommen!«

Dann saßen sie beisammen, und Sor Rodolfo – jetzt war er wieder Sor Rodolfo – fragte und fragte. Am liebsten hätte er sich nach jedem Berg und Baum seiner Felsenstadt erkundigt. Auch, ob die Reben gut angesetzt hätten und ein reiches Öljahr zu erwarten wäre, wollte er wissen. Kurz, alles und jedes.

Das Ehepaar gab Antwort. Aber – mit welchen ernsthaften Gesichtern waren sie gekommen! Sor Rodolfo hatte sich bemüht, den tiefernsten Ausdruck in den Mienen seiner Freunde zu übersehen. Das ging nun nicht länger. Und so mußte er denn mit unsichrer Stimme die Frage stellen:

»Was habt ihr? Was ist euch geschehen? Ein Unglück?«

Da sagte die Frau:

»Unser Sohn hat über Eure Tochter schweres Unglück gebracht; also auch über Euch. Wir tragen daran Schuld, denn mir hätten uns der Heirat unsres Sohnes mit Eurer Tochter widersetzen sollen; kannten wir doch unsern Sohn. Verzeiht uns! Wir bitten Euch mit aufgehobenen Händen um Verzeihung.«

»Still! Still! Seid still! Ihr Guten und Gerechten!«

»Und um Verzeihung müssen wir Euch bitten für das Unrecht, welches Eurem Vaterland durch unser Vaterland geschieht. Aber das dürft Ihr nicht verzeihen. Das nicht!«

Der Mann sagte es. Rudolf Müller barg sein Gesicht in beide Hände ...

Sie besprachen sich weiter, mit gedämpfter Stimme, als hätte jeder von ihnen etwas zu Grabe getragen, etwas Geliebtes. Der Sindakus sprach:

»Ich muß Euch eine Mitteilung machen. Sie ist von einer Art, daß ich vor Euch mein Gesicht bedecken müßte; denn ich bin Vorsteher der Gemeinde, in der es passieren konnte, habe daher für jedes Unrecht, welches in der Gemeinde geschieht, die Verantwortung, Ihr müßt mich zur Verantwortung ziehen.«

»Mein guter Freund –«

»Euer guter Freund schützte schlecht, was unter seinen Schutz gestellt ward. Ich kann Euch nicht in die Augen sehen.«

»Gebt mir Eure Hand . , . Virgilio Minardi, gebt mir Eure treue Freundeshand.«

»Zuerst hört!«

»Zuerst Eure Hand, dann will ich Euch anhören.«

Virgilio Minardi sprach:

»Ihr seid Ehrenbürger von Olevano. Das ist eine Ehre für uns.«

»Ein Glück ist es für mich; ein Glück und mein Stolz.«

»Ihr liebt Olevano und habt es durch Eure schöne Kunst verherrlicht; habt uns durch Eure Liebe und Eure Kunst ein Denkmal gesetzt ...«

»Ein sehr bescheidenes. Ich kann Euch nicht sagen, wie tief ich empfinde, daß nur meine Liebe zu Olevano groß ist, meine Kunst dagegen sehr klein.«

»Wir haben in dem schönen Walde, der ein Stücklein des großen Deutschen Reiches ist, unsrer Liebe zu Euch eine Gedenktafel gestiftet: Euer Bildnis. Dieses Denkmal unsrer Liebe und Dankbarkeit wurde geschändet.«

»Sagt das nicht. Ihr irrt Euch. Sagt, daß Ihr Euch irrt.«

»Bubenhände haben Euer Bildnis zerstört.«

»Oh! Laßt es Euch nicht kümmern. Auf mich kommt es nicht an. Wer und was bin ich? Und was bedeutet mein Bildnis, mein Denkmal, wie Ihr es nanntet, in dieser Zeit? Aber ich verstehe, wie sehr es Euch schmerzt.«

»Sie taten noch mehr. Das heißt, sie wollten es tun. Den Eingang zu dem Stücklein Deutschland in unsern Bergen bewacht Deutschlands Wappen. Sie wollten das Wappen herabreißen, den deutschen Adler und das deutsche Reich wollten sie beschimpfen. Ich konnte die Schandtat noch gerade verhindern.«

»Ich danke Euch, Im Namen aller Deutschen danke ich Euch. Im Namen des ganzen Deutschen Reiches.«

Der Alte sprach mühsam, als hätte er einen Schlag empfangen. Er war totenblaß. Nach einer Weile sagte er:

»Wißt Ihr, von wem die Tat ausging?«

»Ich weiß es.«

»Von welchem Buben?«

»Von unserm Sohn. Auch deshalb kam ich nach Rom, um als Syndakus der Gemeinde den Buben, von dem die Schandtat ausging, zur Rechenschaft zu ziehen. Ich sagte: den Buben; denn wir haben keinen Sohn mehr. Nicht wahr, meine gute Frau?«

Und die Mutter sprach:

»Wir haben keinen Sohn mehr.«

Dann, nach einem schweren Schweigen:

»Er war unser einziges Kind.«

»Er war's.«

Der Vater sagte es.

