Richard Voß
Brutus, auch Du!
Richard Voß

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Zweiter Teil

»Mancher Mensch gehört zu jenen bemitleidenswerten Kranken, die einen Trost für ihre Leiden darin suchen, daß sie vor der ganzen Welt ihre Wunden bloßlegen.«
Leonardo da Vinci

»Und – Brutus ist ein ehrenwerter Mann!«
Shakespeare

»Italien sollte also seine Verträge, seine Unterschrift, seine Ehrlichkeit und Treue brechen und die Verbündeten, wie sein eigenes Volk, schmählich verraten. Wäre dies der Fall, so hätte die Welt das Recht, Italien aus der Gemeinschaft der gesitteten Völker zu streichen. Während die Demagogen sich als große Staatsmänner gebärden, sind sie doch nur Hasardspieler, welche die Krone und die Zukunft Italiens aufs Spiel setzen. Keinem Staatsmann, noch weniger einer Regierung, die sich selbst achtet, kann der schmähliche feige Akt in den Sinn kommen, seinen fünfunddreißigjährigen Verbündeten in einem für ihn schwierigen Augenblick zu überfallen.«
»Popolo Romano«, Sept. 1914

»Popolo Romano«. Also das römische Volk!
So sprach damals – und so spricht noch jetzt – das römische Volk: das wahre, gute, gerechte, getreue. Jawohl: auch das getreue römische Volk!
R. Voß

Erstes Kapitel

Sie waren verheiratet.

Beide Paare wurden am gleichen Ort und am gleichen Tage getraut; an einem wundervollen Herbsttage, der dem Dyonisus geheiligt schien, dem Gott himmlischer Freuden. In Olevano, wo, nachdem der Sindakus mit feierlichem Ernst die bürgerliche Trauung vollzogen, nach dem Ritus der katholischen Kirche die Zeremonie stattfand, beging die Bevölkerung an dem nämlichen Tag das Fest der Weinlese, der »Vendemnia«, so daß war, als hielte das ganze Land Hochzeit. Bereits im Morgengrauen donnerten von den naheliegenden Höhen die Böller, vielfaches Echo weckend; widerhallten Stadt und Land von dem Jubel des jungen Volks. Aus den Rebengefilden brachten die mit mächtig gehörnten silbergrauen Stieren bespannten Karren die letzten Kufen blauer und goldiger Trauben ein. Bei dieser bacchischen Beschäftigung konnten die Burschen recht gut für moderne Satyre, die Mädchen für Bacchantinnen des zwanzigsten Jahrhunderts gelten: fehlte es doch weder an Bekränzten noch an Berauschten. Aber anstatt des süßen Rebensafts waren sie erfüllt von dem Gefühl ihrer Jugend, durchdrungen von Lebenskraft und Lebensfreude. Auch Faune und Silene wären unter den Gestalten zu finden gewesen; nur der Gott selbst fehlte. Doch weilte er unsichtbar unter den Feiernden und begeisterte sie, seinen Tag in seinem Namen zu begehen ...

Lavinia Petroni war die schönste Braut, welche die Phantasie eines Künstlers sich vorstellen konnte; Amerigo Minardi ein Bild antiker Jünglingsherrlichkeit. Die beiden hätten ein Paar gegeben, wie im ganzen Lande kein zweites zu finden gewesen. Was dem Professorentöchterlein an Schönheit mangelte, ersetzte bei ihr das bräutliche Glück und eine Ergriffenheit, für die ihr jugendlicher Gatte kein Verständnis besaß. Nach deutscher Sitte trug die deutsche Braut weiße Seide und Myrtenkranz, während die Sabinerin zum letztenmal in der Festtracht ihres Landes erschien, die selbst an solchen höchsten Feiertagen dunkel war, so daß ihre Erscheinung etwas Medeenhaftes und Erhabenes hatte, kaum gemildert durch den leuchtenden Orangenzweig in ihrem blauschwarzen Haar. Römischem Brauch gemäß war sie mit dem schweren Geschmeide geschmückt, welches der Bräutigam, gleichsam als Tribut, der Braut zu geben verpflichtet war. Dem andern jungen Ehemann war derselbe erspart geblieben. Im Gegenteil: Amerigo Minardi erhielt von seinem Schwiegervater eine nicht unbedeutende Jahresrente dafür, daß er aus einer geborenen Müller eine verehelichte Minardi machte.

