Richard Voß
Brutus, auch Du!
Richard Voß

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Fünfzehntes Kapitel

Weber hatte sein Werk vollendet. Sein »Lebenswerk« sollte es sein, ein Meisterwerk war es geworden. Noch hatten es keine fremden Augen erblickt, und der Künstler rang mit dem Entschluß, daß dies endlich geschehen müsse, wie mit einem Feinde.

Die als »Italia« in hüllenloser Herrlichkeit dastehende Gestalt war sein Weib. So vollkommen war dieser Körper aus der Hand eines höheren Schöpfers hervorgegangen, daß er nur hatte nachzuschaffen brauchen, was er vor sich sah.

Niemand durfte ihm bei seinem Werk helfen, und er bildete seines Weibes triumphierende Schönheit in dem verklärenden Marmor, als wäre er ihr zweiter Schöpfer und sie sein eigenstes Geschöpf. Nicht ein Äderchen ließ er sich entgehen. Bei dieser Italia genügte nicht, daß der Künstler eine geniale Kraft war; er mußte zugleich ein leidenschaftlich Liebender sein, um gestalten zu können, was in diesem Frauenbilde Ereignis geworden.

In unnahbarer Hoheit erhob sich die allegorische Figur Italiens. Sie war ungekrönt, bedurfte nicht erst der Krone, um sich als Herrscherin zu erweisen. Kein Symbol charakterisierte sie. Auch ohne die in den Sockel tief eingegrabene Inschrift zu lesen, wußte der Beschauer sogleich: vor ihm stand in Weibesgestalt eine Erhabenheit, welcher der davor niedergeworfene Jüngling vom Typus des germanischen Barbaren mit Leib und Seele verfallen war.

»Germania huldigt Italien« –

Aber der Niedergeworfene beschämte nicht das starke und stolze Germanien; denn die Demut, die in der Anbetung lag, war Deutschlands heilige Liebe zu dem schönen Lande, und Liebe kennt keine Demut, die erniedrigen kann.

Lavinias Gestalt war es, nicht ihr Antlitz. Aber das Wunder ihrer Gestalt den Augen der Welt preiszugeben, war ein Preisgeben geheiligter Geheimnisse der geliebten Frau. Daran hatte der Künstler in seiner Ekstase nicht gedacht, dessen wurde er sich erst bewußt, als sein Werk vollendet vor ihm stand. Daher der Kampf, das Zaudern, das Immer-wieder-hinausschieben, sein Wert der Öffentlichkeit zu übergeben. Endlich mußte es geschehen.

Sich selbst als Vertreter seines nordischen Vaterlands Italien zu Füßen werfend, hatte er dem Germanen seine eigenen Züge gegeben: Gestalt und Antlitz eines Mannes, welches von dem Volk, das der Welt die Wiedergeburt der Antike geschenkt, als »barbarisch« bezeichnet wurde. Dieses Barbarenvolk stand in seiner äußeren Erscheinung in grellem Gegensatz zu dem Volk Italiens, dessen Wohlgestalt noch heutigen Tages häufig etwas geradezu Hellenisches hat. Mochten die Römer beim Anblick seiner Gruppe spotten: »Seht den Barbaren!« Mochten sie, auf die Italia deutend, begeistert ausrufen: »Seht, Italien triumphiert über Germanien! Seht, wir warfen das Volk der Barbaren in den Staub! Seht unsern glorreichen Sieg! Seht Deutschlands schmähliche Niederlage!« Darauf war er gefaßt, das konnte weder das Werk herabsetzen, noch den Künstler beleidigen ...

Der erste, den Heinrich zu seiner Gruppe führen wollte, war sein ehrwürdiger Freund. Während der ganzen langen Zeit hatte der Professor an seines Lieblings Werk mehr gedacht als an seine eigenen Arbeiten, welche die eines Alten und Altmodischen waren, auf die es nicht ankam, die für die Kunst der Moderne wertlos geworden. Mit wachsender Angst hatte er beobachtet, wie die Leiden seines jungen Freundes beständig zunahmen, die Leiden des Körpers sowohl wie die der Seele. Beides erschien dem Getreuen hoffnungslos. Aber er durfte es sich nicht merken lassen, mußte heitere Zuversicht zeigen. Jetzt sollte er als erster das vollendete Werk sehen. Er bat:

»Lasse mich in deiner Werkstatt allein, eine ganze Stunde lang. Dann erst komme wieder.«

