Richard Voß
Brutus, auch Du!
Richard Voß

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Siebentes Kapitel

Heinrich machte keine Besuche. Er war ein Arbeiter und hatte für dergleichen keine Zeit. Statt seiner begab sich seine Frau zu jenen Empfängen, auf denen sie eine Anziehungskraft geworden war, eine »Attraktion«. Man ging in diese Salons, um Frau Heinrich Weber zu treffen, die aus der wilden Sabina stammte und Modell gewesen war, und zwar in der Villa Medici! Allerdings nur Kopfmodell, wie die Herren Franzosen häufig genug geklagt hatten. In der römischen Gesellschaft wurde von ihr nachgerade wie von einer Sehenswürdigkeit gesprochen und die Fremden auf sie aufmerksam gemacht. Ihr Gatte litt schwer darunter, entschloß sich nur mit starker Überwindung, die Vielbegehrte bisweilen zu begleiten. Ihren Triumph fast mit Beschämung empfindend, mußte er die Sicherheit bewundern, mit welcher seine Gattin in einer Toilette von etwas allzu lebhaften Farben einen Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses bildete. Erstaunlich schnell hatte sie der wirklichen Dame die Haltung abgelernt. Gewöhnlich saß sie zurückgelehnt in einem Lehnsessel, den einen Arm leicht aufgestützt und lässig den Fächer haltend. Ohne sich zu regen, verharrte sie in dieser Stellung. Sie sprach wenig und verstand, sich den Anschein zu geben, aufmerksam zuzuhören, mit jenem Ausdruck, der an die Frauen Anselm Feuerbachs erinnerte, was ihrer Erscheinung immer von neuem etwas Großartiges gab. Niemals nahm sie eine Erfrischung; allein wie sie ein Tablett abwies, war etwas Eigentümliches an Bewegung und Grandezza. Heinrich durfte auf seine Gattin stolz sein; trotzdem litt er auf diesen abendlichen Empfängen. Jedesmal wurde er mit Komplimenten überhäuft, mußte jedesmal hören: »Ist es wirklich wahr, daß man Sie hat ermorden wollen? Aus rasender Eifersucht natürlich! Und Ihre Frau Gemahlin selbst rettete Ihnen das Leben? Aus leidenschaftlicher Liebe natürlich! Es ist ja ein ganzer Roman! Ein Roman, der nur in Italien spielen kann. Bitte, erzählen Sie!«

Der Ärmste sollte erzählen, blieb stumm, wurde hochmütig und langweilig befunden, ein echter Deutscher!

Eines späten Abends, an dem er Lavinia ohne seine Begleitung hatte ausfahren lassen, führte ihn ein notwendiger Gang in das moderne Viertel jenseits des Tibers, welches er wie etwas Häßliches peinlich mied. Er kam an einem Villino vorüber, das auf einem noch öden Baugrunde stand, sah im Erdgeschoß Licht und erinnerte sich, hier müßte der feine Herr Landsmann seiner Frau Gemahlin wohnen. Plötzlich stand die Gestalt der Tochter seines alten Freundes vor seinem inneren Gesicht, und ihre gewiß nicht hübschen, aber angenehmen Züge zeigten solchen traurigen Ausdruck, daß er beschloß, sie zu besuchen. Der eitle Laffe war sicher nicht zu Hause und seine Frau ganz allein. Wie konnte sie nur den hohlen Fant zum Manne nehmen? Freilich war er ein verteufelt hübscher Bursche, und ein solcher besaß für die Frauen etwas Unwiderstehliches. Und Heinrich dachte weiter: ›Sie wird sich freuen, dich zu sehen, das gute Geschöpf; denn gut ist sie!‹

Ob sie sich freute! Sie war so sehr allein. Beständig war sie allein; denn ihr junger Gatte war beständig außer dem Hause. Sie hätte ihren Vater und Tante Minchen öfters aufsuchen können. Doch dann hätten diese Guten gewußt, daß sie eben sehr viel allein sei, und das mußte den beiden verborgen bleiben. Deshalb mußte sie täuschen, heucheln; mußte sie lügen, eine Sache, die ihrer Natur derartig entgegen war, daß sie darunter körperlich litt. Aber sie log ihrem Manne zuliebe; denn sie liebte ihn. Sie hatte bis dahin nicht gewußt, daß man so lieben könnte. Sie hatte freilich auch nicht gewußt, daß die Frau um ihrer Liebe willen so leiden konnte. Jetzt wußte sie beides.