Dem einen Paar gab der geistliche Herr aus Olevano den Segen, dem andern der greise Priester aus Bellegra, Wäre ein Hauch von dem Wesen dieses armseligen Dieners Gottes dem Bunde der Neuvermählten zuteil geworden, so würde er in Wahrheit ein geheiligter gewesen sein.

Die eine der Bräute zerfloß in Tränen, die andere blieb voll kalter Hoheit. Todbleichen Angesichts stand Heinrich vor dem Altar. Ein verzehrendes Feuer brannte aus seinen Augen, eine Liebesglut, die das Eis dieser Frauenseele zum Schmelzen bringen mußte. In seinen Armen würde das Steinbild Leben gewinnen und er würde Pygmalion sein. In geradezu glanzvoller Stimmung befand sich der Adonis, gleich einem Kaufmann nach abgeschlossenem brillantem Geschäft. Was diesem folgen würde, war nebensächlich: das gute Geschäft war gemacht!

Der Herbsttag war noch so sommerwarm, daß die Festtafel im Freien gedeckt werden konnte: in dem Kastanienwald, dessen rotbraune Wipfel einen Baldachin wie aus Purpur über die Neuvermählten breiteten. Kein Königspaar konnte königlicher seine Vermählung feiern. Nach römischer Sitte hätte man die Hochzeitsfestlichkeiten im Kaffeehause mit Schokolade und Süßigkeiten abgetan. Die Tafel in der Castagneta bedeutete daher einen Sieg der seit dem Jubiläumstage Sor Rodolfos von der Regierung der Casa Tedesca abgesetzten Tante Minchen: es sollte eben ein richtiges deutsches Hochzeitsmahl sein mit Braten, Pasteten und Torten. Die Sabiner ließen sich den fremden Brauch denn auch großmütig gefallen.

Die Hochzeitsreise!

Nach Neapel reisten die einen, nach Rom die andern. Signora Lavinia wollte in Rom, das sie als Modell verlassen hatte, als Dame triumphierenden Einzug halten: als Dame, die den Hut trug, dieses heiß begehrte Symbol eines höheren Standes, um dessentwillen in dem Lande heißer Leidenschaften die erbittertsten Kämpfe weiblichen Ehrgeizes geführt wurden ...

Von der Tafel erhoben sich die jungen Gattinnen möglichst heimlich, um sich umzukleiden. Nach einer Weile, während welcher Heinrich in fiebernder Ungeduld wartete, traten sie aus dem Hause, die eine von ihnen nicht zum Wiedererkennen: Lavinia Petroni, das Mädchen von Bellegra, im hellgrauen englischen Reisekleid, mit breitrandigem Filzhut und einer Haltung, als hätte sie niemals im Leben eine andere Gewandung getragen. Eine Metamorphose war's, wiederum nur bei diesem Volke möglich – wie Sor Rodolfo seiner Schwester bewundernd zuraunte. Entzückt betrachtete Heinrich sein Eigentum und bemerkte nicht den Blick eines andern, voller Staunen auf die zweite der Neuvermählten gerichtet, als sähe Amerigo Minardi seine Landsmännin zum erstenmal.


Und sie waren verheiratet.

