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Vierunddreißigstes Kapitel

Sie war nun die große Dame, die Greville aus ihr hatte machen wollen. Mit ihrer leichten Grazie einen wirkungsvollen Gegensatz zu der spanischen Etikette der vornehmen Gesellschaft Neapels bildend, wußte sie mit feinem Takt alles Anstößige zu vermeiden. Sorglos schien sie durch das Leben zu gleiten, ein spielendes Mädchen.

Sie wußte, daß sie Sir William so gefiel.

So hatte er sich die Gefährtin gedacht, die ihm Blumen auf die Wege seines Alters streuen sollte.

Er verabscheute alles, was ihm das Herz beschweren konnte. Ein Genießer war er, der das Schöne nahm, wo er es fand. Die Welt und ihr Treiben war ihm ein Theater. Erhaben über dem Gewühl saß er selbst in einer behaglichen Loge, lachte über die Narrheit der Menschen, die mit ihren Leidenschaften nur Verwirrung anstifteten und das Ganze um keinen Schritt weiterbrachten.

Aber er hatte auch Zeiten, wo er sich über sich selbst lustig machte. Lächerlich fand er sich dann, mit seinen Liebhabereien, seiner Schönheitsschwärmerei, seiner Begierde nach Emma. Spöttisch beobachtete er sich selbst. Wie einen fremden, von einer komischen Krankheit ergriffenen Menschen, dem er den Puls fühlte, dessen Gedanken und Empfindungen er unter das Seziermesser des Forschers nahm.

Hatte er genug gespottet, so verfiel er wieder in die Liebesraserei des alternden Mannes, nannte sich einen Unglücklichen, der sein Gefühl an eine seelenlose Statue verschwendete.

Emma kannte ihn nun genau. Er war wie der Vater Mozarts. Dem hatte der Sohn eines Abends vor dem Schlafengehen einen Septimenakkord auf dem Klavier angeschlagen. Stundenlang hatte sich der Alte ruhelos im Bette gewälzt. Bis er endlich aufgestanden war und den Auflösungsakkord gespielt hatte. Befriedigt war er dann sofort eingeschlafen.

Sir Williams Septimenakkord war das Rätsel von Emmas verhüllter Schönheit. Lüftete sie ihm die Schleier, so war die Begierde gestillt. Er war dann imstande, die eben noch Umworbene fortzugeben. Wie die Bilder, die er verkaufte, wenn er sich an ihnen satt gesehen hatte.

Nun aber fing er an, eifersüchtig zu werden.

– – – – – – – –

Seit Emma dem Könige von Sir William vorgestellt war, machte Ferdinand ihr den Hof. Wenn sie im Englischen Garten der Villa reale spazieren ging, eilte er an ihre Seite. Wohnte sie am Posilipp, so ließ er ihr Serenaden bringen, bei denen er zugegen war, glücklich, wenn sie sich im Mondschein auf dem Balkon zeigte. Saß sie im Theater San Carlo in der Loge der Gesandtschaft neben der Königsloge, so beugte er sich weit über die Brüstung, kehrte der Bühne den Rücken und starrte die »schöne Engländerin« unverwandt an. Sein größter Schmerz war es gewesen, daß er sich nicht mit ihr unterhalten konnte, da er nicht Englisch sprach. Nun sie Italienisch gelernt hatte, überhäufte er sie mit Schmeicheleien und Liebesbeteuerungen.

Und er ruhte nicht eher, als bis Sir William sie zu den Jagden mitnahm, zu denen der König ihn einlud. Dann wich er nicht von ihrer Seite, während sie die Forsten durchstreiften, Wölfe und Wildschweine erlegten, in den Jagdhäusern die Nächte verplauderten. Und als die bösen Zungen anfingen, sich zu rühren, fuhr er dazwischen. Als ein Muster tadellosen Lebens, vornehmen Anstandes und feiner Sitte stellte er Emma den Damen seines Hofes hin.

Nun erschien er auch abends im Palazzo Sessa. Er hatte plötzlich seine Stimme entdeckt und bat; Emma, mit ihm Duette zu singen.

Als sie ihn zum erstenmal hörte, erschrak sie. Kaum einen reinen Ton hatte er in der Kehle, sang durch die Zähne, wie ein Fischerknecht. Trotz seiner Unbildung schien er ihr Befremden zu merken. Sie aber wußte sich zu helfen.

»Majestät singen anders, als die gewöhnlichen Sänger!« erwiderte sie auf seine Frage. »Majestät singen wie ein König!«

Sie mußte an sich halten, um über sein geschmeicheltes Lächeln nicht in helles Lachen auszubrechen. Dennoch nahm sie ihn in Schutz, als Sir William ihn nachher verspottete. Ferdinand von Bourbon schien ihr kein Adonis an Schönheit, kein Apollo an Kunst, aber doch ein guter Mensch.