Wie herzlich also die Einsame über den Besuch des jungen Freundes sich freute und wie traulich es dieser in den hübschen, hellen Zimmern fand. Wäre es in seinem Heim doch auch so behaglich, nur einigermaßen diesem ähnlich! Es war alles so heimatlich deutsch, alles so heimlich. Solange er das Leben eines unverheirateten Künstlers führte, hatte er solche Behaglichkeit, wie die Gattin des Sabiners um sich zu verbreiten verstand, nicht vermißt. Er empfand die wilde Wirtschaft, gleich den meisten jungen Künstlern, geradezu als Poesie, als Rom-Romantik, die nicht romantisch, nicht römisch genug sein konnte. Aber jetzt, seitdem er eine Frau hatte. –

Seine Frau!

Wenn er sich die triumphierende Schönheit seiner Frau vorstellte und sie im Geist mit dem guten Geschöpf verglich, dem er in dem hellen, hübschen Zimmer so behaglich gegenübersaß. – Zu vergleichen waren die beiden nicht; nicht in einem Atem zu nennen! Zu seiner Frau gehörte nun einmal der in allen Farben prangende Salon mit den beiden Mohrenknaben. Es gehörten zu ihr die übertriebenen Toiletten, Lohnkutscher und Lohndiener, die Fahrten in die Villa Borghese und auf den Pincio. Es gehörte zu Frau Lavinia Weber die Opernloge und – Weshalb überlief es ihn bei dieser Vorstellung heiß und kalt? Diese Vorstellung hatte mit seiner Frau nichts zu tun: nicht die Vorstellung eines Hausfreunds. Hehr und herrlich, wie Rom war, so war es doch eine Welt sittlicher Verderbnis, davon sein Haus und seine Welt rein bleiben mußten: nicht nur die Welt des Künstlers, sondern auch die des Menschen, des Gatten...

Als alte gute Freunde plauderten die beiden zusammen. Heinrich erhielt Tee, von der Hausfrau in blinkendem, dampfendem Kessel selbst bereitet und mit deutschem Gebäck gereicht. Sie sprachen von Sor Rodolfo und Tante Minchen; sprachen von allem möglichen, nur nicht von dem einen, was beiden am Herzen lag, auf dem Herzen ihnen brannte: keiner erwähnte des Gatten und der Gattin; keiner hätte dem andern gegenüber den Namen über die Lippen gebracht.

Nach Heinrichs neuester Komposition erkundigte sich Frau Romana. Mit welcher Teilnahme, zugleich mit welchem Zartgefühl, welchem Verständnis für die große Bedeutung gerade dieses Werks. Und es geschah das Seltsame, daß Heinrich zu dem guten, aber doch herzlich unbedeutenden Geschöpf von seinem Werk zu sprechen begann; zuerst zögernd, dann immer lebhafter und lebhafter; zuletzt leidenschaftlich, von seinem Gegenstand hingerissen. Wie hörte die gute Freundin ihm aber auch zu! Sie war freilich eines Künstlers Kind.

Dagegen Lavinia –

Sie war die erste Ursache seines Werks, also in gewissem Sinne dessen Urheberin. Aber wie gleichgültig war ihr das Große, das ihr sein Dasein verdankte. Denn groß war sein Werk! Sie verkörperte die allegorische Gestalt Italiens und zeigte dafür eine Teilnahmlosigkeit, als ginge es sie nichts an. Oft genug empfand er darüber eine Erregung, die ihn packte wie ein körperlicher Schmerz. Seiner Natur nach sprach er zu keinem Menschen von seiner Arbeit und nun machte ihn heute die unscheinbare Frau, die ihm stillbescheiden gegenübersaß, die seinen schönheitsdurstigen Künstleraugen nichts, aber auch nicht das mindest Anregende bot, zum Sprechen. Er schilderte ihr sein Werk, wie nur der Künstler, der Schöpfer selbst, schildern konnte. Ihr bläßliches Gesicht rötete sich, ihre nicht sehr ausdrucksvollen Züge belebten sich. In ihren Augen lag ein Glanz, der sie verschönte.