Heinrich hauste in Roms Bildhauerstraße, der Via Margutta, in einem Hause, in dem der Künstler Wohnung und Atelier zugleich hatte. Die Wohnung lag im höchsten Stockwerk und war das Römischste vom Römischen, also nach deutschem Begriff das Herrlichste vom Herrlichen, mit einer Loggia, groß wie eine Halle. Der schöne Raum ging hinaus auf den Pincio, auf dessen Gartenterrassen bereits im Februar die Mandelbäume ihren Blütenschnee glänzen ließen und gelbe Tazetten die Böschungen mit Schimmer überzogen. In der Höhe leuchtete aus dem feierlichen Dunkel der Steineichen die Villa Medici herab, und Signora Lavinia konnte in der Stille des Abends den Brunnen vor dem alten Mediceerpalast rauschen hören, auf dessen Rand sie häufig gesessen hatte, wenn sie zu früh gekommen war, um von dem französischen Pförtner eingelassen zu werden durch das Tor, welches in die Gärten und zu den Ateliers der Herren aus der bellissima Francia führte. Jeder Künstler besaß in der schattigen Waldung sein eigenes Reich, und jeder begehrte das Mädchen von Bellegra als Modell, so daß sie auf Monate voraus vergeben war und über die Sitzungen eine Liste geführt werden mußte. Fortan brauchte sie nicht mehr bei dem Brunnenrand auf das Öffnen des Tores zu warten; fortan konnten die Herren Franzosen nicht mehr voller Ungeduld des schönen Geschöpfes harren: das Mädchen von Bellegra war eine ehrsame Hausfrau geworden, trug den Hut, benahm sich als Dame; denn einer dieser Germanen hatte das berühmte Modell für sich allein in Besitz genommen. Freilich, um welchen Preis – wie die Herren Franzosen laut höhnten ...

Heinrich wollte als Magd eine Sabinerin ins Haus nehmen; aber da kam er bei seiner Hausfrau schön an, obgleich seine freundliche Absicht gewesen war, seine junge Frau sollte über eine ihr vertraute Landsmännin befehlen. Diese hätte jedoch zu genau gewußt, was ihre Padrona vor ihrer Heirat gewesen: ein Modell! Also wurde eine Toskanerin gedingt. Das hinderte freilich nicht, daß dieselbe bereits in erster Stunde über ihre Gebieterin Bescheid wußte. Mit dem Respekt war es daher vorbei. Als Folge ergab sich zwischen Herrin und Dienerin ein Gezänk, vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein. Heinrich hätte nicht für möglich gehalten, daß den stolzen Lippen der geliebten Frau solche schlimme Worte entströmen könnten, er vergaß es, wenn er diese Lippen küßte, was diese nur widerwillig geschehen ließen, ohne von der Glut, die sie empfingen, einen Funken zurückzugeben.

Was den »frühen Morgen« anbetraf, so war damit der späte Vormittag gemeint; denn so lange dauerte die Nachtruhe der schönen Frau. Zu den Gepflogenheiten einer Römerin, die das Recht hatte, den Hut der Dame zu tragen, gehörte ein Schlaf bis in den hellen Tag hinein; gehörte es sich, den Kaffee oder die Schokolade im Bett einzunehmen. Auch das hatte Heinrich sich anders und freundlicher vorgestellt: einen hübsch gedeckten Frühstückstisch und an diesem, ihm gegenüber, sein Weibchen im hellen Morgenkleid, eine Vorstellung, wie solche nur ein deutscher Phantast haben konnte. Da seine Frau noch schlief, während er in aller Frühe schon auf war, und da ihm die schlampige Magd erst nach langem Warten auf schmierigem Brett eine Tasse des schwarzen Morgentrunks brachte, entschloß er sich, wieder in seine Junggesellengewohnheit zu verfallen und sein erstes Frühstück in einem nahen Kaffeehause zu nehmen, hastig und in nicht allzu freudiger Stimmung. Seine Gattin sah der junge Ehemann erst mittags bei der Colazione. Sie war auch dann noch nicht angekleidet und erschien selbst zu dieser späten Stunde in einem Morgengewand von zweifelhafter Sauberkeit und mit ungemachtem Haar. Aber dieses Haar war eine blauschwarze Herrlichkeit, und ihre Schönheit übte auf den Gatten trotz der Vernachlässigung ihres Äußeren eine berückende Wirkung aus. Die beiden hatten einander nicht viel zu sagen; aber was braucht ein leidenschaftlich Verliebter viel zu reden!?