Ein guter Mensch!

Sir William schrie fast auf. Und dann fiel er über den König her.

Ein Idiot war er, ein Kretin. Mit acht Jahren auf den Thron gekommen, war er niemals zu bewegen gewesen, ein Buch aufzuschlagen, eine Feder in die Hand zu nehmen. Als er sich mit Maria Carolina, Maria Theresias feingebildeter Tochter, verheiratete, hatte er weder lesen noch schreiben können. Heimlich hatte sie es ihm beigebracht, voll Scham über die Unwissenheit dieses Wilden, den sie ihren Mann nennen mußte. Aber immer noch haßte er jede geistige Beschäftigung. In den Sitzungen des Staatsrats schlief er, überließ alles der Königin. Protokolle durften nicht aufgenommen werden, weil es ihm zu lange dauerte. Um Dekrete nicht selbst unterschreiben zu müssen, hatte er sich einen Stempel mit seinem Namenszuge anfertigen lassen, den er unter die Schriftstücke drückte. Aber voll Argwohn, wie er bei alledem war, verwahrte er diesen Stempel eifersüchtig in einer Truhe, zu der nur er den Schlüssel besaß. Damit glaubte er seinen Untertanen gegenüber seine Pflicht getan zu haben.

Seine Beschäftigungen waren Essen, Trinken, Sport, Jagd, Fischerei, Weiber. Seinen Körper trainierte er wie ein Schnelläufer und Athlet. Bei der Jagd war ihm das edle Weidwerk Nebensache. Nur das Töten war sein Ziel, die Massenschlächterei. Der Anblick der zuckenden Glieder und brechenden Augen, der Geruch des rauschenden Blutes war sein Genuß. Und dabei war er feige. Nie wagte er sich in die Nähe eines gestellten Wildes, als bis es von seinen Jägern sorgfältig verwahrt war, so daß es dem Schlächter nicht mehr gefährlich werden konnte. Grausam und roh behandelte er auch die Menschen, wenn er es ungestraft tun zu können glaubte. Den Abbé Mazzinghi, einen Florentiner Edelmann, hatte er unter dem schallenden Gelächter des Pöbels prellen lassen, bis das Opfer kein Lebenszeichen mehr gab. Und warum? Weil der Unglückliche durch seine lange, hagere Gestalt die Spottlust des Barbaren rege gemacht hatte.

Ach ja, ein guter Mensch war dieser König!

Das Volk allerdings glaubte es. Er machte sich mit ihm gemein. Weil er sich unter den Gebildeten langweilte und zu den rohen Belustigungen des Pöbels hingezogen fühlte, die seinem entarteten Wesen verwandt waren. Die Menge klatschte seinen derben Spaßen Beifall und behandelte ihn wie ihresgleichen. »Il rè Nazone«, den Nasenkönig, nannten ihn die Lazzaroni, seine große Nase verspottend. Er aber hielt es für eine Ehre, die sie ihm erwiesen. Wie die alten Römer einen Augustus »Pater patriae«, Vater des Vaterlandes, genannt hatten.

»Ein Narr ist er, ein Barbar, eine Null!« schloß Sir William wütend. »In dem Zeitalter Friedrichs des Großen und Josephs II. nur auf einem Throne möglich, wie der von Neapel. Die Karikatur eines Königs!«

Emma lächelte verstohlen.

Warum erregte er sich so? Er, der Skeptiker, der Philosoph, der über dem Unsinn dieser Welt in unerreichbarer Höhe schwebte?

Eifersüchtig war er, fürchtete im Könige den Nebenbuhler.

»Und doch nennen Sie sich seinen Freund?« fragte sie mit leichtem Spott. »Und verkehren mit ihm? Nicht wie mit einem König, sondern wie mit einem Bruder?«

Ärgerlich fuhr er auf.

»Muß ich nicht? Wozu bin ich denn hier Gesandter? Ach, die Politik! Wahrhaftig, England mit allen Schätzen Indiens ist nicht imstande, mich für die Mühsal und Langeweile dieser Freundschaft zu belohnen!«

Und in dem Bestreben, sich vor Emma mit der Wichtigkeit und Schwierigkeit seines Amtes zu brüsten, weihte er sie in die Wege der britischen Politik am Hofe von Neapel ein.

