Richard Voß
Brutus, auch Du!
Richard Voß

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Dreizehntes Kapitel

Daß er noch einmal zurückkehrte nach Hause, in die Via Margutta!

Er öffnete die Haustür ... Leise, nur leise! So heimlich mußte er in sein Heim sich einschleichen, als sei er ein Dieb. Finster lagen Flur und Treppe. Er kannte jedoch den Weg. So gut kannte er den Weg, der zu dem geliebten Weibe führte. Auch heute pochte sein Herz, als ginge er auf heimlichen Liebespfaden.

Jetzt die Treppe hinauf! Obgleich es steinerne Stufen waren, erstieg er sie so vorsichtig, als wären sie altes morsches Holz und könnten knistern unter seinem Tritt: könnten sein Kommen verraten.

Das erste Stockwerk, das zweite, dritte und – Er stand vor der Tür seiner Wohnung.

Er zog den Schlüssel aus der Tasche, steckt ihn ins Schloß. Seine Hand zitterte dabei, ein letzter Rückfall in Liebe und Schwäche – wie er sich selber zum Trost sagte.

Ein Einbrecher konnte nicht heimlicher sich einschleichen.

Alles still; aber – Seltsam! Im Gange brannte die Lampe: nach Mitternacht noch! Sollte sie ausgegangen sein? Zu einem Empfang, in eine Gesellschaft? An dem Abend seiner Abreise, seines Abschieds. Eines Abschieds ohne ein Wiedersehen! Das wäre –

Unmenschlich wäre es gewesen. Selbst für diese Frau unmenschlich. Ein geradezu verruchter Verdacht war es von ihm. Wenn er sie, in Schlaf gesunken, auf ihrem Lager liegen sah, wollte er ihr im Herzen seinen schändlichen Verdacht abbitten im Anblick ihrer schlummernden Schönheit.

Gott! Herrgott! Du Richter im Himmel und auf Erden! Die Tür des Salons stand weit offen. Bei dem ungewissen Schein der Flurlampe erkannte Heinrich auf dem Tisch die Reste eines Gelages, Gläser, Sektflaschen, Blumen.

In demselben Augenblick hörte er aus dem Nebenzimmer eine Männerstimme und Frauenlachen. Sein Name wurde genannt: sein Name mit lautem Lachen –

Er stürzte nicht hinein; tötete sie nicht; tötete nicht den Schurken, den er an der Stimme erkannte; tötete nicht das schändliche Weib, das gleich in der ersten Nacht seines ewigen Abschieds in den Armen eines Liebhabers lag, beide laut lachend seinen Namen nennend.

Ein Stöhnen erstickend, schlich er zurück, schloß leise, leise die Tür, schlich die Treppe hinunter, wollte zum Hause hinaus, zauderte, blieb stehen, wandte sich, ging über den dunkeln Hof zu seinem Atelier, schob den Eisenriegel zurück, trat ein.

Nun stand er in der Mitte des großen Raumes, der seine Werkstatt gewesen war. Hier hatte er geträumt und fabuliert; hier hatte er in sich wundersame Gebilde entstehen sehen; hier hatte er visionär Geschautes gestaltet: erschaffen! Ohne sich zu regen, stand er lange Zeit.

Immer deutlicher traten bei dem Schimmer der Sterne, der durch die offene Tür und das große Fenster leuchtete, die beiden blassen Gebilde hervor: Mann und Weib. Das Weib in der Haltung einer Siegerin, Herrscherin, Göttin; der Mann vor dem Weibe niedergeworfen in einer Andacht, die Anbetung war.

»Deutschland huldigt Italien!« ... Nicht doch! »Deutschland huldigt der Treue

Aber – die Treue in Gestalt eines Weibes; Deutschland verkörpert durch ihn. Und er hingestreckt vor der Allegorie der Treue, und diese Verklärung der Treue in Gestalt seines Weibes –

Sein Meisterwerk, sein Lebenswerk ... Seine Liebe zu Italien sollte dies Werk verklären, zugleich seine Liebe zu seinem Weibe. Und nun?

Schwankenden Schrittes ging er zu der Gruppe. Als er davorstand, brach er plötzlich zusammen mit einem Laut, wie ein zu Tod verwundetes Tier.

Hingestreckt lag er am Boden. Gleich dem Jüngling, der seine eigenen Züge trug, lag er vor der strahlenden Gestalt der Hehren und Herrlichen.


Der Sommermorgen graute, als Heinrich sich erhob. Er mußte fort: nach Deutschland, in den Krieg!

Er stand da, aufrecht und stark. Erhobenen Hauptes und Geistes ging er, ergriff den Hammer, der neben dem Meißel lag. Als wollte er an die Arbeit gehen, schritt zu seiner Gruppe und begann die Gestalt der »Italia« – die Gestalt der »Treue« – zu zerschlagen, zu zerschmettern.

Glied um Glied sank die Siegerin, Herrscherin, Göttin unter seinen Hammerschlägen hin.

Es war grausamer, war zehnfach gräßlicher, als verübte der Gatte an seinem Weibe einen Mord. Aber er fühlte sich nicht als Totschläger, sondern als Richter und Rächer.


Wie Heinrich Weber mit eigener Hand das Werk zerschlug, welches sein Lebenswerk sein sollte – ebenso, nur nicht als Richter und Rächer, sondern als Verräter und Verbrecher, hatte Italien mit Hammerschlägen die Treue zerschmettert, an die Deutschland geglaubt: jenes Deutschland, welches das treulose Italien geliebt und es das geheiligte Land seiner Sehnsucht genannt ...

Nachdem er sein Rächer- und Richteramt vollbracht, schritt Heinrich hocherhobenen Hauptes hinaus, hinein in den aufleuchtenden Tag, der ihn seinem Vaterlande zuführte.


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