Später dann – Ja, dann kam das Wunderbare; denn dann kam die Erfüllung höchsten Wunsches und Glücks für den Künstler. Heinrichs Werkstätte lag auf dem Hof. Ein Hof war's, wie es solchen auf der ganzen Welt nur in Rom gab. Im Frühling leuchtete die Mandelblüte des Pincio, dufteten dessen Narzissenfelder herab; seinen Boden bedeckten Marmorblöcke, antike Skulpturen und zerbrochene Säulen; ein Sarkophag diente als Brunnenbecken, daran den ganzen lieben langen Tag schwatzende oder singende Weiber ihr reinigendes Wesen trieben; Modelle aus den Abruzzen oder der Sabina lungerten umher; denn in dem Hof reihte sich Studio an Studio, darin bei geöffneten Türen von früh bis spät das Pochen des Meißels ertönte, dessen Schlag, einem Zauberstabe gleich, dem Gestein menschliche Gestalten entlockte. Man sah Meister und Gehilfen beim Werk, beide in grauleinenen Kitteln, auch der Meister, des Marmorstaubes wegen, das Haupt mit weißer Papiermütze bedeckt; man sah auf hohem Postament das Werk selbst in seinem ersten Entstehen als noch unvollkommenes Gebilde in Wachs oder Ton bis zu seiner strahlenden Vollendung in Marmor. Auch aus den Werkstätten schallte zu dem Pochen des Meißels der eintönige Gesang einer alten Ballade oder eines heißen Liebesliedes. Dazu Roms Himmel, Roms Sonne! In solchem Hof konnte der ganze Zauber eines römischen Künstlerlebens liegen. Wer konnte demselben widerstehen? Kein deutsches Gemüt!

Am frühen Nachmittag eines jeden Tages erfolgte also Heinrichs glückliche Stunde: sein Weib stand ihm zu seiner »Italia« Modell; stand ihm in unverhüllter Herrlichkeit, vor ihm von keinem Auge geschaut.

Auf dem Podest stand das Meisterstück der Schöpfung wie ein Götterbild auf dem Altar, und wie die Handlung eines Kultus gestaltete der Künstler sein Bildnis, erschuf er zum zweitenmale, womöglich noch herrlicher, als es der göttliche Schöpfer getan. Es waren Stunden der Andacht, der Anbetung; waren Empfindungen von Schöpfergewalt und Schöpferseligkeit.

Was tat es, daß diese weibliche Vollkommenheit sich als keine gute Hausfrau erwies? Als seine Hausfrau im philiströs deutschen Sinn? Daß die Geliebte einer rohen Magd gegenüber allzu nachdrücklich die Herrin spielte? Daß sie nicht – auch nach echt deutscher Art – schon in aller Frühe in tadellosem Morgenkleide erschien? Was tat es, daß dieser klassisch geformte Mund keine geistreichen Gespräche führen konnte, wenn er nur zärtliche Worte flüsterte und heiße Küsse heiß erwiderte? Wenn dieser Mund sie nur erwidert hätte!

Aber sobald Heinrich Webers Frau die letzte Hülle sinken ließ, schien vor dem Entzückten das erste Weib zu stehen. Seine Begeisterung ward zur Ergriffenheit, ward Ehrfurcht vor der Erhabenheit solcher Vollkommenheit menschlicher Bildung. Er, der sich als Meister seiner Kunst fühlen durfte, erachtete sich diesem Meisterwerk der Schöpfung gegenüber als Stümper. Zugleich jedoch wuchs sein Können zur höchsten Kraft. So geschah es, daß er bildete, was er in einem Augenblick der Verzückung sein Lebenswerk genannt hatte. Kein Auge bekam es zu sehen, auch nicht das liebevolle seines väterlichen Freundes, der den Glauben an ihn hatte, den Glauben an seinen Genius.


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