Richard Voß
Brutus, auch Du!
Richard Voß

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Siebzehntes Kapitel

Zu Sor Rodolfo kam eines Tages Virgilio Minardi. Der vortreffliche Mann hatte schweren Herzens, ebenso wie seine prächtige Hausfrau, in das Verlöbnis seines Sohnes gewilligt. Heute nun kam der Sindakus zu Olevanos Ehrenbürger und sagte:

»Ihr solltet für heute abend in unserm Theatersaal eine Loge nehmen.«

»Eine Loge? In eurem Theatersaal? Verzeiht, alter Freund, aber euer Theatersaal ist ja doch eine Bude.«

»Von Subiaco herauf kommen heute die Komödianten. Es soll eine gute Gesellschaft sein. Im Winter spielt sie in Rom, und das Stück, das sie heute darstellen, sei etwas ganz Außerordentliches.«

»Wißt Ihr, wie es heißt?«

»Auf dem Marktplatz steht mit hochroten Lettern der Titel angeschrieben. Sämtliche guten Italiener werden auf einem besonderen Plakat mit gewaltigen Worten aufgefordert, das Theater heute' abend zu besuchen: es sei ein patriotisches Stück, das jeder gute Italiener sehen müsse. Nun seid Ihr zwar ein Deutscher; aber kein Italiener kann Italien mehr lieben als Ihr. So dachte ich denn gleich an Euch und kam selbst herauf, Euch die Sache mitzuteilen. Ist's Euch recht, so nimmt Amerigo die Plätze.«

»Freilich, freilich. Ich lasse Euern Sohn bitten und danke Euch, daß Ihr an mich dachtet. Ihr wißt eben, wie sehr ich im Herzen zu euch gehöre. Ist das Stück wirklich etwas so Außerordentliches, wie Ihr sagt, so wollen wir miteinander einen guten Abend haben. Gespielt wird jedenfalls vortrefflich, auch dann, wenn die Gesellschaft eine minderwertige sein sollte: könnten doch unsere größten Schauspieler von euren kleinen lernen! Man sieht auf eurer Bühne nicht Komödie spielen, sondern hat ein Erlebnis, entweder ein fürchterliches und schauerliches oder ein heiteres und übermütiges; aber stets erscheint das Dargestellte als Wirklichkeit.«

»Es mag sein, wie Ihr sagt. Mich gehen diese Dinge nichts an. Ich bleibe daher zu Hause und kümmere mich um meine Geschäfte.«

»Das tut mir leid. Vielleicht überlegt Ihr's Euch noch und kommt doch?«

»Verzeiht, wenn ich daheim bleibe. Ich bin ein Weinbauer und verstehe von solchen Sachen nichts.«

»Schade, daß in Italien das Theater so spät beginnt, sonst könnte ich Euch nachher noch aufsuchen und mit Euch ein Gläschen leeren, wie wir das in meinem Lande mit guten Freunden nach einer Vorstellung zu tun gewohnt sind ... Jetzt lacht Ihr uns trinklustige Deutsche wieder aus, weil wir nun einmal den grünen Rhein haben und am Rhein die grünen Reben und zu diesen den deutschen Durst, der freilich auch am Arno und am Tiber manchen wackern Mann zugrunde richtet, so daß ich gar nicht lache, wenn von euern guten, viel zu guten Weinen die Rede ist, von dem süßen sowohl, wie von dem herben. Unter eurer Sonne und eurem Himmel begreift man, welch ein gewaltiger Herr Gott Bacchus war und immer noch ist, den Thyrsusstab als Zepter, den Efeukranz als Krone, Deutschlands trinkgerechte Söhne als Seiner Gottheit begeisterte Vasallen.«

Dabei strahlte Deutschlands von der Sirene Italien in Banden geschlagener alter Sohn über sein ganzes gutes Gesicht ...

Sor Rodolfos leuchtende Laune wich einer leisen Verstimmung, als der Verlobte seines Töchterchens mit der Loge für den heutigen Theaterabend erschien. Dieser Schatten schlich sich seit einiger Zeit immer von neuem in die Seele des zukünftigen Schwiegervaters des feinen jungen Herrn, wurde jedoch durch das sonnige Glück seines einzigen Kindes immer wieder vertrieben. So sehr die Augen des Künstlers an der Ephebengestalt des jungen Sabiners ihr Wohlgefallen hatten, ebensosehr erfüllte das Herz des Vaters bisweilen die Sorge, wie diese beiden grundverschiedenen Naturen jemals zusammenkommen sollten? Aber Amerigo Minardi liebte des Alten Kind, beteuerte seine Liebe mit dreifach heiligem Eidschwur. Dasselbe, nämlich des Bräutigams heiße Liebe, beteuerte mit überwältigendem Wortschwall, unter heftigen Gestikulationen des Hauses Getreue, des Bundes Urheberin; dasselbe glaubte voll unerschütterlicher Zuversicht die Verlobte; glaubte also auch schließlich der Mann, der bei allem, nur an das Gute im Menschen glaubte. Allein Tante Minchen – Was war es jetzt nur mit Tante Minchen, daß sie seit einiger Zeit so geheimnisvoll tat, so rührselig und so trübselig seufzte, wohl gar ein Stöhnen unterdrückte, wenn sie das so ungleiche Brautpaar beisammen sah? Heute jedoch war es etwas anderes, was Sor Rodolfo um seine gute Laune brachte: Ärger war's, Ärger über das gedankenlose Geschwätz des Adonis. Dieser frohlockte nämlich:

»Das gibt heute abend ein Spektakel! Einen Höllenlärm gibt's heute und ein Vergnügen obendrein! Alles für die fünf Lire, welche die ganze Loge kostet. Ich komme nicht hinein, denn ich mische mich unter das Publikum, unter das Volk im Parterre. Dort wird es am tollsten zugehen, also am lustigsten sein.«

»Ist denn das Stück eine Posse?«

»Aber nein!«

»Trotzdem toll und lustig?«

»Es ist ja doch ein politisches Stück.«

»Will das Volk dabei Spektakel machen?«

»Ein Gaudium gibt's! Ich sah das Stück diesen Winter in Rom. Das hättest du erleben sollen. Du wirst es heute erleben!«

»In Olevano?«

»In Italien gibt es kein Dorf, und läge es in den apulischen Sümpfen oder auf dem höchsten Gipfel des Apennins, in dem das Publikum bei diesem Schauspiel keinen Höllenlärm machen würde.«

»Wegen des politischen Inhalts? Wenn ihr Italiener nur Politik treiben könnt! Nicht nur auf Monte Cittorio und im Senat, sondern in jedem Café, bei jedem Barbier und Apotheker, auf jedem Platz und an jeder Straßenecke ... Ich habe keine Lust, heute abend ins Theater zu gehen.«

»Unsinn, Schwiegerpapa!«

»Wovon handelt das Stück?«

»Von Italien. Von Italien natürlich! Und –«

»Und?«

»Von Österreich.«

»Von eurem Bundesgenossen?«

»Pah, Bundesgenossen!«

»Was meinst du mit deinem: Pah?«

»Ich meine damit unsre Feinde.«

»Wie kannst du wagen, eure Bundesgenossen Italiens Feinde zu nennen?«

»Ich meine es nicht so schlimm. Sei nur wieder gut!«

»Einem Deutschen gegenüber die Österreicher Italiens Feinde zu nennen?«

»Beruhige dich, Alterchen!«

Aber der Alte fuhr aufgebracht fort: »Als es im Balkankriege plötzlich hieß: Italien würde zusammen mit Österreich gegen Montenegro vorgehen, stand in vielen italienischen Zeitungen wörtlich zu lesen: dieses gemeinsame Vorgehen Italiens mit Österreich sei das größte und glücklichste Ergebnis jenes unseligen Krieges. Und du wagst, derartig von Österreich zu sprechen?«

Da rief der junge Italiener, sich vergessend:

»Niemals wäre Italien gemeinsam mit Österreich gegen Montenegro vorgegangen! Italien gemeinsam mit Österreich? Gemeinsam mit jedem andern Staate der Welt gegen Österreich!«

Die zitternde Braut, die redemächtige Dame Filomena und auch das heimlich stöhnende Tantchen mußten den alten Herrn besänftigen. Aber selbst diesem Trio ward es dieses Mal nicht leicht.

Nur ungern entschied sich Sor Rodolfo, am Abend das Theater doch zu besuchen. Die Seinen nahm er nicht mit.

Nun saß er einsam in dem erhöhten Verschlage, der eine Loge vorstellen sollte, wie die große Scheune – es war eine Art von Meßbude – einen Theatersaal. Eine bunte Schar war versammelt, zum größten Teil Männer, vor allem Olevanos gesamte Jugend. Auch Olevanos Musikbande befand sich vollständig vor dem niedrigen Podium, welches mit einem verblichenen Vorhang die Bühne vom Zuschauerraum abschloß. Noch waren auf der Leinwand die Reste eines ehemals prunkenden Gemäldes sichtbar: Roma, als Königin der Städte, als Beherrscherin der Welt, als höchste Majestät aller Reiche von unterjochten Völkerschaften in den demütigsten Stellungen umringt. Auch ein Germane befand sich darunter, ein mit Tierfellen notdürftig bekleideter Barbar mit kanibalischem Ausdruck in dem von rotem Haargewirr umzotteten wilden Gesicht. Mit Roms Kunst hatte die Schmiererei nichts zu schaffen, wohl aber mit Roms Ruhm, dessen tausendjährige stolze Tradition selbst in diesem Felsennest fortdauerte. Sor Rodolfo nahm sich vor, der Stadt, deren Ehrenbürger er war, einen neuen Theatervorhang zu stiften, darauf er den Einzug Apolls und der Musen in Olevano darstellen wollte. Sämtliche Figuren sollten Porträte und die Umgebung ein getreues Abbild der heroischen Landschaft sein. Die widerliche Karikatur des Germanen dort auf der Leinwand mußte verschwinden: sie glich geradezu einer Verhöhnung, einer Beschimpfung von Italiens Bundesgenossen ...

