Richard Voß
Brutus, auch Du!
Richard Voß

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Viertes Kapitel

Er war wieder da, war in Rom: er, Orazio Petroni, der Totschläger, der Mörder. Monate hatte er in den Wildnissen der Felsenberge seiner Heimat zugebracht, nicht anders als das Tier, welches jene undurchdringlichen Buschwälder bewohnte. Bei diesem Leben hatte er seine leidenschaftliche Seele vollgesogen von Haß wider die Fremden, die sein Vaterland überschwemmten, ohne darin etwas zu tun zu haben. Sie kamen scharenweise, um – Ja, weshalb? Weil sie vorgaben, Italien zu lieben; weil sie Italien das Land ihrer Sehnsucht nannten; weil Italien für sie das Land der Sonne und Schönheit war. Sie sollten doch in ihrem Eislande bleiben! Darin erfrieren! Wozu bedurfte dieses Barbarenvolk Sonne und Schönheit!

Kamen sie wirklich um keiner andern Ursache willen? Bereits vor Jahrhunderten hatten sie zur Genüge bewiesen, aus welchem Grunde sie von jenseits der Alpen nach Italien kamen. Auch damals schon aus »Sehnsucht«! Aus Sehnsucht, Italien zu erobern, zu vergewaltigen, zu zerstören. Sie kamen, um aus Italien ein Germanien zu machen. So war es vor Jahrhunderten gewesen, so war es jetzt. Nur, daß sie jetzt nicht mit Armeen und gezogenen Schwertern kamen – noch nicht! – , sondern mit Weib und Kind, Reisebüchern und vollen Geldbeuteln. Überall waren sie, auf den höchsten Gipfeln des Apennins, in den elendesten Ortschaften des flachen Landes, auf allen Inseln, an allen Meeresküsten und Seen, selbst in den Buschwäldern und Sümpfen. Daß sie das Fieber bekämen und daran starben! Überall machten sie sich breit: lärmend, zudringlich und unerträglich. Von allen Nationen von jenseits der Berge immer und immer die Deutschen, diese Plumpen, Groben, Gemeinen. Ein widerwärtiges Volk! überall hatten sie ihre Bierhäuser und hielten sie ihre Trinkgelage ab; überall taten sie, als ob sie zu Hause wären und Italien ihnen gehörte. Italien würde sie lehren, von »ihrem« Italien zu faseln. Es harrte nur des Tages. Daß dieser Tag bald käme!

Bis dieser Tag anbrach, so lange mußten die Italiener sich verstellen, mußten sie heucheln und lügen: sie mußten! Es ging nicht anders: die Germanen waren ein zu mächtiges Volk. Durch ihren Bismarck waren sie so mächtig geworden. Ja, der! Das war einer! Ein Gigant, ein Heros, wie es ihr Giuseppe Garibaldi gewesen. Aber auch Garibaldi war wider die Deutschen in den Krieg gezogen; auch er hatte sie gehaßt und sie für Italiens schlimmste Feinde gehalten.

Und nun wartete ganz Italien auf den bewußten Tag. An jenem Tage würde es heißen: »Treubruch, Verrat, Meineid!« Was kümmerte das, Italien? Orazio Petroni hatte es dem Deutschen, dessen Herz sein Dolchstoß leider nicht getroffen hatte, damals im Hause seines Oheims ins Gesicht geschleudert: für sein Vaterland könnte der Italiener noch ganz anderes vollbringen, als Eide zu brechen; für sein Vaterland begangen, würde selbst Meuchelmord etwas Geheiligtes sein. Das erhabene Wort, daß der Zweck das Mittel heilige, war ein echt italienisches Wort, so recht aus dem Herzen des Volkes heraus. Alle hörten die Botschaft, und alle glaubten an sie.

Unter der Asche, mit der Italien seine Gegenwart bedeckt hatte, glimmte und glühte seine Zukunft. Der Tag brauchte nur anzubrechen, und es stürmte hervor, loderte empor: die Flamme, die verzehrende Glut. Bis das geschah, mußte die heilige Lüge aufrecht erhalten bleiben. Doch dann! Dann würde Italien die Maske abwerfen, ganz Italien; dann würde es den Feinden sein wahres Gesicht zeigen. Das Antlitz der Gorgo würde es sein.