Voll zartestem Mitgefühl erkundigte sie sich nach seinem Befinden, seiner Gesundheit. Aber nicht etwa, daß sie ihm irgendwelche Sorge verraten hätte.

»Meine Gesundheit? Wer kümmert sich darum?«

»Sie selbst gewiß nicht, um so mehr Ihre Frau.«

»Meine Frau sollte sich um meine Gesundheit kümmern?« Nun hatte er den Namen doch ausgesprochen, und das in welchem Ton! Sein Ton schmerzte die Frau Romana. Ihr war, als sähe sie plötzlich an dem Freund eine Wunde, die sie durch die Nennung des Namens bloßgelegt hatte und an die sie nicht hätte rühren dürfen. Schnell fügte sie hinzu:

»Sie wissen, wie viele gute Freunde Sie haben. Diese alle kümmern sich um Ihre Gesundheit; denn Sie arbeiten zu viel und zu angestrengt. Sie überarbeiten sich.«

»Ich habe keine Zeit, müßig zu sein; habe im Leben überhaupt nicht mehr viel Zeit.«

»Wie können Sie das sagen? Bei Ihrer Jugend!«

»Wen die Götter lieben, lassen sie jung sterben.«

»Wen die Götter lieben, lassen sie ein unsterbliches Werk schaffen. Die Götter lieben Sie; denn was Sie jetzt schaffen, wird ewiges Dasein haben.«

Wie Rudolf Müllers unschöne Tochter diese Worte sagte! Wenn solche Worte seine Frau zu ihm gesprochen hätte! Aber seine Frau solche Worte zu ihm sprechen! Seine glühendste Einbildungskraft ließ ihn bei dieser Vorstellung im Stich ...

Heinrich verbrachte bei der Tochter seines alten Freundes einen Abend, wie er solchen seit langem nicht gehabt hatte. In seltsam beruhigter Stimmung verließ er das Haus, das in einem Teile Roms gelegen, der auch für ihn, den Modernen und Jungen, Rom nicht war, sondern irgend eine fremde Stadt, etwa in Amerika drüben. Gleich einer Vision sah er unter dem Firmament die gewaltigen Umrisse der Engelsburg und des Vatikans, schwebte die Peterskuppel zwischen Himmel und Erde. Was hatten diese ewigen Stätten mit der Anhäufung häßlichen Mauerwerks zu schaffen, die ein geldgieriges Gründertum auf diesen welthistorischen Stätten aus dem Boden stampfte? Daß Roms Erde sich nicht empörte, ein derartiges Neu-Rom tragen zu müssen; der Tiber seine Wogen nicht anschwellen und aufsteigen ließ, um, die steinernen Bollwerke zerreißend und überflutend, dieses abscheuliche Rom zu vernichten! Auf dem Wege nach seiner Wohnung kam er an dem Lokal vorüber, wo er als Junggeselle viele Abende und manche halbe Nacht zuzubringen pflegte. Das Zimmer war in dem fremden Lande nach echt deutscher Art eingerichtet: spießig deutsch, mit rot und blau gewürfelten Tischdecken, mit schreiend bunten Reklamen von Wein- und Bierhäusern an den Wänden und einem Speisezettel mit den Leibgerichten der nordischen Heimat, darunter Wiener und Frankfurter Würste mit Sauerkraut als Höchstes aller irdischen Genüsse prangte. Obgleich Heinrich nach seiner Heirat abends häufig allein zu Hause blieb, suchte er die heimeligen Räume und die vertraute Genossenschaft seiner Landsleute nicht auf: das Verhältnis zu seinen guten Bekannten – Freund war ihm nur Rudolf Müller – war seit seiner Heirat mit der schönen Sabinerin ein anderes, weniger freundliches geworden. Gewiß lag die Schuld an ihm. Eigentlich war die Lockerung der alten Beziehungen durchaus natürlich; denn was hatte ein junger Ehemann – überdies der Gatte eines wahren Wunders von Schönheit! – in Bierlokalen zusammen mit sonst recht netten Landsleuten zu schaffen, obgleich diese samt und sonders eingefleischte Romfanatiker waren: Schriftsteller, Künstler, Archäologen, Historiker. Heinrich hatte diesen Vortrefflichen seit einiger Zeit wenig zu sagen. Und dann – Seit einiger Zeit betrachteten sie ihn mit ganz sonderbaren Blicken, wenigstens schien es dem Mißtrauischen so, behandelten ihn eigentümlich weich und schonend wie einen Schwerkranken oder als sei ihm ein Unglück zugestoßen. Ein derartiges Wesen vertrug er nicht. Auch der Ton, in dem sie zu ihm von seiner Frau sprachen, mißfiel ihm nicht nur, sondern erregte ihn. Er fühlte es jedesmal heiß in sich aufsteigen. Aus allen diesen Ursachen vermied er den Besuch jener gemütlichen Kneipe. Also schlich er auch heute an den hellerleuchteten Fenstern vorüber. Überdies hatte er die mit Frau Minardi verbrachten Stunden noch zu sehr im Herzen; aber unwillkürlich hörte er auf die lustigen Stimmen und das Lachen, welches aus dem Hause in die stille Gasse hinausdrang, und es überkam ihn dabei das Gefühl, als ob seine eigene Stimme nie mehr einen so übermütigen jungen Ton haben, er nie mehr so leichtsinnig jung würde lachen können ...

