Richard Voß
Brutus, auch Du!
Richard Voß

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Achtes Kapitel

Mit Mario Mariano ging, seine äußeren Verhältnisse betreffend, eine bedeutsame Veränderung vor: er fand Beziehungen zu einer römischen Zeitung, einem Salonblatt, einem Journal der eleganten Welt. Kalabresischen Banditen entsprossen, galt des jungen Mannes höchster Ehrgeiz, ein Emporkömmling in des Wortes verwegenster Bedeutung zu werden, ein Eroberer der Salons, ein Siegreicher in den aristokratischen Kreisen der Kapitale. Auch Ruhm begehrte er für sich. Nicht nur den Ruhm des Herrenmenschen, Ästheten und Wüstlings, sondern auch den Ruhm des Dichters; mit einem Wort: der Glorie des Genies. Doch sollte ihm auch sie nur Mittel zum Zweck sein, der in der rücksichtslosesten, der gewissenlosesten Ausbeutung aller Genüsse, der Genüsse einer verfeinerten Jugend, bestand, wie solche bisher selbst einem modernen, sogenannten dekadenten Geschlecht unbekannt geblieben waren: das Grobe, ja Gemeine mit dem Ästhetischen, dem »Ethischen«, verbindend. Als Dichter von Gottes Gnaden, als Mensch von eigenen Gnaden als Journalist bedenklichster Art, also als ein seiner Väter würdiger Enkel, begann der Mann mit Banditenblut in den Adern seine Laufbahn, die ihn zu Gipfeln, zu Sonnenhöhen emporführen sollte.

Als man ihn auf der Redaktion jenes Blattes nach seinen Ansichten, Grundsätzen, Überzeugungen befragte, lächelte er, und es lächelte der Redakteur. Das Lächeln der beiden, des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers, bedeutete den Abschluß des Geschäfts, und der Neuengagierte machte sogleich einen glänzenden Anfang. Ein brillanter Stilist, von einer Sinnlichkeit, einer Sinnenglut, die wie ein betäubendes Parfüm wirkte und vor keiner Kühnheit zurückschreckte, wechselte er die Züge seiner äußeren sowohl wie seiner inneren Physiognomie wie seine Krawatte. Dabei trug er jedoch die hehre Miene eines unsichtbar Gekrönten zur Schau.

Gleich seine ersten Artikel erregten allgemeines Aufsehen. Sie bestanden in Phrasen großen Stils, in literarischen Gesten, eines Cicero und Dante zugleich. Wie hätte es da im Vaterlande der Phrasen und Gesten solcher Persönlichkeit fehlen können, Karriere zu machen und eine »Zukunft« zu haben? Nur um den ersten Schritt handelte es sich, und Mariano tat ihn.

Das Journal selbst stattete seinen Berichterstatter für dessen ersten Schritt in die Öffentlichkeit aus; und zwar war es die Ausstattung eines Dandy; doch nicht eines solchen nach dem gewöhnlichen Muster dieser anmutigen Menschengattung, sondern nach Herrn Marianos eigensten Angaben: auch in seinem äußeren Menschen wollte er keinem andern gleichen, so wenig wie in seinem Stil, wie überhaupt in allem, was menschlich war. Also komponierte er mit Hilfe eines großen Schneiderkünstlers ein erstes Kostüm für Piazza und Café Aragno, ein zweites für Korso und Nachmittagsempfänge und als drittes einen Frackanzug mit verschiedenen Westen, etwas bis dahin nie Dagewesenes in Stoff, Farbe, Schnitt. Dazu kamen ein Dutzend gleichfalls niemals gesehener Krawatten und verschiedene andre Toilettengegenstände, die seinen Eintritt in Roms elegante Welt, welche zum Teil Roms große Welt war, zum Ereignis machten, zur Sensation.

Dieser Eintritt erfolgte in dem Salon der Marchesa Margherita di San Silvestro, und kein andres Debüt hätte glanzvoller ausfallen können; denn in dem Salon der Marchesa erschienen auf ihren Montagsempfängen nicht nur Herzoginnen und königliche Palastdamen, sondern auch Kardinäle und Prälaten; nicht nur die Töchter amerikanischer Millionäre und die Söhne schuldenreicher römischer Fürsten, sondern auch sonst alles, was es in Rom an berühmten Fremden und einheimischen Künstlern, Dichtern, Literaten gab oder was zu der lieben goldenen Jugend der Metropole gehörte. Diese reizende Jugend trug seit dem Tage des ersten Erscheinens des neuen Mannes nur noch Westen und Krawatten à la Mario Mariano, wagte jedoch noch nicht, sich bis zu dessen genialen Busenstreifen und Manschetten zu erheben. Mit einem Wort: auf bewußtem Empfang der Marchesa erschien in der schlanken Gestalt Mario Marianos Roms Modejünglingen ihr König. Es war daher für Rom ein modehistorischer Tag ...