Gewisse Staaten, wußten, daß Italien auf dieses Morgenrot, dem ein glanzvoller Tag folgen würde, seit langem wartete; aber nur Italien selbst wußte, mit welcher verzehrenden Sehnsucht es geschah. Deutschlands Sehnsucht nach Italiens Himmel und Sonne war ein blasser Schatten im Vergleich zu Italiens gewaltigem Sehnen, dem »Bundesgenossen« sein wahres Antlitz zu zeigen. Auch, daß es so lange heucheln und lügen mußte, würde es an dem Verhaßten zu rächen haben. Es nannte diesen Verhaßten Österreich; aber ebenso galt Deutschland ihm als verhaßtes Land. Vielmehr: Deutschland, dem siegreichen, gewaltigen, barbarischen, vorzüglich galt Italiens Haß. Und – Der Tag sollte nur anbrechen...

Orazio Petroni befand sich also wieder in Rom. Er hätte sein Leben lang in Höhlen hausen, Heuschrecken und wilden Honig essen können; doch das Vaterland bedurfte seiner. So jung er war, und obgleich nur eines Bergbauern Sohn, bedurfte seiner Italien, für dessen Ruhm und Größe er sein Leben am Marterpfahl hingegeben hätte. Wie leicht war es, für eine große Sache zu sterben. Und gar, wenn es für das Vaterland war! Christus starb am Kreuz für die ganze Menschheit: für deren Sünden und Schuld. Christi Kreuzestod mußte eitel Wonne gewesen sein. Der Schmerzensruf des leidenden Menschensohns war dem jungen Sabiner immer unverständlich gewesen und das schon, da er noch ein Kind war mit Kinderspielen im Herzen.

So unbedeutend und belanglos er war, ein Nichts in dem gewaltigen Allgemeinen, war er doch schon das Haupt einer Vereinigung, die dachte und fühlte wie er, der Anführer einer weitverzweigten Genossenschaft, einer geheimen natürlich. Sie bestand zum größten Teil aus Roms studierender Jugend, konnte daher in ihrer Gesamtheit immerhin eine gewisse Bedeutung beanspruchen. Von jedem der Mitglieder hatte Orazio einen Eid gefordert, für das Vaterland zu sterben, sobald der Tag gekommen sein würde, und jeder hatte den Eid geleistet. Eines Nachts war diese akademische Jugend Roms auf das Kapitol gezogen, wo nicht nur das Standbild des großen Imperators stand, sondern auch am Fuße des heiligen Hügels die Statue Cola Rienzis: ein Erzeugnis moderner römischer Kunst, das Denkmal des letzten Volkstribunen an der nämlichen Stätte, wo die Römer die Amme ihres mythologischen Gründers, eine sabinische Wölfin, gefangenhielten. Auf der Kapitoltreppe hatten die schwärmenden Knaben sich aufgestellt, Kopf an Kopf gedrängt, und hatten zu dem Erzbilde die Schwurhand erhoben; hatten so lange patriotische Reden gehalten, bis die Polizei sie vertrieben. Zur unaussprechlichen Wut Orazios hatten sie sich, obgleich er, der einzelne, sich den Polizisten entgegengestellt, sofort vertreiben lassen. Trotzdem war es, so meinten die andern, herrlich gewesen: für Rom und Italien eine große Stunde.

Die meisten dieser wilden Patrioten waren arm wie Kirchenmäuse. Hunger war ihr Genosse, Entbehrung ihre Gefährtin. Aber sie studierten, bildeten Italiens wissenschaftliche Jugend und zugleich hoffnungsvolle Zukunft. Italiens Feuerbrand war diese hoffnungsvolle Jugend. Viele von ihnen, Orazio an der Spitze, würden sich als römische Fackeln selbst angezündet haben, hätten sie dadurch einen Weltbrand entfacht, um Italiens großen Siegestag zu beleuchten: den Tag schmachvollen Untergangs der Monarchie, des Sonnenaufgangs der – Republik...

Obgleich Orazio das Auge des Gesetzes nicht mehr scheute, hauste er noch immer höhlenartig genug, fühlte er sich noch immer verfolgt. In der ersten Zeit nach seiner Rückkehr nächtigte er häufig unter dem Portal irgend einer Kirche oder eines Palastes, unter den Wölbungen einer antiken Ruine des flavischen Amphitheaters oder Neros goldenem Hause auf dem Esquilin. Bisweilen fand er auch Unterkunft bei einem Gesinnungsgenossen, der selber nicht viel besser lebte und froh war, mit dem Gefährten eine Brotrinde zu teilen. Aber was tat diesen sonderbaren Schwärmern Hunger und Not? Es war beglückend, war beseligend, für sein Vaterland hungern zu dürfen.


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