Richard Voß
Brutus, auch Du!
Richard Voß

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Neuntes Kapitel

Als Rudolf Müller aus dem Algidum in die Villa Falconieri zurückkehrte, meldete man ihm, seine Tochter sei dagewesen und werde nächsten Tages wiederkommen. In der Villa herrschte fieberhafte Erregung, zugleich heroische Begeisterung und jauchzende Siegeszuversicht. Die jüngeren Kaisergäste waren bereits abgereist, um sich für den Kriegsdienst oder als Freiwillige zu stellen. Da wurde denn dem alten Herrn zum ersten Male so recht bewußt, daß er – eben ein alter Mann sei. Nicht einmal zum Sanitätsdienst, als Krankenwärter konnte er mehr gebraucht werden; zu nichts mehr war er für sein Vaterland tauglich. Das war ein Schmerz! Schlimmer: etwas wie Scham kam über ihn. Deutschlands Heldenjahre 1870-1871 hatte er mitgemacht und das Ehrenzeichen sich erworben. Er bewahrte es zu Hause, bei seinen höchsten Heiligtümern. Nach Rom zurückgekehrt, wollte er es anlegen als Weihezeichen seines Deutschtums. Er freute sich darauf, mit dem Eisernen Kreuz auf der Brust durch Rom zu wandern; freute sich darauf, wie seine lieben Römer ihn anstaunen würden: »Das ist einer unsrer Bundesgenossen! Der Alte hat mitgeholfen für uns zu siegen und Italien zu einem einigen Königreich zu machen, mit Rom als Hauptstadt!« Das würde Italien den deutschen Brüdern dort drüben niemals vergessen. Nein, niemals!

Romana kam nach Frascati. Sie brachte ihren Knaben mit. Am Zypressenteich der Villa Falconieri reichte sie Rudolf Müllers Enkel die Brust. Auch das war wundersam, einer Erfüllung gleich.

Wie hatte die Frau während der kurzen Zeit, in welcher ihr Vater sie nicht gesehen, sich verändert! Noch ernsthafter und schweigsamer, noch leidensvoller war sie geworden. Etwas Herbes war über sie gekommen; zugleich etwas wie Entsagung: Entsagung aller Lebensfreude, also allen Lebensglücks. Diese ernsthafte, schweigende Frau hätte den Jubelklang, der in dem Wort: »Lebensglück« liegt, nicht mehr verstanden. Doch das war Frauenschicksal. Tausende und aber Tausende teilten es mit dieser einen. Auch klagte sie nicht. Besaß sie doch ihren Knaben! Sie durfte glücklicher sein als tausend und aber tausend andre, schwer enttäuschte Frauen es waren, die auch keine Lebensfreude, kein Lebensglück mehr hatten ...

Romana brachte ihrem Vater deutsche Zeitungen mit. Am Zypressenteich der Villa Falconieri las der Professor Deutschlands einmütige Erhebung. Dieses zu erleben und Deutscher zu sein – Worte sagten es nicht! Immerfort die Hände falten, immerfort beten, immerfort dem Himmel dafür danken, ein Deutscher zu sein.

Rudolf Müller fragte seine Tochter:

»Wie ist es in Rom? Rom jubelt doch mit? Fühlt doch mit uns? Fühlt die heilige Gerechtigkeit unsrer Sache? Gewiß zogen die Römer auf das Kapitol vor Palazzo Caffarelli, um unserm Botschafter als Vertreter unsres Vaterlandes zuzujubeln? Und die italienischen Zeitungen? Weshalb brachtest du sie nicht mit? Giornale d'Italia – Tribuna – Secolo – Corriere della Sera ... Weshalb schweigst du? ... Was hast du?«

»Rom jubelt nicht.«

»Nicht? Es jubelt nicht mit uns, wo es sich doch gewiß mit uns und für uns erhebt? Für unsre gerechte Sache!«

»Italien bleibt neutral.«

»Nun ja. Einstweilen ... Weshalb schweigst du?«

»Der König von Italien depeschierte an den König von Österreich: Italien würde gegenüber seinen Verbündeten eine herzlich freundschaftliche Haltung bewahren.«

»Das ist doch selbstverständlich! Mehr als eine herzlich freundschaftliche Haltung, Viel mehr! Auch das ist selbstverständlich ... Und dein Gatte?«

Sie klagte nicht; klagte ihren Gatten nicht an. Sie würde den Vater ihres Sohnes vor jeder Anklage verteidigt haben, nicht mehr das sanfte unbedeutende Wesen, sondern eine willensstarke Frau. Ihrem Vater antwortete sie, ihr Unglück verschweigend, aber ihre Sorge ihm anvertrauend:

»Ich verstehe immer weniger, was es mit ihm ist, Er scheint in schlechte Hände gefallen zu sein, in Schlingen, daraus er sich nicht wieder lösen kann, so geschickt er ist, Es geht mit ihm etwas vor; etwas Unheilvolles, Unsauberes, Er spricht davon nicht mit mir – er tat das ja niemals – aber ich ahne es, fühle es. Unheilvolle und zugleich unsaubere Gewalten bemächtigten sich seiner so völlig, daß er keinen Ausweg mehr findet, nicht mehr sich helfen kann, nicht mehr sich zu retten weiß. Ich bin ja doch seine Frau, er ist ja doch der Vater meines Sohnes – Was soll ich tun? Ach, was soll ich nur tun? Ich bin machtlos, hilflos.«

Erschrocken forschte ihr Vater:

»Welche unheilvollen Gewalten könnten das sein? Denn unsaubere –«

Romana rief aus:

»So sagte ich ... Woher das viele Geld? Er wirft mit dem Geld um sich, lebt wie ein großer Herr, scheint Tausende zu verdienen. Wodurch?«

»Er ist ein fast zu geschickter Advokat, wie du selbst sagst.«

»Das ist es nicht. Es sind nicht Klienten, nicht Prozesse, die ihm die großen Summen einbringen. Und weshalb dieser heimliche Verkehr bei den fremden Botschaftern? Es sind die Botschafter unsrer Feinde.«

»Die auch Italiens Feinde sind!«

»Italiens heimliche Freunde, bald ihre offenkundigen Verbündeten.«

»Was sagst du? Wie darfst du das sagen? Eine Verdächtigung Italiens, eine Verdächtigung seiner Treue gegen uns.«

»Mein guter Vater –«

»Ich bin dein trauriger Vater, wenn du Italiens Treue verdächtigst.«

»Denke doch an die Aufführung jenes Dramas in Olevano. In Olevano, einer kleinen sabinischen Bergstadt.«

»Die Italiens unwürdige Demonstration galt Österreich.«

»Ist Österreich nicht auch Italiens Bundesgenosse?«

»Jener abscheuliche Tumult galt dem Österreich von damals; galt jener unseligen Zeit blutiger Feindschaft zwischen Italien und Österreich. Diese Zeit ist längst vorüber.«

»Du irrst. Der Aufruhr galt dem Österreich von heute. Deine Liebe zu Italien macht dich blind.«

»Liebst du Italien etwa nicht?«

»Nur zu sehr, wie wir alle. Uns alle hat die Liebe zu Italien blind gemacht. Wir werden sehend werden, und das bald.«

In dieser Stunde trat des Professors heiße Liebe zu Italien ihren Passionsweg an, der zu einem Golgatha führte.

Gekreuzigt werden sollte die Liebe der Deutschen zu Italien.


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