Er, Mario Mariano, schrieb Berichte. Sie waren so besonders wie der ganze Mensch. Roms elegante und große Welt las die Schilderungen ihrer selbst aus Marianos Feder mit Enthusiasmus. Wie wurde sie von diesem Manne verstanden! Er sah sie nicht etwa mit den profanen Augen des Berichterstatters, der für die Zeile so und so viel erhielt, sondern mit dem Seherblick des Poeten. Seine Schilderungen waren Oden, Sonette, ungereimte Ottaven. Robe, Spitzen und Schmuck, von Mario Mariano beschrieben, glichen einem Gemälde von Gainsborough oder John Lavary. Roms weibliche Berühmtheiten machten daher nicht mehr für einen Salon, nicht mehr für einen Liebhaber Toilette, sondern für Mario Mariano. Herzoginnen und Milliardärinnen umdrängten ihn, huldigten ihm. Ja, er hätte von mancher stolzen Römerin mit historischem Namen für eine Schilderung ihrer Person in einer Nummer der »eleganten Welt« einen ganz andern Preis fordern dürfen. Und auch sonst: dieser Liebling zweier Gottheiten, des Apoll und des Dionysos – von der dritten, minder göttlichen zu schweigen – , übte auch sonst auf seine weibliche Umgebung eine Wirkung aus, die etwas von Bezauberung besaß. Man hatte von einem »Dämonischen« in dem Manne reden können, wäre es nicht mit allzu unreinen Elementen vermischt gewesen ...

Die zweite Phase in Marianos Weltleben war, daß er begann, in Roms ersten Salons – nur in diesen! – eigene Dichtungen zu sprechen. Er gab seinen Vorträgen die Stimmung von Weihestunden. Etwas Geheimnisvolles, Mystisches umschleierte Dichter und Werk. Die Zuhörerinnen, welche die Auszeichnung genossen, zugelassen zu werden, hatten in weißen Gewändern zu erscheinen, mit scharlachroten Rosen oder tiefblauen Irisblumen im Haar, der Saal war verdunkelt, und nur neben dem Sitz des Dichters durfte ein bläulicher Schein schimmern, in dem das bleiche Antlitz gleich einer Erscheinung aufleuchtete. Seine Feinde behaupteten – und in Roms ernsthafter Männerwelt gab es deren viele – , er schminke das Gesicht und färbe die Lippen. Aber er sprach hinreißend, und was er sprach, war große Poesie; war Poesie von Italiens Klassikern.

Sowie sein Vortrag beendet, verschwand er, ließ seine Zuhörerschaft in schweigender Verzückung zurück, kehrte erst nach einer Weile wieder, nicht mehr als Verkünder und Priester, sondern als anmutiger Weltmann und hinreißender Causeur. Denn hingerissen von des Mannes Genius nahmen sich die Frauen die Kränze vom Haupt und legten die Blüten vor ihm nieder. Roms elegante und große Welt bedurfte eines solchen Sinnenzaubers, und Mario Mariano gab dieser Welt, wessen sie bedurfte ...

Nun wohnte er nicht mehr in dem Rione der »Monti«, einst Roms verrufenstem und verruchtestem Stadtteil; nicht mehr in einer Art von Spelunke, in der er seine Gemeinde empfangen, die ihn als ihren poetischen Apostel und Italiens zukünftigen geistigen Freiheitshelden verehrte. Damals stillte Mariano den Hunger der Seinen durch glühende Reden, nährte er sie mit der von ihm entzündeten Begeisterung, während er selbst schon damals ein heimliches Wohlleben führte. Seit seiner wunderbaren Metamorphose hatte er in der vornehmen Via Gregoriana ein Quartier bezogen und in der Art eingerichtet, wie er sich kleidete, dachte, empfand. Daraufhin hatten jene häufig hungernden, gleich Proletariern gekleideten, von Patriotismus durchglühten Jünglinge von ihrem bewunderten Oberhaupt sich zurückgezogen. Sie suchten und fanden einen andern Ort, wo sie zusammenkamen, schlecht gekleidet und schlecht genährt wie zuvor; aber wie zuvor durchdrungen von dem, was sie Italiens zukünftige Größe nannten, die so sicher kommen würde wie der Anbruch eines jeden neuen Tages.