In seiner Wohnung angelangt, fand er seine Frau noch nicht zurück. Wie öde und unbehaglich sein Heim war: sein »Heim«! Die toskanische Dienerin, die ihn verschlafen und verdrießlich empfing, erschien ihm schlampiger als je; der Salon, den er, um in sein eigenes Zimmer zu kommen, durchschreiten mußte, geschmackloser und aufgeputzter als je. In seiner ganzen Behausung fand er keine Spur weiblichen Waltens und fraulicher Sorgfalt oder gar Anmut. Er schickte die Magd zu Bett, setzte sich an das offene Fenster – es führte auf die Straße hinaus – und erwartete seine Frau. Er stellte sie sich vor in ihrer ganzen Herrlichkeit, die nur er kannte, und bei der bloßen Vorstellung erstrahlte die Öde um ihn her in dem Glanz ihrer Schönheit. Wie konnte er der Allmacht des geliebten Weibes gegenüber von mangelnder Anmut oder gar von dem Fehlen philiströsen germanischen Behagens reden? Neben der strahlenden Schönheit seiner Frau verblaßte das Bildnis der Gattin des schönen Italieners. Die Arme! Sie liebte den eitlen Fant; liebte ihn, wie vielleicht – so deuchte es ihn – nur die deutsche Frau einen Mann lieben kann. Freilich mochte bei dieser Liebe der deutschen Frau zu einem Mann zuviel Empfindung sein, zugleich aber auch etwas, wodurch die Liebe der deutschen Frau eine Weihe, eine Glorie erhielt.

Natürlich war der hübsche Tagedieb seiner unschönen Gattin längst untreu geworden. Das gehörte nun einmal zu solchem Exemplar römischer Jugend, genau so wie seine falsche Eleganz. Untreu wohl mit welcher Frau!? Es konnte die Frau seines besten Freundes sein, und dieser beste Freund konnte es wissen, es dulden. Ehemann und Hausfreund teilten sich friedlich in das Weib, welches nur den einen liebte, der – nicht der Gatte war. Wenn er ein solcher Gatte wäre –

Welche Vorstellung! Das war heller Wahnsinn! Dieser Heinrich Weber, der solche Gedanken zu denken vermochte – sie durchzuckten sein fieberndes Hirn wie ein Blitz – sollte sich selbst in ein Tollhaus schicken.

Ein Wagen! Endlich! Mitternacht war längst vorüber. Das war für römische Geselligkeit freilich nicht spät; aber die Einsamkeit in seinem Hause und in seiner Seele hatten ihn zu tollen Einbildungen gebracht.

Er sprang auf, ergriff die Lampe, eilte die Treppe hinunter, um der endlich Heimgekehrten selbst zu öffnen und sie gleich in seine Arme zu reißen.

Gerade zur rechten Zeit kam er unten an und öffnete das schwerfällige Tor, als der Wagen hielt. Der Lohndiener sprang vom Bock und – Herr Amerigo Minardi war so freundschaftlich gewesen, seiner schönen Landsmännin das Geleit nach ihrem Hause zu geben.


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