Eine ganze Stunde lang stand der Alte vor dem Werk des Jungen. Tränen rannen über seine Wangen. Es waren Tränen der Freude, des Glücks, der Dankbarkeit. Nein! Die alte große Kunst war auch bei dem jungen Geschlecht nicht tot. Sie lag nur in Schlummer versunken. Wie sie in diesem Werke erwacht war, so würde sie auch in andern jungen Künstlerseelen sich regen. Sie würde erwachen, auferstehen, sich erheben zu einer neuen Sonne, zu einem neuen strahlenden Tag. Nein! Es gab nicht eine alte und eine neue Kunst; gab nur eine, eine einzige, ewige! Möge der Genius dieser alleinigen Kunst ihm verzeihen, daß er jemals daran gezweifelt, ihren unsterblichen Geist wohl gar geleugnet hatte.

»Germania huldigt Italien.«

Rudolf Müller sprach die Worte in tiefer Ergriffenheit leise vor sich hin. Die beiden Gestalten waren in Wahrheit ein Denkmal von Deutschlands Liebe zu Italien. Sie würde zeugen von der Liebe seines Vaterlands zu dem Lande deutscher Sehnsucht. So wenig wie dieses Meisterwerk jemals vergehen konnte, so wenig würde Deutschlands Liebe zu Italien jemals vergehen. Beides umwehte der Hauch der Unsterblichkeit.

Heinrich trat ein. Sein Freund sprach nicht. Kein Wort sagte er. An dem tiefen Schweigen des Alten erkannte der Junge, daß sein Werk gut sei ...

Im Ausstellungspalast der Via Nazionale ward Heinrichs Gruppe aufgestellt, und zwar in einem besonderen Raum, einem Rundgemach, das sein Licht durch eine kuppelähnliche Wölbung empfing, von weißer Seide überspannt. Es stand auf einem dunkelvioletten Teppich, dessen Weichheit den Schritt lautlos machte. Unbekannte Verehrer der »Italia« – nicht des Kunstwerks! – legten täglich frische dunkelrote Rosen davor nieder.

Die Gruppe erregte Aufsehen, sie erhielt die goldene Medaille. Es regnete Besprechungen. Von dem Werk selbst wurde jedoch weniger geredet als von dessen allegorischer Bedeutung: die Eitelkeit der Römer fühlte sich befriedigt; wenigstens für den Augenblick.

»Germania huldigt Italien.«

Der Staat des verabscheuten Militarismus, das Volk der verachteten Barbaren, die Nation bar jeder Grazie – dieses rohe Volk, diese brutale Nation, niedergeworfen vor der majestätischen Herrlichkeit italischen Wesens und italischer Kultur: so war es das Wahre; so sollte es werden; so mußte es bleiben!

Eine Auffassung war's, deren Möglichkeit der Künstler sich nicht hatte träumen lassen, die ihn verletzte, empörte. Er wollte sein Werk zurückziehen. Doch hatte er es nun einmal der Öffentlichkeit übergeben und es mußte daher bis zum Schluß der Ausstellung an seinem Platz verbleiben.

Der italienische Staat wollte die Gruppe des Deutschen ankaufen: sollte sie doch für kommende Geschlechter ein Zeugnis abgeben, wie sich Deutschland Italien unterwarf. Denn als Unterwerfung wurde die Huldigung Deutschlands gedeutet. Ganz Italien jubelte:

»Deutschland unterwirft sich Italien, und – Vae victis!»

Aber Heinrich Weber verkaufte sein Meisterwerk, welches sein Lebenswerk sein sollte, nicht dem italienischen Staat.


Im gleichen Maße, wie sein Werk von den Römern lärmend besprochen ward, besprachen sie halblaut und leise sein Weib: im gleichen Maße wie des Werkes Ruhm zunahm, wuchs der Ruhm der Schönheit des Urbilds der Italia. Die Blicke der Lüstlinge weideten sich an der Marmorgestalt, und die frechen Wüstlingsaugen entkleideten Heinrich Webers Frau, um die sie sich mehr als je scharten. Als der Gatte dessen inne ward, bedeckte sich sein ohnehin blasses Gesicht mit Totenfarbe. Noch schwieg er. Schweigend nahm er sein Weib und führte es in dessen Heimat. Hatte er doch damals sich selbst gelobt: alle jene, die sie verachtet hatten, weil sie seine Geliebte gewesen sein sollte, würden ihr als seiner Frau Achtung erweisen müssen.

Das sollte jetzt geschehen. Auch er würde sein schweigend abgelegtes Gelöbnis erfüllen!


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