Von den Fenstern seiner hochgelegenen Wohnung aus übersah Mariano Rom. Die Ewige Stadt lag ihm zu Füßen gleich den Herzen der Frauen, die seiner Magie erlagen. Hier türmte sich der Königspalast auf, dort die Papstburg. Das Kapitol, Roms geweihter Berg, stieg zwischen Biminal und Janiculus empor. Dem nämlichen Mann, der in Dantesker Sprache für Roms Größe einen überwältigenden Ausdruck fand, war es in tiefster Seele gleichgültig, wer über Rom herrschte: ob im Quirinal ein König, ob im Vatikan ein Papst; empfing er nur dereinst unter dem Jubel des Volks die Krone, mit welcher an jener durch Roms größte Erinnerungen geheiligten Stätte Torquato Tasso gekrönt worden war.

Auch die neuen Gäste, die der Glorioso in seiner neuen Wohnung bei sich sah, erkannten in ihm den Herrn und Meister; auch sie lauschten seinen rhetorischen Übungen mit von Andacht durchschauerter Ehrfurcht; auch sie glaubten an seine poetische sowohl wie seine politische Mission. Sie begehrten nicht, ihm gleichen, sondern nur ihm nachstreben zu dürfen; wobei dieses Nachstreben sich freilich lediglich auf des Meisters äußeren Menschen beschränkte. Aber mochten sie auch noch so tönende Reden führen, die Farben seiner Krawatten tragen und von dem Schneider des Erleuchteten aus dem nämlichen Stoff, nach dem nämlichen Schnitt ihre Morgengewänder sich anfertigen lassen. Er selbst blieb für sie unerreichbar. Denn wie er die großen Worte sagte und wie er seine Gewänder trug! Eben das war das Geheimnisvolle dieser eigenartigen, dieser einzigen Persönlichkeit.

Seine mit den Wandtäfelungen, den geschnitzten Gerätschaften und altchristlichen Gemälden eines von der Regierung des geeinigten Königreichs aufgehobenen Franziskanerklosters ausgestattete Wohnung empfing auch Damenbesuch; doch befand sich darunter keine von der Gasse aufgelesene junge Dorfschullehrerin, die von den Sümpfen dort unten einem brutalen Verführer entflohen war, um in der Kapitale in die Hände eines Verderbers zu fallen: in Hände, die die Verführte fortwarfen, nachdem sie sich kaum nach ihr ausgestreckt hatten. Die Damen, die den Apollinischen besuchten, kamen einzeln und heimlich zu später Stunde, mit zynischem Lächeln von einem Bedienten eingelassen, der verdient hätte, in dem achten Ringe von Dantes Hölle die Strafe des Kupplers zu erleiden. Auch jetzt hörten jene frommen Gerätschaften und blassen Heiligenbilder Seufzer der Inbrunst, Stammeln der Entzückung, und ein in Elfenbein geschnitzter Gekreuzigter aus dem Cinquecento schaute mit brechenden Augen auf eine Welt herab, welche Christus durch seinen Martertod von ihren Sünden und ihrem Leid nicht erlöst hatte.

Es konnte dann geschehen, daß eine dunkelgekleidete, tiefverschleierte Frau im Morgengrauen das Haus des Sängers aller Erhabenheiten verließ; daß die Verhüllte, der Spanischen Treppe zuschreitend, aus der Kirche der heiligen Dreieinigkeit den Morgengesang der französischen Nonnen vernahm. Die frommen Töne schwebten über dem erwachenden Rom gleich den seligen Stimmen einer anderen Welt, einer Welt der Reinheit und Entsagung, des Glaubens und der himmlischen Liebe; einer Welt, für die Christi Kreuzestod nicht vergebens gewesen.

Und es konnte geschehen, daß die von einer Liebesnacht in den Tag und in das Leben zurückkehrende Frau plötzlich wie gebannt stehen blieb, regungslos auf die weihevollen Klänge lauschte und sich von Schauern überlaufen fühlte, von einem Grauen vor dem Unbekannten und Unheilvollen wie vor einem furchtbaren Schicksal, welchem sie verfallen war.


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