– – – – – – – –

Seit England Spaniens und Hollands Seemacht vernichtet hatte, vermochte ihm nur noch eine Macht die Herrschaft über die Welt streitig zu machen: Frankreich. Auch hatte die Politik Ludwigs XVI. bereits den Kampf aufgenommen. Mit ihrer Unterstützung hatten sich die Vereinigten Staaten Nordamerikas von ihrem britischen Mutterlande losgerissen.

Nun trachtete das Pariser Kabinett nach der Herrschaft über das Mittelmeer, um den Handel der Levante an sich zu bringen. Die erste Etappe war es auf dem Wege nach Indien. Die Zeitlage begünstigte den Plan. Die beiden anderen bourbonischen Königreiche, Spanien und Neapel, vereinigten sich mit Frankreich zu einem Dreibund, dessen geheimes Ziel sich gegen England richtete, wenn man öffentlich auch die Niederwerfung der barbareskischen Piratenstaaten in Nordafrika vorgeschoben hatte. In allen drei Reichen rüstete man sich für den zukünftigen Seekrieg, vermehrte die Flotte, bildete Mannschaften aus.

Die Lage war jedoch für England um so schwieriger, als in Paris und Neapel Schwestern Königinnen waren, die von ihrer Mutter Maria Theresia eine ungestüme Herrschsucht geerbt hatten und in leidenschaftlicher Liebe aneinander hingen. Nichts war imstande gewesen, Marie Antoinette von Frankreich und Maria Carolina von Neapel zu entzweien. Einmütig strebten sie nach Vergrößerung ihrer Macht, beide beherrschten ihre Männer, beide bestimmten die Politik ihrer Länder. In ihrer Hand ruhte das Schicksal der Zukunft.

Maria Carolina war die Tatkräftigere. Schon hatte sie begonnen, eine Flotte zu bauen, mit der sie Sizilien und Malta gegen englische Angriffe von Gibraltar her zu verteidigen gedachte. Und noch weiter schien sie zu denken.

»Seltsam, daß Venedig im Mittelalter den Handel Asiens an sich reißen konnte!« hatte ihr Bruder Joseph II bei einem Besuche Neapels gesagt. »Was ist sein Hafen im Vergleich mit dem Golf von Neapel? Wenn ich König beider Sizilien wäre, würde das Mittelmeer mir gehören!«

Seitdem rüstete Maria Carolina ...

Für England aber war die Zeit zum Losschlagen noch nicht gekommen. Es galt, die Gegner im Auge zu behalten, ihre Schritte zu belauschen, in ihre Pläne einzudringen, um im gegebenen Augenblick bereit zu sein.

Diese Politik der Vorbereitung, in der William Pitt Meister war, bildete in Neapel Sir Williams Aufgabe. Und der erste Schritt war geglückt, der König tat nichts, ohne Sir William vorher zu befragen. Aber um was er fragte, war nicht der Rede wert. Von der auswärtigen Politik, auf die es England ankam, erfuhr er nichts. Auch Sir Acton, der von Sir William auf weiten Umwegen als Marineminister in das Kabinett von Neapel gebracht war, im geheimen Solde Englands stand und sich durch seine Gewandtheit zum leitenden Minister emporgeschwungen hatte, war nahezu machtlos. Das Wichtige ruhte einzig in Maria Carolinas Hand.´

Und alle Versuche, ihr beizukommen, machte sie mit ihrer lächelnden Liebenswürdigkeit zuschanden, hinter der sie ihre Herrschsucht und ihr heißes Blut verbarg. Unnahbar war sie, ein Rätsel.

»Eine geniale Frau!« sagte Emma sinnend. »Hat sie keinen Liebhaber? König Nazone dürfte wohl kaum der Mann ihres Geschmackes sein!«

Sir William schüttelte den Kopf.

»Seit dem Tode des Fürsten Caramanito hat man nichts mehr von einer Herzensneigung der Königin gehört. Sie war toll in ihn verliebt. Trotzdem gelang es Acton, ihn als Gouverneur nach Sizilien zu entfernen. Dort starb er nach kurzer Zeit. Man sagt, an Gift. Seitdem soll Maria Carolina der Männerliebe abgeschworen haben!«

Er lachte. Emma errötete.

Wenn sie der Königin im Englischen Garten begegnete, sah sie Maria Carolinas Augen auf sich gerichtet.

Heiße, bewundernde, sehnsüchtige Augen ...

Stets fragte die Königin den Prinzen Dietrichstein nach Emma aus. Beklagte die strenge Etikette, die es ihr nicht erlaubte, die »schöne Engländerin« am Hofe zu sehen...

Verstohlen nur konnten Maria Carolinas Augen Emmas Schönheit aus der Ferne grüßen...