Am Nachmittag macht der Professor mit seinen Gästen einen Spaziergang. So wenig einem jeden um Zerstreuung zu tun war, willigte doch einer dem andern zuliebe in den Ausgang. Filomena begleitete ihren Herrn, als wäre dieser in Wahrheit ein Knäblein und sie seine Wärterin. Es war nach dem Tage der Nationalfeier von Quarto, und die Gemüter der Römer durchflammte fanatische Begeisterung über die gewaltigen Strophen des großen Dichters. Begeisterung des Hasses war's. Eine Erregung brauste von Genuas Meeresstrand durch das Land, als hätte Italiens Erde von neuem gebebt.

Auch an diesem Tage schien Rom in ein Heerlager verwandelt, und ein Durchqueren vom Spanischen Platz zum Pincio hinauf mußte für einen Deutschen im schwarzen Gehrock mit dem Eisernen Kreuz auf der Brust als hoffnungslos erscheinen. Aber Filomena schaffte ihrem Professor freie Bahn durch die Kette der Karabinieri, die den Platz sperrten: Was das heißen sollte? Ob sie nicht wüßten, wer der alte Herr sei? Ehrenbürger ihrer Vaterstadt Olevano! Ein Mann, der Italien mehr liebte als sie; denn er wünschte Italiens Glück und nicht dessen Unglück. Also keinen Krieg! Und ob sie nicht sahen, mit wem der alte Herr ginge? Mit dem Bürgermeister von Olevano, ihrem eigenen Herrn Vetter, der des Herrn guter Freund sei. Und der Bürgermeister von Olevano sei nur Freund eines Mannes, der als Freund Italiens in Rom seinen Kopf hoch tragen könnte. Also freien Durchgang für Italiens guten Freund!

Und die Karabinieri öffneten bereitwillig die Kette, fast ehrerbietig ...

So passierte denn die kleine Gesellschaft unbehelligt den Platz, erstieg die Treppe, gelangte zu der Terrasse vor dem Hadrianischen Obelisk und zu der Dreifaltigkeitskirche. Zu Fuß, in Equipagen und Autos, besetzt von Roms vornehmsten und elegantesten Herren, Roms schönsten Frauen, herrlich gekleidet nach Pariser Frühlingsmode, zogen Römer und Römerinnen auf ihren geliebten Gartenberg. Auch Fremde in Scharen, darunter viele exotische Erscheinungen: nach der Feier von Quarto schien es in Rom ein Pinciofest geben zu sollen.

Das Vierblatt wurde von dem Menschenstrom erfaßt und mit fortgerissen. Sie kamen zu der Mediceischen Villa, vor welcher, unter den zu einer Wölbung beschnittenen Steineichenwipfeln der schöne Brunnen Vignolas rauschte; heute genau so heiter wie vor Jahrhunderten.

Lavinia!

War das Lavinia? Lavinia Petroni? ... Sie war es!

In dem dunkeln Kostüm der Sabinerin, aber überladen mit Goldschmuck, trat sie aus dem Gittertor, welches in die parkähnlichen Gärten der Villa und zu den Ateliers der französischen Künstler führte: Heinrich Webers Frau war wieder Lavinia Petroni geworden; war wieder – Modell! Leicht in den Hüften sich wiegend, in voll erblühter Schönheit prangend, trat sie erhobenen Hauptes hervor aus dem Schatten der Waldung in den Frühlingstag und erregte in der Menge ein Aufsehen, daß viele stehen blieben, um Roms vielbewunderte Schönheit anzustaunen. Wie durch ein Spalier schritt sie dahin, stolz wie eine Königin, der vom Volk gehuldigt wird; schritt vorüber an Rudolf Müller, vorüber an ihren Landsleuten, die kleine Gesellschaft keines Blickes würdigend.

»Sei verwünscht!«

Filomena war's, die es dem Weibe des verschollenen Helden, der Enkelin des ehrwürdigen Priesters von Bellegra laut zurief mit erhobener Hand:

»Sia meledetta!«


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