In dem seltsamen Tempel der heiligen Thalia ein erregtes Publikum. Zettel gab es nicht, und Sor Rodolfo hatte versäumt, eines der an vielen Stellen angeschlagenen marktschreierischen mächtigen Plakate zu lesen. Also wußte er nichts andres, als daß die Komödie ein politisches Stück wäre. Ihr Beginn wurde von den Zuschauern mit südlichheißer Ungeduld erwartet. Pochen mit Stöcken, grelle Pfiffe, gellende Rufe, wüstes Geschrei forderten den Anfang der Vorstellung. Da derselbe auf sich warten ließ, artete der Lärm in Toben aus. Die Musik versuchte zu beruhigen. Unter triumphierendem Geheul hob sich endlich der Vorhang.

Dekoration und Ausstattung gehörten einer Schmiere an, die Darsteller waren Künstler und das Stück –

Ort der Handlung das von Österreich okkupierte Oberitalien; der Held ein italienischer Feldherr; der schändliche Gegenspieler ein General des damals triumphierenden Kaiserreichs und gegenwärtigen Bundeslandes. Italiens heroischer Heerführer erschien in prunkender Uniform. Das Haus erhob sich, jauchzte dem Herrlichen zu, die Musik stimmte die Nationalhymne an. Evvivarufe und Jubel nahmen kein Ende.

Jetzt trat der Österreicher auf. Auch dieser in Uniform, die Brust mit Orden bedeckt.

Zischen, Pfeifen, Geheul! Äpfel und Orangen flogen auf die Bühne. Man schrie dem Darsteller zu: er solle vortreten, tief sich verneigen; solle sich die Orden von der Brust reißen; solle abtreten, seine Uniform ausziehen und als bescheidener Zivilist wiederkommen.

Geheul und Gejohl dauerten so lange, bis geschah, was das Publikum forderte.

Wiederum trat der italienische Generalissimus auf; wiederum Jubel, Begeisterung, der Fanatismus einer tosenden Vaterlandsliebe. Wiederum die Nationalhymne.

Es kam der Österreicher in dürftigem Anzug. Wiederum die Raserei der Feindschaft, des Hasses, des wütenden Verlangens nach Vergeltung ...

Bleich und bebend erhob sich Sor Rodolfo. Er wollte in das Geschrei hineinrufen; wollte zu der tobenden Schar reden; wollte derselben ihre Ungebühr vorhalten, versuchen, sie zur Vernunft zu bringen. Vergeblich! Empört verließ er das Haus, um den Sindakus aufzusuchen, damit dieser erscheine und einschreite, im Notfall den Saal durch Polizei räumen lasse. Spielte sich der schmachvolle Vorgang auch nur in einer weltentlegenen Felsenstadt ab, von einer fanatisch erregten törichten Jugend inszeniert, so war es dennoch eine schwere Kränkung der österreichischen Bundesgenossen, ein diesen zugefügter grober Schimpf, und das in einer Zeit, wo erst vor kurzem im Lande laut gepriesen ward, daß Italien im Verein mit Österreich in den Kampf gehen würde.

Aber vor dem Hause des Bürgermeisters blieb der Deutsche stehen, kehrte er um. Seine Empörung wich einer tiefen Traurigkeit. Mit dieser im Herzen verließ Rudolf Müller die Stadt. Unter einem strahlenden Sternenhimmel ging er auf der nach Subiaco führenden Landstraße hin.

Er gelangte zu der Serpentara, sah im Sternenschimmer den deutschen Adler, sah den stolzen deutschen Vogel verklärt von himmlischem Schein, nahm seinen Hut ab, grüßte ehrfurchtsvoll hinauf zu dem Leuchtenden, der ihm in dieser schmerzlichen Stunde mehr denn je als Symbol erschien für des deutschen Volkes Adlerflug.

Empor zu den Sternen; empor zu Glanz und Glorie; empor zur Unsterblichkeit!


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