– – – – – – – –

Emma war Sir William dankbar, daß er ihr die Dinge um sie her gezeigt hatte, wie sie waren. Und sie beneidete ihn, daß er in der Geschichte seiner Zeit eine Rolle spielen durfte. Sie begriff nun seine lächelnde Menschenverachtung, seinen Spott über das Getriebe der Welt.

Wundervoll mußte es sein, zu beobachten, wie Menschen und ganze Völker an unsichtbaren Fäden geführt wurden, während sie sich einbildeten, aus eigenem Willen und eigener Kraft zu handeln.

Würde er ihr erlauben, ein wenig an diesem göttlichen Genuß teilzunehmen?

Überrascht, erfreut stimmte Sir William zu. Schon oft hatte er es beklagt, daß ihm keine Frau zur Seite stand. Geschickte Frauenfinger verstanden, feine Netze zu weben, wo die Hand des Mannes sich nicht zeigen durfte, ohne zuzuschlagen...

Emma dankte ihm in warmen Worten. Und zum Lohn erlaubte sie ihrem Lehrer der Staatskunst eine kleine Freiheit.

Er durfte für einen Augenblick seine Lippen auf der Stelle ruhen lassen, wo ihre Brust sich aus dem Ausschnitt ihres Kleides hob.

Sein Gesicht war dunkel gerötet, als er sich wieder aufrichtete. Und da er ging, taumelte er.

Lautlos lachte sie hinter ihm her.

Ein Philosoph war er, ein Menschenkenner. Ließ die Völker an den unsichtbaren Fäden zappeln, die er in der Hand hielt. Und sah den Faden nicht, an dem er selbst zappelte ...

Aber Greville ...

Wenn er Emmas Plan merkte, wurde er ihr unversöhnlicher Feind, arbeitete heimlich ihr entgegen.

Sie gab Sir Williams Bitten nach, verzieh Greville den Verrat, wechselte Briefe mit ihm, behandelte ihn als aufopfernden Freund. Nie versäumte sie, ihren Dank einzuflechten für das Glück, das er ihr durch die Bekanntschaft mit Sir William bereitet hatte.

Sie wußte, daß Greville seinem Oheim Abschriften dieser Briefe sandte. Sir Williams Hoffnung auf einen endlichen Sieg mußte wachsen, wenn er immer und immer wieder las, daß er mit jeder Niederlage ihrem Herzen näherzukommen schien. Greville dagegen mußte es mit Bitterkeit erfüllen, daß sie ihn so leicht und schnell vergaß. Wenn er von den Fortschritten erfuhr, die sie in der Gesellschaft Neapels machte. Die Empfänge im Palazzo Sessa, die sich anfänglich nur auf einen kleineren Kreis beschränkt hatten, dehnten sich mehr und mehr aus und wurden endlich zu glänzenden Festen, bei denen Emma die gesamte vornehme Welt der Stadt empfing.

»... Wir haben ein Konzert und einen Ball gegeben ,« schrieb sie im Januar 1790. » Ich hatte ungefähr vierhundert Personen, alle fremden Minister mit ihren Frauen Im Original unterstrichen. und die Löwinnen der Saison, ausländische und einheimische. Unsere Salons waren voll Menschen. Ich hatte ein Orchester, den Tenor Cosacelli und mehrere andere Sänger. Sir William wünschte, daß ich eine Robe aus weißem Satin trug ... Es war der erste große Empfang, den wir offiziell gaben. Die Frauen wetteiferten in Toiletten und Schmuck, trotzdem behauptete Sir William, ich sei von allen doch das schönste Kleinod. Alle Abende ist unser Haus für intime Empfänge geöffnet; fünfzig bis sechzig Personen Herren und Damen. Wir haben einen neuen spanischen Gesandten hier; seine Frau und ich sind uns in wahrer Freundschaft zugetan und verlassen uns nicht mehr. Sie ist reizend. Was für eine Kreatur müßte ich sein, wenn ich mich Sir William gegenüber nach allem, was er für mich getan hat, nicht musterhaft benähme! Bei Gott, ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um ihn glücklich zu machen ... «

Und während sie schrieb, dachte sie daran, was die Leute einander bereits zuflüsterten.

Man glaubte allgemein an eine heimliche Ehe Sir Williams mit Emma ...

Madame Skawuska, die russische Botschafterin, und die Herzogin von Fleurus, Emmas Freundinnen, hatten es ihr bei jenem Feste zugetragen.

Unter ihren forschenden Blicken war Emma wie erschreckt errötet. Dann hatte sie sich wie

hilfesuchend zu Sir Williams geflüchtet und sich einen Augenblick zärtlich an seinen Arm geschmiegt.

Die Freundinnen glaubten es nun auch. Trugen es weiter …


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